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Perspektiven für Europas Zukunft

Die Union steht vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte. Hochrangige EU-Entscheidungsträger warnen vor der Gefahr einer zersetzenden Wirkung der aktuellen Krisen. Das Motto des europäischen Einigungsprozesses „In Vielfalt geeint“ steht angesichts der starken Betonung nationaler Interessen vor einem harten Praxistest.

Ottmar Berbalk, Angelika Niebler und Gunnar Hökmark

Ottmar Berbalk, Angelika Niebler und Gunnar Hökmark

Gemeinsam mit dem schwedischen Europaabgeordneten und Währungsexperten Gunnar Hökmark diskutierte die Vorsitzende der CSU-Europagruppe Prof. Dr. Angelika Niebler am 26. September 2016 in Brüssel über die aktuellen Herausforderungen für Europa. Die Moderation übernahm der EU-Experte Ottmar Berbalk.

Noch nie sei die Zeit so bewegt und herausfordernd gewesen wie jetzt, bemerkte Angelika Niebler einleitend und konzentrierte sich in ihren darauffolgenden Ausführungen auf die Themenblöcke Brexit, Migration und Währungsstabilität. Die Schockstarre nach dem britischen Referendum sei noch nicht überwunden. Das Warten auf die offizielle Austrittserklärung erscheine endlos, und die Vorstellungen der Briten von ihrer Zukunft außerhalb der EU seien weiterhin vage. Die EU bekenne sich zu respektvollem Umgang mit Großbritannien, aber auch zu einer klaren Positionierung, und sie werde keine „Rosinenpickerei“ zulassen. Uneingeschränkter Binnenmarktzugang beinhalte auch immer Personenfreizügigkeit.

Angelika Niebler

Angelika Niebler

Die großen Herausforderungen im Zusammenhang mit Terrorbekämpfung und Prävention, Währungsstabilität und Migration verlangten nach besonnenem Handeln, betonten beide Redner. Sie unterstrichen den besonderen Wert einer starken und stabilen EU in einem immer unberechenbarer werdenden Umfeld sowie einer kontinuierlichen und vernünftigen Weiterentwicklung der Union.

Die Juncker-Kommission habe als wichtiges Signal bereits erheblich weniger Regulierungsvorschläge vorgelegt als ihre Vorgänger. Auch dürfe sich Europa nicht nur auf Krisen konzentrieren, sondern müsse gezielter Chancen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung, nutzen. Für Gunnar Hökmar gibt es auf viele der komplexen Fragestellungen unserer Gegenwart keine perfekten Antworten, daher müssten zunächst Wege in die richtige Richtung gefunden und eingeschlagen werden.

Gunnar Hökmark

Gunnar Hökmark

Erfolgsprojekte Wirtschafts- und Währungsunion und Handelspartnerschaften

Hökmark unterstrich die positive Wirtschaftsbilanz der EU auf dem globalen Markt, die in den Medien oftmals nicht genügend Anerkennung finde. Kritik äußerte er an der aktuellen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die erwarteten Investitionen in die Realwirtschaft blieben aus, stattdessen steige die Gefahr von Spekulationsblasen. Die  Null- oder Negativ-Zins-Politik der EZB benachteilige laut Dr. Niebler vor allem Sparer und Rentner. Die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, wie sie die Kommission mit der Einführung eines Europäischen Einlagensicherungssystems (EDIS) vorsehe, setze auch eine stärkere  Vergemeinschaftung von Risiken voraus und könne die so dringend geforderten Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Risikovermeidung infrage stellen. Deutschland setze sich daher dafür ein, dass alle Mitgliedstaaten zunächst die bereits im Jahre 2014 verabschiedeten Vorgaben für nationale Einlagensicherungssysteme umsetzten.

Die aktuell in der Öffentlichkeit kritisierte Handelspartnerschaft mit Kanada (CETA) bezeichnete Niebler als eines der besten Handelsabkommen, das die EU bisher verhandelt habe. Sie räumte jedoch ein, dass die intransparente Verhandlungsführung im Vorfeld nicht zur Vertrauensbildung beigetragen habe. Nun jedoch könnten einzelne Mitgliedstaaten dieses wichtige Gemeinschaftsprojekt verhindern, und jedes einzelne Mitglied müsse sich dann um ein bilaterales Abkommen bemühen. Dies sei weder im Interesse Deutschlands noch der Exportregion Bayern.

Blick in den vollen Konferenzsaal

Blick in den vollen Konferenzsaal

Reformen und Verantwortung der Mitgliedstaaten

Gunnar Hökmark erinnerte an die Situation vieler südlicher EU-Mitgliedstaaten und illustrierte den Zusammenhang von schwacher Wirtschaftsleistung und schwacher politischer Führung, was zu einem allgemeinen Vertrauensverlust führe und den Weg für Populismus jeglicher Art frei mache. In den letzten 20 Jahren sei ständig über Reformen gesprochen worden, aber nur wenige Länder, darunter Deutschland und Schweden,  hätten diese auch erfolgreich umgesetzt.  Die EU könne nicht besser sein als ihre Mitgliedstaaten. In diesem Sinne appellierte Hökmark an die strikte Einhaltung und Umsetzung der europäischen Regeln und allen voran der Konvergenzkriterien. Nicht nur die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspaktes stehe auf dem Spiel. Durch die hohen Defizite ihrer nationaler Haushalte und leichtfertige Schuldenpolitik gerieten viele Mitgliedstaaten immer tiefer in die Schuldenspirale. Der einzig mögliche Ausweg sei dann oft nur noch die so unpopuläre rigorose Sparpolitik. Hökmark betonte abschließend aber auch, dass Regeln nicht vom Denken befreiten und Regulierungen nicht von Verantwortung.