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Lernen trotz Trauma
Bildungswege für Kinder mit traumabedingten Lernschwierigkeiten

"Trauma" – das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich "Verletzung" oder "Wunde". Um solche Verletzungen, um solche Wunden, die zumeist nicht sichtbar sind, die aber tiefe Narben in den Kinderseelen hinterlassen haben, ging es bei einer Expertentagung am 7. Oktober 2017 im Konferenzzentrum München.

Unter dem Titel "'Wenn Akim will, aber nicht kann ...'. Bildungswege ebnen für Kinder mit traumabedingten Lernschwierigkeiten" hatte die Hanns-Seidel-Stiftung gemeinsam mit der Stiftung Wings of Hope Deutschland Lehrerinnen und Lehrer aus allen Schultypen in Bayern eingeladen. Zahlreiche Lehrkräfte waren dieser Einladung gefolgt. Die Teilnehmerrunde setzte sich aus vielen unterschiedlichen Schulen zusammen – von den Grundschulen, über die Mittelschulen bis zu den Förder- und Berufsförderschulen. Die große Resonanz machte deutlich, dass die Herausforderung der traumabedingten Lernschwierigkeiten breit in der bayrischen Schullandschaft vorzufinden ist.

Miehling am Rednerpult. Hinter ihr an der Wand ihre Präsentation "Wenn Akim will, aber nicht kann"

"Traumatische Erfahrungen können zu kognitiven Störungen führen" (Regina Miehling von "Wings of Hope")

HSS

Nicht nur Flüchtlingskinder betroffen

Worum geht es konkret? Der Zusammenhang zwischen traumatischen Erfahrungen und Lern- und Leistungsfähigkeiten gerät in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus der Bildungswissenschaften. Dabei wurde in Untersuchungen bereits deutlich, dass – unabhängig vom Alter – traumatische Erfahrungen kognitive Störungen verursachen können. Lehrkräfte sind zunehmend damit sowie mit den Folgen und Symptomen von traumatischen Erfahrungen bei ihren Schülerinnen und Schülern konfrontiert. Dies, so wurde auch auf dieser Tagung betont, ist nicht nur eine Herausforderung bei Schülern mit Fluchthintergrund, sondern auch bei anderen Schülern aus deutschen Familien, mit oder ohne Migrationshintergrund. 

Ziel der Veranstaltung war es, Lehrkräften ein tiefgründigeres Verständnis über Ursachen, Zusammenhänge und Erscheinungsformen traumabedingter Lernschwierigkeiten zu vermitteln. Zudem sollten sie die Möglichkeit bekommen, von eigenen Erfahrungen aus ihrem Schulkontext zu berichten und neue Kenntnisse über Umgangsformen mit betroffenen Schülerinnen und Schülern zu erlangen. Umgesetzt wurde dies durch fachkompetente Vorträge unterschiedlicher Fachleute zum Thema.

Dame am Rednerpult im Sitzungssaal der Hanns-Seidel-Stiftung.

Zahl der Berufsintegrationsklassen bayernweit auf 1100 gestiegen, so Ulrike Seuß, beim Bayerischen Kultusministerium zuständig für Flüchtlingsintegration.

HSS

60.000 Flüchtlingskinder in Bayerischen Klassen

Ulrike Seuß von der Stabsstelle Flüchtlingsintegration im Bildungsbereich des Bayerischen Kultusministeriums gab zu Beginn der Expertentagung einen Überblick über die schulischen Bildungsangebote für junge Menschen mit Fluchthintergrund in Bayern. Im Fokus liegt vor allem die Sprachförderung der ca. 60 000 Schüler mit Fluchthintergrund in Bayern. Die meisten dieser Schüler und Schülerinnen sind in Regelklassen untergebracht. Stark angestiegen ist aber auch die Zahl der Berufsintegrationsklassen und beläuft sich in Bayern derzeit auf 1100. 

Maria Fath sprach sodann als Psychologin und Traumatherapeutin über die Abgrenzung zwischen traumabedingten Lernschwierigkeiten und Lernbehinderungen. Es wurde deutlich, dass auch bei Kindern mit einer diagnostizierten Lernbehinderung genau hingesehen werden muss, was ihnen vielleicht passiert ist und welche Erfahrungen sie vielleicht gemacht haben. Langanhaltende Gewalterfahrungen, Vernachlässigung und Verwahrlosung oder andauernder traumatischer Stress können ebensolche Auswirkungen haben und sich als Lernbehinderung ausdrücken.

Zwei junge Frauen am HSS-Rednerpult. Links mit Kopftuch, rechts ohne.

Die Heilpädagoginnen Rihab Chabaane und Maria Knoll berichten von Ihren Erfahrungen mit traumatisierten Kindern.

HSS

Die Schule als sicherer Ort

Bernt Ruf, Sonderpädagoge und Schulleiter am Parzival Zentrum in Karlsruhe, berichtete von seinen Erfahrungen im In- und Ausland im Bereich der Notfallpädagogik bei plötzlichen traumatischen Geschehnissen und von Gruppenangeboten für traumatisierte junge Menschen. Bei traumatischen Erfahrungen ist in den ersten Wochen danach durch pädagogische Maßnahmen – wie zum Beispiel ressourcenorientiertes Arbeiten oder Unterstützung bei der Stressbewältigung – sehr viel möglich, um den traumatischen Schock zu lösen. Die Schule als sicherer Ort hat dabei einen unschätzbaren Wert, braucht dafür aber bestimmte strukturelle Voraussetzungen.

Den Reigen der Vortragenden schloss Melek Henze, Sozialwissenschaftlerin und interkulturelle Trainerin, mit einem Blick auf die Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungshindernisse von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland und deren interkulturelle Aspekte. Obwohl sie den Finger kritisch in die Wunde der in Deutschland oftmals mangelnden Integration legte, war es ihr ebenso wichtig, Erfolgsgeschichten von gelungener Integration zu erzählen.

Eine Gruppe Kinder sitzen im Kreis, die Hände in die Mitte gestreckt und lachen fröhlich. Symbol für "Gemeinsam"

Gemeinschaft mit anderen Kindern ist für traumatisierte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten besonders wichtig.

Wings of Hope

Das Fazit: Hoffnung

Damit auch viele praktische Aspekte und pädagogische Perspektiven für den Unterricht in den Fokus genommen werden konnten, wurden die Vorträge durch "Denkräume" unterbrochen. Diese schafften eine Plattform für Erfahrungsaustausch in kleinem Kreis, Vernetzung, Diskussionen und praktische Übungen. Hierbei ist im Besonderen der "Denkraum" von Birthe Schmidt, Sportwissenschaftlerin und Körper- und Bewegungstherapeutin, zu nennen, in dem die Teilnehmenden viele praktische Übungen zum körperlichen Stressabbau üben und erleben konnten. 

Als Fazit der Expertentagung bleibt die Hoffnung, dass das Thema Trauma und seine Folgen für Lernen und Entwicklung künftig noch stärker in den Blick genommen wird. Dies wäre ein wertvoller Beitrag für die betroffenen jungen Menschen mit Fluchthintergrund, aber auch für die sie aufnehmende Gesellschaft sowie ganz praktisch für die jungen Menschen in Deutschland, die ebenfalls traumatische Erfahrungen erleben mussten.