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Radikale Linke und Rechte im Europawahlkampf
Europa an den Rändern

Mittlerweile befinden wir uns in der sogenannten „heißen Phase“ des Wahlkampfes vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, die in den Mitgliedstaaten in der Zeit vom 23. bis zum 26. Mai stattfinden werden. Besonders interessant sind dabei die Debatten am linken und rechten Rand des Spektrums: Welches Europa will die radikale Linke, welches die radikale Rechte? Daneben geht es jetzt aber vor allem darum, Bündnisse für die kommende Periode zu schmieden.

Den Spekulationen um die Gründung einer neuen gemeinsamen Fraktion am rechten Rand folgte am 8. April Gewissheit, als der Vorsitzende der italienischen Lega, Matteo Salvini, bei einer Kundgebung in Mailand den Startschuss zur Bildung der „Europäischen Allianz der Völker und Nationen“ (EAPN) gab.

Salvini am Rednerpult, hinter ihm seine Leute, die finster dreinblicken.

In Mailand verkündete Matteo Salvini die Bildung einer neuen, rechten Fraktion im Europaparlament, die "Europäischen Allianz der Völker und Nationen" (EAPN).

Presidenza_della_Repubblica; Wikimedia Commons

Das „Europa der Vaterländer“ - Wahlkampf gegen die Europäische Union

Unter dem Titel „Verso l‘Europa del buonsenso“ („Hin zu einem Europa des gesunden Menschenverstandes“) waren auch je ein Vertreter der Dansk Folkeparti, der deutschen AfD und der Partei Die Finnen eingeladen, die in der laufenden Wahlperiode noch in verschiedenen Fraktionen arbeiten, sich aber zusammenschließen wollen, um mehr Gewicht im Parlament zu erlangen.

Mittlerweile hat sich mit dem französischen Rassemblement National (RN) der gewichtigste Bündnispartner nun auch offiziell angeschlossen. Als sicher gilt außerdem die Beteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), von Vlaams Belang aus Belgien und der niederländischen Partij voor de Vrijheid. Dazukommen werden außerdem mit einigen wenigen Sitzen die tschechische Svoboda a přímá demokracie um Tomio Okomura, die estnische Volkspartei und die slowakische Sme Rodina, sodass der „Salvini-Block“ in den Umfragen derzeit auf gut 70 Sitze kommt.

Der Bildungsprozess ist aber noch offen: Weitere bekannte EU-Skeptiker wie Prawo i Sprawiedliwość (PiS) aus Polen und Orbáns Fidesz werden derzeit gezielt umworben. So traf sich Matteo Salvini Anfang Mai mit Viktor Orbán, der sich jedoch noch nicht verbindlich zu einer Kooperation äußern wollte, sondern erklärte, seine Entscheidung anhand der Wahlergebnisse zu treffen. Da er jedoch zwischenzeitlich Manfred Weber die Unterstützung als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei entzogen hat, erscheint es jetzt denkbar, dass sich der ungarische Fidesz dem neuen Block rechts außen anschließt. Als unwahrscheinlich gilt jedoch eine Beteiligung von PiS, da deren anti-russische Haltung sich schwer mit der pro-russischen Gesinnung der meisten anderen Fraktionspartner vereinbaren ließe.

Unabhängig von den Spekulationen um weitere mögliche Bündnispartner steht die Zusammenarbeit der Nationalisten bereits jetzt auf einer fragilen Grundlage. Der größte gemeinsame Nenner des Zusammenschlusses ist die Bewahrung der eigenen kulturellen Eigenheiten vor einer Überformung durch Brüssel, die Rückgewinnung nationaler Souveränität und dabei insbesondere die Begrenzung der Immigration nach Europa, was spätestens seit dem Sommer 2015 zum Leitmotiv geworden ist. Dahingehend erklärte der Spitzenkandidat der österreichischen FPÖ, Harald Vilimsky, anlässlich der offiziellen Präsentation der Wahlkampagne der „Freiheitlichen“, das Ziel der Gruppierung sei es, Druck auf die Regierenden auszuüben, um die Debatte um Migration und Asyl zu lenken.

Das Parlament in Brüssel von außen. Viele Fenster, die in einen ovalen Innenhof blicken.

Die heiße Phase des Wahlkampfes hat begonnen. Wie stark wird die die neue Rechtsaußen-Fraktion der europäischen Nationalisten?

hpgruesen; ©0; Pixabay

Dabei wird stets, wie im rechtspopulistischen Diskurs üblich, ein Zusammenhang zwischen Immigration und Kriminalität hergestellt. Der muslimische Hintergrund vieler Asylsuchender ermöglicht es zusätzlich, Drohbilder einer frauenfeindlichen und terroristischen Gefahr für die einheimische Bevölkerung zu zeichnen. Gleichzeitig gerieren sich die rechtspopulistischen Akteure als Beschützer des Volkes, die durch Schließung der Grenzen, verstärkte polizeiliche Kontrollen und verschärfte Gesetze für Ordnung und Sicherheit im Land sorgen.

Doch schon das Leitmotiv wird von den Bündnispartnern in der Praxis unterschiedlich interpretiert: So möchte etwa Salvini eine Verteilung der ankommenden Geflüchteten erreichen, um Italien auf diese Weise zu entlasten – ebendieser Verteilung stehen aber unter anderem seine zukünftigen Fraktionspartner ablehnend gegenüber.

So setzen sich die programmatischen Unterschiede in der Wirtschaft- und Klimapolitik fort. Während etwa die deutsche AfD und die skandinavischen Partner eine eher liberale Wirtschaftspolitik vertreten, plädieren der RN und Salvinis Lega für mehr Protektionismus.

Gegensätzlich sind auch die klimapolitischen Positionen: So betont beispielsweise die Dänische Volkspartei bereits in ihrem Grundsatzprogramm von 2002, dass der Klimawandel eine Gefahr darstellt, der man durch internationale Kooperationen entgegenwirken muss. Dagegen heißt es im aktuellen Europawahlprogramm der AfD: „Wir bezweifeln aus guten Gründen, dass der Mensch den jüngsten Klimawandel, insbesondere die gegenwärtige Erwärmung, maßgeblich beeinflusst hat oder gar steuern könnte. Klimaschutzpolitik ist daher ein Irrweg.“

Tsipras blickt ernst nach rechts aus dem Bild

Streit im linken Lager. Der Ausschluss von Alexis Tsipras Partei SYRIZA aus der Fraktion misslang zwar, Ärger über den als Verrat empfundenen Umgang mit neoliberalen Kräften in Griechenland gärt aber weiter.

Пресс-служба Президента России; ©BY 3.0; Wikimedia Commons

Gegen ein neoliberales Europa - Wahlkampf für eine andere Europäische Union

Diametral entgegengesetzt positionieren sich die linkspopulistischen und klassisch linken Parteien und Bewegungen, die den rechten Block – neben der für sie typischen Kritik am neoliberalen System der EU und der Austeritätspolitik – als die größte Gefahr für die EU bezeichnen.

Angesichts der Ereignisse der letzten Jahre ist auch für sie die Frage der Immigration zentral geworden, das Thema wird aber gänzlich anders behandelt. Die Parteien links der Sozialdemokratie sind sich zusammen mit der Mehrheit der anderen Parteien darin einig,  dass die europäische Migrationspolitik humaner gestaltet werden muss. Darüber hinaus verfolgen sie einen globalen Ansatz, der die Ursachen von Flucht und Armut in Entwicklungsländern sowie die Gründe für soziale Ungerechtigkeit hierzulande als dem weltweiten neoliberalen Wirtschaftssystem inhärente Probleme begreift, weswegen die EU als Inbegriff ebendieses Systems in ihrer jetzigen Form gescheitert sei. Die Europäische Linke, deren ideologischer Flickenteppich unter anderem Sozialismus, Pazifismus, Antirassismus, Feminismus und Ökologie umfasst, möchte deswegen eine andere, sozial gerechte Europäische Union.

Allerdings gibt es auch am linken Rand viel Bewegung, sodass noch nicht klar ist, ob sich die linken Kräfte wieder in der gewohnten Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NL) zusammenfinden werden. Jean-Luc Mélenchon, Chef der linkspopulistischen Bewegung La France Insoumise (FI), gründete im April 2018 mit der spanischen Partei Podemos und dem portugiesischen Bloco de Esquerda die neue radikal-linke Sammelbewegung Maintenant le peuple! (Jetzt das Volk!) als eine Alternative zur bestehenden GUE/NL.
Grund dafür war, dass der von ihm geforderte Ausschluss der griechischen SYRIZA aus der Europäischen Linken nicht angenommen worden war. Aufgrund der Inkonsequenz der griechischen Regierung gegenüber den neoliberalen Kräften, die als Verrat an der linken Sache interpretiert wurde, könnten sie „nicht mehr den gleichen politischen Raum teilen wie Alexis Tsipras und seine SYRIZA“, wie der Wahlkampfleiter von FI damals erklärte.

Den drei Gründungsparteien haben sich bisher außerdem die Vänsterpartiet aus Schweden, die Enhedslisten aus Dänemark und das finnländische Linksbündnis Vasemmistoliitto angeschlossen. Bei der Auftaktkundgebung zum Europawahlkampf am 11. Mai in Marseille verdeutlichte Manon Aubry, die französische Spitzenkandidatin von FI, die Ziele der Formation: „Unsere Vision von Europa bricht mit den aktuellen Regeln, mit Austerität und Freihandel und ebnet den Weg für einen Kampf gegen den Klimawandel.“

Indessen lassen aktuelle Umfragen daran zweifeln, dass das neue Linksbündnis eine eigene Fraktion bilden kann: Den mindestens 25 benötigten Abgeordneten aus wenigstens sieben Ländern stehen bislang nur knapp 20 Abgeordnete aus lediglich sechs Ländern gegenüber. Verbliebe Maintenant le peuple! jedoch in der GUE/NL, käme die Fraktion zum jetzigen Zeitpunkt auf etwas mehr als 50 Sitze.

Autorin: Lisa Hafner, HSS

Leiterin Akademie für Politik und Zeitgeschehen

Prof. Dr. Diane Robers