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Interview - Antisemitismus
Wiederholt sich die Geschichte?

Zum ersten Mal sitzt eine offen rassistische, nationalistische und antisemitische Partei im deutschen Bundestag. Judenfeindliche Ressentiments werden im Alltag immer unverblümter ausgesprochen. Erleben wir die Rückkehr des Antisemitismus in die Mitte der deutschen Gesellschaft? Wir haben den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, gefragt, wie er die Situation einschätzt.

Mann im Anzug vor Stellwand mit dem Logo des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ernster Blick.

Dr. Josef Schuster wurde 2014 zum Präsidenten des Zentralrats der Juden gewählt und 2018 in seinem Amt bestätigt. Er leitet in dieser ehrenamtlichen Funktion die wichtigsten Gremien des Zentralrats und vertritt den Zentralrat bei Gesprächen mit der Politik, den Medien und anderen Verbänden sowie Religionsgemeinschaften. 1999 trat er in das Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland ein. Von 2010 bis 2014 war er Vizepräsident. Zugleich ist Dr. Josef Schuster Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress.

©Zentralrat der Juden in Deutschland

HSS: Schon einmal saß die jüdische Gemeinde in Deutschland auf gepackten Koffern. Ist das heute wieder so?

Dr. Josef Schuster: Nein, das ist nicht der Fall. Es gibt zwar angesichts der antisemitischen Vorfälle und der Wahlerfolge der AfD eine Beunruhigung in der jüdischen Gemeinschaft, aber die Situation ist doch völlig anders als in den 1960er Jahren, als die Überlebenden der Schoa das Bild mit den gepackten Koffern geprägt haben. Verständlicherweise hatten sie lange Schwierigkeiten damit, Deutschland als ihre Heimat zu akzeptieren. Für die jüngeren Generationen ist hingegen Deutschland ganz selbstverständlich ihr Zuhause. Heute würde ich, um im Bild zu bleiben, sagen, dass er der ein oder andere schaut, wo seine Koffer stehen.

HSS: Der Zentralrat der Juden hat kürzlich die Kommunen  aufgefordert, weit mehr in Bildungsarbeit und vor allem den Kampf gegen rechts zu investieren – was wären Ihre konkreten Vorschläge?

Ich denke, es wäre gut, wenn Kommunen Möglichkeiten der Begegnung schaffen, zum Beispiel zwischen ihrer Gemeinde und einer Kommune in Israel. Oder in Schulen. Daneben ist es wichtig, dass Bürger-Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz engagieren, ausreichende Unterstützung bekommen. Antisemitische Gruppen wie die Boykott-Bewegung BDS sollten hingegen keine städtischen Räume zur Verfügung gestellt bekommen.

HSS: Im April wurde die bayerische Meldestelle für antisemitische Vorfälle (RIAS) eröffnet. Haben Sie schon Erkenntnisse, wie diese Meldestelle angenommen wird?

Die RIAS-Meldestelle in Bayern wird gut und breit angenommen. Wir gehen davon aus, dass wir aufgrund der Ergebnisse ein genaueres Bild der antisemitischen Vorfälle in Bayern bekommen.

HSS: Herr Dr. Schuster, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Oliver Jörg, Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung