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Intransparent, gefiltert und unkontrolliert
Internet und Demokratie im 21. Jahrhundert

Unendliche Möglichkeiten, grenzenlose Probleme: Das Internet katapultiert unsere Gesellschaften in die Zukunft schrankenloser, anonymer Kommunikation. Was durchaus zu mehr Demokratie, Tranzparenz und politischer Teilhabe führen könnte, wird aber eben auch als Bühne idealisierter Selbstdarstellung genutzt und bietet die Plattform für ungehemmten Hass und Hetze. Wohin steuert die digitale Gesellschaft?

Das Internet hat einen nicht unproblematischen Einfluss auf demokratische Prozesse. Die Demokratie lebt von öffentlicher, transparenter Diskussion mit einem persönlichen Gegenüber, während das Internet permanente Anonymität ermöglicht. Daneben werden Fakten im Internet ungeprüft, aber oft Algorithmus-gefiltert passgenau dem Nutzer präsentiert, wodurch Informationsblasen entstehen können, in denen unwidersprochene Falschmeldungen, Propaganda und Fake News das Weltbild der Nutzer bestimmen. Außerdem senken Hasskommentare, die im Internet relativ leicht geäußert werden, die Hemmschwelle für ehrverletzende Äußerungen auch im realen Leben. Eine Herausforderung an unsere demokratische Kultur.

Zehnpfennig kritisiert blindes Vertrauen in Internetangebote.

Zehnpfennig kritisiert blindes Vertrauen in Internetangebote.

HSS

Selbständiger und verantwortlicher Umgang

Ob das Internet die Demokratie bedroht, wurde Anfang April in der Verbindungsstelle der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel diskutiert. Stefan Borst, Partner IDA Brussels Office, führte durch die Podiumsdiskussion, die zusammen mit der Bayerischen Vertretung bei der Europäischen Union und der Bayerischen EliteAkademie durchgeführt wurde. In ihrer Impulsrede warf Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Passau, einen kritischen Blick auf Verhaltens- und Einstellungsänderungen im Internetzeitalter und mögliche Folgen für die Demokratie. Mit den Möglichkeiten des Netzes selbstständig und verantwortlich umzugehen setze ein entsprechendes Maß an Bildung voraus, so Zehnpfennig. Viele Nutzer wählten jedoch den Weg des geringsten Widerstands und vertrauten blind auf das Angebot, obwohl die Urheber von Inhalten und die dahinterstehenden Motivationen oftmals nicht klar zu ermitteln seien. Es gebe keine Qualitätskontrolle der Inhalte und keine einfache Möglichkeit, kommerzielle Inhalte von anderen zu unterscheiden. Als weiteres Problem bezeichnete Zehnpfennig die Diskrepanz zwischen der oftmals überhöhten Selbstdarstellung im Netz und der analogen Realität. Dadurch kommt es oftmals zu einem übermäßigen Stellenwert der eigenen Meinung und zu populistischen Forderungen nach mehr direkter politischer Mitbestimmung. Dadurch wird das Prinzip der Repräsentation grundsätzlich infrage gestellt.

Bringt das Internet die repräsentative Demokratie in Gefahr?

Bringt das Internet die repräsentative Demokratie in Gefahr?

HSS

Ausgelagertes Gedächtnis und zunehmende Unselbstständigkeit - Folgen des Internets?

In einer funktionierenden Demokratie biete jedoch gerade die Arbeit der gewählten Volksvertreter, die den Volkswillen in seiner ganzen Bandbreite auf der Grundlage solider Sacharbeit und sorgfältigen Abwägens von Argumenten vertreten, einen Schutz vor der Herrschaft von Stimmungen und Meinungen. Verführt die Anonymität des Internets dazu, sich in Äußerungen keine Schranken aufzuerlegen? Gegen diese These von Prof. Zehnpfennig wandte sich Thomas Myrup Kristensen, Geschäftsführer für EU-Angelegenheiten und Leiter des Brüsseler Büros von Facebook. Er vertritt die Auffassung, dass Facebook-Nutzer keinesfalls anonym handelten. Wer Nutzerangaben fälsche oder falsche Identitäten verwende, widersetze sich klar den Regeln des Unternehmens. Das Leitbild von Facebook basiere auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Facebook trage gerade dadurch zu mehr Meinungspluralismus bei. Hinweise auf bewusste Fehlinformationen und Hasskommentare nehme das Unternehmen stets ernst und prüfe die Kritik nach. Er wolle daher die Nutzer ermutigen, so Kristensen, sich aktiv an der Verbesserung der Anwendung zu beteiligen. Unrechtmäßige Nutzung habe die Schließung von Benutzerkonten zur Folge.

Andreas Lenz ist für Vermittlung von Medienkompetenz möglichst früh im Leben: „Bildung ist Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln“.

Andreas Lenz ist für Vermittlung von Medienkompetenz möglichst früh im Leben: „Bildung ist Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln“.

HSS

Gesetzgebung, ein exklusives Recht der Politik

Ist Anonymität ein Bürgerrecht? Diese Frage stellte Dr. Andreas Lenz, MdB, Obmann im Parlamentarischen Beirat für Nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestages. Er sprach sich dafür aus, dass grundsätzlich klar sein müsse, welche Person hinter einer Äußerung im Internet stehe. Rechtliche Rahmenbedingungen und Regeln dafür zu setzen sei jedoch das exklusive Recht von Politik und Staat und eben nicht der privaten sozialen Netzwerke. Mit Blick auf die Verbreitung von Falschmeldungen im Internet gab der Bundestagsabgeordnete zu bedenken, dass hinter solchen Äußerungen nicht zwangsläufig wirtschaftliche oder politische Motive stecken müssten. Die Weitergabe von unzutreffenden Informationen geschehe auch zufällig, durch Unachtsamkeit oder mangelndes Wissen. Er plädierte, wie auch Andrea Beierlein, Stipendiatin der Bayerischen EliteAkademie, für die frühzeitige Vermittlung von Medienkompetenzen. Bildung sei Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln, sowohl im „Echt-Leben“ als auch im virtuellen Internet.

Küpper: Technische Entwicklung als gesamtgesellschaftlicher Lernprozess

Küpper: Technische Entwicklung als gesamtgesellschaftlicher Lernprozess

HSS

Impuls für gesellschaftliche Veränderungen

Als Vertreterin der Europäischen Kommission befasst sich Louisa Klingvall bereits seit mehreren Jahren mit der Strafverfolgung von verbaler Diskriminierung, wie sie seit November 2008 im Rahmenbeschluss der Europäischen Kommission zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verankert ist. Zahlreiche Äußerungen im Netz, obwohl hochgradig beleidigend und von bösartiger Natur, entsprechen laut Klingvall jedoch nicht dem darin definierten Straftatbestand, weshalb eine strafrechtliche Verfolgung ausscheide. Es liege vielmehr in der Verantwortung der Sozialen Medien, wie zum Beispiel Facebook, diese Grauzone zu schließen. Mit einem Verhaltenskodex, den die Europäische Kommission Ende Mai 2016 gemeinsam mit den Anbietern der wichtigsten Sozialen Medien erarbeitet hat, solle daher der Verbreitung von illegaler Online-Hetze in der Europäischen Union entgegengewirkt werden. Nach einjähriger Laufzeit werde der Kodex in Kürze einer ersten Bewertung unterzogen. 

Für Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Ulrich Küpper, Akademischer Leiter und Stiftungsvorstand der Bayerischen EliteAkademie, hat mit dem Internet ein neues Zeitalter begonnen. Ähnlich der Erfindung des Buchdrucks werde auch das Internet große Kräfte für gesellschaftliche Veränderungen mobilisieren. Man müsse die Entwicklung des Internets als gesamtgesellschaftlichen Lernprozess begreifen, wobei auch hier der Markt bald regulierend einwirken werde.

Europäischer Dialog
Angela Ostlender
Programm Managerin