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Interview ehrenamtliches Engagement: Freiwilligendienst im Ausland
Kulturbegegnung und Persönlichkeitsentwicklung

In unserer Interview-Reihe zum ehrenamtlichen Engagement sprechen wir mit Menschen, die sich aktiv in die Gesellschaft einbringen. Sei es der Rettungsdienst, die Münchner Tafel oder Deutsch-Unterricht für Geflüchtete: Das Ehrenamt hat viele Gesichter. In diesem Teil sprechen wir mit Niklas Braun, der nach seinem Schulabschluss ein Jahr in Indien mit behinderten Kindern ehrenamtlich arbeitete.

  • Das Ziel von Freiwilligenprogramm wie weltwärts ist primär der internationale Austausch und die Begegnung verschiedener Kulturen, um Vorurteile abzubauen.
  • Außerdem können sich Freiwillige vor Ort um Aufgaben kümmern, die sonst zu kurz kommen, und eigene Projekte umsetzen, die Arbeit der Organisationen zu verbessern.
  • Durch die unterschiedlichen Kulturen gibt es viele Herausforderungen, an denen man wachsen kann und viel über sich selbst lernt.
Niklas Braun lebte ein Jahr lang in Pondicherry im indischen Bundestaat Tamil Nadu.

Niklas Braun lebte ein Jahr lang in Pondicherry im indischen Bundestaat Tamil Nadu.

Niklas Braun; HSS; Niklas Braun

Niklas Braun, Ethnologiestudent, entschied sich nach seinem Abitur ein Jahr lang mit dem Freiwilligendienst weltwärts (https://www.weltwaerts.de/de/), dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (www.bmz.de) nach Indien zu reisen. Dort lebte er in der südindischen Stadt Pondicherry und arbeite in einem Waisenheim mit behinderten Kindern. Im Interview mit der Hanns-Seidel-Stiftung sprach er über seine Erfahrungen im Ausland, seine Arbeit und die Probleme, die damit einhergingen, aber natürlich auch darüber, wie viele schöne Seiten sein ehrenamtliches Engagement mit sich brachte.

HSS: Wie sind Sie auf weltwärts aufmerksam geworden? Wie haben Sie sich informiert?

Ich wollte nach meiner sehr langen Schulzeit einfach mal gerne raus und was anderes machen. Gleichzeitig war mir aber auch klar, dass ich nicht so etwas wie „Work&Travel“ machen wollte, weil ich nicht wirklich der Urlaubsmensch bin. Dann bin ich recht schnell auf Freiwilligenarbeit im Ausland und damit weltwärts gestoßen. Ich habe mich auf deren Website informiert, mich beworben und es hat dann zum Glück auch alles reibungslos geklappt.

HSS: Um was mussten Sie sich im Vorhinein kümmern?

Grundsätzlich stehen hinter einem weltwärts-Jahr immer zwei Organisationen: weltwärts an sich und die jeweilige Entsendeorganisation, je nach Projekt. Weltwärts ist staatlich finanziert und trägt etwa 75% der Kosten. Die restlichen Kosten trägt dann die Entsendeorganisation bzw. es ist üblich, dass die Freiwilligen Spenden sammeln. Man hat hauptsächlich Kontakt mit der Entsendeorganisation, muss verschiedene Formulare ausfüllen, ein Visum beantragen und so weiter. Diese Organisation kümmert sich dann um den Kontakt zu weltwärts und natürlich auch zu dem Projekt vor Ort.

HSS: Wie wurden Sie auf Ihren Freiwilligendienst vorbereitet? Welche Angebote zur Vor- und Nachbereitung gab es?

Es gibt sowohl ein Vorbereitungs- als auch ein Nachbereitungsseminar. Im 10-tägigen Vorbereitungskurs wurden wir wirklich sehr gut auf das Jahr im Ausland vorbereitet. Man trifft dort alle anderen Freiwilligen, die zur gleichen Zeit im Land sind, und erfährt viel über Land, Leute und Kultur. Außerdem trifft man dort auch Mitarbeiter der Entsendeorganisation, ehemalige Freiwillige und auch weltwärts-Teilnehmer, die aus dem Land kommen, in das man später reist. Es war total hilfreich, sich so kennenzulernen und viel über den Alltag im Ausland zu erfahren. Außerdem gab es auch kritischen Input: Rassismus und Sexismus wurden kritisiert, aber auch die Probleme, die mit der Freiwilligenarbeit an sich einhergehen. Das fand ich sehr gut und wichtig. Im Nachbereitungsseminar haben wir über unsere Zeit im Projekt reflektiert und viel über die Erfahrungen der anderen Teilnehmer erfahren.

HSS: Wie wurden Sie in Indien untergebracht?

Ich hatte ein eigenes Zimmer mit Bad im Waisenheim. Das hatte ich gar nicht so erwartet, aber habe mich natürlich drüber gefreut.

Freiwilligendienst im Ausland

Viele junge Menschen möchten nach ihrem Abschluss, die Welt entdecken. Wer sich dabei auch noch für einen guten Zweck engagieren möchte, für den ist die Freiwilligen Arbeit im Ausland ideal. Hierzu gibt es sogar vom deutschen Staat geförderte Projekte. Ein FSJ im Ausland kann als soziales, kulturelles oder ökologisches Auslandsjahr geleistet werden.

HSS: Was waren Ihre Aufgaben vor Ort? Konnten Sie sich aussuchen, was Sie machen möchten?

Bei weltwärts kommt man in Projekte, die von Einheimischen geführt werden und die sich sehr über die Mithilfe der Freiwilligen freuen, auch wenn sie nicht zwingend darauf angewiesen sind. Das Ziel ist primär der internationale Austausch und die Begegnung verschiedener Kulturen, um Vorurteile abzubauen. Auch die Persönlichkeitsentwicklung der Freiwilligen selbst ist sehr wichtig. Aber natürlich habe ich auch im Alltag mitgeholfen. Zum Beispiel habe ich bei den Mahlzeiten die Kinder gefüttert, die nicht alleine essen konnten. Es gab auch ein paar Sachen, um die ich konkret gebeten wurde, wie Fundraising oder Öffentlichkeitsarbeit. Ich war praktisch der Hausfotograf. [lacht] Alle anderen Aufgaben konnte ich mir selbst aussuchen: Ich habe einen Dachgarten angelegt, der auch immer noch genutzt wird. Außerdem habe ich eine sogenannte „101 therapy“ gemacht. In einem Waisenheim ist man fast nie ungestört und hat die volle Aufmerksamkeit, deswegen habe ich immer mal wieder einen Nachmittag mit einem der jüngeren Kinder alleine verbracht und gemalt, gespielt oder im Garten gearbeitet. Es kann aber auch passieren, dass manche Projekte nicht so funktionieren, wie man es sich vorstellt, aufgrund von kulturellen Unterschieden. Ich wollte gerne eine Möglichkeit finden, Plastik zu recyceln. Das war aber schwierig, weil sich traditionell in Indien nur die Kastenlosen mit Müll beschäftigen. Dementsprechend war die Reaktion darauf nicht so gut.

Junger Mann spielt mit indischem Kind

Gerade für die Kinder im Heim sind die Freiwilligen sehr wichtig.

Niklas Braun; HSS; Baby Sarah's Home

HSS: Wer ist geeignet für einen Freiwilligendienst im Ausland?

Grundsätzlich würde ich sagen, dass fast jeder geeignet ist, da diese Zeit im Ausland ein großer Lernprozess ist. Solange man offen und anpassungsfähig ist, sollte es funktionieren. In diesem Jahr verändert man sich so sehr und lernt schnell, wie man sich am besten im jeweiligen Land verhält. Viele Eigenschaften entwickeln sich also vor Ort. Man sollte allerdings auch die Fähigkeit zur Selbstkritik mitbringen und mit Rückschlägen umgehen können. Ach ja, gerade in Indien ist es auch wichtig, körperlich fit zu sein und mit hohen Temperaturen umgehen zu können.

HSS: Immer häufiger gibt es Kritik, an Freiwilligenarbeit im Ausland. Der Begriff „Voluntourism“ bezeichnet die Verbindung von Urlaub und volunteering, also ehrenamtlicher Arbeit. Gerade junge Freiwillige helfen demnach nicht wirklich den Menschen vor Ort, sondern machen eher Urlaub – durch volunteering mit einem guten Gewissen. Sind diese Vorwürfe aus Ihrer Sich angebracht?

Ja, das ist definitiv ein Problem und das beschäftigt mich auch immer noch. Ich denke auf jeden Fall, dass ein weltwärts-Jahr schon mal viel besser ist, als einer dieser kommerziellen 2- bis 6-wöchigen Freiwilligendienste. Aber perfekt ist es natürlich trotzdem nicht. Auch wenn man ein Jahr dort lebt, ist man in gewisser Weise immer noch „Tourist“. Außerdem verlässt der Freiwillige nach einem Jahr das Projekt wieder – gerade für die Kinder vor Ort ist das schwierig. Man muss aber auch beachten, dass das Ziel von weltwärts ja der kulturelle Austausch ist und nicht den Menschen dort konkret „zu helfen“ und das gelingt in dem Jahr sehr gut.

HSS: Können denn unausgebildete Freiwillige, viele von ihnen gerade erst mit der Schule fertig, denn wirklich etwas in einem fremden Land bewirken?

Nein, definitiv nichts Großes. Und damit muss man auch klarkommen. Aber im Kleinen kann man schon etwas verändern. Mich hat zum Beispiel sehr gefreut, dass viele der Kinder deutlich besser englisch gesprochen haben nach dem Jahr. Oder auch, dass „mein“ Dachgarten immer noch besteht. Und ich denke auch, dass der Austausch verschiedener Kulturen langfristig für beide Seite durchaus positiv ist. Man wird durch dieses Jahr auch dazu eingeladen, seine Stellung in der Welt kritisch zu beurteilen und das, finde ich, bewirkt auch viel.

HSS: Sind Sie im Nachhinein zufrieden mit Ihrer Arbeit vor Ort? Was hätten Sie besser machen können?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht wirklich zufrieden bin mit meiner Leistung. Aber das ist typisch für Rückkehrer. Man hat immer das Gefühl, dass noch mehr möglich gewesen wäre in diesem einem Jahr. Ich versuche aber trotzdem zufrieden mit mir zu sein.

HSS: Welche Probleme gab es, während Ihrer Zeit in Indien?

Es gab ein paar Probleme aufgrund der kulturellen Eigenheit. Darauf kann man auch nicht vorbereitet werden, das sind häufig sehr individuelle Sachen, die von Person zu Person unterschiedlich sind. Aber mit der Zeit passt man sich dann an und so lösen sich die Probleme. Eine andere Schwierigkeit war es, die eigene Rolle zu akzeptieren und positiv zu bleiben, obwohl man nicht alles schafft, was man sich vorgenommen hat.

Garten mit vielen Pflanzen

Der Dachgarten, den Niklas Braun während seiner Zeit im Waisenheim anlegte, wird noch heute viel genutzt.

Niklas Braun; HSS; Baby Sarah's Home

HSS: Was war das schönste Erlebnis während Ihres Engagements?

Da kann ich gar keinen bestimmten Moment nennen. Das ganze Jahr war großartig und lehrreich – mit allen Höhen und Tiefen.

HSS: Haben Sie noch Kontakt mit den Menschen vor Ort?

Ja, teilweise schon. Mit den Kindern ist es natürlich schwierig, aber mit mehreren Freunden schreibe ich noch über WhatsApp oder telefoniere ab und zu.

HSS: Was konnten Sie langfristig aus Ihrem Freiwilligendienst in Indien mitnehmen?

Dass es wichtig ist sich selbst zu hinterfragen. Und zufrieden zu sein, mit dem was man hat. In gewisser Weise hat meine Zeit in Indien auch beeinflusst, dass ich jetzt Ethnologie studiere und vorhabe im internationalen Bereich zu arbeiten. Generell, habe ich dort eine große persönliche Entwicklung durchlebt.

HSS: Was könnte im Bezug auf Ihr Ehrenamt verbessert werden? Wobei hätten Sie Hilfe benötigt?

Ich finde es schade, dass fast nur Abiturienten einen Freiwilligendienst im Ausland machen. Bei uns war nur ein Freiwilliger dabei, der gerade seine Lehre beendet hatte. Obwohl grade ausgelernte Azubis wahrscheinlich deutlich gewinnbringender vor Ort sind, denn sie könnten wirklich vor Ort helfen und etwas beibringen. Es wäre also gut, wenn das mehr beworben wird. Es ist nämlich genauso möglich nach der Lehre einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Vielleicht wäre es auch gut, dass es dann Regelungen mit den Ausbildungsbetrieben gibt, damit eine Übernahme auch nach dem Jahr noch garantiert wird.

HSS: Herr Braun, vielen Dank für diese ausführliche Interview!

 

In unserem Themenportal Ehrenamt finden Sie weitere vielfältige Informationen rund um's Thema freiwilliges Engagement. Lesen Sie außerdem den ersten Teil unserer Interviewreihe: Felix Pietsch organisierte zusammen mit einer Gruppe von Freunden ehrenamtlich ein Festival.

Leiterin Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Onlineredakion

Susanne Hornberger