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Israel hat erneut gewählt
Wird sich Netanjahu an der Macht halten?

Zum zweiten Mal fanden in diesem Jahr landesweite Wahlen für das israelische Parlament, die Knesset, statt. Es zeichnet sich wieder eine Pattsituation ab mit drei Hauptprotagonisten.

Noch ist unklar – das Central Elections Comittee hat in der Nacht auf den 20. September 2019 ein vorläufiges Ergebnis veröffentlicht – wie die neue israelische Regierung aussehen wird, wenn sie überhaupt zustande kommt. Diese neuerlichen Parlamentswahlen in Israel am 17. September 2019 waren notwendig geworden, nachdem sich die Knesset im Nachgang der Wahlen vom 9. April 2019 angesichts des gescheiterten Versuchs einer Regierungsbildung, aufgelöst hatte.

Jetzt stehen sich drei Rivalen gegenüber. Keiner kann angreifen, ohne dabei zu riskieren, selbst angegriffen zu werden – eine solche Situation wird im Amerikanischen umgangssprachlich als „mexikanisches Duell bezeichnet“.

Stadtansicht von Jerusalem

Zum zweiten Mal in diesem Jahr fanden in Israel Parlamentswahlen statt und doch ist es wieder schwierig, eine Regierung zu bilden

judithscharnowski; CC0; Pixabay

Die Akteure

Die Protagonisten: Der von Korruptionsvorwürfen getriebene amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, sein Herausforderer, der frühere Generalstabschef Benny Gantz sowie der ehemalige Verteidigungsminister Lieberman, der im Dezember 2018 mit seinem Rücktritt als Minister die vorgezogenen Neuwahlen im April 2019 ausgelöst hatte.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu strebt erneut ein Bündnis seines Likud (31 Sitze) an mit den religiösen Parteien UTJ (8 Sitze) und Shas (9 Sitze) sowie der rechten Partei Yamina (7 Sitze), die sich nach der Wahl in zwei Parteien gesplittet hat. Alle rechten Parteien, inklusive des Likud erklärten nach der Wahl ihre Unterstützung für Netanjahu als Ministerpräsidenten – und, dass sie nur gemeinsam in eine Regierung eintreten wollen. Doch dem konservativen, rechten Lager fehlen die nötigen Sitze (laut aktueller Prognose kommen sie nur auf 55 Sitze), seit sich Liebermans Partei Yisrael Beitenu vergangenes Jahr aus dieser rechtskonservativen Allianz verabschiedet hatte. Um den Ministerpräsidenten stellen zu können, braucht eine Koalition mindestens 61 Mandate.

Benny Gantz, der Spitzenkandidat von Blau Weiß (33 Sitze) war mit der klaren Agenda angetreten, Netanjahu zu ersetzen. Eine Koalition mit dem Likud schloss er zwar nicht aus, hatte aber deutlich gemacht, dass er zu einer solchen Zusammenarbeit „nur ohne Netanjahu“ bereit wäre. Netanjahu hat mittlerweile Benny Gantz zu einem Gespräch eingeladen, mit dem erklärten Ziel, eine Große Koalition zu bilden.

Als erneuter Königsmacher wähnt sich nun Avigdor Lieberman. Seine Partei Yisrael Beitenu legte deutlich zu und kommt auf 8 Sitze (April 2019: 5 Sitze). Am Gesetz zur Wehrpflicht für die Ultraorthodoxen ließ er im Mai die Koalitionsverhandlungen des rechten Lagers scheitern. Dies gab einer Mehrheit der insgesamt 120 Knesset-Abgeordneten Anlass zur Auflösung des Parlaments, noch bevor die Möglichkeit einer alternativen Koalitionsfindung wahrgenommen werden konnte.

Jetzt, am Morgen nach der jüngsten Wahl, erklärte Lieberman seine Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei: Annahme des ursprünglichen Gesetzesentwurfs zur Rekrutierung der Ultraorthodoxen, Bildungsreform für die Ultraorthodoxen (also auch Englisch- und Mathematikunterricht in den religiösen Schulen), öffentlicher Nahverkehr am jüdischen Ruhetag Sabbat, Einführung der standesamtlichen Trauung und eine Regierung ohne Beteiligung der arabischen Parteien. Er strebt eine Koalition seiner Partei Yisrael Beitenu mit dem Likud und Blau Weiß an.

Analyse der israelischen Parlamentswahlen

Die arabischen Parteien traten wieder vereint auf der Joint List an. Ihnen gelang es, ihre Wähler zu mobilisieren und 13 Sitze zu gewinnen (im April 2019 waren es 10). Sie sind damit die drittgrößte Kraft im Parlament. Sollte es zu einer großen Koalition kommen, wäre erstmals eine arabische Partei Oppositionsführer in der Knesset – und ihr Vertreter erhielte damit Zugang zu geheimen Sicherheitsinformationen des Ministerpräsidenten.

Insgesamt lag die Wahlbeteiligung mit 69,4 Prozent über der Wahlbeteiligung bei den Wahlen im April 2019 (68,5 Prozent). Um das eigene Lager zu mobilisieren, gab es insbesondere in den letzten Tagen vor der Wahl polemische Hetze von unterschiedlicher Seite gegen verschiedene Lager (z. B. der Likud gegen die Araber, Lieberman gegen die Ultraorthodoxen) und bewusst übertriebene Horrorprognosen, das jeweils andere Lager würde das Land in den Untergang führen.

Sobald sich der Staub der lauten Wahlnacht gelegt hatte, wurde das Dilemma dieses Wahlergebnisses deutlich. Damit eine Regierung gebildet werden kann, muss sich mindestens einer der drei Protagonisten bewegen. Nachdem Gantz versprochen hatte, nicht mit Netanjahu, der unter Korruptionsverdacht steht, in eine Koalition zu gehen, müsste er dennoch Netanjahu zustimmen – sofern sich nicht der Likud von seinem langjährigen Parteivorsitzenden Netanjahu trennen wird. Wenn sich Gantz und Netanjahu einigen können, kämen Blau Weiß und das rechte Lager allerdings ohne die Stimmen von Lieberman aus.

Darüber hinaus scheint sich für Netanjahu zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt der Verlust der rechten Mehrheit in der Knesset zu besiegeln. Seinen Auftritt bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN), der für kommende Woche geplant war, hat er wegen der Koalitionsverhandlungen abgesagt. Es ist das erste Mal überhaupt, dass er diese Gelegenheit, zur Weltöffentlichkeit zu sprechen, auslässt. Mit seiner Verhandlungstaktik scheint er derzeit nicht zu wiederholen, woran er im April bereits gescheitert war: Lieberman und die religiösen Parteien auf eine Linie zu bringen. Aktuell vereinigt er das rechte Lager hinter sich, streckt Gantz die Hand aus und scheint eine Einigung zu suchen. Dabei deutet er auch an, eine Rotation der Ministerpräsidenten anzustreben. Manche Analysten spekulieren, er würde in Wahrheit erneute Neuwahlen anstreben und möchte dazu Gantz als Sündenbock darstellen, an dem die Regierungsbildung gescheitert ist, wie er es nach der letzten Wahl mit Lieberman getan hat.

Schlimmstenfalls droht Netanjahu der Rückzug aus dem politischen Leben. Dieser könnte für ihn umso steiniger werden, da ihm eine Anhörung vor dem Gericht wegen Korruptionsverdacht und Untreue bevorsteht. Diese soll am 2. Oktober 2019 stattfinden. Just an dem Tag, an dem Staatspräsident Reuven Rivlin verkünden will, welchem Parteivorsitzenden er den Auftrag zur Bildung einer Regierung anvertrauen will. Auch wenn die Anhörung noch keine Anklage und noch lange keine Verurteilung ist, wäre eine parlamentarische Mehrheit, die dem Ministerpräsidenten Immunität gewährt, vermutlich die bessere Perspektive für Netanjahu.

Das amtliche Endergebnis wird erst am 25. September bekanntgegeben.

Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, wie und ob sich eine neue israelische Regierung bildet. Bislang scheint Ministerpräsident Natanjahu nicht derjenige im „mexika-nischen Duell“ zu sein, der als erster zwinkert.

Unter Mitarbeit von Naomi Mittelmann 

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin