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Populismus weltweit
Ein Führungs- und Politikstil gefährdet Demokratie und Pluralismus

Autor: Franziska Weichselbaumer

Der Begriff des Populismus ist in aller Munde, wenn es um die Beschreibung von Argumentations- und Handlungsweisen von Politikern geht. Doch was macht eigentlich den Populismus im Kern aus? Im Entwicklungspolitischen Forum richtet die Hanns-Seidel-Stiftung den Blick nach Afrika, Asien und Lateinamerika, um dem globalen Phänomen auf den Grund zu gehen.

Weltweit lässt sich beobachten, dass populistische Argumentationsweisen in öffentlichen Debatten verstärkt Anhänger finden. Die Ausprägungen des Populismus in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern sind dabei unterschiedlich. Überall jedoch gefährden populistische Rhetorik und Politik pluralistische Gesellschaften. Wie verändern sie Demokratie und Rechtsstaat und was ist der Nährboden für populistische Argumentationsweisen?

Vier Menschen auf dem Podium.

"Wir gegen sie" - populistische Rhetorik und Politik bringt weltweit pluralistische Gesellschaften unter Druck. (v.l.n.r: Cilliers, Ufen, Zilla, Brozus)

HSS

Info:

Das Institut für Internationale Zusammenarbeit lud am 19. April 2018 zum  Entwicklungspolitischen Forum ein, um das Phänomen Populismus international zu beleuchten. Zu Gast waren Regionalexperten renommierter Institute:

Dr. Jakkie Cilliers vom Institute for Security Studies (ISS), einer Partnerorganisation der Hanns-Seidel-Stiftung in Südafrika, Dr. Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und Dr. Andreas Ufen vom GIGA Institute for Global and Area Studies in Hamburg. Moderation: Dr. Lars Brozus (SWP)

Ursula Männle am Rednerpult

HSS-Vorsitzende Prof. Ursula Männle - Mit politischer Bildung gegen Populismus: die Stiftung ist mit rund 100 Projekten in 70 Ländern weltweit vertreten.

HSS

Nährboden für Populismus

Jakkie Cilliers vom Institute for Security Studies (ISS) stellte im Hinblick auf die politischen Entwicklungen in Südafrika fest: Populismus fiele besonders in „müden Demokratien“ auf fruchtbaren Boden, dort, wo die politischen Parteien keine klaren Konturen mehr hätten und sich deshalb nicht ausreichend voneinander abgrenzten. Diese Ansicht teilten auch die anderen beiden Diskutanten. Andreas Ufen vom GIGA Institute for Global and Area Studies sprach in Bezug auf die asiatischen Länder Thailand, Indonesien und Philippinen von programmatisch und organisatorisch schwachen, „personalisierten“ Parteien, die auf einen charismatischen Anführer zugeschnitten sind. Besonders der „Präsidentialismus“ begünstige dies.

In präsidentiellen Systemen haben Parlamente weniger Gestaltungskompetenzen und weniger Mitspracherecht als in parlamentarischen Systemen. Das Parlament ist daher nur ein schwaches Gegengewicht zu einem populistisch argumentierenden Präsidenten.  Laut Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) spielt in Lateinamerika heute die Wahrnehmung wirtschaftlicher Ausbeutung durch große Teile der Bevölkerung eine Rolle für den Erfolg populistischer Argumente. Wenn wirtschaftliche und soziale Benachteiligung durch populistisch argumentierende Politiker thematisiert wird – wenn zum Beispiel vermeintlich einfache Lösungen für die Probleme angeboten oder auch (oftmals öffentlichkeitswirksame) Maßnahmen zur Armutsbekämpfung oder Umverteilung umgesetzt werden – haben diese Politiker große Chancen auf Unterstützung durch die betroffenen Bürger: Diese sehen ihre Probleme (endlich) artikuliert, hoffen auf eine möglichst schnelle Verbesserung ihrer Situation und sind daher zumeist wenig kritisch gegenüber „einfachen“ Lösungen und politischen „Tabubrüchen“.

Zwei Herren im Gespräch

Dr. Andreas Ufen (links), Dr. Lars Brozus (rechts)

HSS

Andreas Ufen brachte mit Blick auf Asien die Perspektive der Angst urbaner Mittelschichten vor aufbegehrenden Unterschichten als Faktor für den Erfolg des Populismus ein.  In diesem Fall sind es Ängste vor dem Verlust von „Sicherheit und Ordnung“, von Eigentum oder Privilegien, die populistischen Politikern Wahlerfolge bescheren. In den OECD-Ländern, zu denen die Staaten der EU und auch die USA gehören, ist laut Jakkie Cilliers der Erfolg des Populismus in Zusammenhang mit den Auswirkungen der Globalisierung zu sehen: Durch den freien Kapital- und Wissensfluss sei die Arbeitsplatzsicherheit gefährdet.  

Verwundbarkeit liberaler Demokratien

Durch die digitale Medienrevolution und dadurch entstandene Möglichkeiten im Bereich von Social Media-Kampagnen offenbare sich eine große Verwundbarkeit liberaler Demokratien, so Cilliers – ganz zu schweigen von absichtlicher Destabilisierung von Gesellschaften und Staaten durch externe Akteure.  

Die Verbreitung von grob vereinfachten Sachverhalten in Verbund mit vermeintlich einfachen Lösungen für komplexe Probleme, die Konstruktion scharfer Konfliktlinien („Wir gegen sie“) – dies ist über die sozialen Medien besonders leicht möglich: Argumente oder „Fakten“ müssen nicht (wie beispielsweise bei Parlamentsdebatten) gegenüber einem informierten oder fachkundigen Publikum bestehen oder „belegt“ werden. Die „Macht der Bilder“ kann intensiv genutzt werden. Diskussionen im Netz können manipuliert werden.

Herr am Rednerpult vor HSS-Stellwand. Trägt gerade vor.

"Müde Demokratien" als Nährboden für Populismus (Dr. Jakkie Cilliers)

HSS

Populismus als Führungsstil

Die grobe Vereinfachung von Konfliktlinien und die Präsentation vermeintlich einfacher Lösungen für komplexe Probleme gehört(e) laut Cilliers auch zum Repertoire des – zuletzt von der eigenen Partei abgesetzten – ehemaligen Vorsitzenden des African National Congress (ANC) und Präsident Südafrikas, Jacob Zuma, und des Parteivorsitzenden der Oppositionspartei Economic Freedom Fighters, Julius Malema. Dessen Partei zumindest stehe für keinen spezifischen ideologischen Inhalt – lediglich für das Thema schwarzer Vormachtstellung in Südafrika. Für Cilliers erfüllen beide Politiker die Kriterien von Populisten.  

Auf die Abwesenheit einer bestimmten Ideologie der Populisten wies auch Andreas Ufen hin, der die drei politischen Führer Thaksin (Thailand), Prabowo (Indonesien) und Duterte (Philippinen) und deren Führungsstil charakterisierte. Kennzeichnend für den Populismus sei vielmehr – darin war er sich mit den beiden anderen Diskutanten einig – die Konstruktion der politischen Welt in Freund und Feind, bei der der populistische Führer als Sprachrohr fungiere. Diesem Verständnis von Populismus als Führungsstil stimmten alle drei Diskutanten in ihren Beiträgen zu. Populismus hat demnach nicht in erster Linie etwas mit politischer Ideologie zu tun.

Frau am Rednerpult vor HSS-Stellwand, gestikulierend.

Für Dr. Claudia Zilla weist Populismus auf Defizite demokratischer Institutionen hin.

HSS

Populismus: ein historisches Phänomen in Lateinamerika

Claudia Zilla verdeutlichte in ihrem Beitrag, dass der Populismus in Lateinamerika durchaus ein historisches Phänomen sei, und beschrieb die sogenannten drei Wellen des Populismus: 

  1. Klassischer Populismus der 1940er und 1950er Jahre
  2. Neopopulismus der 1990er Jahre
  3. Populismus der Neuen Linken ab den 2000er Jahren

Interessant sei, dass in der aktuellen Welle des Neuen linken Populismus (ähnlich der ersten Phase ab den 1940er Jahren) wieder die Zentralität des Staates propagiert würde – zudem spiele die Politisierung der Armut und das Thema Identity (z.B. kollektive Rechte für Indigene) eine große Rolle. Als aktuelles Beispiel nannte sie den „Chavismo“ in Venezuela (benannt nach dem ehemaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez) mit dem zentralen Argumentationsmuster „Wir gegen die korrupte Elite“.  

Sie zeigte die Unmittelbarkeit politischer Prozesse (direkte Kommunikation mit der Bevölkerung, Umgehung institutionalisierter Wege politischer Entscheidungsfindung) am Beispiel regelmäßig ausgestrahlter Fernsehsendungen, während denen politische Entscheidungen „live“ getroffen würden, etwa: „Diese Brücke wird jetzt gebaut!“ Aber zum Teil würden auch weitreichende Maßnahmen auf diese Weise verkündet.

Cilliers (links) hört Dr. Luther (rechts) zu.

Dr. Cilliers im Gespräch mit Dr. Susanne Luther, der Leiterin des HSS-Instituts für Internationale Zusammenarbeit. Cilliers: "Soziale Medien haben Verwundbarkeit liberaler Demokratien sichtbar gemacht."

HSS

Letztendlich, so Zilla, bedeute dies eine Abwertung institutionalisierter politischer Entscheidungsfindungsprozesse. Am Beispiel des „Chavismo“ lasse sich auch eine Verabsolutierung des Mehrheitsprinzips verdeutlichen: Die Minderheit (die „Wahlverlierer“) sei dabei „nicht im Recht“ und werde übergangen. In diesem Kontext – und angesichts der Schwierigkeit, für die asiatischen Länder allgemeine Aussagen zum Populismus zu machen – stellte Andreas Ufen eine Gemeinsamkeit fest, die auch für Asien zutreffe: Populisten seien Antipluralisten. Sie gefährdeten durch ihren Führungs- und Politikstil die Demokratie.

Ist Populismus erfolgreich?  

Populismus belebe durchaus den politischen Wettbewerb, so Claudia Zilla, und sei gleichzeitig ein Warnsignal für Defizite demokratischer Institutionen. Dass Populisten in Lateinamerika gesellschaftliche Ungleichheit politisierten, sei per se nicht schlecht – der Preis des populistischen Führungsstils sei jedoch die Einschränkung des Pluralismus und der Rechtsstaatlichkeit. Venezuela, seit 1999 unter Chávez und heute unter Maduro populistisch regiert, sei mittlerweile keine Demokratie mehr.

Andreas Ufen bescheinigte dem Populismus in asiatischen Ländern in Teilen Erfolge (einzelne Programme, v.a. im Gesundheitsbereich) – sie stünden jedoch in keinem Verhältnis zur Gefährdung der Demokratie durch Antipluralismus. 

Fake News und Populismus

Auch die Rolle von fake news wurde durch das Publikum thematisiert. Diese spielten – beispielsweise im Wahlkampf – eine große Rolle für den Erfolg des Populismus, so Andreas Ufen. Fake news haben ein großes Potenzial zur Mobilisierung.

Was kann den Populismus eindämmen? Claudia Zilla fasste ihre Erkenntnisse prägnant zusammen: Ein institutionalisiertes, kompetitives Parteiensystem und starke Institutionen seien geeignet, den Erfolg des Populismus einzugrenzen.  Wenn Argumente einem realen, fairen Widerstreit ausgesetzt sind und politische Entscheidungsfindung demokratisch und transparent abläuft, wenn Entscheidungen gegebenenfalls durch unabhängige Institutionen in Frage gestellt und überprüft werden können, dann haben populistische Argumentationsweisen wenig Chancen auf Erfolg.