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Interview zum Thema Smart City nach dem Online-Seminar am 12.08.2021 / 18.00 Uhr
Smart City – die nachhaltige Zukunft der Stadt

Weltweit entstehen heute Smart Cities. Wie ist die Entwicklung in Deutschland und welche Rolle spielen Smart Cities für den Klimaschutz? Dies und vieles mehr erklärt Michael G. Möhnle, Journalist, Publizist, Media Consultant, in diesem Interview nach einem Online-Seminar der Hanns-Seidel-Stiftung am 12.08.2021 / 18.00 Uhr.

Die Top 20 deutschen Smart Cities, gelistet im „Smart-City-Index 2020“ des Branchenverbandes bitkom.

bitkom; HSS

Hanns-Seidel-Stiftung (HSS): Weltweit entstehen heute Smart Cities. Wie ist die Entwicklung in Deutschland und welche Rolle spielen Smart Cities für den Klimaschutz?

Michael G. Möhnle: In Amerika, Asien und Europa entstehen Smart Cities: Chicago, Seattle oder San Francisco stehen für die USA, Shanghai, Chongqing oder Singapore für Asien, Hamburg, München und Wien für Europa. Die Liste ließe sich fortsetzen. Urbanisierung findet weltweit statt und überall entstehen dieselben Probleme: Verkehrschaos, hohe Luftverschmutzung, teure Infrastruktur, teuerster Wohnraum. Durch den gezielten Einsatz digitaler Technologien lässt sich sehr viel Energie und rund 50 Prozent CO2 einsparen. Eine Smart City kann also wieder lebenswerter und gesünder werden. Nachdem wir wissen, dass 75 Prozent der Primärenergie in Städten verbraucht wird und 80 Prozent der Treibhausgase in Städten entstehen, ist schon allein aus Gründen des Klimaschutzes die digitale Stadtentwicklung heute ein Muss.
Dabei ist die Entwicklung in Deutschland bemerkenswert. Der digitale Branchenverband bitkom hat 2020 ein Smart-City-Ranking der 81 deutschen Städte mit über 100.000 Einwohnern gemacht. Am weitesten im Bereich digitaler Verwaltung ist Karlsruhe, Spitze im Bereich e-Mobilität ist Hamburg, Top im Sektor Energie und Umwelt ist Heidelberg und die fünf besten Smart Cities in Deutschland sind Hamburg, München, Köln, Darmstadt und Karlsruhe. Für mich als Journalist ist es eine deutsche Tragödie, dass darüber kaum jemand berichtet und diese wichtige Entwicklung quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

HSS: In der EU ist das Projekt „Smarter Together“ bahnbrechend. Was muss man sich darunter vorstellen?

„Smarter Together“ ist ein weltweit einmaliges EU-Projekt mit drei Leuchtturmstädten, die sich aufgemacht haben, als Smart Cities zusammenzuarbeiten, Erfahrungen auszutauschen, Standards zu entwickeln. München, Lyon und Wien sind Europas drei Leuchtturm-Städte. Im Sommer 2021 sollen sie ihre Projektarbeit abschließen und können eine hervorragende Bilanz ziehen.

In München wurden für 30.000 Einwohner in Freiham / Neuaubing modellhaft intelligente Lichtmasten aufgestellt und Mobilstationen aufgebaut, die Carsharing, e-Bikes, Last- und  Fahrräder bieten. Der Bürger kann sie via App erfassen und nutzen. In Wien hat der Stadtbezirk Simmering, in dem 21.000 Menschen leben, Wohnhaussanierungen vorgenommen, erneuerbare Energien installiert und Mobilstationen errichtet. In Lyon ist es das Groß-Projekt „Lyon-Confluence“, das die Datenplattform „Grand Lyon“ für Smart-City-Prozesse entwickelte, eine Million Quadratmeter neue Wohnflächen mit modernstem Energie-Management ausstattete und natürlich auch e-Mobilität anbietet.

Alle drei Smarter-Together-Städte haben sich zum Ziel gesetzt, mindesten 143.000 Quadratmeter Wohnfläche zu sanieren und dabei 50 Prozent CO2 einzusparen, 17 MW erneuerbare Energien zu installieren, Mobilitätslösungen zu schaffen, die CO2 einsparen und 1.500 neue Jobs zu schaffen. Lyon-Confluence alleine hat schon über 50.000 neue Jobs im Digitalsektor geschaffen und 103 Projekte mit 289 Partnern betrieben. Diese Zahlen zeigen: Eine gezielte Anwendung digitaler Technologien bringt nicht nur mehr Klimaschutz, sondern schafft auch mehr Arbeitsplätze.

HSS; Michael G. Möhnle

Michael G. Möhnle,

Journalist, Publizist, Media Consultant.
Ehem. Pressesprecher im Europäischen Parlament und Leiter Online-Kommunikation im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit

bitkom; HSS

HSS: Die Verwaltung pflegt in unseren Städten und Gemeinden den direkten Kontakt zum Bürger. Wie digital muss diese Verwaltung, auch eGovernment genannt, in Zukunft sein?

 

In einer Umfrage für den Branchenverband bitkom hat sich gezeigt, was die Bürger von ihrer Stadt erwarten: Sie wollen alternative Antriebssysteme für Busse im Stadtverkehr, eine intelligente Straßenbeleuchtung, lokale Umweltdaten aufs Handy und natürlich ihre Verwaltungsleistungen online so einfach wie möglich abwickeln (siehe Abbildung links).

