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Interview mit Marlene Mortler, MdEP
Die Europäische Agrarpolitik - Braucht es einen Kurswechsel?

Autor: Meike May

Der nun knapp ein Jahr andauernde russische Angriffskrieg in der Ukraine wirkt sich unmittelbar auf die globale Ernährungssicherheit aus: Folgen sind eine Verschärfung der Nahrungsmittelknappheit in Ländern des globalen Südens, Preissteigerungen bei Lebensmitteln sowie höhere Energie- und Transportkosten. Gleichzeitig setzt der Klimawandel mit Dürren und Überschwemmungen die Landwirtschaft weltweit seit Jahren zunehmend unter Druck. Welchen Kurs muss die EU einschlagen, um kurz-, mittel- und langfristig Ernährungssicherheit zu gewährleisten? Wir haben die Europaabgeordnete Marlene Mortler gefragt.

Marlene Mortler lächelt freundlich und nahbar in die Kamera.

Die CSU-Politikerin Marlene Mortler war zwischen 2002 bis 2019 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Von 2014 bis 2019 engagierte sie sich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Seit 2019 ist sie Mitglied des Europäischen Parlaments.

Elaine Schmidt; https://marlenemortler.de/pressefotos

HSS: Frau Mortler, wie betrifft Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine die europäische und globale Ernährungssicherheit?

Marle Mortler, MdEP:  Durch Covid und den Krieg ist das Ziel, eine Welt ohne Hunger, das Sustainable Development Goal (SDG) 2, in weite Ferne gerückt. Es ist unsere Aufgabe, verfügbare und erschwingliche Nahrungsmittel für alle zu gewährleisten und zu fördern. Dafür braucht es mehr Wissenschaft, mehr Innovation und mehr Investitionen für eine nachhaltige Landwirtschaft sowie für widerstandsfähige Agrarlebensmittelsysteme. All dies muss im Kontext der Europäischen Agrarpolitik aufgegriffen und gefördert werden. Insgesamt brauchen wir weltweit, auch in Europa, nicht weniger, sondern mehr Landwirtschaft.

Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, 25 Prozent der Anbauflächen bis 2030 ökologisch bewirtschaften zu lassen. Wie bewerten Sie diese Maßnahme des Green Deal?

Zunächst einmal steht meine Fraktion grundsätzlich für die Ziele des Green Deal. Aber: Auf welchem Weg kommen wir dort hin? Bei der Umsetzung der „Farm-to-Fork-Strategie“, die das Kernstück des Green Deal für die Landwirtschaft darstellt, müssten mehr Lebensmittel aus Drittstaaten nach Europa eingeführt werden und Umweltprobleme würden gleichzeitig in Drittstaaten verlagert. Das kann beides nicht unser Ziel sein. Es nützt nichts, wenn wir in der aktuellen Situation ein 25 Prozent Ziel für biologisch Produktion festlegen. Wir sehen ja, dass die Nachfrage bei Bioprodukten in dieser schwierigen Zeit erhöhter Lebensmittelpreise einbricht. Ich halte es für richtig, dass wir weggehen von dieser prozentualen Vorgabe. Es ist immer besser, dass der Markt entscheidet und nicht der Staat mit irgendwelcher Planwirtschaft. So haben wir es übrigens im Europaparlament auch beschlossen.

Marlene Mortler, Mitglied und Berichterstatterin im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im Europaparlament, nahm als Podiumsdiskutantin am 07. Februar 2023 an der Diskussionsveranstaltung des Europa-Büros der Hanns Seidel Stiftung über "Die Europäische Agrarpolitik und ihr Beitrag zur Ernährungssicherheit - Braucht es einen Kurswechsel?" teil. Gemeinsam mit Michael Niejahr, Direktor in der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung bei der Europäischen Kommission, und Annika Hedberg, Programmleiterin Sustainable Prosperity for Europe am European Policy Centre (EPC), diskutierte sie über Herausforderungen und Zukunft der Europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik im Kontext der aktuellen Krisensituation. Moderiert wurde die Diskussionsrunde durch den Agrar-Journalisten Simon Klatt vor ca. 160 interessierten Gästen in der Brüsseler Vertretung des Freistaates Bayern.

Die Gruppe sitzt auf dem Podium. Gerade spricht Michael Niejahr von der Europäischen Kommission in ein Handmikrofon.

"Wir brauchen in Europa und weltweit nicht weniger, sondern mehr Landwirtschaft." (Marlene Mortler, MdEP, 2.v.l.)

Meike May; ©HSS

Welche Rolle spielt die europäische Landwirtschaft bei der Umsetzung des Green Deal?

Wir sollten nicht vergessen, dass die Landwirtschaft auch für die Herausforderungen des Naturschutzes Teil der Lösung sein kann. Lassen Sie mich dies exemplarisch am Beispiel der energetischen Holznutzung aufzeigen. Wir reden im Moment über „RED III“, die Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die faktisch eine Einschränkung der Bioenergie bedeutet. Hier wird beispielsweise primäre Biomasse im Wald als energetische Holznutzung fast schon verteufelt, obwohl diese Biomasse einen Beitrag leisten kann, uns ein Stück weit unabhängiger vom Erdgas bzw. von fossilen Brennstoffen zu machen. Aus unserer Fraktions-Sicht sollte RED III eigentlich regional erzeugte Bioenergie weiter fördern und Einschränkungen und Hürden für die Bioenergie abbauen. Ähnliches gilt für das Thema Pflanzenschutz. Der Green Deal sieht vor, den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Zur Wahrheit gehört aber, dass auch Bäuerinnen und Bauern im Biolandbau hier und da auf Pflanzenschutzmittel angewiesen sind. Wir wissen natürlich, dass in der Vergangenheit unter dem Motto gearbeitet worden ist, „viel hilft viel“. Das ist lange her. Heute gilt längst die Devise „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“ im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes. Und es braucht zunächst gleichwertige bzw. bessere Alternativen. Ohne diese würden Pflanzen bzw. Kulturen absterben und könnten nicht geerntet werden. Das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit: gut gedacht, aber schlecht gemacht!

Welche Verantwortung trägt die EU zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit im globalen Süden?

Wir sind in Europa eine von drei Gunstregionen in der Welt, neben Nordamerika und Teilen Chinas. Eine zentrale Aufgabe für uns ist es, unseren Beitrag zur Ernährungssicherheit nicht nur in Europa, sondern auch für die Menschen in den Entwicklungsländern zu leisten. Daher dürfen die Antworten für unsere Europäische Agrarpolitik weder Verbote noch dauerhafte Flächenstilllegungen sein. Wir müssen Anreize schaffen. Wir leben auf einem Hochtechnologiekontinent, also müssen wir technische Lösungen und Innovation noch viel besser im Sinne der Ernährungssicherheit nutzen und unser Know-How auch in die Länder des globalen Südens bringen, beispielsweise im Rahmen von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Hier ist mir wichtig, dass wir diese Kooperation an gute Regierungsführung knüpfen. Nur so können wir das SDG2 perspektivisch erreichen, eine Welt ohne Hunger. Gerade Frauen können und müssen hier eine größere Rolle spielen.

Wie sollte die Europäische Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) in Zukunft ausgestaltet werden?

Wir müssen in der Politik wieder langfristig denken: Nicht rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Unsere Bäuerinnen und Bauern wollen und brauchen Planungssicherheit. Derzeit nehmen Bürokratie und Ideologie in der Europäischen Agrarpolitik immer mehr überhand. Wir müssen wieder zurückkommen zum „one in, one out“-Prinzip, also: für jedes neue EU-Gesetz muss ein altes weichen. Es ist von besonderer Bedeutung, dass wir unseren jungen Bäuerinnen und Bauern Lust auf Zukunft machen. Ich wünsche mir, dass wir anerkennen, dass die konventionelle wie auch die ökologische Landwirtschaft ihre Berechtigung haben und beide stetig voneinander lernen. Das Ziel der Europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) muss sein, unsere Bäuerinnen und Bauern weiter fit zu machen, zu beraten und zu fördern, damit sie die Zukunft optimal bewältigen können.

Frau Mortler, vielen Dank für das Gespräch.

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