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Thailand
Die Jugend steht auf

Autor: Dr. Axel Neubert

Die Wucht, mit der sich Veränderungsprozesse durch die Corona-Pandemie beschleunigen, zeigt sich derzeit besonders deutlich in Thailand. Aus unscheinbaren Studentenprotesten hat sich innerhalb weniger Wochen eine breite Bewegung entwickelt. Am Jahrestag des Militär-Putsches von 2006, dem 19. September, gingen 50.000 Menschen, vor allem Jugendliche und Studenten, auf die Straße, um friedlich Veränderungen zu fordern. Thailands stark polarisierte Gesellschaft steht vor einer Zerreißprobe.

Protest mit Witz, aber auch mit Verstand

Passend zu ihren Forderungen - keine Einschüchterungen, Auflösung des Parlaments und Änderung der Verfassung - erheben die Studenten ihren Drei-Finger-Gruß. Diese Geste stammt aus dem bekannten Hollywood-Film „Die Tribute von Panem – The Hunger Games" (1).

Es passiert nicht oft, dass eine Geste aus einem Science-Fiction-Blockbuster, in dem es um eine fiktive Diktatur und Zweiklassengesellschaft geht, es in die Realität schafft. Kreativität ist auch gefordert, denn den Demonstranten drohen harte Sanktionen. Aufruhr wird mit bis zu sieben Jahren und Kritik an der Monarchie mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet.

Die Demonstranten hält das trotz des Regens nicht ab, ihre Meinung zu sagen. Die meisten sind in einem Alter, in dem sie das erste Mal politisch aktiv sind. Ihr Engagement hat sich von den sozialen Medien längst auf die Straße verlagert. Sie fordern vor allem mehr Mitbestimmung und stellen bestehende Traditionen und Autoritäten in Frage.

Vor dem Königspalast in Bangkok versammeln sich Demonstranten

Vor dem Königspalast in Bangkok versammeln sich Demonstranten

Dr. Axel Neubert/HSS

Der leise Champion im Kampf gegen Corona

Bereits im Januar 2020 wurden die ersten Corona-Infizierten in Thailand entdeckt. Damit war das Land das erste nach China, das von der Pandemie bedroht war. Die Ausgangssituation war auch aufgrund der vielen Touristen, die sich zum chinesischen Neujahrsfest (25. Januar) in Thailand aufhielten, alles andere als gut.

Durch einen konsequenten Lockdown, inklusive strenger lokaler Ausgangs- und internationaler Einreisesperren hat es die Regierung geschafft, das Virus nahezu auszulöschen. Seit mehreren Wochen wurde, was von vielen anderen Ländern als kleines Wunder bezeichnet wird, keine lokale Neuinfektion mehr identifiziert. 

Für die strenge Abschottungsstrategie zahlt die Bevölkerung des Urlaubslands einen hohen Preis. Durch das Ausbleiben internationaler Gäste steht Thailands wichtigste Industrie, der Tourismus, vor dem Kollaps. Da es auch in den anderen Bereichen der exportorientierten Wirtschaft nicht viel besser aussieht, durchleidet das Land derzeit die schwerste Rezession seiner Geschichte.

Die sozioökonomischen Folgen sind damit noch dramatischer als während der Asien- oder der Finanzkrise. Was für die jungen Thailänder noch viel schlimmer ist, eine Besserung ist nicht in Sicht. Zudem haben sie das Gefühl, über ihre eigene Zukunft kaum mitbestimmen zu können.

Schwache Regierungsführung

Durch eine Verfassungsänderung vor der Wahl 2019 hat es die frühere Militärregierung geschafft, die Mehrheitsverhältnisse so zu verändern, dass sie an der Macht blieb. Der frühere General Prayut Chan-o-cha muss mit einer Koalition regieren, die aus 13 Parteien besteht. Und auch das nur mit einer Mehrheit von einem Sitz. Wie schwierig das ist, zeigen die letzten Krisen-Wochen, in denen fünf Ministerposten neu besetzt werden mussten, darunter das Amt des Finanzministers gleich zwei Mal.

Auch in der Tagespolitik agiert die Regierung ungeschickt. Noch während das Corona-Rettungspaket diskutiert wurde, wollte sich das Militär eine milliardenteure Aufstockung seiner U-Boot-Flotte gönnen. Diese Entscheidung wurde zwar mittlerweile auf öffentlichen Druck zurückgenommen, aber ein Eindruck der Verunsicherung bleibt, selbst bei konservativen Regierungstreuen.

Das gilt auch für die Studentenbewegung, bei der unterschätzt wurde, wie schnell sie an Boden gewinnt. Diese hat nach eigenen Angaben mittlerweile 100.000 Unterschriften gesammelt und könnte somit sogar eine parlamentarische Diskussion erzwingen. Diese Protest-Bewegung ist für die Regierung auch deshalb schwer zu fassen, weil sie organisch gewachsen ist und weder einer Führungsstruktur noch Organisation zu unterliegen scheint.

Sichtlich erschöpft sitzt  ein Demonstrant neben unbewaffneten Sicherheitskräften

Sichtlich erschöpft sitzt ein Demonstrant neben unbewaffneten Sicherheitskräften

Dr. Axel Neubert/HSS

Zwischen Demokratie, Militärputsch und Monarchie

In der Geschichte Thailands wechseln sich demokratische Phasen und Militärregierungen immer wieder ab. Offiziell ist das Königreich Thailand seit 1932 eine konstitutionelle Monarchie mit dem König als Staatsoberhaupt, von dem kein Einfluss auf die Tagespolitik erwartet wird. In gesellschaftlichen Grundsatzdebatten hingegen hat das Königshaus in der Vergangenheit eine vermittelnde Funktion eingenommen.

Das Wort des Königs hat aufgrund seiner herausragenden Stellung endgültigen Charakter. Derzeit besteht Unklarheit darüber, ob der seit 2019 regierende aber überwiegend in Bayern lebende König Vajiralongkorn diese Rolle annehmen wird. Allein diese Unsicherheit kann ausreichen, dass sich die politischen Regeln und das Machtgefüge grundlegend ändern könnten. Eine direkte Kritik an der Monarchie, wie sie Teile der Protestbewegung übt, gilt für viele Thailänder nicht nur als undenkbar, sondern stellt auch ein erhebliches Eskalationspotenzial dar. 

Neben der wirtschaftlichen befindet sich das Land damit unmittelbar auch vor einer schweren politischen Krise. Von einer Radikalisierung der Studentenbewegung bis zu einem weiteren Militärputsch scheint aktuell alles möglich. Auch die Reaktion des Königshauses gegenüber den Protesten bleibt abzuwarten.

Ausblick

Zurzeit scheinen unterschiedliche Szenarien denkbar:

Erstens: Den Forderungen der Protestbewegung wird nachgegeben. Mit Neuwahlen allein wird es allerdings nicht getan sein. Die Regierung müsste radikale Reformen einleiten und so einen großen Teil ihrer Macht abgeben. Ob dafür der amtierende Regierungschef dafür den Weg freiwillig freimacht, erscheint fraglich.

Zweitens: Militärische Gruppen finden in der aktuellen Lage eine Rechtfertigung zur Übernahme der Regierungsverantwortung. In Thailand ist eine solche Militärlösung kein Novum. Die Gerüchte über einen solchen Putsch halten sich, auch weil im Herbst viele Militärposten traditionell neu besetzt werden. Eine solche Lösung ist kaum ohne Gewalt durchführbar und würde noch mehr Menschen auf die Straße bringen. Dieses Szenario würde die internationale Aufmerksamkeit ändern.

Drittens: Die Regierung lässt sich auf einen Dialog über die Verfassung ein. Sollten die Proteste weiterhin friedlich verlaufen, ist dieser Mittelweg nicht unwahrscheinlich. Ein solcher Prozess würde aber mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen und von allen Seiten Kompromissbereitschaft abverlangen. Derzeit ist nicht klar, ob die Protest-Bewegung diese Geduld aufbringen würde.

Welche Richtung sich letztendlich auch durchsetzen wird, die Zeichen in Thailand stehen eher auf Sturm als auf Entspannung.

 (1) In Deutschland ist das Buch, die Filmgrundlage, unter dem Titel„Die Tribute von Panem“ erschienen .Rund 5 Millionen Exemplare wurden davon hier verkauft, weltweit sind es über 100 Mill. Exemplare.

Süd-/Südostasien
Stefan Burkhardt
Leiter
Thailand
Dr. Axel Neubert
Projektleitung