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„Jahr des Umweltschutzes“ in Russland
Reden wir über Recycling

Autor: Jan Dresel

Die Einführung effizienter Systeme zum Sammeln und Wiederverwerten von Abfällen ist eine der größten umweltpolitischen Herausforderungen, vor denen Russland derzeit steht. Längst ist klar, dass die Mülldeponien des Landes ihren Kapazitätsgrenzen immer näher kommen, gleichzeitig aber nicht unbegrenzt neue ausgewiesen werden können.

Müllverbrennungsanlagen sind wegen ihrer möglicherweise gesundheitsschädlichen Emissionen in der Bevölkerung umstritten. Selbst in der modernen Metropole Moskau werden lediglich fünf bis zehn Prozent aller Abfälle weiterverarbeitet, und für die gut 12 Millionen Einwohner gibt es nach wie vor nur einige hundert Sammelstellen für wiederverwertbare Abfälle. Immerhin stehen an den Haltestellen der 2016 eröffneten Moskauer Ring-S-Bahn seit diesem Jahr Mülleimer mit getrennten Einwürfen für verschiedene Abfallarten.

Konferenztisch. Am Kopfende Hünnerkopf, Dresel und Panow.

"Russische Bevölkerung für Thema Mülltrennung sensibilisieren und intelligente Konzepte beim Recycling entwickeln" (Jan Dresel, HSS Moskau, Mitte)

Ganz allgemein ist im Jahr 2017, dem „Jahr des Umweltschutzes“ in Russland, die Diskussion über praktikable Lösungen für das Müllproblem ernsthafter und zielorientierter geworden. Grund genug für die Hanns-Seidel-Stiftung, eine bayerische Delegation zu einem Dialogprogramm zum Thema Recycling nach Moskau einzuladen, um sich mit Abgeordneten der Staatsduma und der Moskauer Gebietsduma, Ministeriumsvertretern, Wirtschaftsexperten und Umweltschützern auszutauschen.

Recycling muss wirtschaftlich vertretbar sein 

Von Umweltexperten der föderalen und regionalen Parlamente bis zu Staatspräsident Wladimir Putin selbst betonen die wichtigsten politischen Entscheidungsträger Russlands immer wieder die hohe Priorität konkreter Lösungen für die Abfallproblematik. Die Herausforderung liegt darin, zum einen die russische Bevölkerung für die Wichtigkeit der Mülltrennung zu sensibilisieren, zum anderen aber auch intelligente und tragfähige Konzepte für die Wiederverwertung von Abfällen zu entwickeln. Bisher werden in Russland Abfälle, wenn überhaupt, oft erst im Nachhinein getrennt. Ein aufwändiges und wenig effizientes Verfahren, wenn man die bayerischen Erfahrungen betrachtet, wie Delegationsmitglied Helmut Schmidt, ehemaliger Stadtdirektor und Zweiter Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs München, bei mehreren Gesprächsterminen feststellte. 

Gruppenbild vor Ölbildern an einer gelbstichigen Wand

Recycling muss auch wirtschaftlich vetretbar sein (Helmut Schmidt, links - bis Nov. 2017 Zweiter Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs München)

HSS

Außerdem müsse Recycling nicht nur technisch möglich, sondern auch wirtschaftlich vertretbar sein. Diese Einsicht habe sich in Deutschland weitgehend durchgesetzt, auch wenn sich manche Umweltschützer bis heute eine Zero-Waste-Economy wünschen, also eine Abfallwirtschaft, die unter Vernachlässigung ökonomischer Effizienzgesichtspunkte auf eine annähernd hundertprozentige Recyclingquote abzielt. 

In Russland ist es für kommerzielle Anbieter grundsätzlich gewinnträchtiger, Abfälle zu deponieren oder zu verbrennen als sie wiederzuverwerten. Dabei hat Mülltrennung in Russland durchaus Tradition, was außerhalb der ehemaligen Sowjetunion wenig bekannt ist: Zu Sowjetzeiten wurden Altpapier und andere Abfälle gesammelt und anschließend wiederverwendet. Nach dem Untergang der Sowjetunion brach das ursprünglich gut ausgebaute Sammelsystem allerdings weitgehend zusammen. Erst 2002 führte die Stadt Moskau Mülltrennung offiziell wieder ein, als der damalige Oberbürgermeister Jurij Luschkow einen Erlass über das Aufstellen von Sammelcontainern unterzeichnete. Seitdem wurden aber viel zu wenige Sammelstellen eingerichtet, um effektive Mülltrennung gewährleisten zu können.

Vier Herren in einem Turmzimmer an einem Tisch vor einem Spitzen Turmfenster. Draußen ist die Moskauer Innenstadt zu sehen.

Im Herzen Moskaus: Dr. Otto Hünnerkopf (MdL, links vorne) interessiert sich besonders für die Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz in Russland.

HSS

Daher wurden in den letzten Jahren in der Stadt Moskau und im Moskauer Gebiet immer wieder neue Pilotprojekte gestartet, von denen aber erst in jüngster Vergangenheit einige nachhaltigen Erfolg über die Testphase hinaus versprachen. Nach Aussage von Dr. Otto Hünnerkopf, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Verbraucherschutz des Bayerischen Landtags, sei aber genau dies, eine effektive und funktionierende Sammlung und Trennung der Abfälle, Grundlage für ihre effiziente Wiederverwendung. 

Russische Regionen für Produktions- und Haushaltsabfälle zuständig 

Wie eng unterschiedliche Ansätze zur Lösung der Abfallproblematik zusammenhängen, wurde bei einem Termin der bayerischen Delegation in der Moskauer Gebietsduma deutlich. Dort stellte Aleksandr Orlov, Mitglied des Ausschusses für Umwelt und natürliche Ressourcen fest, ein Großteil der Bevölkerung könne sich schlicht nicht vorstellen, dass eine geruchsneutrale und gesundheitsverträgliche Müllverbrennung und Abfallverwertung überhaupt möglich sei. An der Notwendigkeit dieser Technologien als Alternative zu Müllhalden besteht derweil kein Zweifel: Nach Angaben der stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Galina Utkina seien in den letzten Jahren allein im Moskauer Gebiet 24 Deponien stillgelegt worden.

Konferenztisch mit diskutierenden Delegierten

Die Diskussion über das Müllproblem ist 2017 lösungsorientierter geführt geworden. 2017 ist in Russland das "Jahr des Umweltschutzes".

HSS

Im Rahmen eines Termins der Delegation im russischen Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt wies der Abteilungsleiter des Ministeriums für Internationale Zusammenarbeit, Nuritdin Inamow, auf die Zuständigkeit der russischen Regionen für Haushalts- und Produktionsabfälle hin.

Bis zum Jahr 2020 müssen alle Regionen einen konkreten und sofort umsetzbaren Plan zum Umgang mit diesen Abfällen ausgearbeitet haben. Auch der Abgeordnete Wladimir Panow, stellvertretender Vorsitzender des Umweltausschusses der russischen Staatsduma, betonte bei einer von der HSS durchgeführten Fachkonferenz mit 50 Teilnehmern mehrfach die Verantwortung der Regionen. Dabei sei klar, dass das entsprechende föderale Gesetz Nr. 89 über Produktions- und Haushaltsabfälle aus dem Jahr 1998 trotz mehrerer Änderungen und Ergänzungen in den vergangenen Jahren noch immer Lücken und Schlupflöcher aufweise; daher solle es noch im Dezember 2017 umfassend geändert werden.

Dynamisch wirkender Konferenzraum. Computer, Mikros und Lampen auf dem Tisch.

Herzliche Einladung von Helmut Schmidt (rechts hinten) an die russische Seite, sich in München die Arbeit des städtischen Abfallwirtschaftsbetriebs anzusehen

HSS

Im unmittelbaren Anschluss an das Dialogprogramm der HSS hat der russische Staatspräsident Wladimir Putin die föderale Regierung und die Gouverneure der russischen Regionen aufgefordert, die Bevölkerung zu mehr ökologischem Bewusstsein zu motivieren, Mülltrennung zu verbreiten und sich für wiederverwertbare und abbaubare Verpackungen einzusetzen. Ein Schelm, wer nun davon ausgeht, die Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung habe Einfluss auf die konkreten Inhalte dieser Initiative Wladimir Putins gehabt. Ohne Zweifel aber waren die russischen Gesprächspartner der bayerischen Delegation sehr interessiert an den technologischen Lösungen deutscher und speziell bayerischer Hersteller von Umwelt- und Energietechnik, und beide Seiten bezeichneten den Austausch von Erfahrungen insgesamt als sehr bereichernd.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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