Androhungen von Ausstiegen aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) sind vor allem auf dem afrikanischen Kontinent bekannt und kommen häufiger vor. Als bisher einziges Land trat im letzten Oktober tatsächlich Burundi aus dem Strafgerichtshof aus. Ein solcher Ausstieg ist allerdings nicht mit sofortiger Wirkung möglich, sondern wird nach Art 127 IStGH-Statut erst ein Jahr nach einer förmlichen Mitteilung an den UN-Generalsekretär wirksam. Das ist bisher noch nicht erfolgt. Die Philippinen könnten insofern frühestens im März 2019 aus dem IStGH austreten.
Der Auslöser für die öffentlichkeitswirksame Absichtserklärung des Präsidenten ist ein nun schon seit einem Monat schwelender Konflikt zwischen dem IStGH und Duterte. Im Februar 2018 kündigte das Gericht an, Vorermittlungen gegen ihn aufgrund möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten.
Zentrale Themen der Regierung Duterte sind Herstellung von Sicherheit und Bekämpfung von Drogenkriminalität. Seit dem Amtsantritt Dutertes sollen nach derzeitigem Stand rund 19.000 Menschen getötet worden sein. Durch Polizeiaktionen starben bis heute ca. 3.900 Menschen. Deswegen war die Menschenrechtsentwicklung auf den Philippinen in den letzten eineinhalb Jahren vermehrt Gegenstand nationaler und internationaler Kritik. Im Laufe des Konflikts mit dem IStGH ließ Duterte UN-Gesandte zu Terroristen erklären und sprach davon, UN-Ermittler Krokodilen zum Fraß vorzuwerfen. UN-Hochkommissar Zeid Ra’ad Al Hussein legte dem Präsidenten daraufhin nahe, einen Psychiater aufzusuchen.
Formal begründete Duterte seine Austrittsabsicht damit, dass der IStGH politisch motiviert handele und offensichtlich seine Zuständigkeiten überschreite. Denn der IStGH sei nur dann zuständig, wenn die nationale Gerichtsbarkeit nicht gewillt oder in der Lage ist, die tatsächliche Strafverfolgung im Land selber durchzuführen. Eine Anklage Dutertes vor dem IStGH könne danach nur dann erfolgen, wenn philippinische Gerichte de facto nicht in der Lage wären, den Präsidenten wegen vermeintlicher Straftaten zu verurteilen.
Diese Ausführungen zur Zuständigkeit des IStGH sind in der Tat rechtlich zutreffend.
Nur wird dabei übersehen, dass gerade die Feststellung, ob die nationale Gerichtsbarkeit fähig und willens ist, die Strafverfolgung zu betreiben, zunächst in den Vorermittlungen des IStGH geprüft wird und gegebenenfalls auch später Gegenstand in einem Verfahren ist. Diese Feststellung wird naturgemäß von den Anklägern und Richtern des IStGH selber getroffen und nicht vom Beschuldigten.
Präsident Duterte erklärte weiter, dass dem IStGH durch einen Austritt der Philippinen ohnehin die Zuständigkeit entzogen sei und auch aus diesem Grund keine Verurteilung stattfinden könne. Auch dieses Argument zieht nicht, da für die Zuständigkeit der Zeitpunkt der Begehung der Straftat maßgeblich ist und nicht der der Gerichtsverhandlung. Andernfalls wäre es für sämtliche Regierungschefs der Mitgliedstaaten des IStGH zu einfach, einer Verurteilung zu entgehen. Sie müssten nur – nach einer durchgeführten Straftat – die Mitgliedschaft kündigen.
Duterte ist selber Jurist. Man kann daher davon ausgehen, dass ihm diese rechtlichen Rahmenbedingungen des IStGH bekannt sind. Er steht kurz vor seinem 73. Geburtstag und über seinen Gesundheitszustand wird immer spekuliert. Verfahren vor dem IStGH dauern, auch aufgrund der Schwierigkeit der Beweisführung, sehr lange. Den Vorermittlungen des IStGH würde ein offizielles Ermittlungsverfahren und erst dann die Verhandlung folgen. In den 16 Jahren seiner Existenz hat der IStGH erst vier Urteile gesprochen. Duterte scheint auf Verzögerung zu setzen.
Es macht insofern wenig Sinn, den Austritt zum jetzigen Zeitpunkt zu verkünden, um tatsächlich einer Verurteilung zu entgehen.
Schon in der Vergangenheit setzte Duterte bei innenpolitischen Diskussionen gezielt populistische Töne gegen das Ausland ein, um von Krisen abzulenken. Innenpolitisch wird der Präsident daran gemessen, ob er tatsächlich die Sicherheit im Land verbessern kann. Die Drogenkriminalität ist das große Problem auf den Philippinen – vor allem in der Hauptstadt Manila, in der nachts ganze Stadtviertel aus Sicherheitsgründen abgesperrt werden müssen. Die Bekämpfung dieser Drogenkriminalität ist das zentrale Versprechen Dutertes.
Bereits seit Amtsantritt präsentierte die Regierung immer wieder sehr öffentlichkeitswirksam sog. „Narco-lists“, Listen mit Namen vermeintlicher Drogenkrimineller. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Liste mit den Namen von 9.000 Gemeindevorstehern („barangay chiefs“) veröffentlicht, die im Drogenmilieu aktiv sein sollen. Letztendlich findet hierdurch eine Vorverurteilung statt. Hiermit will die Regierung verdeutlichen, dass sich ihr „Kampf gegen den Drogenhandel“ auch gegen große Namen richtet und sich nicht auf den „kleinen Drogendealer auf der Straße“ beschränkt. Zu den ersten „großen Namen“ gehörten der chinesisch-stämmige Geschäftsmann Peter Lim und der Sohn eines Bürgermeisters einer mittelgroßen Stadt, Kerwin Espinosa. Sie wurden beschuldigt führende Köpfe von Drogenkartellen zu sein. Wie nun erst am 12.03. bekannt wurde, hatte die Staatsanwaltschaft bereits am 20.12.2017 die Verfahren gegen Espinosa, Lim und 20 weitere Beschuldigte aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Die innenpolitischen Reaktionen hierauf waren verheerend. Es wurde die gesamte Drogenpolitik der Regierung in Frage gestellt:
Auch der Rücktritt des Justizministers wurde gefordert. Dieser hat mittlerweile bekannt gegeben, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingehend überprüfen zu wollen. Der zuständige Staatsanwalt wurde bereits im Januar von Präsident Duterte persönlich zum Richter ernannt und somit befördert.
Diese innenpolitischen Diskussionen über die Drogenpolitik der Regierung, die ein „gefundenes Fressen“ für die Opposition waren und die in den sozialen Medien ausuferten, endeten nach zwei Tagen abrupt, als Duterte ankündigte, aus dem IStGH auszutreten. Die Berichterstattung in den Medien kennt seit dem nur noch dieses Thema. Die innenpolitische Kritik ist so zur Ruhe gekommen. Genau dies dürfte auch der wahre Grund für die Absichtserklärung zum Austritt aus dem IStGH gewesen sein. Ob dieser tatsächlich erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Die Vergangenheit zeigte, dass schon einige Länder mit dem Austritt drohten, diesen dann aber nicht vollzogen. Für den IStGH, der von einigen Ländern massiv aufgrund seiner vorgeworfenen Ineffizienz in der Kritik steht, wäre der Austritt der Philippinen mit seinen 105 Mio. Einwohnern in jedem Fall eine Schwächung.