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Die NATO nach dem Gipfel in Warschau

Unmittelbar nach dem jüngsten NATO-Gipfel, der im Juli 2016 in Warschau stattfand, lud die Akademie für Politik und Zeitgeschehen zum Experten-Roundtable. Bei dieser Gelegenheit bilanzierten renommierte Expertinnen und Experten die zentralen Ergebnisse des Gipfeltreffens sowie die Strategien des Bündnisses vor dem Hintergrund des veränderten sicherheitspolitischen Umfeldes.

Die polnische Hauptstadt Warschau war Gastgeber des NATO-Gipfels

Die polnische Hauptstadt Warschau war Gastgeber des NATO-Gipfels

Die stetigen Veränderungen des sicherheitspolitischen Umfeldes verlangen von der NATO eine kontinuierliche Anpassung an die neue Sicherheitslage. Waren die ersten 20 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts von einer Annäherung an Russland und der Suche nach neuen Aufgaben für die NATO geprägt, erfordert Russlands revisionistischer Kurs im Osten Europas eine Refokussierung auf Abschreckung und territoriale Bündnisverteidigung. Gleichzeitig wird das Nordatlantische Bündnis mit einer Vielzahl von Herausforderungen wie dem transnationalen Terrorismus, der international organisierten Kriminalität oder Bedrohungen im Cyberraum konfrontiert, die eine Anpassung des internationalen Krisenmanagements bzw. den Aufbau adäquater Kapazitäten verlangt. Nach dem Gipfeltreffen in Wales im Jahr 2014 kamen im Juli 2016 die Bündnispartner erneut zusammen, um die zukünftige Ausrichtung der NATO weiterzuentwickeln.

Im Rahmen eines Experten-Roundtables, an dem ein breitgefächerter Kreis aus renommierten Sicherheits- und Verteidigungsexperteninnen und -experten teilnahm (u.a. aus dem universitären Bereich, von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), dem German Marshall Fund sowie dem George C. Marshall Europäisches Zentrum für Sicherheitsstudien), wurden einerseits die Entwicklungen innerhalb der NATO seit dem Gipfel in Wales erörtert und andererseits die Ergebnisse von Warschau sowie die zukünftige Rolle der Allianz diskutiert. Im Verlauf der Diskussion, die durch Dr. Marco Overhaus (SWP) und Dr. Henning Riecke (DGAP) mit kurzen Vorträgen eröffnet wurde, dominierten vor allem zwei Aspekte der derzeitige NATO-Debatten: zum einen die NATO-Russland-Beziehungen sowie die Wirksamkeit der beschlossenen Abschreckungs- und Anpassungsmaßnahmen gegenüber Moskau, zum anderen die Kohäsion innerhalb des Bündnisses angesichts unterschiedlicher Bedrohungsperzeptionen und mannigfacher sicherheitspolitischer Herausforderungen.

Abschreckung und Dialog

Als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und Russlands Rolle in der Destabilisierung der Ostukraine wurde 2014 in Wales der NATO Readiness Action Plan verabschiedet, der u.a. auch eine verstärkte militärische Präsenz der NATO in ihren östlichen Gebieten vorsieht. Aus diesem Grund wurde im Juli 2016 angekündigt, dass je ein Bataillon in Polen (unter der Führung der USA), Lettland (Kanada), Estland (Großbritannien) und Litauen (Deutschland) auf Rotations-Basis stationiert werden solle. Angesichts diverser Studien (vgl. die der RAND Corporation), die belegen, dass das Baltikum im Falle einer russischen Aggression auf diese Weise nicht zu verteidigen sei, zeigte sich die Expertenrunde weitgehend einig, dass dies als ein symbolischer Akt der Abschreckung und Demonstration der Entschlossenheit gegenüber Russland angesehen werden müsse. Denn es bleibe fraglich, ob diese „Stolperdraht-Strategie“ durch die Stationierung multinationaler NATO-Verbände Russland effektiv abschrecken könne – auch vor dem Hintergrund, dass gerade die europäischen Mitgliedstaaten gravierenden Nachholbedarf hinsichtlich der hierfür notwendigen verteidigungspolitischen Kapazitäten hätten. Aufgrund Russlands hybrider Vorgehensweise in der Ukraine-Krise wurden allerdings nicht nur rein militärische Strategieelemente diskutiert, sondern auch die Notwendigkeit einer gesamtstaatlichen Resilienz betont, also die Widerstandsfähigkeit der Mitgliedstaaten (individuell und im Bündnis) gegenüber wirtschaftlichen, energiesicherheitspolitischen, medialen und Cyberraum-bezogenen Maßnahmen, die sich unterhalb der Schwelle einer militärischen Aggression bewegen und auf die Destabilisierung eines Landes abzielen. Trotz der beschlossenen Abschreckungs- und Anpassungsmaßnahmen, deren bisherige Umsetzung mehrheitlich positiv bewertet wurde, läge die Schwierigkeit im Umgang mit Russland darüber hinaus darin, Moskau weiterhin die Möglichkeit zum Dialog zu bieten.

Diverse Herausforderungen und unterschiedliche Bedrohungsperzeptionen

Auch wenn das Verhältnis zu Russland die strategischen Überlegungen der NATO dominiere, könnten keinesfalls die weiteren sicherheitspolitischen Herausforderungen wie die in der südlichen Peripherie des Bündnisses vorherrschende Instabilität oder Risiken im Cyberraum vernachlässigt werden. Eine Süd-Ost-Spaltung aufgrund unterschiedlicher Bedrohungsperzeptionen müsse auf jeden Fall verhindert werden. Daher wurden die beschlossenen Maßnahmen im Mittelmeerraum, wie z.B. die Unterstützung der EU-Mission Sophia oder Hilfe bei der Bekämpfung illegaler Migration, sowie der fortgesetzte Beitrag zum internationalen Krisenmanagement in Afghanistan, im Irak oder im Kampf gegen den sog. „Islamischen Staat“ als wichtiger Schritt erachtet. Dennoch stehe die NATO vor dem Dilemma, den Zusammenhalt der Bündnispartner zu erhalten und zeitgleich über die jeweils adäquaten Kapazitäten zu verfügen, um den geographisch und in ihrer Natur unterschiedlichen Herausforderungen begegnen zu können. Ob dies beispielsweise über eine Ausdifferenzierung der Fähigkeiten und eine „Aufgabenteilung“ geschehen könne, konnte nicht abschließend beantwortet werden.

Eine tiefergehende Analyse zur gegenwärtigen Situation der NATO nach Warschau von Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser finden Sie hier:

Argumentation Kompakt vom 4. August 2016: Die NATO im Wandel – Neujustierung der Kernelemente des Strategischen Konzepts

Das Programm zum Experten-Roundtable vom 15. Juli 2016

Leiterin Akademie für Politik und Zeitgeschehen

Prof. Dr. Diane Robers