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Fachtagung in Moskau zu Medien und Kommunikation
Medien als Garant für eine pluralistische Gesellschaft

„Die Medien garantieren die Pluralität einer Gesellschaft“ – mit dieser Feststellung hat Professor Heinrich Oberreuter die Quintessenz eines medien- und kommunikationspolitischen Dialogprogramms der Hanns-Seidel-Stiftung in Moskau treffend zusammengefasst. Was selbstverständlich klingt und zumindest in Deutschland über Jahrzehnte hinweg kaum in Frage gestellt wurde, wird angesichts des nachlassenden Vertrauens vieler Bürger in die Medien zuletzt immer häufiger diskutiert.

„Rudeljouralismus“ – Diktatur einer Minderheit?

Das Podium bei der Diskussion mit Studierenden des MGIMO

Das Podium bei der Diskussion mit Studierenden des MGIMO

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Pluralismus und die Pluralität der Meinungen werden als konstitutiv für das deutsche Gemeinwesen angesehen, wie Dr. Otmar Bernhard, MdL bei einem Runden Tisch der Hanns-Seidel-Stiftung in Moskau mit 35 Teilnehmern betonte. Umso bedenklicher ist die Tendenz der letzten Jahre, dass sich häufig – ausgehend von einigen wenigen Artikeln, die in Leitmedien erschienen sind – viele andere Journalisten deren Argumentation anschließen und sie unreflektiert übernehmen. Auf diese Weise kann es in Extremfällen durchaus vorkommen, dass sich die Ansichten einer meinungsstarken Minderheit durchsetzen und zum Mainstream werden.

Diese häufig als „Rudeljournalismus“ bezeichnete Erscheinung illustrierte Oberreuter am Beispiel der sogenannten Willkommenskultur, die nach Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 von fast allen deutschen Mainstream-Medien lange unterstützt worden sei. Erst nach den Geschehnissen in Köln in der Silvesternacht 2015/2016 habe sich dies langsam geändert, als es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch eine vorwiegend aus nordafrikanischen Männern bestehende Menge gekommen war. Aus journalistischer Sicht sei dabei entscheidend gewesen, dass diese Vorfälle von Polizei und deutschlandweiten Medien zunächst weitgehend verschwiegen worden waren und erst im Laufe der darauffolgenden Tage durch die hartnäckige Recherche und Berichterstattung von Kölner Lokalblättern nach und nach aufgedeckt wurden.

Studierende der renommierten Universität MGIMO bei der Diskussion mit den Mitgliedern der HSS-Delegation

Studierende der renommierten Universität MGIMO bei der Diskussion mit den Mitgliedern der HSS-Delegation

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Faktenorientierung gegen Fake News

Grundsätzlich, so Oberreuter bei einer Diskussion mit russischen Studierenden der Journalistischen Fakultät des renommierten Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO), könnten im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise durchaus radikale Meinungen geäußert werden. Journalismus als selbstreferentielles System müsse im Übrigen nicht immer deckungsgleich mit der öffentlichen Wahrnehmung bestimmter Ereignisse sein. Wichtig sei, und das gelte für Medien in aller Welt, dass im Journalismus stets faktenorientiert gearbeitet werde, auch um der in den letzten Jahren Überhand nehmenden Verbreitung von Fake News entgegenzuwirken. Neben der Faktenprüfung sei auch das aufrichtige Bemühen der Journalisten um Verlässlichkeit sehr wichtig; so dürfe es keinen Platz für Verschwörungstheorien geben.

Hermann Krause, Leiter des ARD-Hörfunkstudios in Moskau, ging auf die Auswirkungen des kürzlich von der Staatsduma verabschiedeten Gesetzes ein, das die Einstufung aus dem Ausland finanzierter Medien in Russland als „ausländische Agenten“ ermöglicht. In den 60 Jahren, seit die ARD mit einem eigenen Studio in Moskau vertreten sei, habe sich die Situation noch nie derart zugespitzt. Ein Agentengesetz, das auf Medien angewendet werde, müsse zwangsläufig zu einer „Krise“ auch der ausländischen Korrespondenten vor Ort führen. Das Gesetz war als russische Antwort auf die zwangsweise Registrierung des staatlich finanzierten russischen Auslandssenders RT (ehemals Russia Today) in den USA auf den Weg gebracht worden. Krause nannte die US-Entscheidung, RT als ausländischen Agenten zu bezeichnen, „unerträglich“. 

