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Brennpunkt Iran
Teheran: Konfliktherd im Nahen und Mittleren Osten

Trotz kleinerer Unterschiede: Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Iran ist eines der Felder, auf dem deutsche und russische Interessen weitgehend übereinstimmen. Besonders, wenn es um das Atomabkommen geht. Experten beider Länder weisen immer wieder darauf hin, dass eine mögliche Aufkündigung des Abkommens mit dem Iran durch die USA verhindert werden sollte: In diesem Fall drohten schwerwiegende Folgen für die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens. Vor diesem Hintergrund hat die Hanns-Seidel-Stiftung vier Experten aus Bayern nach Moskau eingeladen, um mit hochrangigen russischen Gesprächspartnern die aktuelle Lage im Iran und in weiteren Brennpunkten im Nahen und Mittleren Osten zu diskutieren und das Potenzial für eine erweiterte deutsch-russische Zusammenarbeit auszuloten.

Dass die Bedeutung Teherans für die Region enorm ist, darüber herrschte beim Treffen der deutschen und russischen Experten Anfang März in Moskau Einigkeit. Bei der Fachtagung, die von der Hanns-Seidel-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Moskauer Higher School of Economics (HSE) durchgeführt wurde, drehte sich die Diskussion schnell um das Atomabkommen mit dem Iran, das eine nukleare Aufrüstung des Landes in den kommenden Jahren verhindern soll.

Vier Personen an einem Konferenztisch vor Stellwänden auf deutsch und russisch mit dem Logo der Hanns-Seidel-Stiftung

Senator Andrej Klimow wünscht sich eine ausgewogene Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland in der Iranfrage.

HSS

Potenzial für engere Zusammenarbeit

Damit hat sich der Iran unter anderem verpflichtet, die vorhandenen Bestände schwach angereicherten Urans drastisch zu reduzieren, nämlich von fast 9.000 Kilogramm im Jahr 2015 auf maximal 300 Kilogramm. Außerdem wurden die Urananreicherungskapazitäten des Iran begrenzt, und der Grad, auf den Teheran Uran bis zum Jahr 2030 maximal anreichern darf, wurde auf 3,67% festgelegt; mit einer Urananreicherung auf diesen Grad können Leichtwasserreaktoren betrieben werden. Senator Andrej Klimow, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Beziehungen des Föderationsrates der Russischen Föderation, gab seiner Hoffnung darüber Ausdruck, dass eine „ausgewogene Partnerschaft“ zwischen Deutschland und Russland in der Iranfrage möglich sei. Es gebe bislang ungenutztes Potenzial für engere Zusammenarbeit, und Russland sei „in vollem Umfang zur Kooperation bereit“, wie Klimow betonte. Dazu müssten aber erst „Stolpersteine“ aus dem Weg geräumt werden, die in den vergangenen fünf Jahren entstanden seien, fügte er – wohl mit Blick auf den Ukraine-Konflikt – einschränkend hinzu.

Vor Stellwänden der HSS auf Russisch (kyrilliesche Schrift) und auf deutsch sitzen an einem Konferenztisch und sortieren sich.

"Das Atomabkomen ist zwar ein Kompromiss und damit keine optimale Lösung, aber eine durchaus akzeptable." (Prof. Meier-Walser)

HSS

Teherans strategische Ausrichtung in den Krisengebieten des Nahen Ostens

In ihren Ausführungen zu Rolle und Strategie des Iran in den aktuellen Krisengebieten des Nahen Ostens wies Iran-Expertin Dr. Heidi Walcher auf die zentrale geostrategische Lage des Iran in Eurasien aufgrund seiner gemeinsamen Landgrenzen mit neun verschiedenen Staaten hin. Diese wirke sich entscheidend auf die auswärtigen Beziehungen und die Sicherheitsinteressen Teherans aus und stelle das Land vor große Herausforderungen, biete ihm gleichzeitig aber auch vielfältige Möglichkeiten. Die Wissenschaftlerin bezeichnete die Iraner als hervorragende Diplomaten, die ihre Außenpolitik sehr flexibel an aktuellen Notwendigkeiten ausrichteten und Widersprüche zwischen Ideologie und Pragmatismus gekonnt zum eigenen Vorteil nutzten. Dabei sei der Regimeerhalt das erste und oberste Ziel aller relevanten politischen Kräfte im Iran. Das zweite Ziel sei die Ausweitung des eigenen religiös-politischen Einflusses und der eigenen Ideologie im Nahen und Mittleren Osten. Durch das aktive Eingreifen Russlands in den Syrien-Konflikt im Jahr 2015 könne der Iran seine Interessen im Nahen Osten noch effektiver durchsetzen als zuvor.  

Historisch gesehen sei die Kooperation internationaler Akteure stets Grundlage für Gesprächsbereitschaft des Iran gewesen; gleichzeitig müsse Teheran in die Lösungsstrategien und die Diplomatie der gegenwärtigen Konflikte einbezogen werden. Für den Ausgang des im Jahr 2002 offen zutage getretenen Atomkonflikts zwischen der Internationalen Gemeinschaft und dem Iran habe es von Beginn an nur drei Möglichkeiten gegeben, sagte Prof. Reinhard Meier-Walser (HSS): zum einen eine Verhandlungslösung, zum anderen die nukleare Entwaffnung des Iran durch Militärschläge und, als dritte Möglichkeit, die Aussicht, dass der Iran zur Atommacht werden würde. Der Durchbruch zu einer diplomatischen Lösung im Juli 2015 führte dazu, dass ein „Gemeinsamer Umfassender Aktionsplan“ (Joint Comprehensive Plan of Action) von Teheran und der P5+1-Gruppe (den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen plus Deutschland) unterzeichnet werden konnte.

Wertig aussehende Plakette vor der Tür des russischen Aussenministeriums in der sich ein Büroturm spiegelt.

Eingang des Außenministeriums: in Russland hofft man auf eine "ausgewogene Partnerschaft" mit Deutschland in der Iranfrage.

HSS

Gemäß diesem Aktionsplan war der Iran gezwungen, sein Atomprogramm stark zurückzufahren und darf Kernenergie seitdem bei strenger internationaler Kontrolle ausschließlich zivil nutzen. Im Gegenzug wurden Anfang 2016 die internationalen Sanktionen gegen Teheran aufgehoben. Der Aktionsplan sei zwar ein Kompromiss und damit keine optimale Lösung, aber eine „durchaus akzeptable“, wie Meier-Walser sagte, und könne sogar Modellcharakter bei der Lösung anderer Konflikte im Mittleren Osten haben.

Neues Vertrauen?

Auch Dr. Leonid Isajew von der HSE wies auf die Wichtigkeit des Atomabkommens hin. Seine mögliche Kündigung würde die moderaten Kräfte im Iran schwächen und die Hardliner stärken, denn das Atomabkommen sei einer der wichtigsten Erfolge des als gemäßigt geltenden Staatspräsidenten Hassan Rohani. Isajew betonte, dass es ohne Beteiligung des Iran unmöglich sei, eine praktikable Lösung für die Konfliktherde im Nahen Osten zu finden. Der Politikwissenschaftler Professor Andreas Bock betonte, der Iran habe sich mit der Unterzeichnung des Atomabkommens zu „relativ vielen Vorleistungen“ verpflichtet. Dafür habe sich Teheran wirtschaftlichen Wohlstand durch die Beendigung des Sanktionregimes, innen- und außenpolitische Stabilität sowie die Anerkennung als politischer Akteur auf internationaler Ebene erhofft.

Wie Bock wies auch der Iran-Experte Professor Wladimir Sashin auf die entscheidende Bedeutung des durch den Aktionsplan entstandenen gegenseitigen Vertrauens der Unterzeichnerstaaten hin; Garantien könne sowieso keiner geben. Nach Sashins Einschätzung liegt das weitere Schicksal des Atomabkommens nun in den Händen Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs: Während Russland und China sich klar zu dem Aktionsplan bekennen würden, habe US-Präsident Donald Trump den Westeuropäern bis Mai 2018 Zeit gegeben, um sich klar zu positionieren. Wie Meier-Walser sprach auch Sashin davon, dass eine Aufkündigung des Atomabkommens zu einer Katastrophe führen würde. Nach Sashins Einschätzung wäre es sehr wahrscheinlich, dass bei einem Ausstieg der Amerikaner und der drei westeuropäischen Unterzeichnerstaaten aus dem Aktionsplan die gegenwärtige Regierung aus Liberalen und Reformern unter der Führung von Präsident Rohani gestürzt würde.

Bayerische Delegation auf dem Roten Platz

In diesem Fall würden die Hardliner mit großer Wahrscheinlichkeit die Regierungsgewalt an sich reißen können, das iranische Atomprogramm wiederaufnehmen und mit noch größerer Intensität als zuvor weiterentwickeln. Da Staaten wie Saudi-Arabien und Israel dies mit Sicherheit nicht tolerieren und auch eine militärische Antwort in Erwägung ziehen würden, wären kriegerische Auseinandersetzungen eine mögliche Folge, die sich extrem negativ auf den gesamten Nahen und Mittleren Osten auswirken würde. 

Am Rande der Fachtagung führte die bayerische Delegation außerdem Hintergrundgespräche mit hochrangigen Vertretern der Deutschen Botschaft Moskau, des Außenministeriums der Russischen Föderation, dem Staatsduma-Abgeordneten Sergej Shelesnjak sowie weiteren Experten und Wissenschaftlern. Als Fazit und wichtigstes Ergebnis der Gespräche in Moskau stellten die deutschen Delegationsmitglieder fest, dass es in Deutschland und Russland zahlreiche Überschneidungen bei der Beurteilung der Lage im Iran und deren Auswirkungen für den gesamten Nahen und Mittleren Osten gebe. Die Grundlage für eine verstärkte gemeinsame Suche nach Lösungsansätzen scheint also gegeben.

 

Autor: Jan Dresel, HSS

Die Experten

Senator Andrej Klimow ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Beziehungen des Föderationsrates der Russischen Föderation.

Dr. Heidi Walcher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für den Nahen und Mittleren Osten an der Ludwig-Maximilian-Universität München.

Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser leitet die Akademie für Politik und Zeitgeschehen, den Think Tank der Hanns-Seidel-Stiftung in München.

Dr. Leonid Isajew  ist Dozent an der Fakultät für Politikwissenschaft an der Higher School of Economics in Moskau.

Prof. Dr. Andreas Bock lehrt Politikwissenschaft und Internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Berliner Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften.

Der Iran-Experte Professor Dr. Wladimir Sashin ist Forschungsbeauftragter am Zentrum für Nahoststudien am Orient-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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