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Heftige Proteste in Rumänien
Déjà-vu in Bukarest

Autor: N.N.

Wieder treibt die Politik der regierenden Sozialdemokratischen Partei Rumäniens (PSD) bis zu 70.000 Demonstranten auf die kalten und verschneiten Straßen Bukarests und anderer Städte des Landes. Auslöser sind die innenpolitischen Probleme Rumäniens und die geplante Justizreform.

Rumänien steht vor großen Herausforderungen: Einerseits der Machtkampf innerhalb der Sozialdemokratischen Partei selbst, bei dem der Vorsitzende Liviu Dragnea innerhalb von nur zwölf Monaten bereits den zweiten Premierminister aus den eigenen Reihen verschlissen hat; andererseits das Bestreben der PSD, die Gesetzeslage zur Korruption so weit zu ändern, dass führende Parteikader, allen voran der Parteivorsitzende Dragnea, weiterhin aktiv im Politgeschäft tätig sein können.
Allerdings ist die PSD nach den massiven Demonstrationen im Januar des vergangenen Jahres gegen konkrete Änderungen der Gesetzgebung im Korruptionsbereich vorsichtiger geworden und verpackt ihr Anliegen diesmal in die "Justizgesetze". Reformen im Justizbereich, da sind sich eigentlich alle einig, sind längst überfällig. So deklariert die Regierung ihr Gesetzespaket als wirkungsvolle Reform zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz und der Effizienz von Gerichtsverfahren. In Wahrheit wird aber das Gegenteil davon erreicht.

Abends gehen aufgebrachte Bürger in Bukarest auf die Straße und zeigen ihren Unmut deutlich.

Abends gehen aufgebrachte Bürger in Bukarest auf die Straße und zeigen ihren Unmut deutlich.

Daniel Seiberling

Misstrauensvotum

Am 15. Januar 2018 ist nach nur sieben Monaten im Amt (29. Juni 2017 bis 16. Januar 2018) Premierminister Mihai Tudose (PSD) und mit ihm die gesamte Regierung zurückgetreten, nachdem ihm die regierenden Sozialdemokraten auf einer Dringlichkeitssitzung ihres Leitungsgremiums das Vertrauen entzogen hatten. Immerhin hat er sich damit einen Monat länger als sein Vorgänger, Sorin Grindeanu (ebenfalls PSD), Premierminister vom 04. Januar 2017 bis 29. Juni 2017, an der Macht halten können.

Bereits im November 2017 war es zu Spannungen gekommen, da der Premierminister in einer Kabinettsumbildung mehrere Vertraute von Dragnea entlassen wollte. Auslöser war, wie inzwischen in der rumänischen Politik üblich, ein emotional aufgeladener Einzelfall (hier eine Diskussion über den allgemeinen Zustand der Polizei und des Innenministeriums aufgrund eines mutmaßlichen sexuellen Übergriffes durch Polizisten).

Der Funke reichte, um die schwelenden Spannungen in der Partei neu aufflammen zu lassen. Auch innerhalb der Partei ist der autokratische Führungsstil von Dragnea nicht unumstritten. Nicht nur der Abbau der innerparteilichen Demokratie wird moniert. Die Tatsache, dass Liviu Dragnea sich selbst für den geeigneten Premierminister der PSD hält, und alle Nominierungen aus seiner Sicht nur Platzhalter für ihn selbst sind und sein können, vergiften die Stimmung in der Partei; von der verheerenden Außenwahrnehmung für die Regierung und das Land ganz zu schweigen.
Dies führt zwangsläufig zum zweiten großen politischen Schlachtfeld des Liviu Dragnea, der Justizreform. Nach geltendem Recht kann Dragnea nicht Premierminister des Landes werden, weil er wegen Wahlbetrugs rechtskräftig verurteilt ist und weitere Verfahren wegen Korruption und Amtsmissbrauch gegen ihn laufen. Erst im November 2017 wurde sein Vermögen auf Betreiben der Antikorruptionsbehörde DNA eingefroren.

In Rumänien sollen Gesetze gegen Korruption eingeschränkt werden.

In Rumänien sollen Gesetze gegen Korruption eingeschränkt werden.

Daniel Seiberling

Die Gesetzesinitiative zur Justizreform

Im Januar 2017 versuchte der damalige Justizminister Florin Iordache (PSD) durch die Verabschiedung einer Eilverordnung die Antikorruptionsgesetze des Landes aufzuweichen. Durch eine weitere Gesetzesinitiative für eine Amnestie von Personen, denen Amtsmissbrauch vorgeworfen (!) wird, sollte der Weg frei gemacht werden für die höheren Weihen von Livia Dragnea.
Aufgrund der heftigsten Proteste in Rumänien seit der Revolution gegen das Ceausescu-Regime musste die Regierung diese Vorhaben zurückziehen.

In der Folgezeit wurden zahlreiche, weniger augenfällige Änderungen an gesetzlichen Bestimmungen vorgenommen, die im weiteren Sinne mit der Korruptionsbekämpfung im Zusammenhang stehen.
Seit dem Sommer 2016 befasst sich die rumänische Regierung darüber hinaus in den sogenannten Justizgesetzen mit umfassenden Änderungen dreier Gesetze aus dem Jahr 2004, welche die Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte, den Obersten Richterrat (Oberster Rat der Magistratur, CSM) und die Gerichtsverfassung insgesamt betreffen.
Problematisch ist, dass zahlreiche Änderungen und Reformen im rumänischen Justizsystem notwendig sind, die auch von der Europäischen Kommission in den vergangenen Jahren angemahnt wurden. Teilweise wurden in diesem Sektor Reformansätze nicht zu Ende geführt, teilweise haben sich seit dem rumänischen EU-Beitritt 2007 Rahmenbedingungen geändert, auf die reagiert werden muss und neue EU-Bestimmungen müssen umgesetzt werden.
Da aber offensichtlich niemand von der derzeitigen Regierung einen verantwortlichen Umgang mit so grundlegenden Elementen des Rechtsstaates erwartet, stieß der Entwurf auf deutlichen Widerstand von Vertretern und Mitgliedern des Justizsystems, der Zivilgesellschaft und Politikern der Opposition.
Selbst die US-Regierung und andere internationale Akteure äußerten schwere Bedenken gegenüber der angekündigten Justizreform.

Die entscheidenden Neuerungen der Gesetzesinitiative

  • Neue Bestimmungen bezüglich der Rechtsstellung von Richtern und Staatsanwälten, insbesondere die Möglichkeit, künftig im Falle von Fehlurteilen Richter und Staatsanwälte persönlich haftbar zu machen.

  • Die Möglichkeit, bei Dienstvergehen über Disziplinarmaßnahmen hinaus auch strafrechtliche Ermittlungen gegen Richter und Staatsanwälte einzuleiten.  

  • Die Zuständigkeit hierfür soll von der bisher zuständigen DNA (der Antikorruptionsbehörde der Staatsanwaltschaft) auf eine neue Behörde übertragen werden.

  • DNA und DIICOT (Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und Terrorismus der Staatsanwaltschaft) sollen stärker als bisher durch Regierung und Justizministerium überwacht werden.

  • Änderungen am Status und der Arbeitsweise des Obersten Rates der Magistratur (CSM) selbst.

  • Der Einfluss des Staatspräsidenten bei Ernennung und Abberufung des Präsidenten des Obersten Gerichts sowie der leitenden Staatsanwälte wird beschränkt.

  • Richtern und Staatsanwälten ist verboten, sich „verleumderisch“ über Exekutive und Legislative zu äußern. Da nicht näher bestimmt ist, was das bedeutet, und damit auch beispielsweise eine negative Bewertung von Gesetzesvorhaben betroffen sein könnte, werden Richter und Staatsanwälte mundtot gemacht.

  • Änderungen am Gesetz über die Nationale Integritätsagentur (ANI), die gegen Parlamentarier, Bürgermeister und gewählte Kreisratsmitglieder verhängte Einschränkungen durch die ANI aufgrund von Interessenkonflikten für die Jahre 2007 bis 2013 aufheben würden.

Rumänien kommt nicht zur Ruhe und muss viele innenpolitische Probleme lösen.

Rumänien kommt nicht zur Ruhe und muss viele innenpolitische Probleme lösen.

Daniel Seiberling

Diese Reformen des Justizwesens sollen nach Meinung von Justizminister und Regierung die Unabhängigkeit der Justiz stärken und die Effizienz von Gerichtsverfahren erhöhen.

In ihrem BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über Rumäniens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM-Bericht) für 2017 spricht die EU-Kommission im November 2017 explizit die drei Bereiche an, die durch die Justizgesetze geändert werden sollen: der Status von Richtern und Staatsanwälten sowie die Struktur und Arbeitsweise der Gerichte, der Staatsanwaltschaften und des Obersten Richterrats. Das Gremium, das solche Veränderungen überwachen soll, ist in Rumänien der Oberste Rat der Magistratur (CSM), also das Selbstverwaltungsorgan von Richtern und Staatsanwälten, in dessen Händen im Grunde die Unabhängigkeit der Justiz liegt. Diese lehnten im September 2017 und danach eine verbesserte Version Anfang November 2017 ab, wie sie von der Regierung vorgelegt wurde.

Wieder finden im Zentrum von Bukarest heftige Demonstrationen gegen Regierungsvorhaben statt.

Wieder finden im Zentrum von Bukarest heftige Demonstrationen gegen Regierungsvorhaben statt.

Daniel Seiberling

Warum das Alles?

Im Januar 2017 war relativ klar erkennbar, weswegen die sozialdemokratische Regierung durch eine Eilverordnung eine Aufweichung der Antikkorruptionsgesetzgebung erreichen wollte. Das politische Überleben des Parteivorsitzenden Dragnea stand auf dem Spiel, der seine letzten Chancen Premierminister zu werden retten wollte, bevor ein neues Verfahren wegen Korruption gegen ihn eröffnet wurde. Die Zeit drängte, und die Partei setzte alle Hebel in Bewegung. Zunächst vergeblich: Die geplante Maßnahme scheiterte an tagelangen Protesten Hunderttausender empörter Bürgerinnen und Bürger. Dragnea blieb nichts übrig, als die Gesetze zurückziehen zu lassen und einen Strohmann als Premierminister einzusetzen.

Heute ist aber weniger deutlich, was die Regierung mit den Reformen will. Änderungen, die angeblich der Unabhängigkeit der Justiz zugutekommen sollen, dienen tatsächlich dazu, das Gegenteil zu erreichen und Durchgriffsrechte der Politik und Regierung in das Justizwesen zu schaffen. Erklärtes Ziel der Regierung ist es, den Einfluss eines sogenannten „Parallelstaates“ zurückzudrängen.
Dieses gedankliche Konstrukt, welches die PSD- Regierung in die Rolle des bedrängten Verteidigers des Wählerwillens rückt (diese glaubt sich durch die Wahlergebnisse im Recht, mit der erzielten Mehrheit nach Gutdünken umgehen zu können), muss genauer betrachtet werden, um die Logik der Vorgänge zu verstehen.
Die Regierung, allen voran die Sozialdemokratische Partei, wähnt sich im Kampf mit einer außerparlamentarischen Opposition, deren sichtbarste Vertreter der Staatspräsident des Landes, Klaus Johannis, die Leiterin der Antikorruptionsbehörde DNA, Laura Kövesi und, wenn auch in geringerem Maß, des Obersten Rates der Magistratur (CSM) sind. Unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung würde Opposition gegen die legitime Politik der gewählten parlamentarischen Mehrheit betrieben. Der Widerstand gegen diese „Verschwörung“ gegen Parlament und Regierung wurde im November 2017 vom Exekutivkomitee der PSD sogar durch eine Entschließung zum Programm erhoben.

Der Victoria-Palast, Regierungssitz von Rumänien, wird streng abgeschirmt.

Der Victoria-Palast, Regierungssitz von Rumänien, wird streng abgeschirmt.

Daniel Seiberling

Wer im Glashaus sitzt ...

Dass gerade die PSD, die in der Vergangenheit nichts unversucht gelassen hatte, staatliche Posten und Regierungsämter in den Dienst der Partei zu stellen, von einem willkürlichen und gezielt gegen ihre Mitglieder gerichteten Vorgehen von Politik und Justiz spricht, lässt sich kaum anders als kontrafaktisch beschreiben. Offensichtlich fürchtet die PSD eine unabhängige Justiz mehr als den Gesichtsverlust auf europäischer und internationaler Ebene.

Das rumänische Justizwesen bedarf an zahlreichen Stellen der Erneuerung und der Anpassung an aktuelle Entwicklungen. Die Korruptionsbekämpfung muss unabhängig von politischer Einflussnahme, aber unter Wahrung aller rechtsstaatlichen Normen und Verfahrensregelungen stattfinden. Im Frühjahr 2016 wurde der Antikorruptionsbehörde DNA durch das Verfassungsgericht beispielsweise verboten, auf Informationen des staatlichen Nachrichtendienstes SIRI zurückzugreifen. Ein schwerer Schlag für die Korruptionsjäger um die leitende Staatsanwältin Laura Kövesi, aber ein Erfolg der Rechtsstaatlichkeit im Land.

Die Zusammenarbeit zwischen Institutionen der Rechtspflege, dem Parlament, der Regierung und dem Staatspräsidenten muss auf der Grundlage der Verfassung und rechtsstaatlicher Normen basieren.
Die parlamentarische Mehrheit darf nicht dazu missbraucht werden, berechtigte Bedenken der Opposition und relevanter Fachgremien wie dem CSM beiseite zu wischen, wie in den letzten Wochen geschehen.

Der Europäische Kommissionspräsident Juncker und der stellv. Präsident Timmermans haben diese Besorgnis am 24. Januar 2018 noch einmal bekräftigt:

„Der letzte CVM Report hat das Justizgesetz als einen wichtigen Testfall identifiziert, der aufzeigt, inwieweit die berechtigten Bedenken richterlicher und anderer Interessenvertreter gehört und in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Seither ist nichts unternommen worden, das diese Bedenken hätte zerstreuen können.“

Allen kritischen Stimmen zum Trotz zeigt sich, dass die Macht von Liviu Dragnea innerhalb der PSD nach wie vor gefestigt ist. Das sollte als dringender Appell an die bürgerliche Mitte des Landes verstanden werden, eine gemeinsame Linie für die Präsidentschaftswahlen 2019 zu finden.

So unglaublich das politische Verhalten der PSD derzeit auch sein mag, es sollte die Gefahr, die derzeit für den demokratischen Rechtsstaat von ihr ausgeht, auf keinen Fall unterschätzt werden.

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
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Rumänien
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