Print logo

Portraits jüdischer Persönlichkeiten
Gesichter unseres Landes: Moritz von Hirsch

Wir feiern 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und Bayern und würdigen den essentiellen Beitrag, den jüdische Persönlichkeiten für die Geschichte, Kultur, Wissenschaft und Wesensart unseres Landes geleistet haben. Heute im Portrait: Moritz von Hirsch - Financier des „Orient-Express“.

Sein offizieller Name lautete Moritz Freiherr von Hirsch auf Gereuth (Baron Maurice de Hirsch). Er wurde am 9. Dezember 1831 als Enkel von Jakob Hirsch in München geboren, der als „Hoffaktor“ am Hofe des ersten bayerischen Königs, Max I. Joseph (1799-1825, erst Kurfürst, ab 1806 König), Karriere gemacht hatte und von diesem 1818 geadelt wurde. Als „Hoffaktor“ sorgte Jakob für den Import von Luxuswaren, belieferte das bayerische Heer und half dem Monarchen aus der Klemme, wenn dieser in Geldnöten war. Die Familie entstammte der Würzburger Judenschaft, die dort ab dem 16. Jahrhundert siedeln durfte. 1815 hatte Jakob das Schloss Gereuth (zwischen Ebern und Staffelstein) erworben, einen ehemaligen Besitz der Fürstbischöfe von Würzburg.

Beruflicher Werdegang und Aufstieg

Moritz stieg ins Bankfach ein und heiratete zielbewusst die Tochter seines Chefs, der in Brüssel das Bankhaus Bischoffsheim & Goldschmidt führte. Teilhaber wurde er deshalb aber nicht, denn der Chef hielt ihn geschäftlich für „zu wagemutig“. In der Tat: Moritz gründete mit seinem Schwager ein eigenes Bankhaus (1860). In Österreich, Belgien und den Niederlanden etablierte er Versicherungsgesellschaften. Seine unternehmerische Dynamik zeigte sich besonders darin, dass er in großem Stil in den Bau von Eisenbahnlinien einstieg. Die waren das damals beherrschende Symbol des industriellen Fortschritts. Er finanzierte Bahnbauten europaweit, in Belgien, den Niederlanden, im zaristischen Russland und dem entwicklungsbedürftigen Ungarn.

Das genügte ihm aber nicht. So erschloss er sich auch den Balkan, der in den 1860er Jahren noch größtenteils von den Osmanen beherrscht war. 1869 erhandelte er von Sultan Abdül Aziz die Konzession für die Errichtung einer „transbalkanischen“ Eisenbahn, die quer durch die Halbinsel nach Istanbul führen sollte. Es gab aber massive Schwierigkeiten aufgrund des Staatsbankrotts 1875. Moritz Hirsch hatte das Kapital für den Bahnbau durch sogenannte „Türkenlose“ aufzubringen versucht, die nun Not litten. Der Baron wurde abgekanzelt als „Türken-Hirsch“, der viele Menschen finanziell geschädigt habe.

Der Orient-Express

Das Bahnprojekt wies schon vor dem Bankrott am Goldenen Horn erhebliche Fortschritte auf, die für die Armeen des Sultans wichtig wurden, als 1877 der Krieg des osmanischen Reiches mit Russland ausbrach. Die Strecke von Istanbul über Adrianopel (Edirne) nach Plowdiw war fertig, ebenso ein Abzweiger an die Ägäis bei Alexandroupoli. Separat lief eine Bahn von Saloniki über Skopje nach Mitrovica. Die sollte weitergeführt werden über Sarajewo und Zagreb zum Anschluss an die „Südbahn“ (Wien-Triest) und zeigte das starke wirtschaftliche Interesse Österreich-Ungarns am Ausbau des Orient-Handels. Moritz Hirsch bekam denn auch die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. 1888 war die Trasse von Wien nach Istanbul endlich fertig, der luxuriöse „Orient-Express“ (türkisch: Istanbul-Viyana Demiryolu) konnte rollen.

Mit Weitsicht, Kühnheit und Geschick konnte Moritz von Hirsch den Bau einer Eisenbahnlinie von Istanbul nach Wien im Jahr 1888 realisieren: den legendären Orient-Express.

Mit Weitsicht, Kühnheit und Geschick konnte Moritz von Hirsch den Bau einer Eisenbahnlinie von Istanbul nach Wien im Jahr 1888 realisieren: den legendären Orient-Express.

Remi Jouan; (CC BY-SA 3.0) ; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maurice_de_Hirsch-Tableau- November 2008.jpg

Humanitäre Projekte

Im selben Jahr verkaufte Baron Hirsch, dessen Vermögen nunmehr auf 160-170 Millionen Francs geschätzt wurde, seine Eisenbahn-Anteile an die Deutsche Bank und den Wiener Bankenverein und widmete sich bis zu seinem Lebensende (21. April 1896 in Neuhäusel, heute Slowakei) ausschließlich karitativen und philanthropischen Aktivitäten. Schon im russisch-osmanischen Krieg (1877/78) hatte er sich um den Bau von Lazaretten für beide Kriegsparteien bemüht, denn deren Sanitätswesen war allenfalls dürftig zu nennen. Auch um Hilfe für die jüdischen Familien sorgte er sich, die vom bulgarischen Kriegsschauplatz zusammen mit vielen Moslems nach Istanbul geflohen waren, denn die russische „Befreiungsarmee“ beteiligte sich an Massakern oder tolerierte sie, wenn Bulgaren alles niedermachten oder vertrieben, was nicht slawisch oder orthodoxer Konfession war. Für diese Juden und andere in Istanbul und Izmir (Smyrna) hatte Hirsch schon 1873 die „Alliance Israelite Universelle“ mit einer Million Franc ausgestattet.

Ab 1885 wurde er in Russland aktiv, wo über drei Millionen Juden in besonderer Bedrängnis lebten. Aber mit den Behörden des Zaren gestaltete sich die Zusammenarbeit derart schwierig, dass Hirsch, um russischen Juden zur Auswanderung zu verhelfen, eine „Jewish Colonization Association“ gründete, die sich um Heimstätten in der „Neuen Welt“ – in Kanada, Mexiko und Brasilien – kümmerte. In Argentinien, das damals insgesamt eine große Welle der Einwanderung aus Europa erlebte, gründete er sechs Dörfer, da seiner Meinung nach die russischen Juden am besten in der Landwirtschaft aufgehoben seien. Damit hatte er indessen keinen Erfolg. Jedoch: Aus den Juden in der Metropole Buenos Aires entwickelte sich eine bis heute noch vitale Mittelschicht. Auch die jüdische Einwanderung in die USA förderte er. Seine Organisation half noch 1933 vielen Juden, die auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus dorthin emigriert waren.

In Europa bewegte er sich in der internationalem Gesellschaft und schloss Freundschaft mit sehr hochgestellten Persönlichkeiten, wie dem britischen Thronfolger, der 1901 als Edward VII. König von England (und Kaiser von Indien) wurde. Beide teilten die Begeisterung für Pferderennen. Den Erlös aus den Siegen seines Gestüts stellte Hirsch den Krankenhäusern in London zur Verfügung. Gegenüber der jüdischen Auswanderung ins damals osmanische Palästina, wie sie von Theodor Herzl propagiert wurde, blieb er skeptisch. Denn da das morsche osmanische Reich bald zusammenbrechen würde, so seine Befürchtung, würde es von dem imperialistischen Russland vereinnahmt werden, und damit wäre auch Palästina unter die Knute der Zaren gefallen.

1887 starb Moritz von Hirschs einziger Sohn, Lucian. Der Baron sprach:

„Ich habe meinen Sohn verloren, aber nicht meinen Erben, mein Erbe ist die Humanität.“

Moritz von Hirsch starb am 21. April 1896. Zusammen mit seiner 1899 verstorbenen Gemahlin wurde er auf dem Friedhof von Paris-Montmartre beigesetzt.

Autor: Bernd Rill ist Jurist, Historiker, ehemaliger wissenschaftlicher Referent in der Hanns-Seidel-Stiftung, Autor zahlreicher Sachbücher.

Kurt Grunwald: Türkenhirsch. A Study of Baron Maurice de Hirsch, entrepreneur and philanthropist. Jerusalem 1966.

Shereen Khairallah: Railways in the Middle East 1856 – 1948. Political and Economic Background. Beirut 1991.

Orient-Express – König der Züge. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im DB-Museum Nürnberg. Hrsg. von Jürgen Franzke. Frechen 1998.

Weitere Porträts: Gesichter unseres Landes

Bildung, Hochschulen, Kultur
Thomas Klotz
Leiter