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Ergebnisse des ANC-Parteitags
Südafrika entgeht vorerst einer tieferen Krise

Der Text beleuchtet Hintergründe und Ergebnisse des ANC-Parteitags Mitte Dezember sowie die agierenden Personen: Dort wurde der Reformer Cyril Ramaphosa an die Spitze des ANC gewählt. Ramaphosa steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wenn er Präsident werden sollte: Wird es ihm gelingen, Südafrika wirtschaftlich wieder flott zu machen? Wird er es schaffen, das tief gespaltene Land zu einen?

Der ANC-Parteitag Mitte Dezember hat den Reformer Cyril Ramaphosa an die Spitze der Regierungspartei gewählt – viele Südafrikaner atmeten spürbar auf. Der derzeitige Vizepräsident des Landes genießt auch bei Wirtschaftsexperten großes Ansehen. Nun wird zunächst vor allem der Umgang des ANC mit Präsident Jacob Zuma im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen und die Frage, ob mögliche Straftaten im Amt auch Konsequenzen nach sich ziehen werden. Der ANC-Parteitag hat hierzu keine direkte personelle Entscheidung getroffen. Aber Signale gesetzt, die ein vorzeitiges Ende der Präsidentschaft von Zuma erwarten lassen.

Es wird jedoch Zeit brauchen, bis sich Südafrika von den verlorenen Zuma-Jahren erholt, die mafiösen Verbindungen zwischen Politik und ausgewählten Wirtschaftseliten trockengelegt und Vertrauen in Bevölkerung und Weltgemeinschaft zurückgewonnen hat. Hinzu kommt, dass Südafrika mit einer Armutsquote von über 55% und der größten sozialen Ungleichheit in der Welt dringend Wege finden muss, inklusives Wachstum anzukurbeln und die Vision eines geeinten, demokratischen Landes wiederzubeleben.

Paradoxerweise wird Ramaphosas Sieg es der Opposition schwerer machen, im Wahlkampf gegen den ANC Boden zu gewinnen, obwohl sie seit Jahren Zumas Rücktritt gefordert hatte. Und das umso mehr, wenn Zumas Präsidentschaft bald beendet wird. Voraussichtlich wird Südafrika auch nach den Präsidentschaftswahlen 2019 weiter vom ANC regiert. 

Der neue ANC-Parteivorsitzende Cyril Ramaphosa

Der neue ANC-Parteivorsitzende Cyril Ramaphosa

Der ANC-Parteitag: Zwischen Hoffen und Bangen

Monatelang fieberten die Südafrikaner der Entscheidung entgegen. Einer Entscheidung, die als historisch für die Zukunft des Landes bezeichnet wurde. Vom 16. bis 20. Dezember fand dann der 54. Parteitag des African National Congress (ANC), der seit über 23 Jahren regierenden und mit dem Befreiungskampf verbundenen Partei, statt. Das enorme Interesse der Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an diesem Parteitag erklärt sich aus der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden, der mit großer Wahrscheinlichkeit spätestens ab 2019 als Präsident die Politik des Landes prägen wird. Und einem harten Wahlkampf zwischen zwei tief gespaltenen parteiinternen Lagern aus Traditionalisten und Reformern. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass die ANC-Delegierten den südafrikanischen Präsidenten Zuma aufgrund zahlreicher ausgesetzter Strafverfahren mit über 700 Anklagepunkten, die gegen ihn anhängig sind, und der wirtschaftlichen Abwärtsspirale, in der sich das Land seit vielen Jahren befindet, abberufen hätten können.

Cyril Ramaphosa, Vizepräsident von Südafrika, holte eine knappe Mehrheit von 51.9% der Stimmen. Damit gewann zwar der Kandidat, der für wirtschaftspolitische Reformen und Rechtsstaatlichkeit steht und dem Lager der Reformer innerhalb des ANC zugeordnet werden kann. Der neue Parteivorsitzende steht jedoch bereits am Anfang seiner Amtszeit vor einem Dilemma: Beim Führungspersonal der Partei haben sich an entscheidenden Stellen Personen durchsetzen können, die sich im Wahlkampf gegen die von Ramaphosa vertretene wirtschaftsfreundliche und inklusive Politik positionierten und als Unterstützer von Präsident Zuma gelten. Dazu zählt beispielsweise Ace Magashule, Ministerpräsident der Provinz Free State, der zum mächtigen Generalsekretär gewählt wurde. Auch bei der Wahl des einflussreichen 86-köpfigen ANC-Präsidiums (National Executive Committee) wurde die weiterhin bestehende tiefe Spaltung des ANC offensichtlich.

Die Konstellation aus Unterstützern und Gegnern des neuen Parteivorsitzenden in den einflussreichen ANC-Gremien birgt auch das Risiko, dass sich Ramaphosa im Zuge der anstehenden Wahlen 2019 vor allem um die Rückendeckung in der eigenen Partei und die Wiederwahl des ANC bemühen muss − Zugeständnisse an seine Kritiker, die nicht zwangsläufig gut für die Entwicklung des Landes sind, können nicht ausgeschlossen werden.

Dem Parteitag vorausgegangen waren langwierige Wahlen der etwa 5.000 ANC-Delegierten in den neun Provinzen Südafrikas in den letzten Monaten, wo sich ein nie dagewesener Machtkampf zwischen den beiden Lagern bereits abzeichnete. Von ANC-Mitgliedern angestrengte Gerichtsverfahren hatten nur wenige Tage vor dem Kongress einige der Vorwahlen für manipuliert und ungültig erklärt, so dass der Akkreditierungsprozess beim Parteitag dementsprechend über 200 der dort Anwesenden das Wahlrecht entzog und es schließlich 4.776 Stimmberechtigte gab. Manche Beobachter prognostizierten die Spaltung des ANC, der von Korruptionsskandalen und der Aufdeckung nepotistischer Strukturen erschüttert wird.

Nkosazana Dlamini-Zuma

Nkosazana Dlamini-Zuma

Cyril Ramaphosa und Nkosazana Dlamini-Zuma: Zwei ungleiche politische Gegner

Dort stand nun auf der einen Seite Nkosazana Dlamini-Zuma, die Exfrau von Zuma, ehemalige Gesundheits-, Außen- und Innenministerin und bis Januar 2017 Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union. Dlamini-Zuma versprach eine radikale Vermögensumverteilung, die gerade bei ärmeren ANC-Wählern auf dem Land auf Zuspruch stieß. Ihr größtes Manko bestand jedoch darin, dass sie von vielen Beobachtern als Präsident Zumas Marionette gesehen und dargestellt wurde, die ihrem Exmann Straffreiheit hätte gewähren können, wäre sie Parteichefin und dann voraussichtlich Präsidentin geworden.

Seit 2004 (69,7%) verliert der ANC stetig an Zuspruch bei der Wählerschaft. Während 2009, dem Amtsantritt von Zuma, noch 65,9% der Bevölkerung die Partei wählten, waren es 2014 noch 62,1%. Dramatischere Verluste musste die Partei bei den Kommunalwahlen 2016 hinnehmen, bei denen nur noch 53,9% der Südafrikaner für die ehemalige Befreiungsbewegung stimmten und in den wirtschaftsstarken Städten Johannesburg und Port Elisabeth sowie in Pretoria erstmals die Oppositionsparteien die Regierungsgeschäfte übernahmen. Diese Entwicklungen waren bis dato undenkbar, in einem Land, wo es sozusagen zur staatsbürgerlichen Pflicht gehörte, die Partei der Freiheitskämpfer zu wählen. Die Sorge, dass unter einer Parteivorsitzenden Dlamini-Zuma die absolute Mehrheit verloren hätte gehen können, hat sicherlich ebenfalls zu ihrer Niederlage beigetragen. Trotzdem erhielt sie beachtliche und für manchen Beobachter auch besorgniserregende 2.261 Stimmen der 4.776 Stimmberechtigten.

Auf der anderen Seite stand der Vizepräsident Südafrikas, Cyril Ramaphosa, der auf seinem bewegten Lebensweg vom Widerstandskämpfer zwischenzeitlich zu einem erfolgreichen, wohlhabenden Unternehmer geworden war. In den 80er Jahren hatte er unter dem Apartheid-Regime als Vorsitzender der von ihm mit gegründeten National Union of Mineworkers (NUM), einer Gewerkschaft, für die Rechte schwarzer Minenarbeiter gekämpft. Auch als Führer der regierungskritischen Mass Democratic Movement war er schon als junger Mann international bekannt geworden. Als enger Vertrauter Nelson Mandelas verantwortete er die schwierigen und erfolgreichen Verhandlungen über das Ende des Apartheid-Regimes. Zudem war er auch mit einem Experten-Team federführend an der Formulierung der weltweit anerkannten südafrikanischen Verfassung beteiligt, die demokratischen Grundwerten verpflichtet ist und 1996 in Kraft trat.

Nachdem ihm seine Partei die Vizepräsidentschaft unter Mandela verwehrte, zog sich Ramaphosa aus der Politik zurück und gründete die erfolgreiche Firmengruppe „Shanduka“, die Beteiligungen u.a. an Minen, Telefon-Lizenzen und McDonald-Franchise-Unternehmen hält. 2014 verkaufte er sein Konglomerat und zählt seitdem zu den reichsten Südafrikanern − er ist einer von nur zwei Schwarzen auf der Liste der 20 Reichsten des Landes und unterstützt seit Jahren über seine Stiftung u.a. zahlreiche bedürftige Studenten. Kritiker werfen ihm vor, dass er als Vizepräsident seine Wahlversprechen nicht durchgesetzt habe und für die fragile Situation, in der sich Südafrika befindet, ebenfalls Verantwortung trage. Andere, darunter renommierte unabhängige Kommentatoren, halten dem entgegen, dass Ramaphosa durch allzu frühe und offene Kritik an Zuma seine Entlassung als Vizepräsident riskiert und deshalb bisher mit Bedacht diplomatisch agiert hätte. 

Präsident Jacob Zuma und Cyril Ramaphosa

Präsident Jacob Zuma und Cyril Ramaphosa

Populistische und radikale Politikempfehlungen werden in das ANC Grundsatzprogramm übernommen

Eine Herausforderung für Ramaphosa ist die Tatsache, dass populistische und radikale Politikempfehlungen in das Grundsatzprogramm des ANC übernommen wurden.

  •  Dazu zählt beispielsweise der Parteibeschluss, an einer Verfassungsänderung zu arbeiten, um Landenteignungen ohne Kompensation vollziehen zu können. Damit sollen ärmeren Bevölkerungsschichten Entwicklungschancen geboten werden. Investoren würde eine entsprechende Politik weiter abschrecken und das Vertrauen in die südafrikanische Wirtschaft würde weiter sinken. In seiner Abschlussrede verwies Ramaphosa daraufhin nochmals auf die im Beschluss enthaltenen Auflagen, dass jegliche Landreform in einer nachhaltigen Weise, ohne Schäden für die Wirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion, implementiert werden müsse. Das Nachbarland Simbabwe steht hier als mahnendes Beispiel.
  • „White monopoly capital“ ist ein umstrittenes Schlagwort, das in den Sprachgebrauch der südafrikanischen Politik unter Zuma Einzug gehalten hat. Die Spannungen zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung sind wieder größer geworden. Einflussreiche Politiker, die auch für wachsende soziale Ungleichheit mit Verantwortung tragen, versuchen mit skrupellosem Populismus die verständliche Unzufriedenheit besonders der noch immer vornehmlich schwarzen Armen auszunutzen und für ihre machtpolitischen Zwecke zu instrumentalisieren. Während auch Ramaphosa sich für „radical economic transformation“ ausspricht, einen ANC-Wirtschaftsplan zur Bekämpfung von Ungleichheit, wählt er seine Worte mit mehr Bedacht und zielt auf die Inklusion aller Südafrikaner ab. Ob er jedoch im Rahmen des 2019 anstehenden Wahlkampfes dem populistischen Druck mancher seiner Parteikollegen standhalten kann, bleibt ebenfalls noch abzuwarten.
  • Die scheinbar nicht abgesprochene Ankündigung von Präsident Zuma, nur wenige Stunden vor Beginn des 54. Parteitages, kostenlose Hochschulbildung einzuführen, und die daraufhin erfolgte Annahme des Vorschlags in das Grundsatzprogramm, wird in den kommenden Wochen zu einer der größten Herausforderungen für Cyril Ramaphosa werden. Denn ein Finanzierungskonzept wurde von Zuma bisher nicht vorgelegt. 

Machtkampf und nächste Schritte am Rande des Abgrunds – die Zeit drängt

Die mögliche vorzeitige Abberufung von Zuma als Präsident des Landes ist nunmehr eine der wesentlichen Entscheidungen, die von den Mitgliedern des neu gewählten ANC-Präsidiums getroffen werden muss. Je länger Zuma an der Macht bleibt, desto mehr wird das Vertrauen in den südafrikanischen Staat schwinden. Nach einer radikalen Kabinettsumbildung im März 2017 besetzte Zuma zehn Kabinettsposten neu, darunter den des international hoch angesehenen Finanzministers Pravin Gordhan. Daraufhin stuften die Ratingagenturen Standard & Poor’s und Fitch Südafrika auf „Ramschniveau“ herab; damit kommt das Land nicht mehr als sichere Geldanlage in Betracht. Der südafrikanische Rand verlor in den vergangenen Jahren stetig an Wert. Sollte auch Moody’s den beiden anderen Ratingagenturen folgen, dann würde der Rand unter erheblichen Druck geraten. Die Inflation und die damit gestiegenen Preise – bspw. für Lebensmittel – stellen bereits heute für die große Mehrheit der Bevölkerung eine enormes Problem dar. Moody’s Entscheidung, die Südafrika auf Jahre prägen würde, steht schon im Februar an. Die Zeit drängt also.

Der ANC-Parteitag forderte Zuma auf, die Kommission zur Untersuchung der Korruption einzusetzen, die von der Ombudsfrau Thuli Madonsela schon 2016 einberufen wurde; ihr Vorsitzender muss vom als unabhängig geltenden obersten Verfassungsrichter bestimmt werden. Ein Gerichtsurteil hatte überdies kürzlich verfügt, dass Vizepräsident Ramaphosa einen neuen Generalstaatsanwalt einsetzen solle, weil der derzeitige Zuma-nahe Amtsinhaber unrechtmäßig bestimmt worden sei. Hinzu kam kurz vor Jahresende ein Urteil des Verfassungsgerichtes, das ein parlamentarisches Amtsenthebungsverfahren gegen Zuma wahrscheinlicher macht. All dies deutet darauf hin, dass Ramaphosa und ANC-Präsidium Zuma schon bald zum Rücktritt bewegen könnten.

Dies wäre ein unverzichtbarer Schritt, um das Vertrauen in Südafrikas Politik wiederherzustellen – jedoch bei weitem kein Allheilmittel. Ein neues Kabinett müsste sich der Herausforderung stellen, eine erfolgversprechende Wirtschaftspolitik mit Initiativen zu verbinden, die Südafrikaner auf ein Neues zu vereinen in ihrem Wunsch, an einer demokratischen, auch gerechteren Gesellschaft zu arbeiten. Dazu müsste Cyril Ramaphosa alle Interessengruppen einbeziehen; in seiner Antrittsrede hat er dies angekündigt. Mit dem umfassenden „National Development Plan“ hat das Land einen vielversprechenden, auch von Experten und Oppositionspolitikern gepriesenen Aktionsplan entwickelt – wenn er denn umgesetzt würde. Roelf Meyer, Verhandlungsführer der regierenden National Party unter FW de Klerk Anfang der 90er Jahre und damit damals Gegenspieler von Ramaphosa, sagte am Morgen nach der Wahl auf dem ANC-Kongress „Ich denke, wenn es irgendjemanden gibt, der uns helfen kann, Südafrika auf den rechten Weg zu bringen, dann ist es Cyril Ramaphosa. Er hat die Erfahrung, die Stärke und die Fähigkeiten, seine Macht nun im Sinne der Verfassung zu nutzen und zu konsolidieren“.

Ramaphosa - das Licht am Ende des Tunnels?

Die düsteren Befürchtungen einiger Experten haben sich also nicht bewahrheitet: Nkosazana Dlamini-Zuma wurde nicht gewählt und der Parteitag, trotz manchmal chaotischer Zustände und Wahlfälschungsvorwürfen, vor allem bei der Wahl des Generalsekretärs Ace Magashule, konnte durchgeführt werden. Dies sollte auch als Erfolg für die Demokratie Südafrikas gewertet werden. Vor diesem Hintergrund und bei allen anstehenden Herausforderungen hat der Sieg Ramaphosas eine größere Krise für den ANC und für das Land abgewendet. Oder, wie ein bekannter südafrikanischer Journalist formulierte: „But at least for the first time in a very long time, South Africans have a real glimmer of light at the end of the tunnel again“ (wenigstens sieht Südafrika das erste Mal seit sehr langer Zeit wieder ein Licht am Ende des Tunnels).

Eine umfassende englischsprachige Analyse zum ANC-Parteitag von Jakkie Cilliers, Gründer des Institute for Security Studies und derzeit Vorsitzender des ISS Board of Trustees, kann hier eingesehen werden.

Südafrika
Hanns Bühler
Projektleiter
Karin April
Head of Office