HSS: Schon einmal saß die jüdische Gemeinde in Deutschland auf gepackten Koffern. Ist das heute wieder so?
Dr. Josef Schuster: Nein, das ist nicht der Fall. Es gibt zwar angesichts der antisemitischen Vorfälle und der Wahlerfolge der AfD eine Beunruhigung in der jüdischen Gemeinschaft, aber die Situation ist doch völlig anders als in den 1960er Jahren, als die Überlebenden der Schoa das Bild mit den gepackten Koffern geprägt haben. Verständlicherweise hatten sie lange Schwierigkeiten damit, Deutschland als ihre Heimat zu akzeptieren. Für die jüngeren Generationen ist hingegen Deutschland ganz selbstverständlich ihr Zuhause. Heute würde ich, um im Bild zu bleiben, sagen, dass er der ein oder andere schaut, wo seine Koffer stehen.
HSS: Der Zentralrat der Juden hat kürzlich die Kommunen aufgefordert, weit mehr in Bildungsarbeit und vor allem den Kampf gegen rechts zu investieren – was wären Ihre konkreten Vorschläge?
Ich denke, es wäre gut, wenn Kommunen Möglichkeiten der Begegnung schaffen, zum Beispiel zwischen ihrer Gemeinde und einer Kommune in Israel. Oder in Schulen. Daneben ist es wichtig, dass Bürger-Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz engagieren, ausreichende Unterstützung bekommen. Antisemitische Gruppen wie die Boykott-Bewegung BDS sollten hingegen keine städtischen Räume zur Verfügung gestellt bekommen.
HSS: Im April wurde die bayerische Meldestelle für antisemitische Vorfälle (RIAS) eröffnet. Haben Sie schon Erkenntnisse, wie diese Meldestelle angenommen wird?
Die RIAS-Meldestelle in Bayern wird gut und breit angenommen. Wir gehen davon aus, dass wir aufgrund der Ergebnisse ein genaueres Bild der antisemitischen Vorfälle in Bayern bekommen.
HSS: Herr Dr. Schuster, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Oliver Jörg, Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung