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Gastbeitrag von Alois Glück
Zur Bedeutung der Artenvielfalt für Gesellschaft und Politik

Autor: Silke Franke

Zahlreiche Menschen haben sich am Volksbegehren „Rettet die Bienen“ beteiligt, das Quorum von 10 Prozent wurde weit überschritten. Angesichts der vielen Stimmen hat die Bayerische Staatsregierung dem Volksbegehren formell zugestimmt, will aber zugleich das Thema Natur- und Artenschutz umfassender angehen. Dazu sollen die Initiatoren des Volksbegehrens sowie Betroffene und weitere mögliche Akteure gemeinsamen an einem Runden Tisch ihre Argumente austauschen und konkrete Vorschläge zusammentragen. Mit der Leitung und Moderation wurde der ehemalige Landtagspräsident Alois Glück beauftragt.

Zur Info: Seit 1946 gab es 21 Volksbegehren (inklusive „Rettet die Bienen“) und 19 Volksentscheide, 11 Volksbegehren und 16 Volksentscheide betrafen auch Verfassungsänderungen. Bayern ist eine repräsentative Demokratie, den Willen der Bevölkerung üben die gewählten Abgeordneten im Bayerischen Landtag aus. Die repräsentative Demokratie wird ergänzt durch das Volksbegehren bzw. Bürgerbegehren als Element der unmittelbaren bzw. direkten Demokratie. Die Gesetzgebung durch das Volk ist in Art. 72 Bayerische Verfassung, Volksbegehren und Volksentscheid in Artikel 74 der Bayerischen Verfassung und weiteren Gesetzen geregelt. Mehr auf der Seite des Bayerischen Innenministeriums: https://bit.ly/2GqutUg

Ist ein Volksbegehren erfolgreich, muss sich der Landtag innerhalb einer bestimmten Frist (https://www.bayern.landtag.de/parlament/aufgaben-des-landtags/gesetzgebung/volksgesetzgebung/) damit befassen und darüber abstimmen, ob er dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens zustimmt oder ablehnt. In diesem Fall hat die Bayerische Staatsregierung dem Volksbegehren "Rettet die Bienen" formell zugestimmt.

Der Gesetzentwurf, der Änderungen im bayerischen Naturschutzgesetzt vorsieht, soll also angenommen werden, wobei einige wenige, aus Sicht der Landwirtschaft problematische Punkte über entsprechende Ausführungsstimmungen und finanziellen Ausgleichszahlungen flankiert werden sollen (der Entwurf des Volksbegehrens selbst darf nicht verändert werden). Das Gesetz und das „Begleitgesetz“ sollen zeitgleich im Landtag behandelt und noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Dies betrifft z.B. das Walzverbot ab 15. März (soll witterungsabhängig flexibler gehandhabt werden können) und das Mahdverbot für zehn Prozent der Grünflächen bis 15. Juni (soll nurmehr bayernweite Zielvorgabe sein). Auch für Biotopverbund und Biotopschutz sollen praktikable Regelungen möglich sein.

Doch über den Gesetzesentwurf des Volksbegehrens hinaus soll ein Gesamtpaket geschnürt werden, das als Vision alle Teile der Gesellschaft anspricht und sie ermuntert, sich in ihrem eigenen Wirkungskreis einzusetzen und zu gemeinsamen, umfassenden Projekten für den Artenschutz und die Förderung der Artenvielfalt in Bayern beizutragen. In mehreren Sitzungsrunden und Facharbeitsgruppen werden nicht nur Differenzen und Übereinstimmungen ausgelotet, sondern v.a. umfassende Ideen und Lösungsansätze erarbeitet.

Nachtrag, 26. April 2019: Abschlussbericht

Am 26. April 2019 hat der von Ministerpräsident Dr. Markus Söder, MdL, einberufene Runde Tisch zum Arten- und Naturschutz mit Vertretern der Staatsregierung, Initiatoren des Volksbegehrens und betroffenen Verbänden zum dritten Mal in der Bayerischen Staatskanzlei getagt und anschließend eine Pressekonferenz abgehalten. Nun liegt ein Bericht von Alois Glück vor, der den Prozess, die Organisaiton und die Schlussfolgerungen des Runden Tisches auf 81 Seiten erläutert.

Hier finden Sie den link zu dem Dokument Bericht des Moderators Alois Glück, Landtagspräsident a.D.

Alois Glück, Landtagspräsident a.D. (hier bei einer Veranstaltung der HSS), ist gelernter Landwirt. Er hat sich u.a. als Vordenker und Umweltpolitiker profiliert.

Alois Glück, Landtagspräsident a.D. (hier bei einer Veranstaltung der HSS), ist gelernter Landwirt. Er hat sich u.a. als Vordenker und Umweltpolitiker profiliert.

Für Alois Glück, dem die Leitung und Moderation dieser anspruchsvollen Aufgabe obliegt, stellt sich persönlich die übergeordnete zentrale Frage, welche Bedeutung der Artenschutz für die Prioritäten in unserer Gesellschaft und für die Politik hat. Denn, so Glück „die Antwort auf diese Frage wird entscheidend dafür sein, welche Qualität an Aktivitäten, welche Gestaltungskraft wir tatsächlich miteinander entwickeln“. Seine weiteren Überlegungen hat Alois Glück in einem Zwischenbericht festgehalten. Nachfolgend können Sie hier Auszüge daraus lesen:

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen: Weitsicht der Bayerischen Verfassung

„Die vergangenen Wochen waren für mich nicht nur eine große Anstrengung, es war auch ein intensiver Lernprozess. Ich sehe heute die Bedeutung der Artenvielfalt anders als vor vier Wochen.

Ich sehe diese Aufgabe ganz im Sinne des Auftrags der Bayerischen Verfassung. Wenn ich mir den Zeitpunkt der Erarbeitung und der Beschlussfassung in Erinnerung rufe, bin ich voller Bewunderung über diese Weitsicht, über diesen geradezu prophetischen Text.

Bayerische Verfassung, Artikel 141

(1) Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist, auch eingedenk der Verantwortung für die kommenden Generationen, der besonderen Fürsorge jedes einzelnen und der staatlichen Gemeinschaft anvertraut. Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt. Mit Naturgütern ist schonend und sparsam umzugehen. Es gehört auch zu den vorrangigen Aufgaben von Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts,

  • Boden, Wasser und Luft als natürliche Lebensgrundlagen zu schützen, eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen und auf möglichst sparsamen Umgang mit Energie zu achten,
  • die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten und dauerhaft zu verbessern,
  • den Wald wegen seiner besonderen Bedeutung für den Naturhaushalt zu schützen und eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen,
  • die heimischen Tier und Pflanzenarten und ihre notwendigen Lebensräume sowie kennzeichnende Orts- und Landschaftsbilder zu schonen und zu erhalten.

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Wasser und Luft – dafür gibt es gewiss seit vielen Jahren einschlägige gesetzliche Regelungen. Mein Lernprozess der letzten Wochen führt mich zu der Einschätzung, dass das Zeichen dieser Zeit, das Gebot dieser Stunde, nun unsere besondere Aufmerksamkeit auf den Naturhaushalt und den Boden gerichtet werden muss.

Sorge um die Natur: Wechselseitig Schuldzuweisungen bringen nichts

Offensichtlich hat eine wachsende Zahl von Menschen das Gefühl, die Intuition, dass wir in unserer Natur bedrohliche Entwicklungen haben. Auf die Frage, wovor sie am meisten Angst haben, nennen die Menschen in neueren Umfragen den Klimawandel. Die Sorge, die Ängste um den Klimawandel und um Entwicklungen in unserer Natur, wie sie der drastische Rückgang der Insekten signalisiert, sind emotional eng miteinander verbunden – stehen aber durchaus auch sachlich in einer Beziehung. Das ist die politische Bedeutung dieser Reaktionen.

Wirklich zukunftsorientiert und wirksam können wir nur handeln, wenn wir sachgerecht handeln. Wir erreichen in der Sache nichts oder wenig, wenn wir uns wechselseitig die Schuld zuweisen und den „Schwarzen Peter“ weiterschieben. Wir werden auch in diesem Prozess „Runder Tisch“ zu wirklich tragfähigen und wirksamen Ergebnissen nur kommen können, wenn wir jeweils bereit sind, uns auch auf den Stuhl des Anderen zu setzen, ihm zuzuhören, den Willen aufbringen, ihn verstehen zu wollen.

Welchen Fortschritt wollen wir? Alle Politik- und Lebensbereiche überdenken

Im Sinne des Auftrags nach Art. 141 der Bayerischen Verfassung gilt es, ein neues Kapitel in der Aufgabenstellung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schreiben. Das bedeutet auch, die Prioritäten im Einsatz unserer Mittel zu überprüfen. Sie sind ja immer begrenzt. 
Welchen Maßstab haben wir dabei? Die Fortschreibung einer Entwicklung, die die natürlichen Lebensgrundlagen anhaltend schädigt, ist kein Fortschritt!
Damit muss manches in Frage gestellt werden, was wir bislang als Fortschritt definiert haben, was wir bislang mit der Devise „Immer höher – immer schneller – immer weiter“ als Priorität gesehen haben. 
Neue Aufgabenstellungen für den Schutz der Natur, das ist natürlich nicht nur eine Aufgabenstellung, ein Auftrag für die, die das Land bewirtschaften.
Das gilt für jeden von uns, in unseren verschiedenen Rollen als Konsument, als mobiler Bürger, mit unserem Anspruch auf den freien Zugang zu den Naturschönheiten mit allen damit verbundenen Folgen der Belastungen in oft besonders sensiblen Naturbereichen. Es ist eine Aufgabe in allen Lebensbereichen und in allen politischen Handlungsfeldern.

Gute Ansätze systematisch in der Fläche ausbauen

Ich nenne als Beispiel bewusst die Grünflächen in und um unsere Siedlungen, die Randstreifen an den Wegen und Straßen, die Dämme an den Flüssen. Hier haben wir ein sehr großes Potenzial an Flächen und Vernetzungen. Es gibt dafür viele gute Beispiele. 

Jetzt geht es darum, aus diesen vielen guten Beispielen ein systematisches und gemeinsames Handeln zu gestalten. Wir haben viele nur extensiv genutzte Flächen und wir können weitere Flächen einer solchen Entwicklung zuführen. Aber es ist oft schon viel erreicht, wenn wir die weitere Existenz solcher Flächen sichern. Auch indem wir beispielsweise bestimmte Nutzungsformen, wie die Schafhaltung, entsprechend wirtschaftlich absichern.

Wenn der Staat, die Kommunen oder die Kirchen Flächen verpachten, können sie dies mit entsprechenden Auflagen verbinden. Natürlich gibt es dann weniger Pacht, weniger Erlös. Es wäre aber eine moralische Bankrotterklärung, wenn es daran scheitern würde. 

Die Beratungen in den Fachgruppen müssen klären, welche Aufgaben und welche Begrenzungen auch rechtlich verpflichtend geregelt werden müssen. Für welche Aufgaben und Initiativen brauchen wir die Unterstützung durch Förderprogramme?

Was gehört zum Selbstverständnis der Bauern? Was ist die Rolle der Landwirtschaft?

Was gehört zum Selbstverständnis der Bauern? Was ist die Rolle der Landwirtschaft?

Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft – eine Frage der politischen Prioritätensetzung und des Selbstverständnisses

Was gibt es Wichtigeres, als den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen? Das frage ich diejenigen in der Politik, die mir schon vorrechnen, was das alles kostet, wenn wir für diese Gemeinwohlleistung der Bauern noch mehr Geld ausgeben wollen oder müssen. Natürlich hat das Folgen für andere Wünsche und Handlungsbereiche der Politik.  Aber da sind wir eben bei der Frage nach der Priorität.

Zu diesen Aufgaben zählt natürlich auch die Diskussion innerhalb der Landwirtschaft über das eigene Selbstverständnis, über die Rolle der Landwirtschaft in der Gesamtaufgabe Zukunft des Naturhaushaltes. Diese auch sehr grundsätzliche Diskussion werden wir in der Fachgruppe Agrarlandschaft führen, führen müssen.

Was gehört zum Selbstverständnis der Bauern? Dafür haben wir aber auch einen in der Geschichte der bayerischen Agrarpolitik wichtigen Bezugsfall. Der „Bayerische Weg“ in der Agrarpolitik wird meistens fast ausschließlich mit der überbetrieblichen Zusammenarbeit verbunden. Zusammenarbeit in Maschinenringen, Erzeugergemeinschaften etc. als intelligente Antwort auf betriebswirtschaftliche Effekte der Technik. Eine Pionierleistung übrigens, die die weitere Entwicklung der Agrarpolitik in Deutschland und in Europa entscheidend mitgeprägt hat.

Im Zusammenhang mit unserem Thema gibt es aber eine andere Pionierleistung mit dieser Entwicklung des Bayerischen Weges. Der damalige Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann (https://www.hss.de/news/detail/30-todestag-dr-hans-eisenmann-news1062/) – dessen Bedeutung für die Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums gar nicht groß genug eingeschätzt werden kann, aber leider weithin vergessen ist – hat damals die Pflege der Kulturlandschaft als Aufgabe und Leistung der Landwirtschaft für die Gesellschaft in die agrarpolitische Debatte und in den Auftrag im Sinne des Bayerischen Wegs beschrieben. „Agrarpolitik ist Gesellschaftspolitik“ hat er immer formuliert.

Die Reaktion in der Landwirtschaft war Empörung. "Wir Bauern als Landschaftspfleger – das soll unsere Aufgabe sein? Das ist doch eher Aufgabe des Bauhofs, der Kommunen. Wir, wir sind der Nährstand, wir sorgen für die Ernährung der Bevölkerung." Das ist unser Selbstverständnis und unser Rang in der Gesellschaft und unsere Bedeutung für die Gesellschaft. Das Selbstverständnis, das Selbstbewusstsein der Bauern, war verletzt. Es dauerte Jahre, bis diese Aufgabe der Landschaftspflege verstanden und angenommen wurde. Jetzt ist wieder die Stunde für eine Weichenstellung. Wir müssen die Gemeinwohlleistung unserer Landwirtschaft wieder wertschätzen, auch weiterentwickeln und entsprechend honorieren. Nahrungsmittel können wir exportieren und importieren – die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft können wir nicht importieren.  Die andere Seite dieser Medaille ist aber auch, dass sich die Landwirtschaft darauf entsprechend einstellen muss, um dieser Aufgabenstellung auch gerecht zu werden.

Bildungsaufgabe: Natur verstehen lernen

Die zentrale Voraussetzung für eine von der ganzen Gesellschaft mitgetragene „Offensive“ für unseren Naturhaushalt, für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist, dass wir lernen, die Natur, ihre Zusammenhänge und ihre Bedeutung für unser Leben besser zu verstehen. Das ist unsere gemeinsame Bringschuld gegenüber der Gesellschaft. Natur verstehen lernen, die Bedeutung der intakten Natur für uns und die Nachkommen begreifen. Das ist eine Bildungsaufgabe, die die Bildungspolitik gestalten muss. Ein wichtiges Thema für das Kultusministerium und die Bildungspolitiker. Nur so werden die Menschen auch akzeptieren, wenn diese Entwicklungen auch Einschränkungen und Belastungen bedeuten.“

Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin