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Elf Fragen an den Bayerischen Justizminister, Georg Eisenreich
Gegen Hass und Hetze im Netz

Im Schutze der Anonymität aber auch ganz offen greifen im Internet Hass und Hetze um sich. Wie der Staat mit dieser Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der demokratischen Kultur umgehen kann, haben wir mit dem Bayerischen Justizminister, Georg Eisenreich, MdL, besprochen.

HSS: Sehr geehrter Herr Staatsminister, es wurde „höchste Eisenbahn“, den Kampf gegen Hass und Hetze im Netz zu verstärken, oder?

Das Thema Hass im Netz treibt mich schon lange um. Hass und Hetze haben inzwischen ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Im Internet hat sich etwas zusammengebraut, das eine echte Gefahr für unsere Demokratie darstellt. Zudem können aus Worten Gewalttaten werden. Der Mord an Walter Lübcke und die Terrorakte in Halle und Hanau waren erschütternde Höhepunkte. Unser Rechtsstaat muss wehrhaft sein. Er muss hinschauen und durchgreifen. Das tun wir in Bayern.

Eisenreich zwischen zwei Köpfe hindurch aufgenommen an einem Podium stehend, gestikulierend.

Der Münchner und HSS-Altstipendiat Georg Eisenreich ist seit November 2018 Bayerischer Staatsminister der Justiz. Als Rechtsanwalt war er seit 2003 ununterbrochen Mitglied des Bayerischen Landtags. 2008 bis 2013 war er dort stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport, von 2013 bis März 2018 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und von März bis November 2018 Staatsminister für Digitales, Medien und Europa in der Bayerischen Staatskanzlei. Seit 2011 ist er stellvertretender Vorsitzender der CSU München. Der verheiratete Vater von drei Kindern ist u.a. Schirmherr der Bereitschaften des Bayerischen Roten Kreuzes.

Bayerische Staatsregierung; G.Eisenreich

HSS: Warum ist gerade das Internet mit seinen Sozialen Medien eine oft genutzte Plattform für Hetze, persönliche Bedrohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen?

Die Anonymität des Internets trägt dazu bei, dass Beleidigungen und Hassreden dort oft viel enthemmter sind. Viele Menschen schreiben im Internet Dinge, die sie anderen Menschen nie ins Gesicht sagen würden. Ein Problem ist auch, dass in sozialen Netzwerken oft laute, extreme und polarisierende Meinungen mehr Aufmerksamkeit und Reichweite haben als ausgewogene und sachliche Meinungen. Hass-Posts werden mehr verbreitet und Stimmungsmache ist wirkungsvoller. Hinzu kommen die Echokammern in den sozialen Netzwerken. Wenn Menschen sich nicht mehr mit anderen Meinungen auseinandersetzen, sondern in einem geschlossenen System immer weiter in eigenen Ansichten verstärkt werden, ist kein offener Meinungsaustausch möglich. Das ist aber die Grundlage für das Funktionieren einer Demokratie.

HSS: Der Freistaat handelt konkret gegen Hass und Hetze im Internet. Welche Maßnahmen haben Sie schon getroffen?

Die bayerische Justiz ist beim Kampf gegen Hass im Netz gut aufgestellt. Wir haben schlagkräftige Strukturen für die Strafverfolgung, die wir zum Jahreswechsel weiter optimiert haben. Ich habe bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate für die Bekämpfung von Hass und Hetze eingerichtet. Zudem habe ich einen Hate-Speech-Beauftragten bei der Generalstaatsanwaltschaft München eingeführt. Dort ist auch die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus angesiedelt. Das soll auch ein klares Signal sein: Bekämpfung von Hate-Speech ist auch Extremismusbekämpfung.
Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien schon im vergangenen Jahr mit unserem Projekt ‘Justiz und Medien – konsequent gegen Hass‘ einen neuen Weg der Zusammenarbeit zwischen Justiz und Medien geschaffen. Mit einem neuen Online-Verfahren erleichtern wir es zudem auch Abgeordneten und Kommunalpolitikern, die Ziel von Hate-Speech geworden sind, sich mit einer Strafanzeige oder Prüfbitte an die Justiz zu wenden.

HSS: Gibt es schon Zahlen, wie viele Ermittlungsverfahren bis jetzt wegen strafbaren Hasskommentaren eingeleitet wurden?

Im ersten Quartal 2020 haben die Sonderdezernenten und der Hate-Speech-Beauftragte bereits etwa 400 Ermittlungsverfahren wegen strafbaren Hass-Posts eingeleitet. Im vergangenen Jahr gab es Prozesse, die zu Geld- und in einem Fall auch zu einer Haftstrafe geführt haben.

HSS: Was muss noch verbessert werden?

Um bei der Bekämpfung von Hass und Hetze erfolgreich sein zu können, brauchen unsere Strafverfolgungsbehörden gute gesetzliche Rahmenbedingungen. Diese muss der Bundesgesetzgeber schaffen. Ich habe mehrere Initiativen angestoßen. Der Bund hat mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität bayerische Vorschläge teilweise aufgenommen. Das Gesetz geht jedoch nicht weit genug.

HSS: Welche bayerischen Forderungen enthält das kürzlich vom Bundestag beschlossene Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität?

Vor allem freut mich, dass unser bayerischer Vorschlag zur härteren Bestrafung antisemitischer Straftaten eins zu eins übernommen wurde. Das ist ein klares Signal gegen Judenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Antisemitische Straftaten sind nicht nur Angriffe auf einzelne Menschen jüdischen Glaubens. Sie sind zugleich ein Angriff auf unsere Demokratie. Auf solche Taten muss unser Rechtsstaat unmissverständliche Antworten geben.
Darüber hinaus greift das Gesetz eine Reihe weiterer bayerischer Forderungen auf. Beispielsweise sollen künftig über das Internet verbreitete Beleidigungen härter bestraft werden können. Es ist gut und richtig, dass das Beleidigungsstrafrecht in diesem Punkt nachgeschärft wird. Dafür hat Bayern lange gekämpft. Beleidigungen sind in der Anonymität des Internets oft enthemmter, erreichen mehr Menschen und sind praktisch nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

HSS: Dennoch geht Ihnen das Gesetz an diesem Punkt nicht weit genug. Warum?

Das Beleidigungsstrafrecht ist 150 Jahre alt und muss umfassend modernisiert werden. Dazu habe ich bereits im November 2019 einen Diskussionsentwurf zur Modernisierung des Beleidigungsstrafrechts vorgelegt. Besonders schwerwiegende Beleidigungsstraftaten müssen härter bestraft werden können. Deshalb fordere ich für bestimmte besonders schwerwiegende Beleidigungstaten wie Cybermobbing und Hassrede Qualifikationen, die härtere Strafen ermöglichen. Für Beleidigungen sollen in diesen Fällen bis zu zwei Jahre Haft möglich sein, für üble Nachrede bis zu drei und für Verleumdung bis zu fünf Jahre.
Darüber hinaus müssen wir die sozialen Medien noch stärker in die Pflicht nehmen. Sie kooperieren bisher nicht ausreichend mit den Staatsanwaltschaften. Ich erwarte, dass Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaften ohne Wenn und Aber beantwortet werden. Das muss auch gelten, wenn die Plattformbetreiber ihren Sitz oder ihre Server im Ausland haben. Bei Beleidigungen und Hasskommentaren sollten soziale Medien zudem verpflichtet werden, nicht nur einen gemeldeten Kommentar, sondern zumindest auch wortgleiche Kommentare zu löschen. Betroffene könnten so eine Welle von Beleidigungen und Hasskommentaren mit einer einzigen Meldung stoppen.

HSS: Schon seit 2017 gilt das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG), das Hasskriminalität im Netz bekämpft. Eine neue Ergänzung nimmt besonders die Sozialen Medien in die Pflicht. Sie müssen bestimmte Straftatbestände an das BKA melden. Zufrieden mit dieser Regelung?

Die Einführung einer Meldepflicht der Plattformbetreiber für bestimmte Straftatbestände gegenüber dem Bundeskriminalamt begrüße ich ausdrücklich. Wir müssen die sozialen Netzwerke aber noch stärker in die Pflicht nehmen. Es ist nicht akzeptabel, dass Gewinne privatisiert, aber Probleme für Demokratie und Rechtsstaat sozialisiert werden. Die sozialen Medien müssen ihrer Verantwortung noch stärker gerecht werden.

HSS: Hass im Netz ist auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es hat sich gerade im Internet eine Sprachkultur breitgemacht, die zu einem Verlust von Werten geführt hat. Das Strafrecht kann nur eines von mehreren Mitteln sein, diesem Phänomen Herr zu werden. Es wirkt außerdem repressiv. Was können wir, insbesondere präventiv, noch tun gegen Hass im Netz?

Beim Kampf gegen Hass im Netz sind alle gefordert: Staat und Gesellschaft, Bildungswesen, Polizei und Justiz. Das Strafrecht allein kann das Problem nicht lösen. Neben dem Ausbau von Ermittlungsbefugnissen und Sanktionsmöglichkeiten im Bereich Hasskriminalität setzen wir daher auf Aufklärung, Sensibilisierung und Prävention durch Medienbildung.
Die Digitalisierung bietet große Chancen, bringt aber auch Herausforderungen und Risiken mit sich, insbesondere für junge Menschen. Die Schulen tun bei der Medienbildung schon sehr viel. Um das Wissen über die Risiken von sozialen Medien weiter zu verbessern, hat mein Haus gemeinsam mit dem Kultusministerium und den Lehrerverbänden im Februar eine Arbeitsgruppe zum Thema "Strafbare Inhalte in Schülerchats" eingesetzt. Justiz und Schule arbeiten dabei Hand in Hand. Gemeinsam wollen wir Kinder und Eltern noch stärker für die Gefahren von Chats und Plattformen sensibilisieren. Unser Ziel ist es, Straftaten zu vermeiden.

HSS: Mal ganz grundsätzlich: Die Grenze zwischen noch zulässiger Meinungsäußerung und einer strafrechtlich relevanten Aussage lässt sich nicht immer einfach ziehen, oder? Es gibt auch die Kritik, dass entsprechende Maßnahmen die Meinungsfreiheit unzulässig einschränken.

Die Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Die Demokratie lebt von einem lebendigen Diskurs, dem Ringen um das bessere Argument und dem Austausch unterschiedlicher und gegensätzlicher Standpunkte. Auch Kritik am politischen Geschehen, an Parlamenten, Parteien und Politikern ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig. Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenze aber dort, wo das Strafrecht beginnt.
Dieses Prinzip unseres Grundgesetzes wird leider gerade im Internet zunehmend missachtet. Die Meinungsfreiheit anderer wird aber unterdrückt, wenn diese ihre Meinung aus Sorge vor hasserfüllten Reaktionen nicht mehr äußern. Ich bin für Freiheit im Internet. Aber das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Die Gesetze, die in der analogen Welt gelten, müssen auch im Internet beachtet und durchgesetzt werden. Wer die Meinungsfreiheit schützen will, muss strafbaren Hass bekämpfen.

HSS: Zum Schluss: Selber schon mal Erfahrungen mit Hate-Speech gemacht? Waren Sie schon einmal Zielscheibe des Internet-Hasses?

Kritische Äußerungen muss jeder Politiker aushalten. Das gehört dazu. Niemand muss es aber hinnehmen, beleidigt und bedroht zu werden. Wichtig ist, dass die strafbaren Fälle konsequent angezeigt werden. Was meine persönlichen Erfahrungen mit Hate-Speech angeht: Bei mir hat sich das bislang in Grenzen gehalten.

Das Interview führte Thomas Reiner, HSS

Leiterin Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Onlineredakion

Susanne Hornberger