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Kommunale Selbstverwaltung zwischen Maibaum und Brüssel
Demokratie von unten nach oben

Autor: Silke Franke

Bayern hat selbstbewusste Kommunen, die selbständig ihre lokale Politik gestalten können. Sie stehen in einem Spannungsfeld zwischen lokalen Herausforderungen und dem europaweiten Kontext ihrer Politik. Dabei gibt es im Verhältnis zu Brüssel Licht und Schatten. Haben die Gemeinden eine Stimme in Europa?

Kommunen wollen ihre Belange möglichst selbst regeln - mit „Augenmaß“ und unter Berücksichtigung der Eigenarten vor Ort. Spezifische Dialekte und Bräuche zeugen ebenso wie das eigenen Wappen oder Feuerwehrhaus von einer starken Identität und Eigenständigkeit. Dazu gehört auch die Wahl lokaler Obmänner und politischer Mandatsträger, die die ortsspezifischen Interessen nach außen vertreten.  

Dies ist auch ganz im Sinne des Prinzips der „Subsidiarität“, nach dem alles, was vor Ort geregelt werden kann, am besten auch vor Ort geregelt werden soll. Besonders in den Kommunen des Freistaates wird dieses Prinzip mit Selbstbewusstsein gelebt.

Eine Gruppe junger Männer in bayerischer Tracht im Gänsemarsch auf einer Wiese

Wahrung ortsspezifischer Bräuche – auch Ausdruck für lokales Selbstbewusstsein

HSS

In den vergangenen Jahren wurden nicht nur die Aufgaben der Kommunen immer umfangreicher. Auch der Einfluss von Politik und Gesetzgebung der Europäischen Union hat zugenommen. Komplexe EU-Vorschriften bei öffentlichen Ausschreibungen oder der Inanspruchnahme von Fördermitteln gehören mittlerweile zum kommunalen Alltag. Wie „europafähig“ sind die Kommunen? Wie gut greift das Subsidiaritätsprinzip? Welche Bindung haben Gemeinden zu Europa und wie stellen sie sich die Zukunft als Gemeinden in Europa vor?  Mit diesen Fragen setzte sich ein Kolloquium der Akademie für Politik und Zeitgeschehen in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Gemeindetag auseinander - eine Veranstaltung, die sich auch als Beitrag von „Wir feiern Bayern“ verstand.

Info-Block: Die kommunale Selbstverwaltung ist garantiert

In der Bayerischen Verfassung (Art. 11, Abs. 2 und 4) „Die Gemeinden (…) haben das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten, insbesonders ihre Bürgermeister und Vertretungskörper zu wählen.“ … „Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben.“  

Im Deutschen Grundgesetz (Art. 28 Abs. 2): „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“

Im Vertrag von Lissabon über die Europäische Union (Art. 4 und Art. 5): „Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt.“ (…) „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.

Die beiden Damen lächeln in die Kamera

Begrüßten zur Veranstaltung: Angelika Niebler (MdEP) und Silke Franke (HSS)

HSS

Kommunale Selbstverwaltung – nicht überall selbstverständlich

Unser Kommunalsystem gilt im Vergleich mit anderen Ländern als politisch und administrativ stark ausgeprägt. Prof. Angelika Niebler, Europaabgeordnete und Vorstandsmitglied der Hanns-Seidel-Stiftung, verwies daher eingangs auf den besonderen Stellenwert der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland – und vor allem in Bayern. „In Europa kennt man das gar nicht so. Wir müssen daher für unser Modell werben“.  

Dies konnte Dr. Jacek Pijanowski bestätigen. Der Präsident der Polnischen Gesellschaft für Ländliche Entwicklung verglich die Situation in Bayern mit seiner Heimat. „In Polen sind die Gemeinden viel größer. Das mag zwar Kostenvorteile verschaffen, dafür sind aber Eigenschaften, die ich hier als positiv wahrnehme, wie Beteiligungskultur oder Lokalpatriotismus weniger ausgeprägt“, so Pijanowski. „Dass in der Bayerischen Verfassung Werte wie die kommunale Selbstverwaltung festgehalten sind, ist auch etwas Besonderes“.

Fünf Menschen an einem Tisch mit Mikrofonen

„Kommunale Selbstverwaltung ist wichtig“ (v.l.n.r. Reichart (Bürgermeister Heimenkirch), Pijanowski, Michael Weigl (Moderator), Henkel, Krohnen.

Auch der Forscher Dr. Gerhard Henkel bestätigt: “In Bayern ist die Welt noch in Ordnung“. Hier habe man die kommunale Gebietsreform der 70er Jahre vergleichsweise maßvoll umgesetzt, während sie in anderen Bundesländern härter durchgeführt worden sei und zum Teil noch stattfinde. „Ich komme viel in Deutschland herum“, berichtet Henkel. „In anderen Regionen herrscht Resignation, weil Geschäfte und Wirtshäuser schließen, Bankfilialen und Pfarreien fusionieren. Wenn die Gemeinden dann auch noch ihre politische Selbständigkeit verlieren, breitet sich ein Gefühl der Ohnmacht aus”.

Kommunen: mehr als Wohn- und Schlafstätten

Wie man als Gemeinde so einer Entwicklung erfolgreich entgegentreten kann, berichtet die dienstälteste Bürgermeisterin Bayerns, Marianne Krohnen, die seit 34 Jahren der Gemeinde Geiselbach in Unterfranken vorsteht. Hier ist es gelungen, sich wieder aus der Verwaltungsgemeinschaft zu lösen, die im Zuge Gebietsreform entstanden ist. “Wo die kommunale Leistungsfähigkeit ausgehöhlt wird, führt das zu Verlust von Identität”, so Krohnen. „Wir wollten mehr als nur Wohn- und Schlafstätte sein. Ich musste die damalige Landflucht machtlos mit ansehen“ Mit der Wiedererlangung der vollständigen Selbständigkeit hätten sich die gemeindlichen Perspektiven wieder verbessert: „So konnten wir die Vereine in ihrer kleinen Struktur erhalten und anstehende Veränderungen der Gemeindeentwicklung mit unseren Bürgern besprechen“.

Niebler in erklärender Geste an einem Rednerpult

„Kommunen sind lebensnaher“ (Angelika Niebler)

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Gleichzeitig sei es aber in vielen Bereichen von Vorteil, wenn Gemeinden zusammenarbeiteten, zum Beispiel in kommunalen Allianzen, in Zweckverbänden und im Zuge von Förderprogrammen. So können Gemeinden Projekte angehen, die sie alleine nicht hätten stemmen können. Subsidiarität: Wer ist für was zuständig? Angelika Niebler ist es als Europaabgeordnete wichtig, zuallererst die Frage der Subsidiarität zu klären: „Sind wirklich wir in Brüssel für alles zuständig oder sollten bestimmte Anliegen besser von den Kommunen selbst geregelt werden?“ Vieles funktioniere nämlich deshalb gut, weil die Kommunen es in Eigenregie machten und sie die Anliegen dabei lebensnaher und effizienter verwirklichen könnten.  

Die Realität sieht aber oft anders aus. Etwa 70 bis 80 Prozent der in der Europäischen Union beschlossenen Regelungen haben heutzutage einen direkten kommunalen Bezug, so Niebler, zum Beispiel im öffentlichen Auftragswesen. Ausschreibungen aus dem Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich, deren Auftragswert über bestimmten Schwellenwerten liegen, müssten europaweit ausgeschrieben werden. Als Kreisrätin erlebte Niebler selbst, was für ein großer Aufwand damit verbunden ist. Sie verspricht: „Wir schauen, dass wir diese Schwellenwerte  anheben können“ Oft würden Regelungen aber auch zu Unrecht kritisiert. Manche Vorgaben erfahren nämlich auf dem Weg von Brüssel über das nationale Recht bis zur Umsetzung vor Ort Veränderungen, die dann – zu Unrecht - Brüssel angelastet werden. Bei manchen würde aber, wie Niebler zugibt, „vielleicht auch tatsächlich über das eigentliche Ziel hinausgeschossen“.

Trotzdem gebe es auch Themen, für die die europäische Ebene wichtig ist und auch immer bedeutender wird, etwa die Außen- und Sicherheitspolitik oder Terrorbekämpfung.

Drei Menschen an einem Tisch mit Mikrofonen

„Wir haben erkannt, dass es ein Problem mit der Überbürokratisierung gibt“ Joachim Menze, Leiter der Münchener Regionalvertretung der Europäischen Kommission. (v.l.n.r. Menze, Michael Weigl, Maximilian Klein)

Task Force Subsidiarität

Die Europäische Kommission hat den Handlungsbedarf erkannt. Daher wurde eine neue „Task Force Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit“ eingerichtet. Sie soll klären, welche Befugnisse auf nationaler oder lokaler Ebene besser ausgeübt werden können als auf europäischer. Eine weitere Aufgabe ist es,  regionale und kommunale Gebietskörperschaften möglichst unbürokratisch in die Politikgestaltung der EU einzubeziehen. „Die EU-Initiative ‚WiFi4u‘ wollen wir verwaltungstechnisch so einfach wie möglich gestalten“, so  Joachim Menze, Leiter der Münchener Regionalvertretung der Europäischen Kommission. In Brüssel sieht er durchaus „Lernprozesse“.

Ein Beispiel sind Handelsverträge wie „TTIP“, bei denen es Missverständnisse bei der Frage gab, wie groß der Einfluss auf die kommunale Selbstverwaltung wohl sei. Konkret wurde befürchtet, dass etwa die Wasserversorgung vollständig privatisiert werden könne.

Daraus hat man in Brüssel gelernt, dass Vertragstexte nicht nur für Juristen verfasst werden sollten, sondern auch allgemeinverständlicher, mit der Öffentlichkeit im Blick.

Drei Personen an einem Tisch mit Mikros. Sehen konzentriert aus (oder müde)

BU Markus Reichart, Bürgermeister der Marktgemeinde Heimenkirch (links) „Das Gefüge in Europa ist sehr kleinteilig strukturiert. So etwas wie eine europäische Kultur wird sich daher wohl kaum etablieren. Aber wir können identitätsstiftende Maßnahmen und gemeinsame Normen entwickeln.“

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„Ohne starke Kommunen kein starkes Europa“

Obwohl die Auswirkungen der Brüsseler Richtlinien und Verordnungen oftmals als Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts wahrgenommen werden, stehen die kommunalen Spitzenverbände zu Europa. „Die Kommunen dürfen zu Europa nicht schweigen. Berechtigte Kritik ist zu artikulieren, aber das große Ganze darf dabei nicht aus den Augen verloren werden“, so Dr. Franz Dirnberger, Geschäftsführender Direktor des Bayerischen Gemeindetags. „Wir sind der Überzeugung: Ohne starke Kommunen gibt es kein starkes Europa.“

Weil diese Wechselwirkung so wichtig ist, haben die Spitzenverbände der bayerischen Kommunen ein eigenes Europabüro gegründet. Büroleiter Maximilian Klein: „Das ist einzigartig in Brüssel!“

Dr. Barbara Sterl hat ihre Doktorarbeit zum Thema „Die Europäisierung der Kommunen“ geschrieben und dabei untersucht, was für Veränderungen etwa die Förderungen und Vorgaben der EU-Strukturpolitik auf lokaler Ebene auslösen.

Dabei hat sie durchaus positive Effekte in den Kommunen feststellen können, etwa: 

  • Impulswirkung der EU, die zu einer Erweiterung der Angebote geführt hat
  • Rückenwind für notwendige Maßnahmen, die schwer zu vermitteln sind
  • Verpflichtung zu strategischer Kooperation der einzelnen Kommunen, um an EU-Förderprojekten teilzunehmen
  • Professionalisierung der Qualitätskontrolle und Analyseintrumente, um besser messen zu können, wie erfolgreich bestimmte Projekte waren
  • Verstärkung der Vernetzung der Akteure vor Ort und mit den entsprechenden Fachstellen. Dadurch entsteht in den Kommunen ein Gewinn an Know-How
  • Auseinandersetzung mit europäischer Politik

Dies trifft besonderes dort zu, wo es bereits institutionelle Strukturen und Erfahrungen mit Europa gibt. Außerdem müssen Ressourcen vorhanden und Möglichkeiten zur Selbstgestaltung gegeben sein. Vor allem aber komme es, so Sterl, auf die eigene Aufgeschlossenheit und Einstellung Brüssel gegenüber an. Dies bestätigen auch die Teilnehmer: Krohnen bezeichnet die Förderprogramme als eine „super Sache“. Auch wenn es nicht einfach sei, sich mit all den Vorgaben vertraut zu machen, weiß sie das Angebot zu schätzen: „Mithilfe der Fördergelder haben wir unseren Ort umgekrempelt“.  

Thomas Habermann, Landrat des Landkreises Rhön-Grabfeld und Vertreter der deutschen Landkreise beim Ausschuss der Regionen in Brüssel, appelliert an die Kollegen: „Gehen wir mit Abwehrhaltung heran oder offen? Europa ist als Thema nicht populär, kaum in unserem Bewusstsein. Dabei ist Europa überall, in jedem Dorf, in jeder Gemeinde. Wir müssen selbst mehr Nähe zu Europa bekommen!“  Sein Vorschlag: „Wir bräuchten für jeden Gemeinderat ein Erasmus-Programm, das den Austausch in der EU ermöglicht“.

Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin