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Interview mit Landrat Stefan Rößle
Der kurze Weg vom Wort zur Tat

Unsere Politiker sind immer stärker von Hass und Anfeindungen im Netz betroffen. Der Druck der Trolle steigt. Gerade auf kommunaler Ebene wollen sich Amtsträger sogar aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Der Landrat Stefan Rößle spricht mit uns über seine Erfahrungen, was getan werden muss und wie man reagiert, wenn man persönlich betroffen ist.

Der Kommunalpolitik eine starke Stimme zu geben: Für Stefan Rößle, den langjährigen Landrat im schwäbischen Donau-Ries und Landesvorsitzenden der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU, ist das ein Herzensanliegen. Immer mehr beobachtet er jedoch, dass Mandatsträger, die unsere Demokratie vor Ort mit Leben erfüllen, in den sozialen Netzwerken Hass und Hetze erfahren. Woher die Anfeindungen kommen und was dagegen hilft – darüber spricht er mit uns.

Rößle, ein freundlich lächelnder Mann im dunklen Anzug blickt in die Kamera.

Seit 2002 ist Stefan Rößle Landrat im schwäbischen Landkreis Donau-Ries. Der langjährige Kommunalpolitiker steht darüber hinaus der Kommunalpolitischen Vereinigung der Christlich-Sozialen Union vor und ist Mitglied im Parteivorstand der CSU.

HSS: Herr Rößle, sind Sie schon einmal das Ziel von Hassrede im Netz geworden?

Stefan Rößle: Tatsächlich habe ich Hassrede in den sozialen Medien erfahren. Es war eigentlich eine banale Angelegenheit: Ich habe die Stellenanzeige „Sachbearbeiter für das Jobcenter Donau-Ries“ auf meiner Facebook-Seite geteilt. Daraufhin hat ein User diese Anzeige mit Aussagen kommentiert, dass Behördenmitarbeiter „liquidiert“ werden sollten. Ferner stellte er in seinem Beitrag den Zusammenhang her, dass man Geflüchteten Hartz IV auszahle, jedoch inländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern dies nach 40 Jahren Arbeitstätigkeit verwehren würde. Auf der Facebook-Seite des Users fand sich ein weiterer Beitrag, der eine ähnliche verächtliche Sprache aufwies und auf die Gewährung von sozialen Transferleistungen und die Herkunft der Bezieherinnen und Bezieher einging. Hier wurden politische Entscheidungsträger als „Penner“ bezeichnet, die man „in ein Arbeitslager stecken“ und mit einem „Genickschuss erlösen“ sollte. Solche Aussagen lösen in mir ein beklemmendes Gefühl aus. Ihre Radikalität hat mich sehr bestürzt. Wir sind sofort tätig geworden und haben Strafanzeige gestellt. Jedoch waren beide Beiträge gelöscht, sodass nicht weiter ermittelt werden konnte.

In wenigen Schritten zur Richtigen Reaktion gegen Hassrede

  • Eine schnelle Reaktion ist wichtig. Sichern Sie den Online-Beitrag umgehend per Screenshot und dokumentieren Sie die URL! Danach sollten Sie sich aber trotzdem die Zeit nehmen, Ihr weiteres Vorgehen in Ruhe abzuwägen, bevor Sie handeln.
  • Springen Sie nicht über jedes Stöckchen: Prüfen Sie, ob der betreffende Online-Beitrag bei den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt auf Resonanz stößt.
  • Vermeiden Sie emotionale Schnellschussreaktionen, auch wenn Sie persönlich verletzt sind. Stimmen Sie sich mit vertrauten Menschen ab, die Ihnen eine wertvolle Außenperspektive mitgeben können.
  • Wenn Sie glauben, dass es sich um eine strafbare Form des Hasses handeln können oder Sie und Ihre Familie bedroht werden: Wenden Sie sich an die Polizei!

Einen ausführlichen „Notfallkoffer“ für den Krisenfall finden Sie in unserem Kompass wehrhafte Demokratie sowie auf unserer Onlineplattform „Wir! Gemeinsam gegen Hatespeech“.

Wer von Hass und Hetze im Netz betroffen ist, findet in unserem "Kompass Wehrhafte Demokratie" eine Anleitung, wie man richtig vorgeht. Schritt für Schritt.

©HSS

HSS: Sie sind seit 24 Jahren kommunalpolitisch aktiv und seit 18 Jahren Landrat im Landkreis Donau-Ries. Woran liegt es, dass sich der Ton gegenüber Mandatsträgern in den letzten Jahren so verschärft hat ?

Sicherlich hat die Anonymität des Internets ihren Anteil an dieser Entwicklung. Wenn man ohne Angabe seines Namens und ohne sein Gesicht zeigen zu müssen, einen Standpunkt vertreten kann, sinkt schlichtweg die Hemmschwelle, sich an die alltäglichen Diskussionsgepflogenheiten zu halten. Man hat ja keine Sanktionen zu erwarten. Die Unzufriedenheit über die eigene Situation führt bei manchen Menschen dazu, die Schuld bei anderen Ethnien oder Berufsgruppen zu suchen. Außerdem braucht es nur einen Klick und man kann die Meinung anderer teilen oder liken. So übernimmt man in Sekundenschnelle die Meinung anderer als die Eigene und muss dafür nur wenige Handgriffe erledigen. Der Schreiber oder die Schreiberin des originären Beitrags fühlt sich in der Folge dadurch bestätigt. Das gesellschaftliche Klima gegenüber „der Politik“ ist rauer geworden. Diese Entwicklung beobachte ich in der Frage des Klimawandels, im Hinblick auf die Flüchtlingskrise 2015/2016 sowie jetzt während der Corona-Pandemie. Kommunalpolitiker geraten dabei sehr schnell in die Situation auf einen Shitstorm reagieren zu müssen. Auf höherer politischer Ebene lässt sich diese Entwicklung aber ebenso erkennen: Gewiss hat der Einzug der AfD in die Parlamente zur Verrohung beigetragen. Hier möchte ich auf so manche Bundestagsdebatte verweisen. Gerade rechtspopulistische Parteien versuchen das Sagbare stets weiter nach rechts zu verschieben. Auch Donald Trump hat mit Aussagen für Aufsehen gesorgt, die Menschen ausgrenzen. Die verhärteten Fronten werden noch lange in der amerikanischen Gesellschaft zu beobachten sein. In der vergangenen Woche haben uns auch bestürzende Bilder erreicht, wie Anhänger Trumps das Kapitol gestürmt haben, nachdem der abgewählte Amtsinhaber die Präsidentschaftswahlen für „gestohlen“ erklärt hatte. Hier zeigt sich auch ganz deutlich: Der Weg vom Wort zur Tat ist ein kurzer!

HSS: Als Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU sind Sie mit kommunalen Mandatsträgern in ganz Bayern vernetzt. Wie nehmen Ihre Kollegen die Lage wahr?

Aufgrund der Brisanz und als Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU tausche ich mich regelmäßig mit meinen kommunalen Kolleginnen und Kollegen über dieses Thema aus. Mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in meinem Landkreis habe ich vor ein paar Wochen über Hatespeech und dergleichen gesprochen. Der Präsident des Polizeipräsidiums Schwaben Nord hat seine Sichtweise in einem kurzen Vortrag erläutert. Bayernweit haben viele Mandatsträger Erfahrungen mit Hass und Hetze im Netz gemacht. Einen Fall möchte ich exemplarisch hier schildern, der mich sehr betroffen gemacht hat. Am Nikolaustag 2019 ereignete sich ein tödliches Gewaltverbrechen in Augsburg, bei dem ein Mitglied der städtischen Berufsfeuerwehr ums Leben kam. Der ehemalige Augsburger Oberbürgermeister Dr. Gribl hat in einer Traueranzeige von einem „tragischen Vorfall“ gesprochen. In der Folge wurde der Augsburger OB in den sozialen Netzwerken und in E-Mails wegen der angeblichen Verharmlosung der Tat scharf kritisiert. Herr Dr. Gribl wurde in einer E-Mail beispielsweise als „Krimineller“ bezeichnet. Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Alice Weidel kritisierte Herrn Dr. Gribl auf Twitter, dass diese Tat für die Stadt Augsburg wohl „höhere Gewalt sei“. Insgesamt wurden 30 Nachrichten auf strafrechtliche Relevanz geprüft. Politikerinnen etwa erzählen mir oft, dass sie bei Beleidigungen auf ihr Geschlecht reduziert werden und zum Teil sehr anzügliche Kommentare lesen müssen.

HSS: Im letzten Jahr hat der rechtsextrem motivierte Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ganz Deutschland erschüttert. Eine solch schreckliche Bluttat mussten wir in Bayern im kommunalen Bereich glücklicherweise noch nicht erleben. Nehmen Sie trotzdem wahr, dass Menschen länger zögern, politische Verantwortung im kommunalen Bereich wahrzunehmen, weil Sie Angst vor Anfeindungen haben? Was raten Sie in diesem Fall?

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten hat mich tief erschüttert. Solch einen schrecklichen Vorfall hatten wir in Bayern noch nicht. Jedoch kann man Verbrechen wie diese auch bei uns nicht ausschließen – leider. Viele Menschen machen derartige Taten jedoch nachdenklich. Ich kann nicht ausschließen, dass Menschen nach politisch motivierten Gewaltverbrechen zögern, politische Ämter wahrzunehmen. Kommunale Mandatsträger, die nicht mehr für eine weitere Amtsperiode 2020-2026 zur Verfügung standen, sagten mir in persönlichen Gespräche durchaus, dass sie auch aufgrund persönlicher Anfeindungen nicht wieder kandidieren wollten. Diese Entwicklung bedauere ich sehr. Gleichzeitig möchte ich auch auf die Unterstützungsmaßnahmen des Landes verweisen und den Mandatsträgern sagen, dass sie davon durchaus Gebrauch machen sollten, um so den Hatern die Stirn zu bieten.

HSS: Sie sind von Berufs Polizist und waren lange bei der Kriminalpolizei. Ihr Werdegang hat Sie darauf vorbereitet, auch in schwierigen Situationen einen ruhigen Kopf zu bewahren und besonnen zu reagieren. Was empfehlen Sie anderen kommunalen Mandatsträgern, die diese Vorerfahrung nicht haben: Was sollen sie tun, wenn z.B. Hasskommentare oder volksverhetzende Inhalte in ihrem Facebook-Postfach auftauchen?

Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass man falsche Behauptungen oder persönliche Beleidigungen nicht so einfach stehen lassen sollte, denn dadurch akzeptiert man diese in gewisser Weise. Wichtig ist, eine klare Linie nach dem Motto „bis hier hin und nicht weiter“ zu ziehen. Bei strafrechtlich relevantem Inhalt rate ich dazu, Anzeige zu erstatten. Des Weiteren ist auch die Löschung des Inhalts ein richtiger Schritt. Nichttätig werden ist wohl das Falscheste.

HSS: Bayern hat sich in den letzten Jahren für den Kampf gegen juristisch strafbaren Hass, vor allem im Netz, stark aufgestellt. Reichen diese Instrumente aus oder haben Sie als Kommunalpolitiker Vorschläge, wie Bund und Land die Menschen, die vor Ort Verantwortung übernehmen, noch besser schützen können?

Die Instrumente des Bayerischen Innenministeriums, wie die digitale Melde-Plattform für Online-Straftaten, sind wichtige Bausteine, um dem Hass und der Hetze entgegenzutreten. Wichtig ist, dass Straftatbestände schnell und unkompliziert gemeldet werden können. Dies ist mit dieser Plattform sichergestellt. Auch im analogen Raum gibt es Unterstützung: Bei beleidigenden Zusendungen oder persönlichen Beleidigungen gibt es feste Ansprechpartner bei den 22 bayerischen Staatsanwaltschaften. Als KPV-Vorsitzender begrüße diese Maßnahmen ausdrücklich. Die Bayerische Staatsregierung steht damit voll und ganz hinter den ehrenamtlichen und berufsmäßigen Kommunalpolitikerinnen und –politikern im Freistaat. Diese Maßnahmen sind für mich auch ein Zeichen der Wertschätzung, die uns die Staatsregierung entgegenbringt. Ein weiterer wichtiger Baustein ist schlichtweg die Zivilcourage eines jeden Einzelnen. Bei Hass und Hetze im Netz sind wir alle gefordert, diffamierenden Beiträgen zu widersprechen und standhaft füreinander einzutreten.

HSS: Herr Landrat, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Dr. Sarah Schmid, HSS

Extern
Dr. Sarah Schmid
Leiterin