Print logo

Artikel Europa

Herausforderung Corona
Zur Situation von (Zwangs-)Prostituierten in München

Viele Prostituierte haben aufgrund der Corona-bedingten Bordellschließungen ihre Arbeit und Unterkunft verloren, andere hatten aufgrund der Reisebeschränkungen Schwierigkeiten, in ihre Heimat zurückzukehren oder Orte zu verlassen, an denen sie gegen ihren Willen festgehalten wurden. Einige Frauen jedoch konnten auf ihre prekäre Situation aufmerksam machen und erhielten Unterstützung von Fachberatungsstellen, Polizei und KVR.

Viele Prostituierte haben aufgrund der Corona-bedingten Bordellschließungen im März 2020 ihre Arbeit und Unterkunft verloren. 85-90% der Frauen sind aufgrund der Grenzschließungen in ihre Herkunftsländer zurückgefahren, vor allem nach Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. 10-15% der ausländischen Prostituierten sind in München geblieben, durften jedoch nicht mehr arbeiten. Ein Zimmer im Bordell kostet 100-150€ Miete pro Tag. Aufgrund der Notlage, ließen die meisten Bordellbetreiber die Frauen kostenlos in den Bordellen wohnen und verpflegten sie. Viele der Prostituierten arbeiteten jedoch nebenbei illegal in Hotelzimmern und Privatwohnungen.

Unsere Experten:

Die Hanns-Seidel-Stiftung und das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel befassten sich am 16.10.2020 in einer Expertenrunde mit dem Einfluss von Corona auf die Situation von (Zwangs-)Prostituierten. Die Vortragenden waren:

- Monika Cissek-Evans, Leiterin der Fachberatungsstelle JADWIGA München, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel

- Bernhard Feiner, Erster Kriminalhauptkommissar, Polizeipräsidium München, Kommissariat 35

- Renate Hofmann, Fachberatungsstelle SOLWODI Bad Kissingen, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel

- Alain Langefeld, Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat, Sachgebietsleitung Anmeldungen nach Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG)

- Kerstin Neuhaus, lightup Germany, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel, Mitarbeiterin der Hanns-Seidel-Stiftung

- Adina Schwartz, Fachberatungsstelle JADWIGA München

Auch nachdem die Bordelle unter Auflagen wieder eröffnen durften, blieb ein Teil der Frauen in der Illegalität.

Auch nachdem die Bordelle unter Auflagen wieder eröffnen durften, blieb ein Teil der Frauen in der Illegalität.

Alex Linch; ©HSS; IStock

Illegale Prostitution gefährdet den Schutz der Frauen

„In legalen Bordellen sind keine Zuhälter zugelassen, aber in den illegalen Bordellen waren Zuhälter häufig anzutreffen“, so Bernhard Feiner, Erster Kriminalhauptkommissar am Polizeipräsidium München. Die Münchner Polizei hatte in dieser Zeit vermehrt Einsätze wegen illegaler Bordelle u.a. im Sperrbezirk.

Nachdem den Klagen von Betreibern gegen die Bordellschließungen stattgegeben wurde, öffneten Ende Juni 2020 viele Bordelle wieder. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Bordellöffnung bestätigt. 80-85% der Prostituierten kamen zurück in die Etablissements, ein Teil der Frauen verblieb jedoch in der Illegalität. - „Illegale Prostitution gefährdet den Schutz der Frauen!“, unterstrich Feiner. Die Frauen sind den Zuhältern stärker ausgeliefert. Die Polizei hat keinen Zugang zu den Prostituierten und erfährt nichts über ihren Aufenthalt und ihre Arbeitsbedingungen. Der Personaleinsatz der Ermittlungsbehörden im Bereich illegaler Prostitution ist deswegen höher und die Strafverfolgung wird erschwert.

Mit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) besteht seit 1. Juli 2017 für Prostituierte eine Anmeldepflicht bei der Stadt. In Deutschland waren Ende 2019 rund 40.400 Prostituierte bei Behörden angemeldet, in München waren es ca. 2.500. 85% der Prostituierten in München haben Migrationshintergrund, zumeist einen osteuropäischen. 2019 gab es beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) rund 1.040 Anmeldungen und Verlängerungen des Prostitutionsausweises. Vom Januar bis Oktober 2020 waren es rund 500. Aufgrund der Corona-Beschränkungen bestand jedoch vier Monate keine Möglichkeit der Anmeldung, mittlerweile werden wieder mehr Frauen vorstellig.

Das „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“ wurde im Jahr 2000 gegründet und ist ein informeller Zusammenschluss von rund 20 Organisationen, Verbänden und Beratungsstellen aus Bayern, mit dem Ziel, gemeinsam Aufklärungsarbeit, Aktionen, Veranstaltungen und Kampagnen gegen den Frauenhandel durchzuführen. Seit 2004 veranstalten die Hanns-Seidel Stiftung, das Aktionsbündnis und Renovabis gemeinsame Jahrestagungen.

Eigentlich sollte das 20-jährige Bestehen des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel am 16.10.2020 im Konferenzzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung groß gefeiert werden. Leider musste die Veranstaltung Corona-bedingt auf den 28.04.2021 verschoben werden.

Zwangsprostitution bekämpfen

Der ein- bis zweistündige Anmeldetermin beim KVR beinhaltet ein Beratungs- und Informationsgespräch sowie die Ausgabe von Flyern der Fachberatungsstellen. Laut Alain Langefeld vom KVR der Landeshauptstadt München suchen die Mitarbeiter beim Gespräch nach Anhaltspunkten für Zwangsprostitution. In solchen Fällen werden die Fachberatungsstellen hinzugezogen und die Polizei informiert. Seit Juli 2017 haben sich 4.800 Prostituierte beim KVR angemeldet, 150 galten als Verdachtsfälle von Zwangsprostitution.

Monika Cissek-Evans, Leiterin der Fachberatungsstelle JADWIGA München unterstrich die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen JADWIGA, dem KVR und der Polizei: „Bisher haben 15 Frauen Anzeige erstattet, 21 Frauen beantragten Rückkehrhilfe“. Sie verwies diesbezüglich auch auf die bessere finanzielle und personelle Ausstattung ihrer Fachberatungsstelle: „Vor 20 Jahren befassten sich zwei Halbtagskräfte mit 40 Fällen, 2019 arbeiteten 10 Mitarbeiterinnen an 325 Fällen der Zwangsprostitution.“

Über ein Drittel der in Deutschland gemeldeten Prostituierten stammen aus Rumänien. Der Blick richtete sich daher auf das besondere Schicksal von osteuropäischen Zwangsprostituierte während der Corona-Lockdowns. „Während außereuropäische Klientinnen im Asylverfahren Unterkunft, Verpflegung und Unterstützung erhielten, waren die osteuropäischen Klientinnen auf die Fachberatungsstellen angewiesen“, führte Adina Schwartz von JADWIGA aus. Die Organisation hat 48 Frauen aus Osteuropa unterstützt, indem sie zusammen mit IOM Rückführungen organisiert hat oder die Unterbringung in München sicherstellte.

Wegen Corona: weniger Spenden, mehr Aufwand

Die Corona-Pandemie bedeutete für die Fachberatungsstellen einen hohen personellen und finanziellen Mehraufwand: Mehrausgaben u.a. für Schutzmasken, bei geleichzeitigem Rückgang der Spenden. Die Fachberatungsstelle SOLWODI musste Kurzarbeit im Verwaltungsbereich einführen. Die tägliche Arbeit wurde durch die Corona-Beschränkungen erschwert: „Die Abläufe waren verlangsamt. Bei den Behörden musste mehrfach nachgehakt werden“, so Renate Hofmann von SOLWODI. Es gab Verzögerungen bei der Antragstellung und beim Antragsbeschluss. Die Schutzwohnungen waren durchgehend geöffnet, die Neuaufnahme von Schutzbedürftigen war jedoch kompliziert. Der Beziehungsaufbau zu den Frauen war schwieriger und der Betreuungsaufwand höher. Für die Kinder der Klientinnen waren der Wegfall des Tagesrhythmus, die fehlende technische Ausstattung und die Überforderung der Mütter belastend. Bei den betreuten Frauen löste Corona große Unsicherheit aus, doch nach den Lockerungen vereinfachte sich die Situation: Hausbesuche, Termine in Gemeinschaftsunterkünften und begleitete Behördengänge waren wieder möglich.

Anfang November müssen die Bordelle Corona-bedingt erneut schließen. Die Prostitution wird sich weiter in die Illegalität verlagern: eine Gefahr für die Frauen und für den Infektionsschutz. Einige Frauen jedoch werden auf ihre prekäre Situation aufmerksam machen können und Unterstützung von Fachberatungsstellen, Polizei und KVR erhalten.

Autorin: Dr. Susanne Schmid, HSS

Wenn aus Liebe Prostitution wird: Aufklärungsvideo zur Loverboy-Masche

Es gibt verschiedene Wege, in die Zwangsprostitution zu geraten. Ein Weg ist die sogenannte Loverboy-Masche. Loverboys sind junge Männer, die einem Mädchen oder einer jungen Frau eine Liebesbeziehung vortäuschen, um sie später in die Prostitution zu locken bzw. zu zwingen. Die Täter verdienen damit viel Geld, werden jedoch selten gefasst. Das neue Video von Kerstin Neuhaus, lightup Germany, und der Jungen Akademie will hierfür sensibilisieren. Es erzählt die Geschichte von Lily, die Opfer eines Loverboys wird:

Gesellschaftliche Entwicklung, Migration, Integration
Dr. Susanne Schmid
Leiterin