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Zukunft der Millennium-Entwicklungsziele
Eine Agenda für die Welt?

Das Jahr 2015 als Zielmarke für die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele rückt immer näher. Welche Erfolge sind zu verbuchen? Wo besteht Weiterentwicklungsbedarf? Über 200 Personen nahmen an der Debatte zur globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitspolitik am 8. April 2014 im Konferenzzentrum München teil.

Susanne Luther, Leiterin Institut für Internationale Zusammenarbeit

Susanne Luther, Leiterin Institut für Internationale Zusammenarbeit

Christliche Verantwortung

„Entwicklungszusammenarbeit geht uns alle an. In einer globalen Weltgemeinschaft mit wachsenden Interdependenzen wird uns das beim täglichen Blick in die Schlagzeilen deutlich“. Mit diesen Worten begrüßte Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit der Hanns-Seidel-Stiftung, die Teilnehmer.

Gerade für die Hanns-Seidel-Stiftung, die sich aus ihrer christlichen Verantwortung heraus weltweit für Frieden, Demokratie und Entwicklung einsetzt, sind die Millennium-Entwicklungsziele (MDG – Millennium Development Goals) ein Auftrag, zu der sie einen Beitrag leisten kann und will. Mit der Veranstaltung „Eine Agenda für die Welt“ - ein gemeinschaftliches Werk der Akademie für Politik und Zeitgeschehen und des Instituts für Internationale Zusammenarbeit der Hanns-Seidel-Stiftung - sollte aufgezeigt werden, welche Weichen für die kommenden Jahre zu stellen sind.

Zu diesem Themenkomplex gab zuerst Dr. Ingolf Dietrich vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen Überblick über Erreichtes und die neue Ausrichtung für die Post-2015-Agenda. Im Anschluss wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion, moderiert von Prof. Dr. Markus Vogt (LMU München), der bisherige Stand der Überlegungen zur Post-2015-Agenda erörtert. Auf dem Podium vertreten waren, neben Dr. Dietrich, Dr. Paul Fischer von der Bayerischen Staatskanzlei, Dr. Marianne Beisheim (SWP Berlin) und Dr. Astrid Zwick von der Munich Re Gruppe.

Ingo Dietrich, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Ingo Dietrich, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Millennium Development Goals – Bilanz

Dr. Ingolf Dietrich, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für fachpolitische Leitlinien in der Entwicklungspolitik zuständig, zog in seinem Vortrag zunächst Bilanz: Mit auf acht begrenzten, aber klar formulierten und messbaren Zielen hätten die MDG demnach einen überprüfbaren Referenzrahmen vorgegeben. Die MDG hätten die Entwicklungsarbeit strukturiert, konzentriert und eine beachtliche Dynamik ausgelöst.

Erfolge sah Dietrich etwa im Bereich der Reduzierung von Armut und Hunger, beim verbesserten Zugang zu Wasser und im Kampf gegen Malaria sowie bei der Einschulungsrate. Doch gebe es nach wie vor viel zu tun, etwa im Bereich der Mütter- und Kindersterblichkeit oder der Gleichstellung der Geschlechter. Hinzu kämen neue globale Herausforderungen, verbunden, so etwa bei der Bevölkerungsdynamik, der Kluft zwischen Arm und Reich, der Fragilität von Staaten, dem Klimawandel, dem Verlust an Biodiversität und der Bodendegradation.

Kritisiert werde auch, dass die MDG nicht partizipativ erarbeitet wurden und sich auf das klassische Themenspektrum der Armut konzentrierten, während Grundbedingungen wie Good Governance und Nachhaltigkeit außen vorblieben. Eine weitere Schwäche sah Dietrich bei der quantitativen Messbarkeit, da notwendige Daten und Methoden gar nicht verfügbar seien und wichtige qualitative Aspekte vernachlässigt würden.

2015 – das Jahr der Weichenstellungen

Das Jahr 2015 werde, so Dietrich, wichtige Weichen für die Zukunft stellen: Die Vereinten Nationen wollten eine neue Agenda verabschieden. Deutschland werde die Präsidentschaft der G8 innehaben und sich beim geplanten Gipfeltreffen auf Schloss Elmau im Juni auch für die in der Agenda anstehenden Themen stark machen. 2015 werde außerdem das „Europäische Jahr der Entwicklung“ sein. Hinzu komme die Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015, in der ein verbindliches Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zustande kommen solle.

Eine neue Agenda für „Post 2015“

Die Vorbereitungen und Diskussionen zur Nachfolgeagenda sind längst im vollen Gange. Dietrich: „Die Vereinten Nationen führen den Prozess an. Als Forum der Weltgemeinschaft verfügen sie über die notwendige Legitimität“. Einig sei man sich, dass die neuen Entwicklungsziele mit den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDG - Sustainable Development Goals) zusammengeführt werden sollten, deren Erarbeitung auf einen Beschluss der Rio+20 Konferenz der Vereinten Nationen zu Nachhaltiger Entwicklung zurückgehe.

Beide Zielsysteme, so erläuterte Dietrich, würden zunächst parallel entwickelt. Im Sommer sollen die Arbeitsgruppen ihre Vorschläge dem UN-Generalsekretariat vorlegen, so dass einen Synthesebericht erarbeitet kann, der dann die Verhandlung geht. Die neue Agenda wird dann voraussichtlich im September 2015 verabschiedet.

Paradigmenwechsel notwendig

Deutschland misst der Post-2015-Agenda eine sehr hohe Bedeutung zu und bringt sich auf allen Ebenen aktiv in den Prozess ein. Dietrich: „Ein Weiter-so-wie-bisher können wir uns nicht erlauben. Die negativen Kosten eines Nichthandelns würden später unsere Kinder zahlen müssen. Nach wie vor hungern viele Menschen, obwohl die Erde sie ernähren könnte. Das ist ein Skandal. Wir brauchen einen neuen Rahmen dafür, wie die Welt zusammenarbeitet. Die neue Agenda soll auf eine globale Partnerschaft ausgerichtet sein. Damit verbunden ist der Paradigmenwechsel weg von einem Nord-Süd- oder Geber- und Nehmerländer-Denken“. Dietrich skizzierte den Ansatz anhand von vier Prinzipien:

  • Global ausgerichtet, auf alle Länder universell anwendbar und national ausdifferenzierbar.
  • Gemeinsame Verantwortung für das globale Gemeinwohl von allen Staaten und allen Akteuren.
  • Wirksamkeit, Transparenz und Monitoring.
  • Einbindung von Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft, Kommunen, Wissenschaft und Forschung.

Um das breite und komplexe inhaltliche Spektrum nicht zu überfrachten und doch auch die Interdependenzen angemessen berücksichtigen zu können, schlägt Deutschland vor, die Ziele in vier strategische Themenbereiche zu bündeln. Dietrich zählte exemplarisch folgende Überbegriffe auf:

  • Extreme Armut und Hunger beseitigen. Ein Leben in Würde sichern
  • Natürliche Ressourcen schützen und ihre nachhaltige Nutzung sicherstellen.
  • Ökologisch verträgliches Wachstum, menschenwürdige Beschäftigung und Einkommen sichern.
  • Good Governance stärken, Gleichstellung der Geschlechter verankern, Menschenrechte wahren, Frieden sichern.

Die Einbindung aller Ressorts und der enge Schulterschluss mit den weiteren Akteuren ist Bundesminister Dr. Gerd Müller wichtig, unterstrich Dietrich. So startete im April ein breit angelegter gesellschaftlicher Dialog zur "Zukunftscharta EINEWELT – Unsere Verantwortung". Sie soll Arbeitsprogramm für Deutschland sein, zugleich aber auch zur Umsetzung der Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung beitragen.

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion

Ansatzpunkte und Risiken

Moderiert von Prof. Dr. Markus Vogt (Lehrstuhl für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilian-Universität München) wurde der bisherige Stand der Überlegungen zur Post-2015-Agenda diskutiert. Auf dem Podium vertreten waren Dr. Paul Fischer, Leiter des Referats Internationale Beziehungen West- und Nordeuropa, Afrika, Asien-Pazifik, Lateinamerika in der Bayerischen Staatskanzlei, Dr. Marianne Beisheim, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Globale Fragen, Stiftung Wissenschaft und Politik SWP Berlin und Dr. Astrid Zwick Leiterin der Abteilung Corporate Responsibility der Munich Re Gruppe im Bereich Konzernentwicklung. 

„Bayern“, bestätigte Dr. Fischer, „nimmt die Vorlagen des Bundesministers auf und will den Weg, der mit der globalen Partnerschaft eingeschlagen wird, aktiv mitgehen und seine Expertise einbringen – nicht nur bei der internationalen Zusammenarbeit, sondern auch zu Hause, etwa im Bereich nachhaltiger Konsum“. Für Fischer sei es persönlich wichtig, der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ entgegentreten. Partnerschaft auf Augenhöhe und Glaubwürdigkeit seien daher wichtige Aspekte.

Die Sicht der Wirtschaft vertrat Frau Dr. Zwick: „Die Politik setzt Signale, gibt die Richtung vor. Aber für die Umsetzung braucht es entsprechende Technologien, Märkte und handlungsbereite Menschen. Das geht nur Hand in Hand, daher setzen auch wir auf Information und Dialog“.

Gerade die Versicherungsbranche sei dem Thema verbunden und richte ihr Handeln auf Vorsorge aus. Mit ihren Leistungen wolle sie auch dazu beitragen, Menschen und Siedlungen widerstandsfähiger zu machen. Unternehmerische Verantwortung entlang der Wertschöpfungskette sei bei Munich Re kein Nischenthema, sondern hoch angesiedelt, berichtete Zwick. Das Weltunternehmen gehörte zu den Erstunterzeichnern von Initiativen wie den „Principles for Sustainable Insurance“ (PSI) oder den „Principles for Responsible Investment“ (PRI).

Die beabsichtigte Zusammenführung der MDG mit den SDG beobachtet die Wissenschaftlerin Dr. Beisheim mit Skepsis. Abgesehen davon, dass im konsensorientierten Aushandlungsprozess der Vereinten Nationen die Ziele verwässern könnten und damit an Glaubwürdigkeit verlören, verwies sie auf die nach wie vor fehlende gelungene Integration der Nachhaltigkeitsdimensionen.

„Die wirtschaftliche Entwicklung in China zum Beispiel trägt dazu bei, dass wir einen Rückgang der Armut haben, aber für den Preis von beispielsweise Luftverschmutzung und Bodendegradation. Wir haben diesen Entwicklungspfad in unserer Phase der Industrialisierung vorgelebt. Nun liegt es auch an uns, nachhaltigere Lösung zu entwickeln“. Beisheim plädierte dafür, Wege zu finden, eine Langfrist-Perspektive zu etablieren und betonte die Bedeutung einer gegenseitigen Rechenschaftspflicht.

Prof. Vogt bedankte sich am Schluss der Veranstaltung für die Beiträge der Referenten und des Publikums für die Beiträge zu dem vielschichtigen Thema und gab allen einen Gedanken von Amartya Sen zur Gerechtigkeitstheorie mit auf den Weg: Entscheidend sind demnach weniger die moralischen Axiome als das, was man wahrnimmt und misst - oder nicht misst.

Süd-/Südostasien
Stefan Burkhardt
Leiter
Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin