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Interview mit Mukhammetkalyi Abulgaziev
Kirgisische Reformpläne und bayerische Impulse

Kirgisistan hat seine Verwaltungsreform mit großem Engagement begonnen, doch dann geriet der Prozess ins Stocken. Daher besuchte Ende Juli 2017 eine Delegation kirgisischer Verwaltungsexperten bayerische kommunale Unternehmen, um sich mit Kollegen auszutauschen. In diesem Zusammenhang gab der 1. stellvertretende Ministerpräsident Mukhammetkalyi Abulgaziev der HSS ein kurzes Interview über die Reformpläne.

 

Der stellvertretende Vorsitzende der HSS, Markus Ferber, begrüßt Mukhammetkalyi Abulgaziev (links) und die kirgisischen Experten

Der stellvertretende Vorsitzende der HSS, Markus Ferber, begrüßt Mukhammetkalyi Abulgaziev (links) und die kirgisischen Experten

HSS

Mit viel Elan hatte Kirgisistan seine administrativ-territoriale Verwaltungsreform im Jahr 2010 begonnen, bis dann Ende 2016 ein Haushalt stand mit nur einer nationalen und einer kommunalen Ebene. Die Regierungsbezirksverwaltungen samt Haushalt und Rat waren abgeschafft.
Damit hatten die kirgisischen Kommunen mehr Finanzmittel zur Verfügung und eine straffe Verwaltungsstruktur.

In der zweiten Phase sollten die Landkreise und Gemeinden vergrößert werden, indem kleinere Einheiten zusammengefasst werden sollten. Und hier geriet die Reform ins Stocken – bis heute. Eine konkrete Strategie und effektive Instrumente fehlen, um die Bürger der Landkreise und Gemeinden dafür zu gewinnen; es gab aber auch lokalen politischen Widerstand.
Um diesen Prozess zu begleiten und die bayerische Erfahrung mit Verwaltungs- und Gebietsreformen kennenzulernen, hat die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) Ende Juli 2017 eine kirgisische Delegation eingeladen.

Die Delegation wurde vom 1. stellvertretenden Ministerpräsidenten Mukhammetkalyi Abulgaziev (1), und dem 1. stellvertretenden Wirtschaftsminister, Daniiar Imanaliev (2) geleitet. Weitere Teilnehmer waren Abish Khalmurzaev, bevollmächtigter Vertreter der kirgisischen Regierung im südlichen Regierungsbezirk Batken (Gouverneur), und Emilbek Alymkulov, Bürgermeister der Stadt Naryn und Vorsitzender des kirgisischen Städte- und Gemeindetags.

In der Müllverbrennungsanlage in Augsburg interessierten sich die Gäste aus Zentralasien für die Technik

In der Müllverbrennungsanlage in Augsburg interessierten sich die Gäste aus Zentralasien für die Technik

HSS

Interview mit Mukhammetkalyi Abulgaziev

Vor seinem Abflug gab der Leiter der Delegation, Mukhammetkalyi Abulgaziev, der HSS das folgende Interview über die Erwartungen an den Austausch mit bayerischen Verwaltungsexperten.

HSS: Was unterscheidet Kirgisistan von den anderen zentralasiatischen Ländern?

Mukhammetkalyi Abulgaziev: Die kirgisische Republik war der erste und bisher einzige zentralasiatische Staat, der ein parlamentarisches Regierungsmodell gewählt hat, bei dem Werte wie Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und auch wirtschaftlicher Liberalismus im Vordergrund stehen. Nach der Revolution im Jahre 2010 schafften wir es, wichtige Reformen einzuleiten und durchzuführen, die auf den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats ausgerichtet waren, in dem es keinen Platz für Familien- und Clan-Herrschaft, Korruption und Gesetzeslosigkeit gibt. Sicher kann dieser schwierige Weg nicht in kurzer Zeit vollständig bewältigt werden. Wichtig ist, dass wir ihn eingeschlagen haben. Wir alle wollen, dass sich die Kirgisische Republik dynamisch entwickelt, und ihre Bürger in einem ruhigen sicheren Land leben können, in dem sie die Möglichkeit haben, Arbeit zu finden und sich persönlich zu entwickeln.

HSS: Was ist Ihre Vision von der Reformierung des Systems der öffentlichen Verwaltung und vor allem der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung in der Kirgisischen Republik?

Mukhammetkalyi Abulgaziev: Viele Komponenten des derzeitigen Systems der administrativ-territorialen Verwaltung haben wir noch aus der sowjetischen Epoche unserer Geschichte übernommen. Es ist klar, dass das gegenwärtige System der öffentlichen Verwaltung einer Reformierung und Vervollkommnung bedarf. Ziel muss es sein, ein mobiles, leistungsfähiges und effizientes Verwaltungssystem zu schaffen, in dem die Interessen des Bürgers und seine Rechte höchste Priorität genießen. An der Erreichung dieser Ziele wird gearbeitet. Es ist offensichtlich, dass gerade die Organe der kommunalen Selbstverwaltung fähig sind, entstehende lokale Probleme am effektivsten zu lösen, ohne sie überhaupt auf die übergeordnete regionale oder nationale Ebene zu verlagern. Unser Bestreben ist es, den Organen der kommunalen Selbstverwaltung noch mehr Selbständigkeit, Rechte und Möglichkeiten bei der Lösung von örtlichen Aufgaben zu gewähren.

HSS: Warum haben Sie zum Sammeln von Erfahrung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung ausgerechnet Bayern ausgewählt?

Mukhammetkalyi Abulgaziev: In Bayern, einem wichtigen deutschen Bundesland, besitzt die kommunale Selbstverwaltung große Befugnisse und Möglichkeiten. Diese jahrhundertlange Erfahrung ist für uns beim Aufbau eines effektiv funktionierenden Modells der kommunalen Selbstverwaltung beispielhaft und von großem Interesse.

Die Führung durch die Müllverbrennungsanlage von Augsburg vermittelt praktisches Wissen

Die Führung durch die Müllverbrennungsanlage von Augsburg vermittelt praktisches Wissen

HSS

HSS: Was sind die Ziele, die mit dem Besuch in Bayern realisiert werden sollen?

Mukhammetkalyi Abulgaziev: Wir wollen mit eigenen Augen sehen, wie die kommunale Selbstverwaltung in Bayern aufgebaut ist und funktioniert. Wir wollen auch die reichen Erfahrungen der in Bayern durchgeführten Verwaltungsreformen gründlich studieren. Deren Ergebnisse sollen auch für uns als Wegweiser dienen, um eine starke leistungsfähige kommunale und öffentliche Verwaltung zu schaffen.

Bei einem so hochrangigen Besuch  durfte die Politik natürlich nicht fehlen. Auf die Frage nach der Vorbereitung der kirgisischen Regierung auf die Präsidentschaftswahl am 15. Oktober 2017 antwortete der Leiter der Delegation:

Mukhammetkalyi Abulgaziev: Um eine offene und transparente Wahl des Präsidenten der Kirgisischen Republik am 15. Oktober 2017 durchführen zu können, wurde ein Stab zur Unterstützung der Zentralen Wahlkommission eingerichtet. Involviert sind hier die Sicherheits- und Ordnungskräfte, aber auch das Erziehungsministerium mit seinen Schulen als Wahllokalen und die kommunalen Selbstverwaltungen. Hauptsächlich soll dieser Stab die Lösung von organisatorischen Fragen auf allen Verwaltungsebenen (Gemeinde, Kreis, Bezirk) und von materiell-technischen Problemen unterstützen. Weiter soll er die Sicherheit der Wähler, den Schutz der Bürgerrechte und die öffentliche Ordnung während der Wahlen gewährleisten,, sowie sicherstellen, dass die Stimmzettel unversehrt  den Wahllokalen zugestellt werden .
Es ist geplant, 2.300 Wahllokale auf dem Territorium der Kirgisischen Republik und 36 im Ausland zu öffnen. Bis zum 15. August 2017 wird auch die Überarbeitung der landesweiten (vorläufigen) Wählerlisten beendet sein. Die Wähler können diese dann bis zum 30. September 2017 einsehen und, wenn nötig, Einspruch erheben (Fehlen von Wählernamen, falsche Adresse,…).
Was die Finanzierung der Wahl betrifft, sind für die Wahllokale auf kirgisischem Territorium 471.400.000 Kirgisische Som (etwa 5,8 Millionen Euro) und im Ausland 8.200.000 Kirgisische Som (etwa 100.000 Euro) Haushaltsmittel bereitgestellt.
Ich möchte betonen, dass diese Präsidentschaftswahlen in der Geschichte des kirgisischen Staates ein wichtiges Ereignis sind. Diese Wahlen sollen offen und unter Einhaltung aller Bürgerrechte abgehalten werden. Der politische Wille der Führung unseres Staats ist dafür vorhanden.

Wie Abwasser von den Ammerseewerken in Eching wiederaufbereitet wird, das erfahren die kirgisischen Besucher

Wie Abwasser von den Ammerseewerken in Eching wiederaufbereitet wird, das erfahren die kirgisischen Besucher

HSS

Pläne für die weitere Verwaltungsreform in Kirgisistan

Die kirgisische Besuchergruppe kam nicht nur zum Sammeln von Informationen nach Deutschland, sondern hatte konkrete Vorschläge zur Weiterführung der administrativ-territorialen Verwaltungsreform in Kirgisistan vorbereitet. Sie trug diese in zwei Präsentationen mit den Titeln „Konzeption der Regionalpolitik der Kirgisischen Republik“ und „Stufen der administrativ-territorialen Reform in der Kirgisischen Republik“ vor.
Anschließend wurden diese Dokumente mit den deutschen Gesprächspartnern, die in der Regel bereits als Fachkräfte in Kirgistan Erfahrungen gesammelt hatten, detailliert diskutiert und im persönlichen Austausch konnten auch Alternativen gefunden werden.

In Fachgesprächen mit Vertretern aus dem Bayerischen Staatsministerium des Inneren, für Bau und Verkehr (Referat Kommunales Verfassungs- und Wahlrecht, Kommunalaufsicht), der Regierung von Schwaben, dem Landratsamt Augsburg und dem Markt Meitingen erhielten die kirgisischen Gästen einen Einblick in die Struktur der bayerischen kommunalen Selbstverwaltung. Auch die Ziele und Ergebnisse der letzten bayerischen Gebietsreform (1967 bis 1978) wurden ausführlich dargestellt.

Bei den Ammerseewerken in Eching (Abwasserentsorgung und Abwasserbehandlung) und der Müllverbrennungsanlage in Augsburg erfuhren die kirgisischen Gäste wie kommunale Zweckverbände auf Gemeinde- und Kreisebene arbeiten. Da qualifiziertes Personal der Schlüssel zum Erfolg jeder Verwaltung ist, durfte ein Besuch bei der Bayerischen Verwaltungsschule (BVS) in Holzhausen nicht fehlen.

Johannes Singhammer überreicht Mukhammetkalyi Abulgaziev ein Geschenk während ihres angeregten Gesprächs über die deutsch-kirgisischen Beziehungen

Johannes Singhammer überreicht Mukhammetkalyi Abulgaziev ein Geschenk während ihres angeregten Gesprächs über die deutsch-kirgisischen Beziehungen

HSS

Fazit des Studienaufenthalts

Politische Höhepunkte des Besucherprogramms der kirgisischen Delegation waren Treffen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der HSS, Markus Ferber, MdEP, und mit dem Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags, Johannes Singhammer, MdB, bei der HSS in München. Dieser hatte Kirgisistan vom 7. bis 11. April 2015 einen offiziellen Besuch abgestattet, so dass es viele Anknüpfungspunkte für ein intensives Gespräch gab. Alle Facetten der deutsch-kirgisischen Beziehungen konnten dabei erörtert werden.

Die Diskussion über die Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung und die Fortführung der begonnenen administrativ-territorialen Verwaltungsreform in Kirgisistan erfolgt auf einem fortgeschrittenen Niveau.
Die Gäste aus dem zentralasiatischen Land waren mit den Ergebnissen ihres Studienaufenthaltes sehr zufrieden.
Mit ihrem neu erworbenen Wissen wollen sie nach der Sommerpause und den Präsidentschaftswahlen in Kirgisistan am 15. Oktober 2017 – nach Eintritt von politischer Stabilität – dem Reformprozess in der kommunalen Selbstverwaltung eine neue Dynamik geben. Bei noch offenen Fragen hoffen sie auf die Beratung durch Experten, die seitens der HSS entsandt werden.

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung