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Sommerkolloquium in München
Digitalisierung – Neue Plattformen für Beteiligung und Demokratie?

Autor: Silke Franke

Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten der Information und Kommunikation für Zusammenarbeit und Dienstleistungen. Über das Internet haben Bürger z.B. Zugang zu amtlichen Daten und können sich über die Angebote und Vorhaben in ihrer Region informieren. Der digitale Raum spielt auch bei der öffentlichen Meinungsbildung und bei der Vernetzung von Akteuren eine immer größere Rolle. Wie verändert sich die digitale Gesellschaft? Führt die Digitalisierung wirklich zu mehr (politischer) Teilhabe?

Pschierer: Wir brauchen nicht nur Medienkompentenz, sondern auch digitale Mündigkeit

Der Zugang zu Politik ist niederschwelliger geworden

Das diesjährige gemeinsame Sommerkolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und der Hanns-Seidel-Stiftung beschäftigte sich am 25. Juli mit dem Zusammenhang von Digitalisierung und Demokratie – eine „spannende Themenstellung“, gratulierte Wirtschaftsstaatssekretär Fanz Josef Pschierer den Veranstaltern.

Früher, so Pschierer, beschränkte sich die Teilhabe am politischen Prozess darauf, alle paar Jahre Kreuze auf einem Wahlzettel zu machen, in eine Partei einzutreten oder einen Leserbrief schreiben und gespannt zu warten, ob er denn auch abgedruckt wird. All dies sei auch heute noch wichtig und richtig, doch das Internet biete nun weitaus vielfältigere Möglichkeiten, seine Meinung jederzeit und von überall aus kund zu tun, ob über E-Petitionen, Kommentarspalten oder Blogs. Pschierer: „Der Zugang zur Politik ist niederschwelliger geworden“. Eigentlich ein gutes Zeichen für Demokratie.

Doch während beim Wählen das Prinzip „one man, one vote“ gilt, heißt es im Internet „one opinion, x votes“. Pschierer verwies auf die Gefahr, dass die per Likes und Follower präsentierten Bewertungen auch gekauft oder künstlich erzeugt sein könnten. Die „Social Bots“, also Roboter, die eingesetzt werden, um Nachrichten zu verbreiten und politische Trends damit zu manipulieren, werden inzwischen so programmiert, dass sie das menschliche Verhalten immer besser simulieren. Da es schwierig ist, zu erkennen, welchen Wahrheitsgehalt Meldungen haben, könnte damit auch das Vertrauen in die legitime politische Kommunikation im digitalen Raum erodieren, warnte Pschierer. Hier müsse sich die Debattenkultur verbessern. „Wir werden diese technologischen Möglichkeiten nicht verbieten können. Aber wir müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört zu den elementaren Eckpfeilern unserer demokratischen Werteordnung“. In der Welt des Internet müssten daher dieselben Rechtsgrundsätze gelten wie in der realen Welt. Darüber hinaus braucht es mehr seiner Meinung nach auch mehr „gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit, um aus Medienkompetenz digitale Mündigkeit werden zu lassen“.

Hier können Sie das Redemanuskript von Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, downloaden (externer link)

Prof. Dr. Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT): Grundsätzlich ist eine neue Art der Bürgerbeteiligung und der digitalen Teilhabe denkbar und zwar in allen Stufen der Beteiligung - von Information und Transparenz über Konsultation und Kommunikation bis hin zu Kollaboration und Entscheidungsfindung. Der digitale Raum bietet verschiedene Möglichkeiten für Responsivität und Feedback-Schleifen.  Mehr zur „Digitalen Teilhabe“ des ÖFIT hier (externer link).

Dr. Christian Nuernbergk vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München, lieferte in seinem Vortrag auch Zahlen zur aktuellen Mediennutzung. Demnach ist die Rezeption politischer Information bislang eher begrenzt – nur 7.4 % kommentieren entsprechende Meldungen. Es gibt nur wenig Interaktionsketten.

Markus Blume, MdL

Markus Blume, MdL

Digitalisierung muss gestaltet werden

Markus Blume, Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission und Stellvertretender CSU-Generalsekretär, sieht die Politik in der Pflicht sicherzustellen, „dass aus den digitalen Disruptionen keine politischen Disruptionen werden“. Die Digitalisierung ist nicht per se gut oder schlecht, aber sie muss gestaltet werden. Blume wörtlich: „Wir haben eine Explosion an Möglichkeiten und es liegt in unseren Händen, was wir daraus machen“.  Aufklärung, Befähigung und die Debatte um eine digitale Ethik sind für ihn daher ebenso unerlässlich, wie eine digitale Ordnung, die Chancen nutzt, aber auch Grenzen setzt.

Prof. Dr. Harald Lesch

„Der Elefant im Wohnzimmer“

Wie verändert die Digitalisierung die Gesellschaft? Mit der Frage setzte sich Prof. Dr. Harald Lesch auseinander. Der auch aus dem Fernsehen bekannte Astrophysiker und Naturphilosoph zeichnete angesichts einer zuweilen vorherrschenden Digitalisierungseuphorie ein bewusst kritisches Bild.

Ein Problem ist für Lesch, dass wir „smarte Geräte“ nutzen, ohne genau zu wissen, wie diese funktionieren und was für Prozesse dabei im Hintergrund ablaufen: „Wir sind in den Händen einer Technik, die wir nicht verstehen, und von Unternehmen, deren Ziele wir nicht kennen. Wir arbeiten am Rande der erkennbaren Wirklichkeit“. Dies ist auch ein Sicherheitsproblem, wie die zahlreichen Hackerangriffe tagtäglich beweisen. Mit der Digitalisierung und Automatisierung von Vorgängen bezahlen wir zudem Leistungen, die wir früher selbst erbracht haben. Lesch: Unser Alltag wird monetarisiert. Das viel größere Problem - „der Elefant im Wohnzimmer“ - ist für ihn aber die Frage, wie wir mit der Zeit umgehen, die wir mit der Automatisierung zu sparen gemeint haben. Ihm scheint, dass wir vielmehr „immer mehr Aufgaben und Wünsche in immer kleinere Zeiteinheiten reinpacken“.

Rege Diskussion um Pro und Contra: Lesch, Paryczek, Nuernbergk, Magel, Blume

Rege Diskussion um Pro und Contra: Lesch, Paryczek, Nuernbergk, Magel, Blume

Pro und Contra diskutieren

Die Vormittagsbeiträge und Diskussionen zeigten: Digitale Formate ermöglichen eine Beteiligung, ohne dass derjenige vor Ort oder zur selben Zeit aktiv sein muss. Allerdings benötigen Teilnehmer den Zugang zu der entsprechenden Technologie und ein Mindestmaß an Medienkompetenz. Zurzeit bewegen wir uns in einem hybriden Raum, in dem sowohl konventionelle analoge wie auch ständig neue digitale Formate gepflegt sein wollen. Der Kommunikationswissenschaftler Dr. Christian Nuernbergk von der LMU München bemerkte dazu: “Es gibt konkurrierende Thesen, ob sich durch die neuen Medien mehr Menschen mobilisieren lassen oder ob es sich um eine eher selektive Mobilisierung oder gar Abkehr handelt“.

Auch Dr. Franz Dirnberger (Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bayerischen Gemeindetags) kann sich einerseits gut vorstellen, dass die Digitalisierung eine gewisse Teilhabe am kommunalen Leben ermöglicht. Bürger könnten Rathaussitzungen via livestream verfolgen, egal wo sie gerade sind. Andererseits kann das (vor)schnelle Posten von Nachrichten auch fragwürdig sein, wenn es zur einer „Twitterisierung der Politik“ oder „Informations-Tsunami“ ausartet. Für ihn wäre es wichtig, Kindern und Jugendlichen schon in der Schule beizubringen, was „Demokratie“ bedeutet und wie eine Gemeinde funktioniert.

Eines wurde durch die konkreten Beispiele auch deutlich: Eine gute Bürgerbeteiligung erfordert im digitalen wie im analogen Raum eine professionelle Vorbereitung (wobei kann sich jemand einbringen, was sind die Rahmenbedingungen, wie transparent ist der Prozess, wie wird mit den Ergebnissen umgegangen).

Stellten aktuelle Forschungs- und Praxisprojekte vor: Schreiber, Gollner, Moderatorin Bastian, Renner, Dirnberger

Stellten aktuelle Forschungs- und Praxisprojekte vor: Schreiber, Gollner, Moderatorin Bastian, Renner, Dirnberger

Digitale Dörfer: Handlungsansätze der Digitalisierung erproben

Mit dem Projekt „Digitales Dorf“ will die Bayerische Staatsregierung die Digitalisierung im ländlichen Raum fördern. Mit der Steinwald-Allianz und dem Verbund Spiegelau-Frauenau wurden zwei Regionen mit insgesamt 18 Gemeinden ausgewählt, die im sogenannten Raum mit besonderem Handlungsbedarf liegen und die über die Integrierte Ländliche Entwicklung (ILE) bereits über eine Organisationsstruktur verfügen. Ziel ist nun, die Potentiale der Digitalisierung in handgreifliche Projekte umzusetzen. Denkbare Themenfelder sind z.B. Schule und Bildung, Pflege und Telemedizin, Coworking und Nachbarschaftshilfe, Rufbusse und Lieferservices sowie das digitale Rathaus. Die Ergebnisse der Modelldörfer sollen flächendeckend übertragbar sein. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Versorgung ländlicher Räume mit Hilfe von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt werden kann. Bürgermeister Hans Donko, der zugleich Vorsitzender der Steinwald-Allianz ist, berichtete in seinem Vortrag von dem konkreten Vorhaben „digitaler Bauernmarkt“. Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform, die Kunden, Betreiber und Erzeuger miteinander vernetzt. Ein Verkaufsfahrzeug soll mit einem bestimmten Sortiment auch entlegene Gemeinden anfahren. Dabei geht es nicht nur um regionale Erzeugnisse, sondern auch um weitere Angebote. So soll es auch eine mobile Wohnberatung für selbstbestimmtes Wohnen im Alter zu Hause geben.

Parallel zu den beiden Modelldörfern soll eine „Community“ aufgebaut werden, die allen interessierten Gemeinden offensteht und ihnen einen Erfahrungsaustausch ermöglicht und Best Practices vermittelt.  Hier geht es zur Website Digitale Dörfer und hier zu facebook 

Weitere Beispiele, die vorgestellt wurden, befassten sich mit neuen Beteiligungsformaten, insbesondere digitalen Nachbarschaftsplattformen, digitalen Unternehmensnetzwerken und einer App, die Interessierte in einer Art Schnitzeljagd durch eine Gemeinde führt und das kulturelle Erbe der Region erlebbar macht.

Mehr zu „Vernetzte Nachbarn - Erforschung der sozialen Wirkung digitaler Nachbarschaftsplattformen“ (externer link) 

Mehr zu Coworking im Fichtelgebirge (externer link)  

Mehr zur „ QR-Tour – Menschen, Orte und Geschichten multimedial entdecken“ (externer link)  

Zur Jugendbeteiligungsplattform des Bayerischen Jugendrings hier: „Das Social Web ist nicht nur zur Lebensrealität junger Menschen geworden, sondern ermöglicht auch neue Formen politischer Beteiligung“  (externer link) 

Die Veranstalter Magel, Franke, Männle mit den Rednern Pschierer und Blume

Fazit: Wir betreten Neuland

Inwiefern die Digitalisierung tatsächlich einen Beitrag leisten kann, den Trend zur Land-Stadt-Wanderung aufzuhalten, ist für Blume eine interessante Frage. Es gilt also, weiterhin die Wechselwirkung von Entwicklungen zu ergründen. Eine Bemerkung, die Prof. Dr. Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie freuen dürfte. So lautete auch sein Fazit: „Wie beeinflusst die Digitalisierung die Demokratie? Die Frage wird uns weiterhin beschäftigen, wir sind erst am Anfang.“

Die Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche und ist mit tiefgreifenden Veränderungen verbunden, die von der Hanns-Seidel-Stiftung begleitet werden. Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung: „Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschafts- und Arbeitswelt. Wir fragen nach den neuen Anforderungen in der Verbraucherpolitik oder der Medienpolitik. Auch der vielschichtige Bereich Cyber Security bildet einen Schwerpunkt unserer Arbeit. Demnächst wird es zudem ein neues Referat ‘Digitalisierung und Politik‘  in unserer Akademie geben“.

Hier geht es zum HSS-Themenportal „Umwelt und Verbraucher“

Weitere Informationen zur Veranstaltung auch auf der Website der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum 

Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin