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Atomare Abschreckung in Europa
Mit oder ohne Amerika?

Die Zeiten sind unsicher, die Instabilität in der Welt ist mit Händen greifbar. Europa ist geschwächt, China wird stärker, Russland ist auf neoimperialistischem Kurs, die USA auf America-First-Abwegen und international auf dem Rückzug. Stimmen werden lauter, dass die Risse im transatlantischen Fundament Deutschland zwingen, sich zu emanzipieren und zum Zweck der Abschreckung eigene Atomwaffen anzuschaffen. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, machte jetzt in Washington deutlich, was er von solchen Gedankenspielen hält: Nichts.

Mit seiner Forderung nach einer nuklearen Selbständigkeit Deutschlands vertritt Maximilian Terhalle, Professor an der Universität von Winchester in Großbritannien, eine provokante These.

Info:

Die Hanns-Seidel-Stiftung und das American Institute on Contemporary German Studies hatten 30 hochrangige Fachleute der sicherheitspolitischen Szene Washingtons eingeladen, um über Europas nukleare und konventionelle Abschreckungsstrategien zu diskutieren.

Holzgetäfelter Konferenzraum mit hübsch gedeckter langer Tafel, an der um die 20 Personen sitzen. Im Hintergrund spricht jemand von einem Rednerpult aus.

„Großbritannien ist für Europa wichtiger als Kanada. Wir brauchen das Vereinigte Königreich für ein sicherheitspolitisch handlungsfähiges Europa“. (Wolfgang Ischinger)

HSS

Er nimmt an, dass Amerika sich auf den Konflikt mit China konzentriert, militärisch in Asien gebunden ist und Russland in Europa freie Hand gewährt. Terhalles Schlussfolgerung: Deutschland ist zunehmend auf sich alleine gestellt und braucht eigene Atombomben zur glaubhaften Abschreckung. Seine Dinner Speech in Washington nutzte Wolfgang Ischinger, früherer deutscher Botschafter in Washington und London, um solchen Gedankenspielen einen Riegel vorzuschieben. Deutschland werde keine neue Nach- bzw. Aufrüstungsdebatte aushalten und solle sie auch nicht führen. Vielmehr lauten die Konsequenzen in einer Welt, in der Freiheit und Demokratie kein Selbstläufer seien: Europa muss sicherheitspolitisch erwachsen werden, indem es eigene Sicherheit nicht länger an die USA outsourct. Deutschland steht unter besonderer Beobachtung bei der Umsetzung des 2% Ziels bei Verteidigungsausgaben und darf sich der sicherheitspolitischen Debatte nicht länger verweigern. Es ist eine Illusion, dass Deutschland von Freunden umzingelt sei. Denn der genaue Blick zeigt, dass diese Freunde große Probleme an ihren Außengrenzen haben: das Baltikum mit Russland, Italien und Spanien mit Afrika, die Türkei mit den Kriegen und Konflikten im Nahen und Mittleren Osten.

„Es gibt keine Alternative zu den US-Sicherheitsgarantien“

In dieser volatilen Lage, so Wolfgang Ischinger, sei jetzt strategisches Handeln gefragt:

  • Die EU müsse die internen Entscheidungsprozesse beschleunigen, Mehrheitsentscheidungen im Außenministerrat seien überfällig;
  • der Abrüstungsdialog mit Russland zum START-Vertrag, der 2021 ausläuft, sollte unverzüglich beginnen, ohne dabei die Verletzungen des INF-Vertrags durch Russland unter den Tisch fallen zu lassen;
  • die Brexit-Verhandlungen erfordern ein Höchstmaß an Flexibilität auf europäischer Seite, um auch weiterhin eine enge verteidigungs- und sicherheitspolitische Kooperation mit dem Vereinigten Königreich zu ermöglichen.

Es sei alarmierend, dass man Wladimir Putin mehr vertraue als Donald Trump, wie Umfragen in Deutschland nahelegten. Eindringlich warnte der frühere Botschafter in Washington davor, den dahinter steckenden Anti-Amerikanismus zu billigen innenpolitischen Zwecken zu nutzen und diese gefährliche Entwicklung der Entfremdung von Amerika weiter zu verstärken. 

Mit seinen Thesen rannte Wolfgang Ischinger bei Washingtons Sicherheitsexperten offene Türen ein. Auch für sie sind die politischen, rechtlichen und diplomatischen Hürden auf dem Weg zu einer deutschen Atombombe unüberwindbar. Wer Zweifel an der Bündnistreue Amerikas streut, untergräbt die Abschreckungswirkung auf Russland. Die USA, so die einhellige Meinung in der US-Hauptstadt, fühlen sich einem freien und vereinten Europa verpflichtet. Der nukleare Schutz Europas ist das Tafelsilber der transatlantischen Beziehungen. Im Zuge einer transatlantischen Lastenteilung ist perspektivisch allenfalls eine Europäisierung der Nuklearpolitik vorstellbar. Frankreichs Atommacht könnte also unter europäischer Teilhabe stehen, womit Europas Sicherheitspolitik gestärkt würde. Allerdings darf dies nicht zur nuklearen Entkoppelung von Amerika führen, was insbesondere für die baltischen Staaten und Polen von existenzieller Bedeutung ist. Um Trumps isolationistischen Impulsen etwas entgegenzusetzen, muss Deutschland dringend mehr in seine eigene Sicherheit investieren. Der Zustand der Bundeswehr sei ein Armutszeugnis. Darauf weist man  in Washington partei- und institutionenübergreifend immer wieder hin.

Fazit

Es gibt viel zu tun, um Deutschlands sicherheitspolitische Fähigkeiten zu steigern: von Strategie-Diskussionen in der Öffentlichkeit bis hin zu Militärausgaben. Eigene Atombomben gehören aber nicht dazu, wie die Debatte in Washington deutlich machte.

 

Autor: Christian Forstner, HSS