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Interview
Wasserstoff aus Russland?

Schon das Erdgas aus Russland, mit dem wir in Deutschland heizen, ist immer wieder ein Streitthema. Die Überschrift hier: Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Für die grüne Energiewende steht jetzt Wasserstofftechnologie in den Startlöchern. Wie weit kann unsere Kooperation mit Russland gehen?

HSS: Herr Dresel, können sie für uns kurz umreißen, was Wasserstoff grundsätzlich alles leisten könnte?

Jan Dresel, HSS, Moskau: Bereits heute wird Wasserstoff etwa als Kühlmittel, Reduktionsmittel, Lebensmittelzusatzstoff sowie bei Ammoniakherstellung und Fetthärtung verwendet. In der Medizin könnte molekularer Wasserstoff schon bald an Bedeutung unter anderem als Antioxidationsmittel bei Transplantaten gewinnen. Mit Blick auf die Zukunft gilt Wasserstoff vor allem als Energieträger, der allerdings mit Hilfe anderer Energiequellen wie fossiler Energie, Kernenergie oder erneuerbarer Energien gewonnen werden muss. Insofern kann eine Wasserstoffwirtschaft immer nur so nachhaltig sein wie die verwendeten Primärenergien, die zur Erzeugung von Wasserstoff dienen. Dabei gilt regenerativ erzeugter Wasserstoff, häufig auch als „grüner Wasserstoff“ bezeichnet, als besonders nachhaltig. Seine Gewinnung wird von der Bundesregierung gefördert. Dahinter steht die Hoffnung, dass die derzeit bestehende Energieinfrastruktur in großem Maßstab durch regenerativ erzeugten Wasserstoff und aus Wasserstoff gewonnene Brennstoffe wie Methanol oder Methan ergänzt werden könnte. Sollte dies gelingen, wäre es ein bedeutender Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Energiewirtschaft und würde einen wichtigen Beitrag zu effektiverem Klimaschutz leisten. Bis dahin dürfte man allerdings an der Nutzung blauen (fossile Energieträger + Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) sowie türkisen (Methanpyrolyse) Wasserstoffs kaum vorbeikommen.

Zur Podiumsdiskussion im Rahmen der Deutschen Woche in Russland:
"Wasserstoff - neues Öl und Gas: Herausforderung oder Möglichkeit?

Ein Tanklaster mit O2 auf dem Tank fährt durch grüne Natur, Windräder im Hintergrund.

Die Wasserstoffstrategie der deutschen Bundesregierung sieht vor, dass bis 2050 Wasserstoff ausschließlich durch erneuerbare Energien gewonnen werden soll.

Petmal; ©HSS; IStock

HSS: Wasserstoff wird häufig auch als unpraktischer Energieträger beschrieben, der neben der aufwändigen Herstellung schwer zu transportieren sei. Warum ist das so und gibt es Synergien zwischen Deutschland und Russland, um diese Probleme zu überwinden?

Bis dato wird Wasserstoff meist aus fossilen Primärenergieträgern hergestellt. Dabei wird Kohlenstoffdioxid freigesetzt, das ein hohes Treibhauspotenzial aufweist und einer umweltfreundlichen Wasserstoffwirtschaft, wie sie etwa vom Europäischen Parlament gefordert wird, entgegensteht. Außerdem entsteht Wasserstoff gerade in Deutschland häufig als Nebenprodukt in der chemischen Industrie. Um Wasserstoff nachhaltig nutzen zu können, ist es unabdingbar, deutlich mehr Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Bei einem hohen Anteil regenerativer Energiequellen wie Wind und Sonne, deren Erträge allein schon in Abhängigkeit von Windaufkommen und Sonnenscheindauer variieren, werden aber Langzeitspeicher notwendig, um die unterschiedlichen Erträge im Zeitablauf auszugleichen. Nicht zuletzt deshalb liegen die Gesamtwirkungsgrade, um Wasserstoff herzustellen und zu speichern sowie die anschließende Rückverstromung bei regenerativen Primärenergiequellen meist deutlich unter 50%. Bessere Wirkungsgrade verspricht etwa die Hochtemperaturelektrolyse mit solarthermisch erzeugtem Wasserdampf. Und es gibt weitere interessante Ansätze, die Effizienz der Herstellung von Wasserstoff aus regenerativen Primärenergiequellen deutlich zu steigern.

Insbesondere die Wirtschaft und die Wissenschaftslandschaft in Deutschland ist sehr kreativ bei der Suche nach Lösungen für die offenen Fragen bei Herstellung und Transport von Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen aus. Dies gilt für innovative Mittelständler genauso wie für etablierte wissenschaftliche Einrichtungen und Großunternehmen. Deutsche Ingenieurskunst und Innovationskraft mit russischem Kapital und russischer Erfahrung etwa im Bereich der Erdgasinfrastruktur zu kombinieren, könnte interessante Synergien versprechen. So ist es grundsätzlich möglich, in Gaspipelines nicht nur Erdgas, sondern auch Wasserstoff zu transportieren.

HSS: Bis wann könnte es denn nachhaltigen „grünen“ Wasserstoff aus Russland geben und wird das geplant?

Immerhin gibt es Medienmeldungen, nach denen sich Gazprom an einem gemeinsamen Projekt mit westeuropäischen Unternehmen beteilige, bei dem eine Rohrleitung für den Transport von einer Million Tonnen nachhaltigen Wasserstoffs pro Jahr nach Deutschland gebaut werden soll. Realistisch gesehen wäre es aber mit Blick auf den Ausstoß von Treibhausgasen schon ein Erfolg, wenn man sich in Russland zunächst auf die Herstellung blauen, türkisen, orangefarbenen (Bioenergie) und ggf. roten (Kernenergie) Wasserstoffs konzentrieren würde. Das würde nämlich bedeuten, dass die besonders klimaschädliche Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas und Kohle trotz der reichen Vorkommen an fossilen Energien in Russland nicht im Mittelpunkt stünde. Eine Wasserstoffstrategie wie die der deutschen Bundesregierung, die das Ziel ausgibt, dass bis 2050 sämtlicher Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden soll, gibt es in Russland nicht. Im Gegenteil: Nachhaltiger Wasserstoff spielt in den offiziellen russischen Planungen kaum eine bis gar keine Rolle. Dies muss sich freilich ändern, wenn Russland beim Wasserstoff langfristig mit Deutschland im Geschäft bleiben will - was angesichts der zu erwartenden hohen Nachfrage nach nachhaltigem Wasserstoff in Deutschland durchaus im Interesse Russlands sein dürfte.

Herr Dresel sitzt freundlich lächelnd hinter seinem Schreibtisch, einen Füller in der Hand über einem Blatt Papier. Hinter ihm eine Karte Russlands an der Wand seines Büros.

Jan Dresel, Russlandexperte und seit 2016 Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung in Moskau.

©HSS

HSS: Ab welcher Größenordnung wird die Herstellung und Nutzung von Wasserstoff wirtschaftlich? Was steht der wirtschaftlichen Verwendung von Wasserstoff bislang im Weg?

Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit fällt für die verwendeten Primärenergiequellen sehr unterschiedlich aus und ist auch von den jeweiligen Herstellungs- und Speicherverfahren abhängig. Die Herstellung „grauen“ Wasserstoffs aus Erdgas ist angesichts des bestehenden industrialisierten Verfahrens und eines sehr hohen Wirkungsgrads schon heute extrem wirtschaftlich, aber eben nicht nachhaltig. Die Produktion nachhaltigen Wasserstoffs, der aus erneuerbaren Primärenergiequellen hergestellt wird, setzt hingegen sehr hohe Anfangsinvestitionen voraus. Selbst die Finanzkraft potenzieller russischer Investoren dürfte diese Hürde nicht ohnes Weiteres aus dem Weg räumen.

HSS: Was sind in Ihren Augen die größten Hürden für eine Kooperation zwischen Deutschland und Russland im Bereich Wasserstofftechnologie?

Beide Seiten sind an einer Zusammenarbeit grundsätzlich sehr interessiert. Die bilateralen energiepolitischen Beziehungen sind seit inzwischen 50 Jahren gut und verlässlich. In Russland denkt man aber eher daran, blauen, türkisen, roten oder sogar grauen Wasserstoff nach Deutschland zu liefern - während Deutschland mittel- und langfristig eher auf nachhaltigen Wasserstoff setzt. Diesen Widerspruch aufzulösen wird eine der größten Herausforderungen für Wirtschaft und Politik in beiden Ländern. Eine Lösung könnte sein, dass man aus Russland zunächst blauen und türkisen Wasserstoff nach Deutschland exportiert und in der Zwischenzeit Finanzierungspläne für die Herstellung und den Export nachhaltigen Wasserstoffs erarbeitet. Ohne staatliche Anreize dürfte dies allerdings kaum möglich sein.

HSS: Könnte eine Zusammenarbeit im Bereich Wasserstoff dabei helfen, der aktuellen Entfremdung zwischen Russland und Deutschland entgegenzuwirken?

Die Beziehungen beider Länder befinden sich in der Tat in einer schweren Krise. Die Hanns-Seidel-Stiftung versucht aktiv, der von Ihnen erwähnten Entfremdung entgegenzuwirken. Wenn Zusammenarbeit im Bereich Wasserstoff gelingt und Früchte trägt, könnte dies tatsächlich Initialwirkung auf die bilateralen Beziehungen in anderen Bereichen entfalten. Wenn beide Seiten profitieren, kann erfolgreiche Energiepolitik Vertrauen schaffen und Gespräche sowie Zusammenarbeit auch auf weiteren Gebieten befördern.

HSS: Vor Kurzem wurde bekannt, dass Deutschland und Russland eine bilaterale hochrangige Arbeitsgruppe auf Regierungsebene zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nachhaltigen Energie einrichten wollen. Soll es dabei auch um Wasserstoff gehen?

In der Tat haben die Energieministerien beider Länder am 20. April eine Absichtserklärung unterzeichnet, eine solche Arbeitsgruppe einrichten zu wollen, die auf der Ebene der Vizeminister koordiniert werden soll. Eine Unterarbeitsgruppe soll sich ausschließlich mit bilateraler Zusammenarbeit im Bereich des Wasserstoffs befassen. Das ist ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung; es ist wichtig, dass Deutschland das Gespräch mit Russland als potenziellem Lieferanten von Wasserstoff jetzt sucht.

HSS: Herr Dresel, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Maximilian Witte, HSS

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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