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Ein Beitrag zur Gerechtigkeitsdebatte
Vom Image ländlicher Räume

Autor: Silke Franke

Gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen in allen Teilregionen ist erklärtes Ziel der Politik, in Bayern sogar in der Verfassung festgeschrieben. Doch während Metropolen als Motoren der Entwicklung eines Landes gelten und sich hier Geld, Wissen und Macht konzentrieren, scheinen ländliche Räume oft wenig Kapital aus ihrer Attraktivität schlagen zu können. Gibt es eine Schere ideeller und finanzieller Werte zwischen Stadt und Land?

Wie lässt sich die Idee der Gerechtigkeit räumlich umsetzen? Welche Rolle spielen Selbstwertgefühl und Image? Haben ideelle Werte ganz realen Einfluss auf handfeste finanzielle und materielle Wertschätzungen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die diesjährigen Münchner Tage für nachhaltiges Landmanagement.

Begrüßte über 100 Tagungsteilnehmer:  Reinhard Meier-Walser, Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der HSS

Begrüßte über 100 Tagungsteilnehmer: Reinhard Meier-Walser, Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der HSS

Zusammenspiel von objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden

„Gerechtigkeit lässt sich nicht allein durch die Erhebung von sozioökonomischen Daten ermessen“,  so Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen. Wenn Menschen ihre Region als Raum der Perspektivlosigkeit erleben, bleibt das nicht wirkungslos: „Sie stimmen mit ihren Füßen ab  - sie wandern in Orte ab, in denen sie sich mehr Chancen erhoffen -  und sie stimmen mit ihrem Wahlzettel ab. Ein Beispiel dafür hat uns jüngst die Präsidentschaftswahl in den USA geliefert. Zu den Deutungen von Trumps Wahlerfolg gehört auch jene, dass er insbesondere die Menschen in der ländlichen Peripherie und in von Strukturwandel gezeichneten Kleinstädten angesprochen hat, die sich dort zu wenig beachtet oder abgeschrieben gefühlt haben“.

Innere Sicherheit, gesellschaftlicher Zusammenhalt und demokratische Grundwerte gehören zu den Themen der Hanns-Seidel-Stiftung. „Auch hierzulande müssen wir uns intensiv mit der Stimmungslage der Bevölkerung auseinandersetzen. Es gilt, den Zusammenhalt der Regionen, Kulturen und Menschen zu fördern, statt einer Spaltung und populistischen Schlussfolgerungen Vorschub zu leisten“, so Meier-Walser. 

Was ist Lebensqualität im ländlichen Raum?

Lebensqualität wird allgemein nicht nur durch materiellen Wohlstand bestimmt, sondern auch durch soziale Kontakte und politische bzw. gesellschaftliche Teilhabe. Hierzu  liefert die amtliche Statistik eine Vielzahl von Indikatoren und Daten. „Aber“, so Dr. Annett Steinführer vom Thünen-Institut, „letztendlich wissen wir zu wenig, wie die Menschen ihre die Situation selbst wahrnehmen und bewerten“. Selbst wenn objektive Daten eher negative Lebensumstände aufzeigen, können Betroffene aus subjektiver Sicht mit ihrer Lebensqualität durchaus zufrieden sein  - und umgekehrt, so erläuterte Steinführer die Phänomene „Zufriedenheitsparadox“ und „Unzufriedenheitsdilemma“. Die Beurteilung hängt auch davon ab, was ich selbst für Erwartungen habe, und ändert sich auch mit dem Lebensverlauf“.

In dem Projekt „Monitoring Ländlicher Räume“ werden daher auch subjektive Aussagen mit einbezogen.  Auf die Frage „Gut leben auf dem Land bedeutet für mich ….“ im Rahmen eines Bürgerdialogs des  Bundesministeriums  für Ernährung und Landwirtschaft im Jahr 2015, lagen folgende Antworten ganz vorn: Natur, Ruhe, Familie und Nachbarn. Bei der Frage  „Das brauche ich in Zukunft, damit ich gut auf dem Land leben kann …“ waren es die Stichwörter Versorgung, Arbeitsplätze, Ärzte und ÖPNV.

Das Podium, moderiert von Silke Franke, zuständige Referatsleiterin in der Hanns-Seidel-Stiftung

TUM, Lehrstuhl Bodenordnung und Landentwicklung

Zwischen Markt, Macht und Moral

Auf dem Podium diskutierten Experten über neue Interpretationen von Gleichwertigkeit als politische Leitvorstellung. Theo Kötter, Professor an der Universität Bonn, sieht noch Klärungsbedarf in der wissenschaftlichen und politischen Debatte: Welches Ausmaß an räumlichen Disparitäten soll z.B. hingenommen werden? Wie sollen Daseinsvorsorgeeinrichtungen in der Fläche bereitgestellt werden?

Die Regionalwissenschaftler Dr. Thomas Hartmann und Dr. Matthias Jehling haben sich überlegt: Wie hätte sich der Schienenpersonennahverkehr in einer Stadtregion entwickelt, wenn man dabei jeweils ein utilitaristisches, libertäres oder soziales Gerechtigkeitsmodell zugrundegelegt hätte? Es zeigte sich, dass keines der Idealszenarien die realistische Situation wiedergespiegelt hat: "Räumliche Planung ist das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses von Interessen".

Gabriele Stark-Angermeier verwird aus ihrer Erfahrung als Caritas-Kreisgeschäftsführerin auf die Bedeutung der sozialen Versorgung und Fürsorge: „Häusliche Pflege braucht es auch in entlegenen Weilern. Eigenleistung und Ehrenamt kann nicht alles kompensieren. Hier müssen professionelle Lösungen und mobile Angebote gefunden werden, auch wenn sie sich nicht lukrativ betreiben lassen“.

Dies spiegelt eine Diskussion wider, die in der vom Landtag eingerichteten Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern“ geführt wird. Walter Keilbart berichtete als Mitglied von Überlegungen aus diesem Gremium: „Ein rein theoretischer Überbau mit Kriterien für die Verteilung von Infrastrukturen im Sinne einer Chancen-Gerechtigkeit wäre nicht die Lösung. Dies muss im Sinne einer ebenso wichtigen Verfahrens-Gerechtigkeit vor Ort konkret auslegt und diskutiert werden. Die Beteiligung  der Betroffenen ist heutzutage ein entscheidendes Momentum. Der Staat muss sich daran gewöhnen, seine Bürger und Institutionen so emanzipiert sein zu lassen, dass sie in diesem Aushandlungsprozess eine echte Rolle spielen können und Entscheidungen mit zu verantworten haben“. 

Der Schauspieler und Coach Gaston Florin schaffte es auch diesmal wieder ein abstraktes Thema auf Alltagserfahrungen zu übertragen.

Der Schauspieler und Coach Gaston Florin schaffte es auch diesmal wieder ein abstraktes Thema auf Alltagserfahrungen zu übertragen.

TUM, Lehrstuhl Bodenordnung und Landentwicklung

Auch die eigene Haltung bestimmt den Status

Stadt und Land haben jeweils ihre eignen Vorzüge. Sie ergänzen und brauchen einander, so wird immer wieder bekräftigt. Nichtsdestotrotz lassen manche lebhafte Debatten eher ein Konkurrenzverhältnis vom „schwachen Land“ und den „starken Städte“ anmuten. „Sobald sich Menschen begegnen, bildet sich eine Rangordnung aus“, so Gaston Florin als Experte für Perspektivwechsel. Körpersprache ist mächtig, sie beeinflusst sehr stark die Wirkung auf andere Personen und damit auch den eigenen Status. „Wer viel herumzappelt, leise stottert oder mit hoher, schriller Stimme spricht, wirkt nervös und wenig durchsetzungsstark. Aufrechte Haltung und ruhige Körpersprache  hingegen strahlen Seriosität und Stärke aus“. Die gewahrte Distanz zum Gegenüber und nur wenige, aber zielgerichtete Bewegungen zu diesem hin werden als dominantes Auftreten wahrgenommen, während Nähe und aufeinander Eingehen ein Zeichen für Sympathie ist. Wie lässt sich dies auf Gemeinden übertragen? Florin rät vor all zu dominanten Gehabe ab, das würde nur den „Tyrannenmörder“ provozieren:  „Spielen Sie situationsgerecht mit der Statussprache! Vermitteln sie sympathische Nähe wie auch vertrauenswürdige Sicherheit!“.

Bürgermeister Olaf Heinrich schrieb seine Promotion über die „Profilierung einer Stadt im Ländlichen Raum“

Bürgermeister Olaf Heinrich schrieb seine Promotion über die „Profilierung einer Stadt im Ländlichen Raum“

Silke Franke; HSS

Der rettende Investor von außerhalb kommt nicht!

Die Stadt Freyung hatte von 1995 bis 2011 unter Einwohnerverlusten zu leiden, was sich sichtbar in zahlreichen leer stehenden Gebäuden ausdrückte. Bürgermeister Heinrich besuchte mit dem Stadtrat  viele andere Gemeinden, um zu erfahren, wie diese mit der Situation umgegangen sind. „Uns war bald klar: Die Hoffnung, dass von außerhalb ein rettender Investor kommt, die wird sich nicht erfüllen. Wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen und zeigen, dass wir etwas bewirken können“.  Heinrich sieht es als Aufgabe der Kommunen, selbst Projekte zu initiieren, die Menschen vor Ort zu motivieren und das Gefühl zu vermitteln, dass es aufwärts geht.

Durch die Sanierung des Kirchplatzes, die Erneuerung des Stadtplatzes und zahlreiche Fassadenneugestaltungen wurden sichtbare Zeichen gesetzt, die für eine Aufbruchstimmung standen. Heinrich: „Die Leute fingen wieder an wahrzunehmen, was sie vor Ort alles an Schätzen und Potenzialen haben. Kreative Köpfe hat es in Freyung schon immer gegeben. Wir haben (nur) den fruchtbaren Boden geschaffen, damit ihre Ideen auch aufgehen konnten“. Dass die Technische Hochschule Deggendorf eine ehemalige Brachfläche in Freyung für ihren Technologie Campus gewählt hat, war ein weiteres Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens auch von außerhalb. 

Erfolgreiche Eigeninitiative zeigten u.a. auch die Bürgermeister der Gemeinden Jossgrund und Stadtlauringen – hier mit Moderatorin Claudia Bosse (TU München)

Erfolgreiche Eigeninitiative zeigten u.a. auch die Bürgermeister der Gemeinden Jossgrund und Stadtlauringen – hier mit Moderatorin Claudia Bosse (TU München)

TU München, Lehrstuhl Bodenordnung und Landentwicklung

Von unbezahlbarem Wert: Die sinnstiftende Rendite...

Heinrich weiter: „Inzwischen trauen wir uns auch etwas zu – so haben wir beschlossen, unseren historischen Stadel herzurichten und dort eine Volksmusikakademie zu etablieren. Früher hätten wir nur uns gefragt, ob sich ein solches Vorhaben wohl rechnen mag. Inzwischen wissen wir: Manches ist nicht allein mit Geld aufzurechnen. Denn eine so einmalige Einrichtung wird unseren Ort mit Leben füllen und weithin bekannt machen“. 

So haben sich auch genügend investitionswillige Leute gefunden, als die Traditionsbrauerei am Ort aufgeben musste. Heute besteht sie als Brauereigenossenschaft fort. Als Bürgermeister hat Heinrich selbst zahlreiche Gespräche mit Mitarbeitern, dem Genossenschaftsverband Bayern, örtlichen Banken und Experten geführt.  „Als Geldanlage mögen sich Regensburg oder München eher rentieren. Aber monetäre Rendite ist eben nicht alles, es gibt auch eine sinnstiftende Rendite!“.

An seiner Gemeinde Freyung zeigte der promovierte Geograph auf, wie wichtig es ist, sich auf die Stärken und Kräfte vor Ort zu besinnen, statt rein auf Hilfe von Außen. Für ihn zählt auch Qualität vor Quantität. Ein weiterer Rat: Mit den Menschen reden und sie mit in Verantwortung nehmen, statt nur wählen lassen, und den Erfolg mit allen feiern, die daran mitgewirkt haben. Heinrich: „Verbundenheit mit dem Ort ist ein Schlüssel für die Bereitschaft, sich einzusetzen und in etwas investieren zu wollen. Denn München ist schön. Aber wir sind anders!“

 

 

Die Münchner Tage für nachhaltiges Landmanagement

Die Tagungsreihe wurden im Jahr 1999 ins Leben gerufen. Seitdem hat sich die Veranstaltung als bundesweites Forum für die kritische Analyse aktueller Entwicklungen und Herausforderungen im ländlichen Raum etabliert. Landes- und Kommunalpolitiker, Verwaltungsangehörige, Planer im freien Beruf und Wissenschaftler nehmen regelmäßig daran teil. Veranstalter sind der Förderkreis Bodenordnung und Landentwicklung München in Kooperation mit der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft nachhaltige Landentwicklung und der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung.

Weitere Informationen und die  Folien der Vortragenden finden Sie auf der Seite des Lehrstuhls für Bodenordnung und Landentwicklung an der TU München.

Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin