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Medienrevolution
WahlKAMPF in Social Media

Autor: Dr. Maximilian Rückert

Was die Litfaßsäule damals war, sind Social-Media-Plattformen heute. Beides Signale für eine sich radikal verändernde Welt, eine Revolution der Gesellschaft. Denn: Erstere war Resultat der industriellen Revolution, die mit einer Revolution der Massenmedien einherging und schließlich in einer gewaltigen Demokratisierungsrevolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts gipfelte.

Die Social-Media-Plattformen sind Resultat und gleichzeitig Katalysator der global und digital vernetzten Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Statt Demokratieerweckung erleben wir heute in Europa allerdings eher eine Demokratieerschöpfung. Populisten sind in den Parlamenten etabliert. Wahlkämpfe der jüngsten Vergangenheit wurden europaweit von ihnen und den von ihnen gesetzten Themen dominiert.  Grund und Auftrag genug für den Medienpolitischen Arbeitskreis der Hanns-Seidel-Stiftung unter seinem Vorsitzenden Bernd Lenze, Wirkmechanismen und revolutionäre Auswirkungen der sozialen Medien auf das Herz unserer Demokratie – die Wahl –, sowie digitale Strategien und Manipulationsmöglichkeiten öffentlicher Meinung in einer fachkundigen Expertenrunde zu analysieren.

Bürger aus dem 19. Jahrhundert stehen vor einer Litfaßsäule auf der die Symbole der sozialen Netzwerke abgebildet sind.

Sogenannte "News" in den Social Media haben keinen Wahrheitsanspruch. Hier geht es um Aufmerksamkeit. Dem muss sich die Medienkompetenz vieler Nutzer anpassen.

F. G. Nordmann; CC0; Wikimedia Commons

Multipolare Meinungsbildung

Der rasende Reporter, Sinnbild einer kompromisslosen Recherchekompetenz, informierte in analogen Zeiten die wissenshungrige Massenmediengesellschaft, die sich auf Grundlage dessen ihre Meinung bildete. „Heute“, so Richard Gutjahr (Reporter, Blogger, BR-Moderator) , „haben wir durch Social Media eine Machtverschiebung weg vom Anbieter hin zum Nachfrager.“ Die Deutungshoheit über Wahrheit oder Lüge haben klassische Medienanbieter wegen der Omnipräsenz von Social Media eingebüßt.  Knallhart recherchierte Fakten, tendenziöse Meinungen, absichtlich gestreute „Fake News“ und krude Verschwörungstheorien stehen dort scheinbar gleichbedeutend und gleichwertig als „Content“ nebeneinander. Der User entscheidet, was er liest, glaubt und verbreitet. Markus Kaiser, Professor für Medien-Innovationen und Journalismus (TH Nürnberg), begründet diese Machtverschiebung damit, dass Journalisten in den qualitätssichernden Bezugsrahmen klassischer Publizistik stecken. Social Media erwächst zur „5. Gewalt“ (Weidenfeld), dort können Journalisten keine zusätzliche Gatekeeperfunktion erfüllen.

Damit seien Inhalte dort nicht mehr fachkundig selektiert. Eines muss man wissen: Social Media funktioniert durch Emotionalisierung, die Aufmerksamkeit generiert, Sichtbarkeit erhöht und damit dem Inhalt vermeintlich erst Relevanz verleiht. „Die Machtverschiebung geht von der Wahrheit zur guten Geschichte“, was Populisten durch „konstruierte Krisen“ geziehlt für sich nutzten, wie Dr. Ursula Weidenfeld, Wirtschaftsjournalistin und Buchautorin von „Regierung ohne Volk“ , erläutert. Selbstverstärkung dieser disparaten Meinungen in den Echokammern der Social Media führten zu einer „fragmentierten Gesellschaft“, was freilich direkte Auswirkungen auf die Politik habe, so Weidenfeld. Politischen Entscheidungsträgern, die Wahlen gewinnen wollen, bliebe nichts anderes übrig, als sich der fragmentierten Gesellschaft anzupassen und so sich selbst zu fragmentieren. Die Konsistenz von politischen Aussagen erodiere dabei dramatisch, was nur dem Protestwähler „ gefällt“. Letztlich führe diese „Identitätskrise der Parteien“, wie es Weidenfeld nennt, auf lange Sicht zu Folgendem:

Markus Blume macht eine abwehrende Geste mit beiden Händen.

„Die Grenzen der Aufmerksamkeitsökonomie sollten klar gezogen werden, denn diese Prinzipien laufen unserer Demokratie zuwider.“ (Markus Blume, stv. Generalsekretär der CSU)

HSS

Aus Demokratieermüdung kann Demokratiegefährdung erwachsen, muss aber nicht…

Wenn sich eine gute Geschichte besser verkauft als die Wahrheit, wenn politische Entscheider jedem Einzelnen in den Social-Media-Kanälen eine eigene, durch Algorithmen personalisierte Agenda versprechen, wenn der Wettkampf um Aufmerksamkeit zur Zuspitzung, Übertreibung und inhaltlichen Verflachung der Themen im Wahlkampf führt, dann ist tatsächlich der Kern unserer Demokratie bedroht. Markus Blume, stellvertretender Generalsekretär der CSU, hat diese Gefahr erkannt: „Die Grenzen der Aufmerksamkeitsökonomie sollten klar gezogen werden, denn diese Prinzipien laufen unserer Demokratie zuwider.“ 

Interessant sei daran anknüpfend die Frage, so Professor Dr. Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der HfP München und Teilnehmer des Medienpolitischen Arbeitskreises, ob sich für die Bundestagswahl 2017 eine Korrelation automatisierter Meinungsmache durch Socialbots in Twitter auf die restliche Medienbranche nachweisen lässt. Dem gehe er derzeit nach.

Das Publikum wird bei Bewertungen und Meinungsäußerungen in die Diskussion eingebunden.

HSS

Landtagsabgeordneter Blume sieht trotz all dieser Tendenzen zur Demokratiegefährdung durch Social Media auch Demokratie befördernde Chancen. Benachteiligte, Minderheiten und Ausgegrenzte nutzen die Social-Media-Mechanismen auch für sich und können zu einem Demokartiezuwachs, einer „Explosion von Freiheit“ (Markus Blume) führen. die Ice-Bucket-Challenge genauso wie der aktuelle Diskurs über sexuelle Belästigung (#metoo) wären ohne Social Media unvorstellbar. Außerdem ist auch Markus Kaiser der Meinung, dass diese Plattformen ganz neue Möglichkeiten schaffen, „nah am Wähler dran zu sein und echten Dialog zu schaffen“. 

Es braucht gelungene Social-Media-Strategien der Politik! 

Gewählt wird in Deutschland allerdings offline. Gründe für die Etablierung von Populisten in den europäischen Parlamenten sind außerdem keine virtuellen. Sie entwickelten sich aus realen Problemlagen, da international die Parlamente kontinuierlich an Bedeutung verlören, die Exekutive an Bedeutung gewinnt, wie Weidenfeld mit Verweis auf ihr aktuelles Buch betont. Reale Probleme lassen sich in den Social-Media-Kanälen auch nicht virtuell lösen.

Gutjahr, sportlicher Anzug und Haarschnitt, und Weidenfells, klassisch seriös gekleidet, vor einem Bild von F.J. Strauß in ein Gespräch vertieft.

"Hätte aber wahr sein können." Für Richard Gutjahr (links) ein Totschlagargument. Rechts Dr. Ursula Weidenfeld, Wirtschaftsjournalistin und Buchautorin von „Regierung ohne Volk“

Die CSU habe, so Markus Blume, deshalb im Wahlkampf eine Doppelstrategie verfolgt: Analogen Von-Tür-zu-Tür-Wahlkampf und eine großangelegte Social-Media-Kampagne. Onlinekontakt könne persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Zudem werde der Onlinekontakt von vielen politischen Entscheidungsträgern nicht durchgängig und qualitativ genutzt. „Das ist ausbaufähig!“, so Markus Kaiser. Zu verbessern auch, seien die Partizipationsmöglichkeiten der User an politischen Entscheidungen durch Social-Media-Kanäle genauso unerforscht wie unerprobt. Die grundlegenden Probleme im Wahlkampf tendenzöser und/oder effektheischender Berichterstattung, inhaltsarmer aber konsensfähiger Themensetzung, die Aufmerksamkeitsökonomie und die angezweifelten Wahrheiten  den Social-Media- Plattformen – all dies generell muss bisher ungelöst bleiben, bis Konzepte, Strategien und wissenschaftliche Antworten gefunden sind. Richard Gutjahr: „Hier liegt das zentrale Problem, denn das Totschlagargument jeder offline geführten Diskussion: ‚hätte aber wahr sein können‘ zeigt, dass es nicht mehr um Fakten geht. Und die Frage, was stattdessen ansteht, ist noch immer offen.“

Zukünftig Werkstattgespräche des Medienpolitischen Arbeitskreises müssen Antworten finden, wie Medien und Politik ihren Beitrag zu einer Vernunftrevolution leisten können, um die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zukunftsfähig und demokratisch erhalten zu können. Ursula Weidenfeld rät: „Eine bessere Demokratie wagen!“