Print logo

Interview ehrenamtliches Engagement: Münchner Tafel
Lebensmittel für mehrere tausend Gäste

In unserer Interview-Reihe zum ehrenamtlichen Engagement sprechen wir mit Menschen, die sich aktiv in die Gesellschaft einbringen. Sei es der Rettungsdienst, die Münchner Tafel oder Deutsch-Unterricht für Geflüchtete: Das Ehrenamt hat viele Gesichter. In diesem Teil sprechen wir mit Katia Scherzer, die während des Corona-bedingten Lockdowns bei der Münchner Tafel Lebensmittel an Bedürftige verteilte.

  • In München gibt es mehrere Tausend Menschen, die auf die Lebensmittelspenden der Tafel angewiesen sind.
  • Während des Lockdowns ist ein großer Teil der freiwilligen Helfer bei der Münchner Tafel weggefallen, da sich dort hauptsächlich Senioren ehrenamtlich betätigen.
  • Ehrenamtliche können die Tafel auf vielfältige Weise unterstützen: Beim Transport der Lebensmittel, beim Sortieren der Waren oder bei der Lebensmittelausgabe.

Eine der aktuell 650 Ehrenamtlichen bei der Münchner Tafel ist Katia Scherzer, Studentin in München. Sie begann während des Corona-bedingten Lockdowns bei der Münchner Tafel an der Großmarkthalle ehrenamtlich zu arbeiten. Zu dieser Zeit wurden nur von dort, der zentralen Ausgabestelle, Lebensmittel ausgegeben In unserem Interview erzählt sie von den Hintergründen ihres Engagements, dem täglichen Ablauf bei der Ausgabe der Lebensmittel, aber auch von Herausforderungen und Problemen, die mit ihrem Ehrenamt zusammenhängen.

Portait einer jungen Frau

Die junge Münchnerin begann während des Lockdowns im März diesen Jahres als Freiwillige bei der Lebensmittelausgabe der Tafel in der Großmarkthalle in Sendling mitanzupacken.

Katia Scherzer; HSS; Katia Scherzer

HSS: Wie sind Sie zur Münchner Tafel gekommen und was ist Ihre Motivation?

Katia Scherzer: „Ich habe über eine Freundin erfahren, dass die Münchner Tafel junge, ehrenamtliche Helfer sucht. Wichtig war, dass die Helfer nicht in der Risikogruppe sind. Denn die meisten Ehrenamtlichen bei der Tafel sind tatsächlich ältere Menschen, die aber aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr länger dort helfen durften. Deswegen habe ich mich dann auf der Website www.muenchner-tafel.de informiert und dort angerufen. Während des Lockdowns habe ich gemerkt, dass es mir nicht guttut, nur zuhause zu sitzen und nichts wirklich zu tun. Und da dachte ich mir, dass ich auch rausgehen kann mit einem wirklichen Sinn dahinter und Leuten helfen kann!“

HSS: Warum wollten Sie genau bei der Tafel aktiv werden?

Katia Scherzer: „Ich wollte gern dort mithelfen, wo man mich auch wirklich braucht. Gerade bei der Münchner Tafel haben sie während des Lockdowns händeringend Helfer gesucht, weil ansonsten tausende von Menschen nicht mehr die nötigen Lebensmittel erhalten konnten. Als ich also diesen Aufruf der Tafel gesehen habe, dachte ich mir, das ist perfekt, denn ich bin jung und nicht Teil der Risikogruppe – und möchte mich gerne gesellschaftlich engagieren.“

HSS: Wer kann bei der Tafel helfen? Welche Eigenschaften muss man mitbringen?

Katia Scherzer: „Allgemein sollte man offen und freundlich sein. Außerdem sollte man gutes Durchhaltevermögen mitbringen. Man hat – abhängig vom jeweiligen Viertel – 300 bis 700 Gäste, die an dem jeweiligen Tag bedient werden. Persönlich fand ich es dann auch mal schwierig ab der vierten Stunde genauso nett und höflich zu sein wie in der ersten Stunde. Gerade weil man fast sechs Stunden stehen muss. Empathie und Höflichkeit sind auch sehr wichtig. Die Bedürftigen, die dort hinkommen, freuen sich wirklich sehr, wenn man sie zuvorkommend behandelt und ein bisschen small talk führt.“

HSS: Wie viel Zeit investieren Sie in Ihr Ehrenamt?

Katia Scherzer: „Während des Lockdowns habe ich drei Tage die Woche bei der Tafel mitgeholfen. Täglich war ich von 11 Uhr bis 17 oder 18 Uhr abends dann vor Ort. Jetzt, da die Uni wieder begonnen hat und besonders während der Klausurenphase, habe ich leider weniger Zeit. Deswegen kann ich nur noch einmal in der Woche hin.“

HSS: Wie sieht Ihr Alltag bei der Münchner Tafel aus?

Katia Scherzer: „Wenn man dort vormittags ankommt, baut man zuerst die Biertischgarnituren auf. Währenddessen kommen die Kühlfahrzeuge, die früh morgens die verschiedenen Spenden abholen. Beim Auspacken und Abladen packt dann jeder mit an, damit alles so schnell wie möglich vorbereitet ist. Anschließend wird dann auch alles aussortiert, was nicht geeignet ist. Also Lebensmittel, die bereits über dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind – die dürfen nämlich nicht verteilt werden - oder Obst, das an manchen Stellen schimmelt. Dann werden alle Spenden an die jeweiligen Stände gebracht: In der Großmarkthalle gibt es einen Stand mit Obst, einen mit Gemüse, einen mit Kräutern und so weiter. Wenn dann überall noch Tischdecken verteilt sind, ist alles fertig und die Gäste kommen. Ich hatte direkten Kontakt mit den Menschen und habe die Produkte ausgehändigt, man kann sich aber auch im Hintergrund halten und die Spenden verpacken.“

HSS: Wie ist die Stimmung im Team untereinander?

Katia Scherzer: „Die Stimmung ist sehr, sehr schön und oft ist es auch lustig. Ich habe mich mit allen im Team gut verstanden. Natürlich ist es auch manchmal etwas stressig, aber trotzdem war die Atmosphäre immer gut.“

Die Münchner Tafel

Die Münchner Tafel versorgt wöchentlich mehr als 20.000 Bedürftige in ganz München. Das Ziel des gemeinnützigen Vereins ist es, Menschen in Not mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln zu versorgen – und manchmal auch mit kleinen Leckereien. Grundsätzlich darf jeder zur Lebensmittelausgabe an eine der 27 Verteilungsstellen im Münchner Stadtgebiet kommen, der seine Bedürftigkeit nachweisen kann und dazu den entsprechenden Ausweis vorlegt. Der Andrang ist groß, Tendenz steigend. Rund 125.000 Kilogramm Lebensmittel pro Woche verteilt die Tafel. Sie ist deswegen auf zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer angewiesen, um weiterhin tausende Gäste mit Nahrungsmitteln zu versorgen. 650 Ehrenamtliche engagieren sich derzeit.

HSS: In letzter Zeit wurde behauptet, Geflüchtete würden einheimischen Bedürftigen die Lebensmittel bei der Tafel wegnehmen. Was sagen Sie dazu? Wer darf zur Münchner Tafel kommen?

Katia Scherzer: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt grundsätzlich viele Spenden und auch ganz am Ende eines Tages ist immer genug für alle da. Man kann jedem Gast immer etwas geben. Auch die, die ganz zum Schluss kommen, bekommen noch Lebensmittel. Außerdem sind die meisten Menschen, mit denen ich Kontakt habe, Deutsche. Besonders viele Geflüchtete sind mir nicht aufgefallen. Grundsätzlich darf auch nur zur Tafel, wer seine Bedürftigkeit belegen kann. Man bekommt dann einen Ausweis, ohne den man noch nicht mal das Gelände der Ausgabestelle betreten darf.

HSS: 200.00 Münchner leben in Armut, der Andrang in den Verteilerstellen ist groß. Wie organisieren Sie die Ausgabe der Lebensmittel?

Katia Scherzer: „Dadurch, dass durch Corona stets der Mindestabstand eingehalten werden muss, wurde die Ausgabe komplett umstrukturiert. Normalerweise ist die Tafel mehr wie ein Marktplatz organisiert. Aber jetzt müssen sich alle Gäste mit dem Mindestabstand anstellen und dann eine lange Reihe von Biertischen entlanglaufen. So kommen sie dann an jedem Stand vorbei. An den Ständen geben die einzelnen Helfer die Portionen aus. Jeden Tag gibt es drei bestimmte Münchner Stadtteile, aus denen Bedürftige kommen können. Die Reihenfolge ändert sich jede Woche, damit jeder Stadtteil auch die Möglichkeit erhält, mal die größte Auswahl zu haben.“

Freiwillige sortiert Lebensmittel aus großen, gestapelten Kisten aus

Rund 125.000 Kilogramm Lebensmittel pro Woche verteilt die Tafel.

Katia Scherzer; HSS; Katia Scherzer

HSS: Woher kommen die Lebensmittel? Und was darf gespendet werden?

Katia Scherzer: „Es darf sehr viel gespendet werden. Frische und abgepackte Lebensmittel, aber auch Binden, Kondome und Inkontinenzeinlagen – also Produkte für den täglichen Gebrauch. Das meiste wird von Supermärkten und Bäckereien gespendet. Aber auch Krankenhäuser und Kantinen spenden zum Beispiel die Joghurts, die nicht verkauft werden konnten. Manchmal gibt es auch ungewöhnliche Spenden wie mehrere Palletten Überraschungseier oder Tortenböden. Die muss man den Leuten dann halt auch „andrehen“. [lacht]

HSS: Was war das schönste Erlebnis während Ihres Engagements bei der Münchner Tafel?

Katia Scherzer: „Das war, als eine Frau sich richtig überschwänglich bedankt hat. Und zwar nicht nur dafür, dass sie gerade Brot bekam, sondern dafür, dass wir Helfer da sind. Dass wir unsere Freizeit dort verbringen, um ihr zu helfen. Sie meinte, dass sie ohne uns und die Tafel nicht überleben könnte. Da hatte ich richtig Tränen in den Augen.“

HSS: Haben Sie einen Wunsch in Bezug auf ihr ehrenamtliches Engagement bei der Münchner Tafel?

Katia Scherzer: „Ich finde, die Tafel und alle solchen Organisationen sollten mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen. Während des Lockdowns zum Beispiel gab es täglich mehrere Beschwerden bei der Polizei, dass da so viele Leute draußen rumstehen und sich angeblich nicht an den Mindestabstand halten. Die Anrufer haben tatsächlich gefordert, dass die Tafeln geschlossen werden sollen. Das fand ich total schrecklich, schließlich wären dann so viele Menschen unversorgt. Auch mehr Spenden wären gut. Bei der Tafel hat man keine genauen Zahlen durch Voranmeldungen oder ähnliches, deswegen kann man nur schätzen wie viele Menschen pro Tag kommen. Dementsprechend kann jeder Gast nur eine bestimmte Menge Essen erhalten und an manchen Tagen war es schon echt knapp. Es wäre schon, wenn jeder ein bisschen mehr bekommt und trotzdem noch genug für alle da ist. Besonders, weil immer noch so viel Essen weggeworfen wird, das anderen helfen könnte.“

HSS: Wir danken für das Gespräch!

In unserem Themenportal Ehrenamt finden Sie weitere vielfältige Informationen rund um's Thema freiwilliges Engagement. Lesen Sie außerdem den ersten Teil unserer Interviewreihe: Felix Pietsch organisierte zusammen mit einer Gruppe von Freunden ehrenamtlich ein Festival und den zweiten Teil: Niklas Braun arbeitete ehrenamtlich nach seinem Schulabschluss ein Jahr in Indien mit behinderten Kindern.

Leiterin Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Onlineredakion

Susanne Hornberger