Unsere Politiker sind immer stärker von Hass und Anfeindungen im Netz betroffen. Der Druck der Trolle steigt. Gerade auf kommunaler Ebene wollen sich Amtsträger sogar aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Der Landrat Stefan Rößle spricht mit uns über seine Erfahrungen, was getan werden muss und wie man reagiert, wenn man persönlich betroffen ist.
Wer von Hass und Hetze im Netz betroffen ist, findet in unserem "Kompass Wehrhafte Demokratie" eine Anleitung, wie man richtig vorgeht. Schritt für Schritt.
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HSS: Sie sind seit 24 Jahren kommunalpolitisch aktiv und seit 18 Jahren Landrat im Landkreis Donau-Ries. Woran liegt es, dass sich der Ton gegenüber Mandatsträgern in den letzten Jahren so verschärft hat ?
Sicherlich hat die Anonymität des Internets ihren Anteil an dieser Entwicklung. Wenn man ohne Angabe seines Namens und ohne sein Gesicht zeigen zu müssen, einen Standpunkt vertreten kann, sinkt schlichtweg die Hemmschwelle, sich an die alltäglichen Diskussionsgepflogenheiten zu halten. Man hat ja keine Sanktionen zu erwarten. Die Unzufriedenheit über die eigene Situation führt bei manchen Menschen dazu, die Schuld bei anderen Ethnien oder Berufsgruppen zu suchen. Außerdem braucht es nur einen Klick und man kann die Meinung anderer teilen oder liken. So übernimmt man in Sekundenschnelle die Meinung anderer als die Eigene und muss dafür nur wenige Handgriffe erledigen. Der Schreiber oder die Schreiberin des originären Beitrags fühlt sich in der Folge dadurch bestätigt. Das gesellschaftliche Klima gegenüber „der Politik“ ist rauer geworden. Diese Entwicklung beobachte ich in der Frage des Klimawandels, im Hinblick auf die Flüchtlingskrise 2015/2016 sowie jetzt während der Corona-Pandemie. Kommunalpolitiker geraten dabei sehr schnell in die Situation auf einen Shitstorm reagieren zu müssen. Auf höherer politischer Ebene lässt sich diese Entwicklung aber ebenso erkennen: Gewiss hat der Einzug der AfD in die Parlamente zur Verrohung beigetragen. Hier möchte ich auf so manche Bundestagsdebatte verweisen. Gerade rechtspopulistische Parteien versuchen das Sagbare stets weiter nach rechts zu verschieben. Auch Donald Trump hat mit Aussagen für Aufsehen gesorgt, die Menschen ausgrenzen. Die verhärteten Fronten werden noch lange in der amerikanischen Gesellschaft zu beobachten sein. In der vergangenen Woche haben uns auch bestürzende Bilder erreicht, wie Anhänger Trumps das Kapitol gestürmt haben, nachdem der abgewählte Amtsinhaber die Präsidentschaftswahlen für „gestohlen“ erklärt hatte. Hier zeigt sich auch ganz deutlich: Der Weg vom Wort zur Tat ist ein kurzer!
HSS: Als Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU sind Sie mit kommunalen Mandatsträgern in ganz Bayern vernetzt. Wie nehmen Ihre Kollegen die Lage wahr?
Aufgrund der Brisanz und als Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU tausche ich mich regelmäßig mit meinen kommunalen Kolleginnen und Kollegen über dieses Thema aus. Mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in meinem Landkreis habe ich vor ein paar Wochen über Hatespeech und dergleichen gesprochen. Der Präsident des Polizeipräsidiums Schwaben Nord hat seine Sichtweise in einem kurzen Vortrag erläutert. Bayernweit haben viele Mandatsträger Erfahrungen mit Hass und Hetze im Netz gemacht. Einen Fall möchte ich exemplarisch hier schildern, der mich sehr betroffen gemacht hat. Am Nikolaustag 2019 ereignete sich ein tödliches Gewaltverbrechen in Augsburg, bei dem ein Mitglied der städtischen Berufsfeuerwehr ums Leben kam. Der ehemalige Augsburger Oberbürgermeister Dr. Gribl hat in einer Traueranzeige von einem „tragischen Vorfall“ gesprochen. In der Folge wurde der Augsburger OB in den sozialen Netzwerken und in E-Mails wegen der angeblichen Verharmlosung der Tat scharf kritisiert. Herr Dr. Gribl wurde in einer E-Mail beispielsweise als „Krimineller“ bezeichnet. Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Alice Weidel kritisierte Herrn Dr. Gribl auf Twitter, dass diese Tat für die Stadt Augsburg wohl „höhere Gewalt sei“. Insgesamt wurden 30 Nachrichten auf strafrechtliche Relevanz geprüft. Politikerinnen etwa erzählen mir oft, dass sie bei Beleidigungen auf ihr Geschlecht reduziert werden und zum Teil sehr anzügliche Kommentare lesen müssen.
HSS: Im letzten Jahr hat der rechtsextrem motivierte Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ganz Deutschland erschüttert. Eine solch schreckliche Bluttat mussten wir in Bayern im kommunalen Bereich glücklicherweise noch nicht erleben. Nehmen Sie trotzdem wahr, dass Menschen länger zögern, politische Verantwortung im kommunalen Bereich wahrzunehmen, weil Sie Angst vor Anfeindungen haben? Was raten Sie in diesem Fall?
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten hat mich tief erschüttert. Solch einen schrecklichen Vorfall hatten wir in Bayern noch nicht. Jedoch kann man Verbrechen wie diese auch bei uns nicht ausschließen – leider. Viele Menschen machen derartige Taten jedoch nachdenklich. Ich kann nicht ausschließen, dass Menschen nach politisch motivierten Gewaltverbrechen zögern, politische Ämter wahrzunehmen. Kommunale Mandatsträger, die nicht mehr für eine weitere Amtsperiode 2020-2026 zur Verfügung standen, sagten mir in persönlichen Gespräche durchaus, dass sie auch aufgrund persönlicher Anfeindungen nicht wieder kandidieren wollten. Diese Entwicklung bedauere ich sehr. Gleichzeitig möchte ich auch auf die Unterstützungsmaßnahmen des Landes verweisen und den Mandatsträgern sagen, dass sie davon durchaus Gebrauch machen sollten, um so den Hatern die Stirn zu bieten.
HSS: Sie sind von Berufs Polizist und waren lange bei der Kriminalpolizei. Ihr Werdegang hat Sie darauf vorbereitet, auch in schwierigen Situationen einen ruhigen Kopf zu bewahren und besonnen zu reagieren. Was empfehlen Sie anderen kommunalen Mandatsträgern, die diese Vorerfahrung nicht haben: Was sollen sie tun, wenn z.B. Hasskommentare oder volksverhetzende Inhalte in ihrem Facebook-Postfach auftauchen?
Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass man falsche Behauptungen oder persönliche Beleidigungen nicht so einfach stehen lassen sollte, denn dadurch akzeptiert man diese in gewisser Weise. Wichtig ist, eine klare Linie nach dem Motto „bis hier hin und nicht weiter“ zu ziehen. Bei strafrechtlich relevantem Inhalt rate ich dazu, Anzeige zu erstatten. Des Weiteren ist auch die Löschung des Inhalts ein richtiger Schritt. Nichttätig werden ist wohl das Falscheste.
HSS: Bayern hat sich in den letzten Jahren für den Kampf gegen juristisch strafbaren Hass, vor allem im Netz, stark aufgestellt. Reichen diese Instrumente aus oder haben Sie als Kommunalpolitiker Vorschläge, wie Bund und Land die Menschen, die vor Ort Verantwortung übernehmen, noch besser schützen können?
Die Instrumente des Bayerischen Innenministeriums, wie die digitale Melde-Plattform für Online-Straftaten, sind wichtige Bausteine, um dem Hass und der Hetze entgegenzutreten. Wichtig ist, dass Straftatbestände schnell und unkompliziert gemeldet werden können. Dies ist mit dieser Plattform sichergestellt. Auch im analogen Raum gibt es Unterstützung: Bei beleidigenden Zusendungen oder persönlichen Beleidigungen gibt es feste Ansprechpartner bei den 22 bayerischen Staatsanwaltschaften. Als KPV-Vorsitzender begrüße diese Maßnahmen ausdrücklich. Die Bayerische Staatsregierung steht damit voll und ganz hinter den ehrenamtlichen und berufsmäßigen Kommunalpolitikerinnen und –politikern im Freistaat. Diese Maßnahmen sind für mich auch ein Zeichen der Wertschätzung, die uns die Staatsregierung entgegenbringt. Ein weiterer wichtiger Baustein ist schlichtweg die Zivilcourage eines jeden Einzelnen. Bei Hass und Hetze im Netz sind wir alle gefordert, diffamierenden Beiträgen zu widersprechen und standhaft füreinander einzutreten.
HSS: Herr Landrat, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Sarah Schmid, HSS