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1818 bis 2036
Bevölkerungsentwicklung in Bayern

Autor: Dr. Susanne Schmid

Bayerns Bevölkerung wächst. – Trotzdem stellt der demografische Wandel eine zentrale Herausforderung dar: In allen Landesteilen nimmt der Anteil älterer Menschen deutlich zu. Gleichzeitig sinkt die Einwohnerzahl dort, wo die Zuwanderung nicht ausreichend hoch ist um das Geburtendefizit auszugleichen. Was sind die politischen Handlungsoptionen vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen und zukünftiger Erwartungen? Wie werden die bayerischen Regionen 2036 aussehen?

Was wissen wir über die demografische Entwicklung in Bayern von 1818 bis 2036?

Vor dem Hintergrund der Feierlichkeiten zu „100 Jahren Freistaat Bayern“ veranstaltete die Hanns-Seidel-Stiftung am 5. Juni 2018 eine Fachtagung zum Thema: „Antworten auf den demografischen Wandel. Die Entwicklung in Bayern von 1918-2035“. Der Fokus der Tagung lag auf politischen Handlungsoptionen vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen und zukünftiger Erwartungen.  Wir haben für Sie einen Experten der Tagung, Herrn Dr. Michael Fürnrohr, den Abteilungsleiter des Bayerischen Landesamtes für Statistik, interviewt.

Herr ohne Haare an einem Rednerpult mit zwei Mikros. Engagiert aufgestützt.

Dr. Michael Fürnrohr ist Leiter der Abteilung 4 „Bevölkerung, Haushalte, Zensus, Erwerbstätigkeit, Finanzen, Rechtspflege, Schulen“ am Bayerischen Landesamt für Statistik und u.a. der Projektleiter für die Vorbereitung und Durchführung des Zensus 2011 und 2021 in Bayern. Auch ist er Lehrbeauftragter für das Fach „Amtliche Statistik“ am Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er informierte umfassend über die Bevölkerungsentwicklung in Bayern von 1818 bis 2036.

S.Schmid; HSS

HSS: Herr Dr. Fürnrohr, heuer feiern wir 100 Jahre Freistaat Bayern und 200 Jahre bayerische Verfassung.  Was waren die prägendsten demografischen Entwicklungen in Bayern in den vergangenen 200 Jahren?

Dr. Fürnrohr: Die Bevölkerung Bayerns hat sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts mehr als verdreifacht, eine Entwicklung, die auf eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen ist. Während in Bayern die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch bei weniger als 35 Jahren lag, werden heute geborene Jungen im Durchschnitt 79,1 Jahre alt, Mädchen sogar 83,7 Jahre. Dieser Anstieg der Lebenserwartung ist vor allem ein Resultat von medizinischen Fortschritten sowie Erkenntnissen im Bereich der Hygiene, Ernährung und Gesundheitspflege, wodurch sich die einst hohe Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit deutlich reduziert hat. Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre hat in Bayern dann ein deutlicher Geburtenrückgang stattgefunden. Während die zusammengefasste Geburtenrate 1964 in Bayern noch bei durchschnittlich 2,6 Kindern pro Frau lag, pendelt sie seit 1973 zwischen 1,3 und 1,6 Kindern pro Frau. Infolgedessen ist auch in Bayern bereits seit geraumer Zeit die Zahl der jährlich stattfindenden Geburten niedriger als die Zahl der Sterbefälle. Bayern wächst derzeit also nicht von innen heraus, sondern durch Zuwanderung aus dem restlichen Bundesgebiet und aus dem Ausland, wobei hier insbesondere die Zuwanderung aus der EU eine wichtige Rolle spielt. Auch in der Vergangenheit hat es in Bayern wiederholt Phasen gegeben, in denen die Zahl der Zuzüge weit über der Zahl der Fortzüge lag. Ein Beispiel hierfür sind die Jahre 1955 bis 1973, in denen Millionen von Gastarbeitern nach Bayern kamen und zumindest teilweise dauerhaft blieben.

INFO:

Vor über 210 Jahren, mit der Gründung des "Statistisch topographische Bureau" im Bayerischen Außenministerium und der Übertragung statistischer Aufgaben an eine Polizei-Sektion im Bayerischen Innenministerium, begann die amtliche Statistik in Bayern: Heute ist das „Bayerische Landesamt für Statistik“ eine dem Bayerischen Innenministerium nachgeordnete Landesoberbehörde und zuständig für alle Belange amtlicher Statistik in Bayern. Die Behörde mit Hauptsitz in Fürth hat rund 1.000 Mitarbeiter. Der Präsident des Statistischen Landesamtes ist gleichzeitig als Landeswahlleiter für amtliche Ergebnisse von Wahlen, Volksentscheiden und Volksbegehren zuständig. Die bekannteste und wichtigste Veröffentlichung der Behörde ist das “Statistische Jahrbuch für Bayern“ mit Informationen zu den demographischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten und Entwicklungen im Freistaat. Erstmals erschien es vor 124 Jahren (1894) als „Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern“.

Mehr Infos: 
Festschrift - "200 Jahre amtliche Statistik in Bayern – 1808 bis 2008" 
Teil- I Teil- II 
Bevölkerungsentwicklung Prognose
Pressemitteilung des Landesamtes für Statistik

https://www.statistik.bayern.de/presse/archiv/2018/122_2018.php

HSS: Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann stellt Ende Mai die von Ihrer Abteilung erarbeitete neue regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2036 vor. Wie erstellt man Bevölkerungsprojektionen und welche Annahmen liegen den aktuellen Berechnungen zugrunde? Inwiefern hat sich die hohe Zuwanderung von Geflüchteten auf die Berechnungen ausgewirkt? 

Bei der Aufstellung von Vorausberechnungsmodellen geht es in der amtlichen Statistik grundsätzlich darum, die beobachtete Dynamik demografischer Prozesse fortzuschreiben. Die zentrale Frage lautet: Was wäre, wenn sich die aktuell feststellbaren Trends im Bereich des Geburtenverhaltens, der Sterblichkeit sowie der Zu- und Abwanderung konstant in die Zukunft fortsetzen? Vereinfacht beschrieben wird die Bevölkerung eines Ausgangsjahres, gegliedert nach Alter und Geschlecht anhand einer angenommenen Geburten- und Sterbewahrscheinlichkeit sowie angenommener jährlicher Zu- und Fortzüge von Jahr zu Jahr fortgeschrieben. In der zuletzt veröffentlichten regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung bis zum Jahr 2036 gehen wir davon aus, dass die aktuell vergleichsweise hohen Geburtenziffern in den kommenden Jahren leicht absinken, langfristig dann aber konstant bleiben werden. Zusätzlich wurde unterstellt, dass das Alter der Mütter bei Geburt weiterhin moderat ansteigen wird. Auch die Lebenserwartung bei Geburt wird weiterhin ansteigen und im Jahr 2036 voraussichtlich bei ca. 81,9 Jahren für Männer und 86,0 Jahren für Frauen liegen. Im Bereich der Wanderungen wird davon ausgegangen, dass Bayern auch zukünftig noch einen leicht positiven Wanderungssaldo mit den restlichen Bundesländern erzielen wird. Im Hinblick auf die Auslandswanderung wurde für die ersten Berechnungsjahre ein schrittweiser Rückgang des - durch die Flüchtlingszuwanderung verursachten – außergewöhnlich hohen positiven Wanderungssaldos angenommen. Langfristig wird davon ausgegangen, dass sich der Wanderungssaldo mit dem Ausland bei durchschnittlich ca. +41 000 Personen pro Jahr einpendelt.  Zu beachten ist, dass Vorausberechnungen langfristige Muster fortschreiben. Unvorhergesehene Ereignisse – wie beispielsweise die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 – können diese langfristigen Muster zeitweise überlagern. Damit auch solche nicht zu antizipierenden Ereignisse möglichst schnell in unseren Berechnungen berücksichtigt werden, aktualisieren wir die regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung jedes Jahr.  


HSS: Jetzt sind wir natürlich neugierig auf die zentralen Ergebnisse der Bevölkerungsvoraus-berechnung für Bayern bis 2036. Stellen Sie uns diese bitte kurz vor. Gibt es unerwartete Entwicklungen?  

Es ist davon auszugehen, dass Bayern bis zum Jahr 2036 einen Bevölkerungsstand von fast 13,5 Millionen Menschen erreichen wird, was einem Zuwachs von 540.000 Personen bzw. 4,2 Prozent entspricht. Dieser Zuwachs beruht auf den Wanderungsgewinnen, die der Freistaat gegenüber den anderen Bundesländern und gegenüber dem Ausland erzielt. Ohne diese Wanderungsgewinne würde der Freistaat bis zum Jahr 2036 4,1 Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Ursache hierfür ist der Sterbefallüberschuss, also die Tatsache dass in Bayern jedes Jahr mehr Sterbefälle als Geburten stattfinden. Das Durchschnittsalter wird im gesamten Freistaat ansteigen: Lag es 2016 noch bei 43,6 Jahren, wird es im Jahr 2036 schon bei 46,0 Jahren liegen, also knapp zweieinhalb Jahre höher.


HSS: Die demografische Entwicklung in Bayern fällt regional unterschiedlich aus. So sind im Norden und Osten Bayerns die negativen Folgen des demografischen Wandels stärker zu spüren. Hier wird die Einwohnerzahl trotz der Wanderungsgewinne weiter abnehmen. Ein Einwohnerplus dagegen weisen vor allem die Regionen im südlichen Bayern auf. Können Sie dies mit einigen aktuellen Zahlen veranschaulichen? Warum bestehen diese Unterschiede? Kann man die Folgen demographischen Wandels regional „gerechter“ verteilen oder wenigstens abmildern?  

Trotz der starken Zuwanderung werden die regionale Unterschiede in den Entwicklungspfaden bestehen bleiben. Im Ergebnis können fünf der sieben Regierungsbezirke im Betrachtungszeitraum mit steigenden Bevölkerungszahlen rechnen, für Unterfranken und Oberfranken werden dagegen sinkende Einwohnerstände erwartet. Der weitaus größte Zuwachs ist für Oberbayern zu erwarten. Hier wird die Zahl der Einwohner zwischen 2016 und 2036 um über 460 000 Personen ansteigen was einem Zuwachs von 9,9 Prozent entspricht. Der Regierungsbezirk Oberfranken wird dagegen im gleichen Zeitraum ca. 63 000 Personen verlieren was einen Bevölkerungsrückgang von 5,9 Prozent bedeutet. Auf Kreisebene sind die Unterschiede noch deutlicher; hier reicht die Spanne von 15,5 Prozent Einwohnerzuwachs zwischen 2016 und 2036 im Landkreis Dachau bis hin zu 15,3 Prozent Bevölkerungsrückgang im Landkreis Wunsiedel i.Fichtelgebirge. Diese unterschiedlichen Entwicklungspfade sind insbesondere auf strukturelle Faktoren (Arbeitsplatzangebot, Infrastruktur) zurückzuführen, welche die Menschen dazu bewegen zuzuwandern bzw. nicht abzuwandern. Für Regionen, die bereits heute durch einen Bevölkerungsrückgang gekennzeichnet sind, ist es wichtig für junge Menschen attraktiv zu bleiben oder aber attraktiver zu werden. Ohne ein entsprechendes Arbeitsplatzangebot ist dies jedoch schwierig.    


HSS: Ihre Abteilung erstellt auch Vorausberechnungen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Welche Annahmen liegen diesen Berechnungen zugrunde? Was sind die wichtigsten Ergebnisse?  

Bei der Vorausberechnung der Bevölkerung nach Migrationshintergrund werden für Personen mit und ohne Migrationshintergrund getrennte Annahmen hinterlegt. So weisen zum Beispiel Personen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt ein etwas höheres Fertilitätsniveau auf. Zusätzlich werden die Einbürgerungsdaten analysiert, um daraus Annahmen zum Einbürgerungsverhalten von Ausländern abzuleiten. Eine wichtige Erkenntnis dieser Berechnungen ist, dass der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung im gesamten Freistaat stark ansteigen wird. Dies ist nicht nur auf die anhaltende Zuwanderung und das leicht erhöhte Geburtenniveau dieser Bevölkerungsgruppe zurückzuführen, sondern auch auf die deutlich jüngere Altersstruktur. Der Anteil der Personen mit türkischen, ex-jugoslawischen und ex-sowjetischen Wurzeln an der Gesamtbevölkerung wird in den kommenden Jahren nur geringfügig ansteigen. Schon heute stammt der größte Teil der Personen mit Migrationshintergrund aus einem EU- bzw. EFTA-Staat und der Anteil dieser Personen an der Gesamtbevölkerung wird weiterhin zunehmen. Auch Personen aus dem sonstigen Ausland werden zukünftig einen größeren Anteil der Gesamtbevölkerung ausmachen.  


HSS: Die Bevölkerungsstatistik dient als Planungsgrundlage für Sozialstaat und Wirtschaft. Welchen Einfluss haben die aktuellen Bevölkerungsvorausberechnungen auf politische Entscheidungen? Wer nutzt Ihre Daten vorrangig? 

Die Nachfrage nach den Ergebnissen unserer Vorausberechnungen ist sehr hoch, wobei der Personenkreis, der bei uns Anfragen stellt, sehr heterogen ist. Ein sehr wichtiger Interessentenkreis stammt aus dem Bereich der Stadt-, Landkreis- und Gemeindeverwaltungen und benötigt unsere Daten z.B. für Aufgaben im Bereich der Kommunal- und Stadtplanung oder der Kinder- und Jugendhilfe. Wir stellen die Ergebnisse unserer Vorausberechnungen aber auch Wissenschaftlern zur Verfügung sowie Wirtschafts- und Marktforschungsinstituten.


HSS: Herr Dr. Fürnrohr, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Gesellschaftliche Entwicklung, Migration, Integration
Dr. Susanne Schmid
Leiterin