Der Bereich eGovernment ist also ein wichtiges digitales Angebot, das die Städte ihren Bürgern machen müssen. Allerdings ist die Praxis, speziell in Deutschland, nicht gerade einfach. Im deutschen Online Zugangs Gesetz (OZG) ist geregelt, dass 575 Verwaltungsleistungen dem Bürger bis Ende 2022 online zur Verfügung gestellt werden müssen. Sie sind in 14 Themenbereiche wie beispielsweise „Familie & Kind“ gegliedert. Dabei gibt es 115 Leistungen, für die nur der Bund zuständig ist, bei 370 regelt es der Bund, aber Länder und Kommunen setzen es um, und für 90 Leistungen liegen Regelung und Vollzug allein bei Ländern und Kommunen.  

Hier wird es entscheidend darauf ankommen, dass der Bürger mit dieser komplizierten Verwaltungsstruktur nicht belästigt wird. Er wird ganz einfach seine notwendigen Daten eingeben, auf Enter drücken, fertig. Der Datentransfer im Hintergrund kann und muss so gesteuert werden, dass die föderalen Anforderungen erfüllt sind. Im Vordergrund steht der einfache und schnelle Prozess, nicht die juristische Spitzfindigkeit und Besonderheit. So jedenfalls praktizieren es andere EU-Staaten schon längst. An der eGovernment-Spitze sind Estland, Spanien, Dänemark und Finnland. Deutschland steht in dieser EU-Rangliste abgeschlagen auf Platz 21.

Die Multifunktions-App für die Bürger ist eines der Smart-City-Projekte der Stadt Karlsruhe.

Stadt Karlsruhe; HSS

HSS: Sie haben „Best-Practice-Beispiele“ aus verschiedenen deutschen Städten genannt. Welche davon sind Ihre Top Fünf, die sie auch anderen Städten empfehlen würden?

Hier gibt es tatsächlich ganz hervorragende Beispiele. Ich denke da sofort an smarte Lichtmasten, die in München-Freiham aufgestellt werden. Sie bieten öffentliches WLAN, messen Umweltdaten wie Feinstaub oder Ozon und können freien Parkraum in ihrem Umfeld anzeigen, so dass eine digitale Parkraumsteuerung machbar wird. Das ist extrem sinnvoll.

Beispielhaft sind auch smarte Mülltonnen mit eigener Photovoltaikanlage. Sie können den Müll so stark komprimieren, dass die achtfache Menge hineinpasst und ein Signal abgeben, wenn sie voll sind. Köln verwendet solche Mülltonen in verschiedenen Größen. Die Effizienz wird um 50 Prozent gesteigert und die Entsorgungsfrequenz um 80 Prozent gesenkt. Auch das ist sinnvoll.

In Darmstadt wird eine Datenplattform für die Bürger in Form eines Dashboards erstellt, das die Verkehrs- und Umweltdaten in Echtzeit darstellt. Auch die aktuelle Corona-Lage wird gezeigt. Das ist für die Bürger wichtig und hilfreich.

Die Stadt Karlsruhe arbeitet an einer Multifunktions-App. Unter dem Projekt „digital@KA“ wird eine Plattform realisiert, mit der alle Angebote der Stadt mobil abgewickelt werden können. Damit wird Lebensqualität vereinfacht und verbessert.

Die Stadt Augsburg bietet eine Mobil-Flat an, über die nicht nur Busse & Tram in der Innenstadt, sondern gleichzeitig Räder, e-Bikes und Carsharing genutzt werden können. Der Bürger kann seine Mobilität individuell gestalten. Die Preisspannen der Mobil-Flats reichen von S bis L-Premium. Schon heute ist der Busverkehr in Augsburg klimaneutral.

Michael G. Möhnle; HSS

HSS: Welche Tipps geben Sie Bürgermeistern und Stadträten, wenn sie das Projekt Smart City anpacken wollen?

Eine Smart-City zu entwickeln ist ein ständiger Prozess. Es werden Änderungen in Gang gebracht, die jeden Bürger betreffen. Daher ist die Akzeptanz und Mitentscheidung der Bürger von Beginn an einzuplanen. Die Prozesse müssen erklärt und begründet werden. Nur so kann der Bürger mitdenken, mitentscheiden, mitmachen. Ohne eine direkte Kommunikation @ Bürger ist vieles zum Scheitern verurteilt. Da müssen Kommunikationsexperten ran, natürlich beraten von Juristen, Informatikern und anderen Experten.

Eine Interaktive Website muss aufgebaut werden, die Kampagnenfähig ist. Schwerpunktthemen wie Mobilität, Energie und eGovernment müssen mit Projekten und Ergebnissen immer aktuell gehalten werden. Es reicht nicht, wenn eine Stadt ihre digitale Entwicklung irgendwo unter "ferner liefen" in ihrer Homepage versteckt. Ich möchte hier ganz bewusst zwei gute Beispiele zeigen:

Wolfsburg Digital

Smart City Wien

HSS: Vielen Dank Herr Möhnle für das informative Interview!

Leiterin Onlineredaktion/Internet

Susanne Hornberger