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Artikel Europa

Die Europäische Agenda unter dem finnischen EU-Ratsvorsitz
Nachhaltiges Europa – Nachhaltige Zukunft

Autor: Angela Ostlender

„Nachhaltiges Europa - Nachhaltige Zukunft". So lautet das Motto, unter dem Finnland europapolitische Akzente für die kommenden sechs Monate setzen will. Zum dritten Mal seit seinem EU-Beitritt im Jahre 1995 übernimmt das Land am 1. Juli 2019 die turnusmäßig wechselnde EU-Ratspräsidentschaft.

 „Nachhaltiges Europa - Nachhaltige Zukunft", das ist die Devise für Finnlands EU-Ratsvorsitz.

„Nachhaltiges Europa - Nachhaltige Zukunft", das ist die Devise für Finnlands EU-Ratsvorsitz.

Marjattacajan; CC0; Pixabay

Nach den Parlamentswahlen im April 2019 durchlief Finnland zeitgleich zu den Vorbereitungen für die dritte EU-Ratspräsidentschaft eine schwierige Verhandlungsphase zur Bildung einer neuen Regierung. Am 6. Juni 2019 löste eine links-grüne Koalition unter Ministerpräsident Antti Rinne (SDP) die vorherige Koalition aus Zentrum, Sammlungspartei (Kokoomus) und „der rechtspopulistischen Partei „Die Wahren Finnen“ unter Juha Sipilä ab. Ein Großteil der inhaltlichen Vorbereitungen für den finnischen EU-Ratsvorsitz fand bereits in den vorausgegangenen Monaten in parteiübergreifenden Arbeitsgruppen statt, wie die finnische Vertreterin im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), Botschafterin Hanna Lehtinen bestätigte. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des offiziellen finnischen Programms stellte sie die finnischen Prioritäten im Rahmen einer gemeinsamen Diskussionsveranstaltung des Europa-Büros Brüssel, des Martens Centre for European Studies und der Landesvertretung Baden-Württemberg bei der EU  in Brüssel vor.

Die vier Schlüsselbereiche lauten:

  • die Stärkung gemeinsamer Werte und der Rechtstaatlichkeit
  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der sozialen Integration
  • Stärkung der Rolle der EU als weltweit führender Akteur für den Klimaschutz
  • Umfassende Sicherheit und Schutz der Bürger

Zu den geographischen Prioritäten zählen:

  • Länder der EU-Nachbarschaft
  • USA
  • Afrika
  • Arktis

Am 26. Juni 2019 fand in Brüssel eine Kooperationsveranstaltung des Europa-Büros der Hanns-Seidel-Stiftung mit der EVP-Denkfabrik „Wilfried Martens Centre for European Studies“ und der Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der EU zu den Prioritäten des finnischen EU-Ratsvorsitzes statt. Finnland hat diese Aufgabe am 1. Juli 2019 von Rumänien übernommen. Finnlands EU-Ratsvorsitz steht unter dem Motto: „Nachhaltiges Europa - Nachhaltige Zukunft". Zu den Sprechern der Konferenz zählten die finnische Vertreterin im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), Botschafterin Hanna Lehtinen; Markus Ferber, MdEP, Stellvertretender Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung sowie die Europaabgeordneten Sirpa Pietikäinen (Finnland) und Dr. Andreas Schwab (Deutschland). Moderiert wurde die Podiumsdiskussion durch Tomi Huhtanen, Exekutiv Direktor des Wilfried Martens Centre for European Studies (WMCES).

Am 1. Juli 2019 hat Finnland die EU-Ratspräsidentschaft von Rumänien übernommen.

Am 1. Juli 2019 hat Finnland die EU-Ratspräsidentschaft von Rumänien übernommen.

Mayya666; CC0; Pixabay

Neue Führungsriegen und Mehrjähriger Finanzrahmen

Der finnische EU-Ratsvorsitz fällt in eine Zeit großer Aufgaben und wichtiger Weichenstellungen für die Europäische Union. Auf die konstituierende Sitzung des Ende Mai 2019 neu gewählten Europäischen Parlaments Anfang Juli 2019 folgen voraussichtlich Anfang November 2019 die Amtseinführungen der neuen Kommission und ihres Präsidenten, des Hohen Vertreters der EU und des Präsidenten des Europäischen Rates. Finnland will zu einem möglichst reibungslosen Übergang beitragen, demnach stehen die finnischen Prioritäten unter dem Zeichen der Kontinuität. Das Land möchte den erfolgreichen Abschluss der von den Vorgängern übernommenen Dossiers gewährleisten. Hierzu gehören neben dem EU-Austritt Großbritanniens, der zum 31. Oktober 2019 möglichst geregelt und mit einem Abkommen erfolgen soll, auch eine Einigung beim strittigen Thema Migration sowie der Abschluss der bereits seit vielen Monaten geführten Verhandlungen zum neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) nach 2020.

Der stellvertretende HSS-Vorsitzende und Europaabgeordnete Markus Ferber verwies darauf, dass der Mehrjährige Finanzrahmen mehr sei, als eine reine Zahlenangelegenheit. „Es geht um die Gewichtung der politischen Prioritäten der kommenden sieben Jahre. Finnland muss zunächst eine Einigung bei den Inhalten herbeiführen und sich vor allem dafür einsetzen, die neue strategische Agenda auf Arbeitsebene zu integrieren.“ Er appellierte an Finnland, die kommenden Verhandlungen mit viel Pragmatismus anzugehen und so viele Vorgänge wie möglich abzuschließen. 

Mit Rechtstaatlichkeit und gemeinsamen Werten gegen Europaskepsis

Angesichts der europaweit wachsenden Europaskepsis sieht sich Finnland auch als Mediator und will vor allem Frauen und Jugend stärker in den politischen Diskurs einbinden. Transparenz und aktive Kommunikation sowie die Einhaltung der Prinzipien der besseren Rechtssetzung sind weitere Grundsätze, mit denen Finnland zur Einheit der Europäischen Union beitragen will. Dr. Andreas Schwab, Europaabgeordneter aus Baden-Württemberg, merkte in diesem Zusammenhang an, dass im Rahmen der MFR-Verhandlungen auch Druck über Fördertöpfe auf Mitgliedstaaten ausgeübt werden könne, die gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstießen.

Finnland will seine Bemühungen vor allem auf Bereiche konzentrieren, in denen die EU am besten in der Lage ist, einen europäischen Mehrwert zu generieren. Um den Erwartungen der Bürger gerecht zu werden, die sich auch in den Ergebnissen der Europawahlen niederschlugen, will Finnland vor allem mehr zur Förderung von nachhaltigem Wachstum und zur Bekämpfung des Klimawandels tun.  

Die EU steht vor großen Aufgaben und Herausforderungen, wie etwa dem Brexit

Die EU steht vor großen Aufgaben und Herausforderungen, wie etwa dem Brexit.

Monkeyiron; CC0; Pixabay

Nachhaltigkeit und integrierte Politikansätze

Nachhaltigkeit ist daher das allübergreifende Querschnittsthema. Finnland verzichtet in diesem Sinne sogar auf die üblichen Werbegeschenke und verwendet die dadurch eingesparten Mittel für nachhaltige Projekte. Botschafterin Lehtinen bemerkte in diesem Zusammenhang scherzhaft, dass sogar das finnische Präsidentschaftslogo von 2006 recycelt wurde.

Mit Blick auf das Thema „Klimaschutz“ plädierte die finnische Europaabgeordnete Sirpa Pietikäinen für eine stärker wissenschaftsbasierte Politik. „Klimawandel sei ein Fakt und keine Ansichtssache. Die Ambitionen in der Klimapolitik liegen weit hinter der gebotenen Dringlichkeit zurück“, warnte die ehemalige finnische Umweltministerin. „Wir dürfen nicht den Menschen die Schuld geben, müssen aber bedenken, dass Menschen ihr Verhalten ungern freiwillig ändern.“ Die Politik müsse sich daher dringend mit unbequemen Fragen auseinandersetzen, zu denen auch volkswirtschaftlich relevante Sektoren gehörten, wie Kohlekraftwerke, Landwirtschaft oder die Automobilindustrie.

Trio-Programm mit Rumänien und Kroatien

Zusätzlich zur turnusmäßig wechselnden sechsmonatigen Präsidentschaft des Rates der EU leitet Finnland von Januar 2019 bis Ende Juni 2020 auch die hochrangige EU-Arbeitsgruppe für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum. Gemeinsam mit seinem Vorgänger Rumänien und Nachfolger Kroatien erarbeitete das Land ein Trio-Programm,​​​​​​​ welches die Leitlinien für die Agenda des Rates für einen Zeitraum von 18 Monaten festlegt. Darüber hinaus bestätigte die Botschafterin, dass Finnland auch in engem Austausch mit Berlin stehe. Deutschland übernimmt in einem Jahr, am 1. Juli 2020, den sechsmonatigen EU-Ratsvorsitz.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter