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Zum Tod Elisabeths II.
Ein Land trauert um seine Königin

Autor: Anja Richter

Das Vereinigte Königreich ist seit dem Tod Elisabeths II. im Ausnahmezustand – in emotionaler und logistischer Hinsicht. Die Menschen trauern im ganzen Land und wollen ihrer Königin die letzte Ehre erweisen. In Scharen strömen sie zum Buckingham Palace und zum aufgebahrten Sarg in der Westminster Hall. Am 19. September findet die Trauerfeier in der Westminster Abbey statt. Danach wird die verstorbene Queen auf dem Gelände von Windsor Castle neben ihrem Ehemann Prinz Philip in St. George’s Chapel beigesetzt. Der neue König Charles III. zeigt sich volksnah und ein jahrhundertealtes Thronfolge-Protokoll nimmt seinen Lauf.

  • Große Anteilnahme der britischen Bevölkerung
  • Elisabeth II. versöhnte und vereinte
  • König Charles III. - Anbruch einer neuen Ära

Am 8. September passierte, was zwar unausweichlich, aber für viele Menschen kaum vorstellbar war: Königin Elisabeth II. verstarb im Alter von 96 Jahren auf ihrem Schloss Balmoral in Schottland. Allein die Presseerklärung am Mittag, die Ärzte sorgten sich um ihre Gesundheit, ließ die Gesichter der Abgeordneten im vollbesetzten Parlament erstarren, auf vielen Bürofluren tauschte man besorgte Blicke aus. Als um 18.30 Uhr Ortszeit offiziell der Tod Königin Elisabeths II. bestätigt wurde, stand das Land gefühlt für einen Augenblick still. Eine dunkle Wolke legte sich über das Vereinigte Königreich – und ein Regenbogen leuchtete über Windsor.

Der Tod der Königin gehört zu den am besten vorbereiteten Szenarien des Landes. Königliche Beamte, Regierung und Staatsapparat, Polizei und auch führende Medien probten den Ernstfall unter dem Codenamen „Operation London Bridge“ regelmäßig. Auch auf den nun eingetretenen Fall war man vorbereitet: „Operation Einhorn“, sollte die Königin in Schottland versterben (Anm. das Einhorn ist das Nationaltier Schottlands). Das Ableben Königin Elisabeths soll selbst für ihren engen Kreis überraschend gewesen sein. Aber nur wenige Stunden nach ihrem Tod wurde Operation Einhorn in Gang gesetzt. Die BBC verkündete die Nachricht mit den seit Jahrzehnten festgelegten Worten, es folgten die offiziellen Erklärungen, Fernsehansprachen, Proklamationen - das Protokoll für den Wechsel des Souveräns begann unverzüglich. Die Königin ist tot, es lebe der König.

Vor dem Buckingham Palace versammeln sich die Menschen und zeigen ihre Anteilnahme am Tod von Queen Elisabeth II.

Vor dem Buckingham Palace versammeln sich die Trauernden und zeigen ihre Anteilnahme am Tod von Queen Elisabeth II.

Anja Richter

Die Anteilnahme übertrifft alle Erwartungen

Was solche Pläne jedoch nicht beinhalten, ist die Reaktion der Menschen und deren Umgang mit der Nachricht. Bereits im Laufe des Nachmittags waren Menschen besorgt zum Buckingham Palace und anderen königlichen Residenzen gekommen. Nun kamen sie zu Tausenden bis spät in die Nacht, teilweise im strömenden Regen. Einige brachen in spontanen Gesang aus, Rufe „Es lebe der König“ mehrten sich. Sämtliche der berühmten schwarzen Londoner Taxis versammelten sich spontan auf der „Mall“, der Paradestraße, die zum Buckingham Palace führt. Am nächsten Morgen wachten viele Briten nicht nur traurig, sondern verunsichert auf. Was bedeutet „nationale Trauer“, die bis zum Staatsbegräbnis gelten soll? In vielen Kaufhäusern und Supermärkten wurde traurige Musik gespielt, Schaufenster wurden in schwarze Trauerbande gehüllt. Einige öffentliche Gebäude und Museen blieben geschlossen. Die Regierung veröffentlichte einen Leitfaden und wies ausdrücklich darauf hin, dass Events nicht abgesagt werden müssten. Viele Veranstalter taten es dennoch, Fußballspiele der Premier League, internationale Cricket-Begegnungen, Festivals und das berühmte traditionelle „Last Night of the Proms“-Konzert wurden abgesagt und trafen damit die Stimmung im Land – die große Mehrheit der Bevölkerung war nicht in Feierlaune.

Schnell zeigte sich, dass die Anteilnahme der Bevölkerung immens sein und die für Prinzessin Diana im Jahr 1997 noch übertreffen würde. Straßen um Buckingham Palace wurden gesperrt, Barrieren hastig aufgestellt, im angrenzenden Green Park eine weitreichende Fläche für Trauerbekundungen eingezäunt. Schon am Freitagmorgen (09. September) waren im gesamten Stadtviertel keine Blumen mehr zu bekommen. Am Wochenende verwandelte sich die Fläche in ein Blumenmeer, unter das sich Grußkarten, Kinderbilder, Ballons, Flaggen, Paddington Bär-Stofftiere und sogar Marmeladen-Sandwiches in Anlehnung an den Kurzfilm zu ihrem Thronjubiläum im Sommer mischten. Letzteres führte zu einem öffentlichen Aufruf der Königlichen Parks, doch bitte keine Sandwiches und Stofftiere mehr zu bringen.

In ihren 96 Jahren hat sich Königin Elisabeth unzähligen Menschen gezeigt und deren Leben berührt, nun wollen sie ihr noch einmal nah sein und ihr die letzte Ehre erweisen. Auf ihrem Weg von Balmoral nach Edinburgh standen hunderttausende Menschen an den Straßen und verbrachten Stunden in der Schlange, um ihren Sarg in St. Giles Cathedral zu passieren.

In London säumten die Menschen nach Ankunft des Sargs am militärischen Flugplatz Northolt im Westteil der Stadt die Straßen bis zum Buckingham Palace im Zentrum, wieder im strömenden Regen. Für die fünftägige Aufbahrung in Westminster Hall, dem 1000 Jahre alten Teil des Parlaments, werden historische Menschenmassen erwartet, die die Londoner Infrastruktur und Einsatzkräfte vor immense Herausforderungen stellen. Seit Tagen zelten Menschen in der Umgebung, Nachtzüge wurden eingerichtet, Kaffees entlang der erwarteten acht Kilometer langen Schlange entlang des Südufers der Themse bis hinter die Tower Bridge sollen 24 Stunden öffnen dürfen für die Menschen, die bis zu 30 Stunden warten könnten, um sich zu verabschieden.

Die für die Trauerfeier in Westminster Abbey erwarteten über 100 Staatsoberhäupter und Vertreter königlicher Familien bedeuten nicht nur für die Sicherheitskräfte den wohl größten Einsatz in der Geschichte des Landes, sondern auch ein einzigartiges weltweites Zusammentreffen. Elisabeth II. war nicht nur die meistgereiste Monarchin der Welt, sie genoss einen einzigartigen globalen Ruf und Anerkennung.

In Deutschland ist die Anteilnahme sicherlich auch deshalb so groß, weil Elisabeth II. sich lebenslang für die deutsch-britische Freundschaft einsetzte. Ihr Staatsbesuch 1965 war durchaus kontrovers im eigenen Land, leistete einen wichtigen Beitrag für beide Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine ähnliche Rolle spielte Elisabeth auch in der britisch-irischen Versöhnung mit ihrem historischen Staatsbesuch in Dublin 2011, bei dem sie dem ehemaligen Anführer der paramilitärischen IRA und nordirischen Politiker Martin McGuinness die Hand reichte. Anders wäre der Respekt der irischen Nationalisten in Nordirland, der ihr nun in den öffentlichen Trauerbekundungen und gegenüber dem neuen König Charles bei seinem Besuch in Belfast gezollt wird, kaum vorstellbar.

Die Anteilnahme bei den Gedenkveranstaltungen in allen Teilnationen zeigen die einende Macht von Elisabeth II., die über ihren Tod hinausgeht. Die Symbolkraft ihres Ablebens in ihrer geliebten schottischen Residenz Balmoral und die daraus resultierende zusätzliche Aufbahrung in Edinburgh sind nicht zu unterschätzen. Die schottische Regierungschefin Sturgeon nannte Elisabeth in ihrer Trauerbekundung stolz „Königin der Schotten“. Wie kaum jemand verkörperte Elisabeth die 300-jährige Union beider Kronen und Nationen, sie fühlte sich dort wohl und war beim Volk beliebt. Selbst die Anführer der schottischen Nationalpartei SNP erklärten beim Referendum 2014, dass sie im Falle der Unabhängigkeit die Queen als Staatsoberhaupt behalten würden. Während der Referendumskampagne machte Elisabeth II. eine ihrer wenigen und durchaus riskanten politischen Interventionen, indem sie die Menschen dazu aufrief, sich ihre Entscheidung „gut zu überlegen“. Dass sich die Stimmung unter Charles auf absehbare Zeit ändern könnte, ist unwahrscheinlich. Umfragen zeigen, dass die Unterstützung der Monarchie zwar schwächer als in England ist, jedoch die deutliche Mehrheit für deren Beibehaltung ist.

Anders ist die Lage in einigen der 14 Länder, in denen der britische Monarch Staatsoberhaupt ist, darunter vor allem in der Karibik. Barbados beschloss bereits im vergangenen Jahr die Abschaffung der Monarchie, auch in Jamaika hat die Regierungspartei ähnliche Bestrebungen signalisiert. Der Premierminister von Antigua und Barbuda kündigte am Wochenende an, er wolle eine Abstimmung über die Beibehaltung König Charles III. als Staatsoberhaupt. Die Bahamas, Belize und Granada könnten folgen. In Australien, Kanada und Neuseeland steigt die Zahl der Befürworter für die Gründung einer Republik, jedoch nicht auf absehbare Zeit. Selbst der australische Premierminister Albanese, Befürworter einer australischen Republik, erklärte, es gelte zunächst, Königin Elisabeth zu gedenken. Bei seiner Wahl im Sommer hatte er angekündigt, ein Referendum über die Abschaffung der Monarchie erst in einer möglichen zweiten Amtszeit abzuhalten. Berichten zufolge sollen Prinz William, nun der neue Prince of Wales, und seine Frau Catherine, die seit Diana als erste wieder den Titel der Princess of Wales trägt, eine baldmögliche Reise nach Australien planen.

Seminarankündigung

Die verstorbene Queen Elisabeth II. inspirierte auch Künstler und Filmemacher.
In unserer Reihe Politik und Popkultur  laden wir ein zum Seminar  "Eine Ikone der Popkultur - die Queen in Film, Serien und Musik" am 22. September 2022
https://www.hss.de/veranstaltungen/eine-ikone-der-popkultur-die-queen-in-film-serien-und-musik-3220303352/ 
 

Der neue König Charles III.

Charles ist auch im Vereinigten Königreich selbst nicht unumstritten. Nicht nur das Zerbrechen der Ehe mit der beliebten Prinzessin Diana wurde ihm zur Last gelegt, auch seine oftmals als radikal geltenden Ansichten zu biologischem Anbau, Umwelt- und Klimaschutz und Architektur sowie seine vielfachen öffentlichen Interventionen und Briefe an Regierungsvertreter wirkten vor allem auf Traditionalisten befremdlich. Zuletzt wurde mehrfach über fragwürdige Spenden aus dem Nahen Osten an seine gemeinnützigen Organisationen berichtet, die seinem Ruf schadeten.

Doch im Lichte seiner Thronbesteigung zeigt sich, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihn und seine Frau Camilla, die nun als „Queen Consort“ an seiner Seite steht, unterstützt. Seine bewegende, sehr persönliche Fernsehansprache an die Nation am Tag nach Elisabeths Tod, in der er erklärte, nun eine andere Rolle und Verantwortung zu übernehmen und wie schon seine Mutter versprach, sich bis an sein Lebensende in den Dienst des Volkes zu stellen, wurden positiv aufgenommen. Während seines strapaziösen Programmes zeigt er sich volksnah wo immer möglich und sichtlich gerührt ob der öffentlichen Anteilnahme. Das Bild des trauernden Königs, der in Edinburgh mit seinen Geschwistern am Sarg seiner Mutter still gedenkt, während die Menschen an ihm vorbeilaufen, bewegte Viele.

Politiker verschiedener Couleur haben in ihren Trauerbekundungen auf die andauernde Kraft der Monarchie als Fundament des Vereinigten Königreichs verwiesen, und Charles III. ihre Loyalität geschworen. Charles, dessen feierliche Krönung nächstes Jahr stattfindet, wird sich die Zuneigung und Anerkennung, die seiner Mutter lebenslang und im Tod entgegengebracht werden, erarbeiten müssen. Eine ernsthafte republikanische Bewegung ist jedoch nicht zu erwarten. Die Polizei erregte Aufsehen durch die Verhaftung einzelner Demonstranten, die die Abschaffung der Monarchie fordern.  Die Mediendiskussion konzentriert sich dabei jedoch auf die Frage der Meinungsfreiheit, weniger auf den eigentlichen Inhalt des Protests.

Das Land wird sich an den neuen König gewöhnen müssen. Die erste Veränderung zeigte sich schon beim Ertönen der Nationalhymne: God save the king, nicht mehr the queen. Nach über 70 Jahren wird dies vielen Menschen schwer über die Lippen kommen. Auch in der Politik und Verwaltung wird die sprachliche Anpassung ihre Zeit dauern. Regierung, Minister, Parlament und auch der Fiskus treten nun im Namen Seiner Majestät auf, Gesetze und Gerichtsurteile werden im Namen des Königs erlassen. Kronanwälte bekommen neue Titel, Soldaten schwören auf einen neuen Monarchen. Die anglikanische Kirche Englands (Church of England) hat ein neues Oberhaupt. Es verdeutlicht, wie identitätsstiftend die Monarchie im Vereinigten Königreich ist.

Als Bürgerin oder Bürger mag man von alledem zunächst wenig merken. Spätestens jedoch, wenn auf Briefmarken, Geldscheinen und Münzen das Konterfei von Charles III. erscheint, wird jedem klar, dass eine neue Ära angebrochen ist. Charles hat seine Mutter über 70 Jahre auf dem Thron erlebt und begleitet und wird das Erbe seiner Mutter weiterführen, dafür hat Elisabeth gesorgt. Das zweite elisabethanische Zeitalter ist nach über sieben Jahrzehnten voller Umbrüche und Veränderungen jedoch vorbei, und die Verarbeitung des Ablebens Königin Elisabeths wird noch eine Weile dauern.

Blumen als Zeichen der Anteilnahme

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Projektleiterin: Anja Richter
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