Print logo

Der Mufti Westeuropas – Was will Osman Kozlić
„Islamische Gemeinschaft für die Gesellschaft öffnen“

Deutschlands zweitgrößte muslimische Gemeinschaft bekommt einen eigenen Mufti für Westeuropa. Für den Amtssitz wurde bewusst Deutschland ausgewählt. Das soll die Bedeutung der Bundesrepublik für die Glaubensgemeinschaft unterstreichen.

 „Religionen sollen in Deutschland partnerschaftlich für die Wahrung unserer Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhalts eintreten.“ Diese Aufforderung an explizit alle Religionen steht so im aktuellen Grundsatzprogramm der Christlich-Sozialen Union. „Wir wollen dazu einen intensiven, stetigen Dialog zwischen und mit den Religionen.“ Um in so einen Dialog einzutreten, ist das Vorhandensein vertrauenswürdiger und verlässlicher Dialogpartner unerlässlich. Solche unter den vielen unterschiedlichen islamischen Gruppierungen in Deutschland zu finden, war in der Vergangenheit nicht immer einfach.

Kozlić und Singhammer

Der neue Mufti für Westeuropa der bosniakischen muslimischen Gemeinde, Dr. Osman Kozlić, mit Johannes Singhammer, Vizepräsident des Deutschen Bundestages a.D.

©HSS

Mufti will säkulares Gesellschaftsprinzip und den Rechtsstaat stärken

Genau darauf zielt der Beschluss der Obersten Ratsversammlung der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken vom Dezember 2017 ab. Sie hat für die bosniakischen Gemeinden in Westeuropa ein eigenes Muftitum geschaffen. Was für weniger mit dem Thema befasste Ohren eher randständig klingen mag, gewinnt mit einem Blick auf die Zahlen rasch an Bedeutung, handelt es sich doch um die zweitgrößte islamische Gemeinschaft Deutschlands. Die Gemeinschaft, die seit 2010 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz ist, unterhält aktuell zwölf Moscheegemeinden in Bayern. In Deutschland sind es insgesamt 78 mit etwa 30.000 Gemeindegliedern, hinter denen allerdings jeweils noch zahlreiche weitere Familienangehörige stehen. Insgesamt leben geschätzt an die 170.000 Bosniaken in Deutschland, von denen sich vermutlich bis zu einem Viertel am Gemeindeleben beteiligt. Für diese ist als erster Mufti im neu geschaffenen Amt nun Dr. Osman Kozlić verantwortlich, der im September 2019 durch Großmufti Dr. Husein Kavazović in Mainz zum Mufti der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken für Westeuropa ernannt wurde.

Schon in seiner ersten Rede nach der Ernennung Kozlićs fand der Großmufti Kavazović bemerkenswerte Worte. Er sei besorgt über aktuelle Studien, wonach die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland, aber auch in Europa, den Islam pauschal als Bedrohung ansehe. „Ganz unabhängig von den Vorurteilen, die gegenüber Muslimen und Islam in Westeuropa gehegt werden, muss man leider verdeutlichen und zugeben, dass sehr oft auch Muslime dem Islam Schaden zufügen. Eine enge Auslegung des Islam und seine Eingrenzung in einen beengten, lokalen Rahmen, ergibt zwangsläufig ein verfälschtes Bild des Islam und gibt in keiner Weise seine wahre Bedeutung wieder.“ Kavoazović versucht, dieses Bild zu korrigieren und nimmt auch die muslimische Glaubensgemeinschaft in die Pflicht: „Die Gesellschaften und Staaten, in denen wir leben, ermöglichen uns, unseren Glauben frei zu leben, und die gesetzlich garantierten Rechte wahrzunehmen. Dies gilt es zu achten und zu schützen. Wir müssen auch selbst unter Beweis stellen, dass wir ein nützlicher Teil dieser Gesellschaften sind“, so  Kavoazović. „Dass auch wir unseren Beitrag zum Fortschritt und zur Weiterentwicklung dieser Gesellschaften, des säkularen Staates und des Rechtstaates leisten. Auch am heutigen Tage rufen wir daher die Muslime dazu auf, den Gesellschaften und Ländern, in denen sie leben, aktiv dienlich und von Nutzen zu sein.“

Gruppenbild zu vor HSS-Aufsteller

„Wir setzen uns ein für die universellen Menschenrechte, für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde.“ (Dr. Osman Kozlić neben Dr. Philipp Hildmann, HSS, links, und Johannes Singhammer, Vizepräsident des Deutschen Bundestages a.D., rechts daneben. Ganz rechts Dr. Benjamin Idriz, Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg, Vorsitzender des Münchner Forum für Islam)

©HSS

"Staat braucht Kooperationspartner"

Ganz ähnlich äußerte sich Osman Kozlić bei seinem Antrittsbesuch Anfang Februar 2020 in der Hanns-Seidel-Stiftung. Empfangen wurde der Mufti vom ehem. Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags, Johannes Singhammer. Die Wahl Deutschlands als Sitz des Muftitums für Westeuropa sei als bewusstes Zeichen zu sehen, welche Bedeutung gerade diesem Land für die in der Diaspora lebenden bosnikaischen Muslime zukomme, so Dr. Kozlić. Er selbst habe die ersten Monate im neuen Amt gebraucht, um sich zunächst einmal um seine Gemeinden zu kümmern. „Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, dass wir uns als Islamische Gemeinschaft ganz bewusst für die Gesellschaft öffnen.“ Sein Wunsch sei es, dass sich alle Moscheegemeinden des Muftitums in Westeuropa nun so gut wie möglich in ihre Gesellschaften integrierten und ihren Beitrag zu einer positiven Entwicklung ihrer jeweiligen Länder leisteten. „Wir setzen uns ein“, so Dr. Osman Kozlić wörtlich, „für die universellen Menschenrechte, für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde.“

Johannes Singhammer unterstrich, dass Deutschland ein Land sei, das bewusst die Kooperation mit religiösen Gemeinschaften suche. „Dazu braucht der Staat Partner.“ Er empfahl der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken deshalb, sich kompetente Ansprechpartner etwa in den jeweiligen Ministerien zu suchen, um auf dem Weg vom eingetragenen Verein zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts voranzukommen. Weiter betonte er das Grundanliegen der Christlich-Sozialen Union, dass Politik auf einer festen Wertegrundlage betrieben werde. Auch die Hanns-Seidel-Stiftung sei in besonderer Weise religiösen Werten verbunden. Dies könne die Stiftung zu einem natürlichen Partner für die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken machen. Beiden Seiten empfahl er, eine künftig engere Zusammenarbeit intensiv zu prüfen.

Häufig wird in den Diskussionen über einen wünschenswerten „europäischen Islam“ vergessen, dass es Muslime aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens gibt, die eine jahrhundertelange Erfahrung als Muslime in Europa haben. Ihnen könnte bei der Vertiefung eines europäischen Islam, der sich auf freiheitlich-demokratischer Grundordnung verortet, eine Schlüsselfunktion zukommen. Dr. Osman Kozlić hat in seiner bereits zitierten ersten Rede nach seiner Ernennung zum Mufti für Westeuropa die Türen hier weit aufgemacht: „Wir, als Angehörige der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Westeuropa, sind uns zutiefst darüber bewusst, dass wir der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina angehören und ihr integrierender Bestandteil sind. Wir sind uns der Rolle bewusst, die uns zuteil wird. Wir verfügen über die Erfahrung des Zusammenlebens in einer multikonfessionellen Gesellschaft. Diese Erfahrung müssen wir weiter bereichern und ausbauen. Auch hier möchte ich betonen, dass die Bosniaken ein europäisches Volk sind. Wir gehören zu Europa und Europa gehört zu uns. Uns ist sehr an diesem Kontinent gelegen und wir sind sehr an seiner Zukunft interessiert. Als Religionsgemeinschaft sind wir sehr an der Erhaltung von Frieden und Stabilität, am interreligiösen Dialog, an der Freiheit sowie an anderen universellen Werten interessiert, die wir auch als eigene Werte betrachten, und die tief in unserer Glaubenstradition verwurzelt sind.“

Autor: Dr. Philipp Hildmann, Leiter des neu geschaffenen Kompetenzzentrums der Hanns-Seidel-Stiftung für Gesellschaftlichen Zusammenhalt und Interkulturellen Dialog.