Print logo

Interview - Organspende
Junge Helden: Einsatz für die Entscheidung

Etwa 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebenswichtiges Organ, die Anzahl der gespendeten Organe war 2017 aber so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr und das, obwohl die Mehrheit der Deutschen Organspende grundsätzlich befürwortet. Abgesehen davon, dass niemand gerne über den eigenen Tod nachdenkt, ist das Thema bei vielen Menschen mit Angst und Misstrauen gegenüber dem Vergabesystem besetzt.

Der Verein Junge Helden e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, über Organspende zu informieren und auf das Thema aufmerksam zu machen. Claudia Kotter, die Gründerin des Vereins, war selbst betroffen und wartete auf eine Spender-Lunge. Sie und ihre Familie stellten fest, dass sie nur sehr wenig darüber wussten und das Thema in der Öffentlichkeit nahezu unterging. Das war die Geburtsstunde des Vereins. 2011 verstarb Claudia Kotter, ihre Schwester, Freunde und Familie setzten die Arbeit fort.

Wir haben den Moderator Joko Winterscheidt und Claudia Kotters Schwester sowie Leiterin des Vereins, Angela Ipach, über deren Arbeit interviewt.

Junger Mann mit weißen T-Shirt und Hornbrille grüßt mit rechter Hand am Kopf und lächelt.

Viele Prominente engagieren sich im Verein: Die Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sowie die Schauspieler Jürgen Vogel, Xenia Assenza und Jennifer Ulrich sind nur ein paar von Ihnen.

Oli Rath; Junge Helden e.V.

Fragen an Joko

Die Jungen Helden veröffentlichten 2015 einen Aufklärungsfilm über Organspende. Joko Winterscheid und Klass Heufer-Umlauf waren Hauptdarsteller.

Junge Helden e.V.

Ich hatte schon vor meiner Zeit bei Junge Helden einen Organspendeausweis. Ich für meinen Teil brauche meine Organe nicht mehr, wenn ich mal ableben sollte. Deswegen freut es mich besonders, für dieses Thema einstehen zu dürfen, und ich habe es bis heute auch nicht bereut, mich dafür zu engagieren. Matthias Schweighöfer, der auch bei "Junge Helden" dabei ist, hat mal den schönen Satz gesagt, "Wir selber haben das Wunder erlebt, was man bewirken kann, wenn man bereit ist Organe zu spenden." Was er meint, ist die Geschichte von Claudia, die Gründerin von Junge Helden, die selbst eine neue Lunge transplantiert bekommen hat. Einmal mitzuerleben, was es bedeutet, wenn ein Mensch durch eine Spende weiterleben kann, ist ein Erlebnis, das man nicht beschreiben kann. Es ist wirklich ein kleines Wunder.

Claudia hat mich damals gefragt. Das war vor 13 Jahren. Sie hatte mich im Fernsehen erst nur reden gehört und war von meiner Stimme angetan, dann hat sie sich umgedreht, mich gesehen – auch das hat sie wohl nicht enttäuscht. Sie hat über Johanna Klum, die auch bei Junge Helden dabei ist, den Kontakt zu mir hergestellt und gefragt ob ich dabei sein will. Ich hab sofort ja gesagt und seitdem waren Claudi und ich eng verbunden. Dem Verein zu helfen, ist ein riesiger Spaß und selbstverständlich für mich.

Es ist einfach schön zu sehen, wie alle, wenn sie ein Ziel haben, an einem Strang ziehen. Jeder steht für jeden ein. Eigentlich sind Junge Helden kein Verein, sondern eine Familie.

Fragen an Angela Ipach

Der Film über Organspende ist vielseitig: Frank Walter Steinmeier, der selbst eine Niere an seine Frau gespendet hatte, spricht über die gesetzliche Regelung in Deutschland, ein Facharzt erklärt den Begriff des Hirntods und es gibt ein Interview mit der Gründerin des Vereins, Claudia Kotter.

Junge Helden e.V.

HSS: Was steht hinter Ihrem Motto: „Entscheidend ist die Entscheidung“?

Damit wollen wir deutlich machen, dass man sich auf dem Organspendeausweis für ein Ja UND eben auch für ein Nein entscheiden kann. Es geht uns letztendlich darum, dass die Menschen sich zu Lebzeiten entscheiden und diese Entscheidung mit ihren Familie und Freunden besprechen.

 

HSS: Sie wollen junge Menschen informieren. Wie gehen Sie vor?

Wir möchten dem Thema die Schwere nehmen und verfolgen deshalb einen anderen Ansatz. Nach unseren Grundsätzen – lebensbejahend, mitten im Leben und unkonventionell – versuchen wir einen unbeschwerteren Zugang zu diesem Thema zu ermöglichen. Dabei gehen wir an Schulen, sind bei Festivals dabei, veranstalten Sport-Aktionen und Partys. Wir wollen dort stattfinden, wo Jugendliche und junge Erwachsene ihren Alltag verbringen. Gerade junge Menschen wissen noch sehr wenig über den Prozess des Spendens, wie genau das abläuft. Dass zunächst der Hirntod diagnostiziert werden muss, bevor die Organe entnommen und transplantiert werden können, wissen oftmals viele nicht.

 

HSS: Die Aktionen, die Sie beschreiben, sind aufwendig. Wir organisieren Sie dafür die finanziellen Mittel?

Wir werden nicht öffentlich gefördert und finanzieren uns durch private Spenden. Im Alltag müssten wir eigentlich viel mehr Zeit in die konstante Akquise von Spenden investieren, aber hierfür haben wir einfach zu wenig Kapazitäten. Denn geschicktes Fundraising ist aufwendig und eine kontinuierliche Förderung bedeutetet, regelmäßig Berichte über unsere Arbeit zu verfassen. Deshalb organisieren wir die finanziellen Mittel von Projekt zu Projekt und halten die Kosten so niedrig wie möglich.

 

HSS: Wie viele freiwillige Mitarbeiter helfen mit? Wie schwer ist es Helfer für die Aktionen zu finden? 

Wir haben einen großen Pool an Unterstützern, ohne die wir unsere Arbeit nicht leisten könnten.
Wenn es sich zeitlich und von der Anfahrt her einrichten lässt, sind unsere Freiwilligen immer gerne bei Aktionen dabei, aber genau darin liegt eben auch die Herausforderung: Verbindliche Anfragen mit begrenzter Kapazität bedienen zu können. Glücklicherweise kommen aber immer wieder viele, insbesondere junge Leute auf uns zu und möchten sich engagieren. 

Joko beim Synchronsprechen einer Animation über den Ablauf einer Transplantation.

Junge Helden e.V.

HSS: Die Skandale haben das Vertrauen der Bürger verunsichert und werden oft als Ursache für die zurückgehenden Spenderzahlen genannt. Wie geht der Verein in der Kommunikation damit um?

Wir sprechen den Vorfall offen an und bringen Klarheit in die teilweise verzerrte Darstellung. Es ist wichtig zu wissen, dass es nie den Ablauf der Organspende und -entnahme betraf. Das Organspende-System in Deutschland ist ein sicheres, vertrauenswürdiges System. Nichtsdestotrotz war die Manipulation an der Warteliste ein Skandal und es wurden weitreichende Maßnahmen ergriffen:

Ein Verstoß wird je nach Schwere mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet, eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz in den Zentren entscheidet nun, wer auf die Warteliste kommt und die Zentren werden regelmäßig von einer Kontrollinstanz überprüft.

 

HSS: Viele Menschen haben Angst vor Organspende, insbesondere vorschnell als tot erklärt zu werden, damit Organe entnommen werden können.  Wie treten Sie dieser Angst entgegen?

Durch Informationen und Fakten. Auf Basis von Wissen lassen sich die Ängste schnell nehmen:  Jeder verunglückte Mensch wird in Deutschland medizinisch bestmöglich versorgt, die Organspende spielt dabei gar keine Rolle. Erst wenn der Hirntod eingetreten und diagnostiziert ist, kann über eine mögliche Organspende entschieden werden. Die Wahrscheinlichkeit am Hirntod zu versterben ist aber um ein Vielfaches geringer als die Wahrscheinlichkeit selbst einmal auf ein Organ angewiesen zu sein.

Info

Hirntod ist der nicht behebbare Ausfall des Gesamthirns. Zwar kann das Herz-Kreislauf-System für eine begrenzte Zeit in der Intensivmedizin aufrechterhalten werden, aber nicht langfristig. Denn das Gehirn ist die „Steuerzentrale“ des menschlichen Körpers, hier laufen alle Fäden zusammen, als Beispiel seien Atem und Herzschlag genannt. Der Hirntod gilt nach international wissenschaftlichen Standards als sicheres Todeszeichen.
Wer stellt den Hirntod in Deutschland fest? Zwei voneinander unabhängige Fachärzte führen eine nach dem Deutschen Transplantationsgesetz und den Richtlinien der Deutschen Ärztekammer festgelegte Prüfung durch. Wichtig ist hier der Nachweis, dass ein Komplettausfall des Gehirns vorliegt und dass dieser unumkehrbar ist.

Mehr dazu auf der Website der Deutschen Stiftung für Organspende

Checkliste mit den drei oben genannte Fragen.

Bevor ein Patient als Organempfänger in Frage kommt, wird nach einem festgelegten Katalog u.a. geprüft, ob seine Erkrankung soweit fortgeschritten ist, dass eine Transplantation gerechtfertigt ist, ob alle Therapieoptionen ausgeschöpft sind und ob er in der Lage ist, diese langwierige Therapie zu verfolgen.

Aufklärungsfilm Organspende; Junge Helden e.V.

HSS: Welche Konzepte zur Organvergabe gibt es weltweit und was sagen Sie der neuen Regelung in den Niederlanden?

Die gemeinnützige Stiftung Eurotransplant ist für die Vermittlung aller Organe zuständig, die in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Slowenien, Kroatien und Ungarn verstorbenen Menschen zum Zwecke der Transplantation entnommen werden. Dass die Niederlande nun die Widerspruchslösung eingeführt haben, aufgrund der niedrigen Spenderzahlen auch politisch gehandelt haben, finde ich sehr gut. Ich kann nicht verstehen, dass die Politik in Deutschland zuschaut, wie täglich 3-4 Menschen sterben, weil kein passendes Organ für sie gefunden werden konnte und das, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung einer Organspende positiv gegenübersteht. Politisch muss sich auch in Deutschland eindeutig etwas tun. Unserer Meinung nach sollte es Pflicht werden, dass man sich zu Lebzeiten entscheidet. Entscheidungen trifft man jeden Tag und dann soll es nicht möglich sein, so eine gesellschaftsrelevante und verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, die insbesondere auch die eigene Familie vor Unwissenheit schützt und eventuell auch Leben retten kann.

Info

In Deutschland gilt die Endscheidungslösung
Danach ist eine Organentnahme nur zulässig, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten seine Spendebereitschaft schriftlich festgehalten oder diese seinen Angehörigen mündlich mitgeteilt hat. Wenn keine solche Zustimmung vorliegt, dann müssen die Angehörigen stellvertretend für ihn, auf Grundlage seines mutmaßlichen Willens, diese Entscheidung treffen. Krankenkassen und Versicherungsunternehmen sind verpflichtet, regelmäßig Informationsmaterial an versicherte Personen zu schicken. Damit soll jedem Bürger ermöglicht werden, eine differenzierte Entscheidung  zu treffen.

Widerspruchslösung 
Hat der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen, beispielsweise in einem Organspenderegister oder in schriftlicher oder mündlicher Form, dann ist eine Organentnahme zulässig.

Mehr dazu auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Zum Film "Entscheidend ist die Entscheidung"

Website und Facebookauftitt der Jungen Helden
junge-helden.org Facebook https://www.facebook.com/JungeHelden/

Sie sind ehrenamtlich tätig? Die Hanns-Seidel-Stiftung bietet viele Seminare für Freiwillige:

Mehr dazu auf unserer Veranstaltungsdatenbank