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Artikel Europa

Zum Europatag: Europapolitische Visionen der CSU
Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft

„Bayern und Europa – das ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte“, betont HSS-Vorsitzender und Europaparlamentarier Markus Ferber. „An deren Beginn stand jedoch der größte Zivilisationsbruch der deutschen Geschichte und ein blutiger Krieg im Herzen Europas. Es sind CSU-Politiker wie Josef Müller und Franz Josef Strauß, die den Grundstein dafür gelegt haben, dass auf den Trümmern des Zweiten Weltkrieges ein friedliches, prosperierendes Europa der Versöhnung und Völkerverständigung entstehen konnte“.

Am 8. Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg auf europäischem Boden mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Befeuert von einer zutiefst rassistischen und antisemitischen Ideologie hat die NS-Diktatur unsägliches Leid über die Bevölkerung Europas gebracht: 50 bis 60 Millionen Menschen – mehr als die Hälfte davon Zivilisten – verlieren in dem Konflikt ihr Leben und 30 Millionen Menschen werden Opfer von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung. Der nationalsozialistische Rassenwahn findet seinen Kulminationspunkt in der Schoah, dem Völkermord an den Jüdinnen und Juden Europas.

Josef Müller mit Robert Schuman

Zwei große europäische Versöhner: Josef Müller und Robert Schuman

Glässel-Foto; ©ASCP

Einsatz für das europäische Friedensprojekt

Ein geeintes Europa, in dem „alle Menschen Brüder“ sind – im Deutschland der Stunde null muss dies als eine radikale, ja fast schon utopische Vision erscheinen. Und doch wächst inmitten der Kriegsverheerungen nicht nur die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang, sondern auch auf eine Neuordnung der europäischen Beziehungen auf der Grundlage der Versöhnung und Völkerverständigung.

In dieser Tradition stehen auch die Gründungsväter der Christlich-Sozialen Union. Deren erster Parteivorsitzender, Josef Müller, – im Volksmund auch als „Ochsensepp“ bekannt – hat schon früh erkannt, dass nur ein geeintes Europa dauerhaften Schutz vor Krieg und übersteigertem Nationalismus bietet. Darin bestärken ihn seine Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg und vor allem auch als Widerstandskämpfer im Dritten Reich. Als Regimegegner war er unter anderem in den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg und Dachau interniert, wo sich eine partei- und länderübergreifende Solidargemeinschaft unter den dort eingesperrten Opponenten des NS-Regimes entwickelt hatte. Aus diesen Banden erwächst nach dem Krieg unter anderem auch die Nouvelles Équipes Internationales, ein Zusammenschluss christlich-sozialer Politiker in Europa, der später in der Europäischen Volkspartei aufgehen sollte, und dem neben Josef Müller auch Konrad Adenauer angehören.

Auch in den frühen programmatischen Schriften der Partei findet dieser pro-europäische Geist starken Widerhall. Schon in ihren „30 Punkten der Union“ spricht sich die CSU im Oktober 1946 für die „Neugestaltung eines besseren, durch die gleichen Ideale geeinten Europa[s]“ (Art. 30) aus.

Das Zweite Grundsatzprogramm von 1957, das unter dem Parteivorsitzenden Hanns Seidel entwickelt wird, enthält ebenfalls ein Bekenntnis, der „Idee der Europäischen Gemeinschaft in Theorie und Praxis zu dienen“ (Art. V, Absatz c). Diese Haltung findet in der Unterstützung erster Integrationsprojekte, wie etwa dem Schuman-Plan, ihren Niederschlag. Während die deutsche Sozialdemokratie eine Zusammenlegung der Kohle- und Stahlressourcen von Frankreich und Deutschland und die Gründung der Montanunion vehement ablehnt, wünschen sich die Christsozialen sogar ein zügigeres Tempo: „Soll Europa Bestand haben, so tut Eile not, die weiteren Schritte schnellstens einzuleiten: […] die Zollunion und dann ein aktionsfähiges Straßburger Parlament“ (Wegmaier 2018, S. 36), fordert der Bayernkurier, die CSU-Parteizeitung, im April 1951.

Für ein Europa christlicher Prägung

Vor diesem Hintergrund überrascht auch die Beobachtung von SZ-Journalist Roman Deininger nicht, dass „in der frühen Bundesrepublik [..] keine Partei zu finden [war], die so beseelt und begeistert von Europa war wie die CSU“ (Deininger 2020, S. 251). Dabei ist es nicht nur die Vision eines europäischen Friedensprojekts, die unter den in Kriegszeiten sozialisierten Christsozialen eine große Bindekraft entfaltet.

Auf dem Podium hält Strauß eine Rede

1979 findet erstmals eine Direktwahl für das Europäische Parlament statt. Franz Josef Strauß wirbt auf dieser Kundgebung für ein starkes CSU-Ergebnis.

©ACSP

Europa wird auch als Wertegemeinschaft mit einem großen „C“ gedacht. Sprich: Auf kulturell-religiöser Ebene soll dem – staatlich oktroyierten – Atheismus der Sowjetunion und der sozialistischen Internationalen eine „christliche Übernationale“ entgegengesetzt werden. Vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Blockkonfrontation zwischen Ost und West gewinnt der Gedanke einer europäischen Einigung auch aus geopolitischer Sicht immer mehr an Bedeutung, sodass Moral- und Machtpolitik an dieser Stelle eine Synthese eingehen.

Insbesondere Franz Josef Strauß hat die geopolitischen Vorteile einer europäischen Einigung im Blick.  Der Vordenker der „Vereinigten Staaten von Europa“ träumt von der Konsolidierung eines eigenständigen europäischen Machtblocks neben der USA und der Sowjetunion, der Moskau einhegen und Washington ein verlässlicher, westlich-orientierter Verbündeter sein soll. Bekanntermaßen ist alles anders gekommen, doch seine Vision ist aus heutiger Sicht in dreierlei Weise äußerst weitsichtig. Erstens hat Strauß klar erkannt, dass die Zukunft nicht mehr alleine dem Nationalstaat gehört, sondern komplexe politische Probleme grenzüberschreitendes gemeinsames Handeln verlangen. Zweitens ist ihm bewusst, dass ohne den deutsch-französischen Motor auch die europäische Einigung ins Stocken gerät. Und drittens sieht er die Staaten des Warschauer Pakts – mit Ausnahme der Sowjetunion – als natürliche Teile der europäischen Wertegemeinschaft, in der sie nach seinen Vorstellungen auch ihren politischen Platz wiederfinden sollen. Im Kalten Krieg, in dem Volksaufstände in der DDR, Ungarn oder Polen, gewaltsam niedergeschlagen werden, ist an eine solche Orientierung nach Westen noch nicht zu denken. Doch mit dem Fall des Eisernen Vorhangs beginnt die Vision von Strauß Wirklichkeit zu werden und findet ihren Höhepunkt in den EU-Ostererweiterungen.

Nicht zuletzt verknüpft die CSU die europäische Einigung immer auch mit der Frage der Deutschlandpolitik. Ihr ist klar, dass nur mit einem fest in Europa integrierten Deutschland, die Chance besteht, die Teilung des Landes zu überwinden. So betont auch Franz Josef Strauß: „Wiedervereinigung unseres Volkes, Zusammenschluss Europas und Sicherheit der freien Völker der Welt, stellen keinen Gegensatz dar; sie sind untrennbar miteinander verbunden […] Jeder Beitrag, den wir für die Freiheit aller Völker leisten, ist gleichzeitig ein Beitrag für die Freiheit unseres Volkes“ (zit. nach Forbes 2011, S. 10).

Beide hören offenbar gerade einer Rede zu. Ferber klatscht.

Markus Ferber mit Edmund Stoiber im Europawahlkampf 2004

Foto Faces by Frank; CSU

Für ein Europa des Föderalismus und der Subsidiarität

Neben dem Einsatz für die Aufhebung der deutschen Teilung gehört auch das Bekenntnis zu Föderalismus und Subsidiarität seit jeher zur politischen DNA der Christsozialen und bildet auch die normative Blaupause, entlang derer Bayern die europäische Integration begleitet und mitgestaltet. Schon der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Hanns-Seidel betont: „Der Föderalismus, den Bayern in der BRD so unbeirrbar verteidigt, ist keinesfalls […] altmodisch und engstirnig. Er ist auch für die Zukunft auf weitere großräumige Ordnungen ausgerichtet“ (zit. nach Schöfbeck 2010, S. 222).

Bereits frühzeitig gelingt es Bayern auch, seine Interessen auf europäischer Ebene sichtbar zu machen.  Als erstes Bundesland etabliert der Freistaat unter CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel ein Staatsministerium für Bundesangelegenheiten, zu dessen Portfolio Europa-Angelegenheiten zählen und das enge Kontakte nach Brüssel und Straßburg unterhält. Auch im weiteren Verlauf des Integrationsprozesses setzt sich Bayern erfolgreich dafür ein, die institutionellen Handlungsspielräume der Länder zu stärken. Edmund Stoiber bringt es 1993 pointiert auf die Formel, dass Bayern „der Lordsiegelbewahrer des Föderalismus“ (zit. nach Schöfbeck 2010, S. 219) sei. Denn für die CSU war und ist klar: Nur ein Europa, das regionale Identitäten respektiert und wertschätzt, kann als grenzüberschreitende Wertegemeinschaft Bestand haben.

Dieses Leitmotiv soll auch die Entwicklung der Europäischen Union prägen. Schon in den 1960ern ist in der CSU die Idee eines Europas der Regionen geboren, die sich 1993 im Vertrag von Maastricht niederschlägt und mit dem Vertrag von Amsterdam (1997) und dem Vertrag von Lissabon (2007) weiter gestärkt wird. Auch auf Bundesebene kann der Freistaat mit der Neufassung des Art. 23 ein größeres Mitspracherecht der Bundesländer bei der Europapolitik im Grundgesetz verankern. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen CSU-Politiker auf eine enge Vernetzung, sowohl zwischen den Bundesländern, als auch mit anderen europäischen Regionen, die ein hohes Maß an kultureller Eigenständigkeit aufweisen. Einen Höhepunkt bildet 1989 die Konferenz der Regionen in der bayerischen Hauptstadt mit 36 teilnehmenden Regionen aus Europa, bei der Impulse für den europäischen Integrationsprozess gesetzt wurden.

„Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft“, so lautet ein bekanntes Bonmot von Franz Josef Strauß. Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 sollte dann auch nicht nur den Weg für die Aufhebung der Deutschen Teilung bereiten – und damit ein Kernanliegen christsozialer Deutschlands- und Europapolitik adressieren –, sondern auch den Katalysator für eine Erweiterung und Vertiefung der EU bilden. Auch wenn dies innerhalb der CSU grundsätzlich auf Zustimmung stößt, so gibt es innerhalb der Partei doch unterschiedliche Vorstellungen, was Tempo und Reichweite des Integrationsprozesses anbelangt.

Waigel deutet auf ein Bild der neuen Euromünzen

Theo Waigel präsentiert die geplante europäische Gemeinschaftswährung in Frankfurt am Main.

IN-Press/Bundesbildstelle; Inter Nationes e.V

Am deutlichsten kommen diese Sollbruchstellen bei der Einführung der Europäischen Gemeinschaftswährung zum Vorschein. Für große Teile der Bevölkerung stellt die Deutsche Mark den „zentrale[n] Bezugspunkt der westdeutschen Nachkriegsidentität“ (Kießling 2004, S. 255) dar und zwischen 1995 und 1998 begegnen konstant über 60 Prozent der Bundesbürger dem Euro mit Skepsis. Während sich der CSU Parteivorsitzende Theo Waigel zu einem festen Zeiplan für die Währungsreform bekennt, agiert Ministerpräsident Edmund Stoiber als „währungspolitischer Gralshüter“, der die Konvergenz-Kriterien, vor allem die jährliche Verschuldungshöchstgrenze von drei Prozent, hochhält. Zwar stellt dieser Dissens die Partei vor eine interne Belastungsprobe. Gleichzeitig gelingt es ihr aber auch, sowohl Integrationsskeptiker, als auch -Befürworter unter ihren Anhängern zu mobilisieren: 1999 erhält die CSU in Bayern bei der Europawahl 64 Prozent der Stimmen und unter den Stammwählern wächst die Zustimmung zur Einführung des Euro.

Auch in den nachfolgenden Europawahlen positioniert sich die Partei als grundsätzlich pro-europäische Kraft – vermehrt aber versehen mit einer Kritik an „Brüssel“, wo exzessive Bürokratie und um sich greifender Zentralismus vermutet werden. Dies führt partiell auch dazu, dass europäische Errungenschaften vor Ort nicht durchdringen können, obwohl zum Beispiel CSU-Europapolitiker wie Markus Ferber und Ingo Friedrich einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der EU-Osterweiterung geleistet haben. Mit der Euro-Krise verschärft sich diese Tendenz und findet 2014 ihren Höhepunkt, als der stärker euroskeptisch orientierte Peter Gauweiler im Europawahlkampf eine tragende Rolle erhält. Dieses Mal gelingt es nicht, EU-Befürworter wie -Skeptiker gleichermaßen zu integrieren. Von den acht Sitzen, die die Christsozialen mit ihrem Spitzenkandidaten Markus Ferber 2009 noch erringen konnten, gehen drei verloren.

Europavisionen der CSU zwischen Kontinuität und Wandel

Der Wahlkampf 2019 markiert eine Rückkehr zu den Wurzeln der Partei. Mit Manfred Weber geht erstmals ein Bayer als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten ins Rennen. Für den CSU-Politiker aus Niederbayern bildet Europa einen „ganz zentralen Bestandteil unserer bayerischen wie deutschen Identität“ (Weber 2020, S. 41) und sein Wahlkampf fokussierte auf die Innovations- und Erneuerungskraft der Europäischen Union, die für ihn eine weltweit einzigartige Wertegemeinschaft mit klarem Bekenntnis zu sozialer Marktwirtschaft, Multilateralismus und wertebasierter Ordnung ist. Auch wenn sich die Hoffnungen auf einen Bayern an der Spitze der Europäischen Union nicht erfüllen sollten, so erfährt der Dreiklang „Bayern, Deutschland, Europa“ in der CSU doch eine (Neu-)Belebung.

Neben dem christsozialen Blick auf Brüssel durchleben aber auch die Herausforderungen und Bedrohungen, mit denen sich Europa konfrontiert sieht, eine Transformation: War es früher die sozialistische Sowjetdiktatur, die den Frieden im Herzen Europas gefährdet, so wächst heute die Furcht vor den Folgen des Klimawandels, der aus christsozialer Sicht nicht nur die Lebensperspektiven der nachfolgenden Generationen, sondern auch die Bewahrung der Schöpfung bedroht.

So bekräftigt auch der jüngste CSU-Europaparlamentarier und Vorsitzende der Jungen Union Bayern Christian Doleschal: „Klimaschutz ist eine globale Angelegenheit und macht nicht vor Grenzen halt. Europa und Deutschland müssen als Impulsgeber und Aushängeschild vorangehen und Beispiel für die ganze Welt sein.“

Und so schließt sich an dieser Stelle auch der Kreis wieder. Wenn sich die Bedrohungen für ein starkes, prosperierendes und wertegeleitetes Europa auch kontinuierlich wandeln, so hat die Europa-Vision der CSU über die Jahrzehnte doch eines bewahrt: Ihren christlich geprägten Kompass und Wesenskern.

Autorin: Dr. Sarah Schmid, HSS

Weber inmitten einer Schaar jubelnder JU-ler

Mit Manfred Weber geht 2019 erstmals ein Bayer als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten ins Rennen.

Nikky Maier; Manfred Weber

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