Etwa 35 Experten nahmen am Runden Tisch der HSS teil

Etwa 35 Experten nahmen am Runden Tisch der HSS teil

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Russland – ein gefährliches Land?

Die Leiterin des Deutsch-Russischen Instituts für Publizistik an der Staatlichen Moskauer Lomonossow-Universität, Professorin Galina Woronenkowa, stellte im Rahmen des Runden Tisches verschiedene Studien ihres Instituts vor, die sich mit dem Russlandbild in deutschen Medien und dem Deutschlandbild in russischen Medien seit 1996 beschäftigen. Mitte der Neunziger Jahre sei die Wahrnehmung Deutschlands in Russland eher positiv gewesen, und auch die innenpolitischen Probleme und der Machtkampf in Russland hätten umgekehrt zu keinem dezidiert negativen Bild Russlands in den deutschen Medien geführt. Von 1999 bis 2006 hätten dann die großen wirtschaftlichen Herausforderungen, der Zweite Tschetschenienkrieg, die hohe Kriminalitätsrate und soziale Spannungen in Russland dazu geführt, dass in deutschen Medien kritische Elemente deutlicher neben die weiterhin vorhandenen positiven Aspekte traten.

Zwischen 2014 und 2016 seien die deutschen Medien dann dazu übergegangen, Russland als gefährliches Land darzustellen, dessen politisches Führungspersonal vor nichts zurückschrecke. Gleichzeitig seien russische Erfolge kaum gewürdigt worden, namentlich bei der Beurteilung des syrischen Bürgerkriegs. Auch nach dem offiziellen Eingreifen Russlands in die Kampfhandlungen im Jahr 2015 seien seitens deutscher Medien weiterhin die USA als führende Kraft in Syrien dargestellt worden, obwohl Russland seine internationale Isolation dadurch habe durchbrechen können.

Unterschiede zwischen Russland und Deutschland

Die unterschiedliche Rolle der Medien in Russland und Deutschland wird deutlich, wenn man die Finanzierung der Massenmedien in beiden Ländern betrachtet. Wie Wladimir Kasjutin, Sekretär des Russischen Journalistenverbandes und Chefredakteur der Zeitschrift „Journalismus und Medienmarkt“ betonte, würden in Russland fast alle Medienprojekte vom Staat finanziert. Die meisten Massenmedien seien ohne staatliche Unterstützung wirtschaftlich nicht überlebensfähig. In Deutschland ist dies anders organisiert. Zwar finanziert sich etwa die Deutsche Welle maßgeblich aus staatlichen Geldern und die öffentlich-rechtlichen Medien werden grundsätzlich über den Rundfunkbeitrag finanziert, doch die bedeutende Rolle der vom Staat unabhängigen privaten Medien stellt einen großen Unterschied zu Russlands Medienlandschaft dar.

Kasjutin nannte als Grundproblem speziell der russischen Print- und Hörfunkjournalisten die Frage, wie sie ein möglichst großes Publikum ansprechen könnten. Diese Problematik dürfte zwar auch so manchem deutschen Medienvertreter bekannt vorkommen, doch sie bekommt eine andere Dimension wenn man bedenkt, dass sich etwa 90 Prozent aller Russen hauptsächlich über das Fernsehen informieren und nur sieben bis acht Prozent überhaupt unabhängige Medien nutzen. In einem Gespräch mit der deutschen Delegation bezeichnete Dr. Iwan Sasurskij, Lehrstuhlinhaber für Neue Medien und Kommunikationstheorie an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität, das russische Fernsehen als „Reality Show“ nach US-amerikanischem Vorbild. Als Hauptproblem Russlands machte Sasurskij jedoch etwas anderes aus: die fehlende Qualität im Hochschul- und Bildungswesen.

Das Schlusswort beim medien- und kommunikationspolitischen Dialogprogramm der Hanns-Seidel-Stiftung war Professor Oberreuter vorbehalten. Auf die Frage einer MGIMO-Studierenden, ob User von Internetplattformen grundsätzlich die Möglichkeit haben sollten, sich anonym zu äußern antwortete Oberreuter, man solle sich stets unter Offenlegung der eigenen Identität äußern; andernfalls drohe ein Verfall des Stils der öffentlichen Meinungsäußerung. Man könne, so Oberreuter, eine Internetplattform durchaus mit einem Stammtisch vergleichen. An einem Stammtisch gebe es aber „eine gewisse selbstreinigende Kraft“, nämlich den Ellbogen des Nebenmanns von jemandem, der sich allzu radikal äußere. Diese selbstreinigende Kraft könne das Internet nicht bieten.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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