Print logo

Artikel Europa

Transatlantische Beziehungen
Wirtschaft, Handel, Brexit

Das Themenspektrum war breit, das Interesse in Washington groß. Der Finanz- und Außenpolitiker Alexander Radwan war Hauptredner einer Veranstaltung in Washington, die aktuellen Trends in der deutschen, europäischen und amerikanischen Politik nachging. Ergebnis: auf beiden Seiten des Atlantiks nimmt Nationalismus zu.

In der US-Business-Community steigt die Verunsicherung. Die positive Wirkung der Unternehmenssteuerreform ist verpufft, heute dominieren die Sorgen vor Protektionismus, vor weiteren Importzöllen, vor einem eskalierenden Handelsstreit mit China und vor schwierigen Verhandlungen mit der EU.

Förmlich gekleidete Menschen an einem festlich gedeckten Tisch in einem festlichen Raum im Gespräch

Protektionismus in der Wirtschaft, Nationalismus in der Politik: die Sorgen in der transatlantischen Business-Community steigen.

©0

Die US-Maßgabe im neuen US-Mexiko-Kanada-Abkommen, dass die Wertschöpfung in der amerikanischen Automobil-Industrie zu 75% im Inland erfolgen müsse, andernfalls Strafzölle drohten, unterstreicht die Zielrichtung der Trump-Administration: America First! Dies gilt in Politik und Wirtschaft, so dass Alexander Radwan die berechtigte Frage formulierte, ob denn die USA noch an einem geeinten, freien und handlungsfähigen Europa interessiert seien. Oder habe man sich von diesem Leitbild verabschiedet und betreibe heute aktiv die Spaltung Europas? Aus Sicht der US-Wirtschaftsvertreter wäre es jedenfalls erstrebenswert, wenn bald handelspolitische Vereinbarungen zwischen den USA und der EU erzielt würden. Doch die EU ist ein komplizierter Verhandlungspartner mit vielen Akteuren, die Ergebnissen im Weg stehen können. Trotz aller Spannungen könnte daher ein Abkommen mit China leichter abgeschlossen werden als mit der EU. Schließlich sind die Entscheidungsprozesse in China und den USA auf die jeweiligen Präsidenten zugeschnitten und man hat es nicht wie in Brüssel mit einer unübersichtlichen Vielfalt an Akteuren zu tun.

Neue Entwicklungen in der Finanzwirtschaft

Das Unverständnis über die protektionistischen Züge der Handelspolitik der Trump-Administration sitzt in weiten Teilen der US-Wirtschaft tief. Im Weißen Haus scheint man globale Wertschöpfungs- und Produktionsketten zu verkennen und die Wirkung von Zöllen als auf den Konsumenten umgelegte Steuern zu ignorieren. In der Handelspolitik und bei der Androhung bzw. Verhängung von Strafzöllen dürften die nächsten Monate entscheidend sein. Jedenfalls steht zu vermuten, dass Donald Trump mögliche negative Auswirkungen seiner protektionistischen Handelspolitik aus seinem Wahlkampf 2020 heraushalten möchte.

Verhandlung an einem langen Konferenztisch in einem schmucklosen Raum

Alexander Radwan (Mitte rechts) warnt davor, die Spaltung Europas zuzulassen.

©HSS

Als ein mögliches Feld transatlantischer regulatorischer Zusammenarbeit wurde die FinTech-Industrie identifiziert. In diesem sich dynamisch entwickelnden Bereich verschmelzen Finanzwirtschaft und neue Technologien. ApplePay, GooglePay oder Blockchain-Technologien wie bei Bitcoin und Coinbase stehen für diese rasante Entwicklung. Aus europäischer Sicht ist die Gefahr der Monopolbildung in der digitalen Welt nicht von der Hand zu weisen. In den USA rufen Internetgiganten weit weniger Sorgen hervor. Schließlich sind es US-Unternehmen, die Innovation fördern und umsetzen sowie in vielen Bereichen zu sinkenden Verbraucherpreisen führen. Doch die Auswirkungen digitaler Dienstleistungen auf nationale und internationale Unternehmensbesteuerungen, auf die Zukunft von Arbeitsmodellen und auf die Sicherheit von Informationstransfers und Finanzgeschäften beschäftigen Europa und Amerika in gleicher Weise. Insgesamt ist aber festzuhalten, dass seit der Finanzkrise 2008 die transatlantische Zusammenarbeit bei der Finanzmarktregulierung weniger Aufmerksamkeit genieß. Das Hauptaugenmerk Amerikas galt der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in Amerika, nicht der internationalen Koordination beim Finanzkrisenmanagement.

Wunsch nach positiver Agenda

Interessant ist eine Tendenz im Datenschutz: Während bislang in Amerika die Kritik an der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung groß war, sind jetzt erstmals auch Stimmen zu hören, die die positiven Effekte gemeinsamer Regeln sehen und sich auch für die Vereinigten Staaten mehr datenschutzrechtliche Vereinheitlichung zwischen den Bundesstaaten wünschen. In der Außenpolitik wird das Potential transatlantischer Kooperation betont. Die konkreten Einschätzungen zu Russland und China mögen zwar etwas variieren. Für Europa ist Russland ein zentraler Faktor europäischer Sicherheit und China eher eine Herausforderung, weniger eine geopolitische Krise. Gleichwohl sollte man um transatlantische Geschlossenheit gegenüber Russland und China bemüht sein und es ist nicht im Interesse der USA, wenn die EU zum Spielball von China und Russland wird. Anzustreben sei im transatlantischen Verhältnis, so die einhellige Expertenmeinung, dass Europa und Amerika eine „positive Agenda“ bräuchten, so dass unterschiedliche Ansätze in der Klima-, Iran- oder Handelspolitik nicht immer im Vordergrund stehen. Es gäbe genug gemeinsamen transatlantische Projekte, die dringend angegangen werden müssen, etwa den technologischen Wandel zu gestalten, den Rechtsrahmen für Social Media Plattformen zu definieren, den Umgang mit Big Data zu regeln oder Kooperationen in der Luft- und Raumfahrt.

Schwierige Zeiten für Europa

In der Europa-Politik stehen schwierige Zeiten bevor. Das Misstrauen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten nimmt zu, die Bereitschaft zur Solidarität ab. Die Brexit-Entscheidung, die über wirtschaftliche Motive hinausgeht, offenbart die Krise der europäischen Integration, die auch trotz des Nichtzulassens von Rosinenpickerei bei den Brexit-Verhandlungen keineswegs überwunden ist. Ein Nachgeben gegenüber den britischen Sonderwünschen wäre der Anfang vom Ende der EU gewesen, davon ist Alexander Radwan überzeugt. Mit der Teilnahme Großbritanniens an den Europa-Wahlen ist jetzt aber ein den Wählern nicht mehr zu vermittelnder Zustand entstanden, der das Ansehen Brüssels und der Brüsseler Institutionen weiter erodieren lässt. Doch Alternativen zur europäischen Zusammenarbeit gibt es nicht. Mit voller pro-europäischer Überzeugung forderte der CSU-Europa- und Finanzpolitiker: „Wir müssen mehr in Frieden in Europa investieren. Auf dem Rücken des Nationalismus wachsen wieder die Ressentiments zwischen den Völkern Europas.“ Amerika, das selbst mit einem Anwachsen des Nationalismus konfrontiert ist, darf Europa nicht in den Rücken fallen, so der eindringliche Appell von Alexander Radwan an die amerikanischen Deutschland- und Europa-Experten.