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Hans-Jürgen Papier im HSS-Interview
Das „Trilemma“ Europas

Immer mehr Europa? Ganz so einfach können wir es uns nicht machen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes a.D., Hanns-Jörg Papier, warnt in München davor, zu schnell zu viele Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Ihm geht es um den langfristigen Erfolg der europäischen Einigung und eine Demokratisierung der EU.

Wenn es um Europa geht, müssen wir uns hüten vor einer „Entweder-oder-Logik“, sagt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes . „Entweder immer mehr Europa oder der ganze Kontinent fliegt auseinander, das ist eine gefährliche Haltung“, sagt Papier und warnt davor, zu schnell zu viele Kompetenzen der Nationalstaaten an Brüssel abzugeben. 

Die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Prof. Ursula Männle mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes a.D.

Die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Prof. Ursula Männle mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes a.D.

Es ist ihm aber wichtig, dass er nicht falsch verstanden wird. Das spüren die Stipiendiaten der Hanns-Seidel-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung, vor denen Papier in München spricht. Papier will auf keinen Fall in die gleiche antieuropäische Kerbe schlagen wie die Populisten und Vereinfacher. Einfache Antworten auf komplexe Fragen hat Papier ohnehin noch nie gegeben. Ihm geht es um den dauerhaften Erfolg der Union als Staatenbund, der in den europäischen Verträgen auch so vorgehsehen ist. In seinem Vortrag beschreibt er das „Trilemma der Europäischen Union“, denn es sind drei Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen und im Integrationsprozess nicht aus dem Gleichgewicht geraten dürfen:

  1. Integration der Nationen Europas
  2. Expansion der Union
  3. Parlametarisierung (Demokratisierung)

Eine zu rasche Integration geht, so Papier, immer auf Kosten eines der anderen Faktoren, der Demokratisierung zum Beispiel oder eine übermäßige Expansion auf Kosten der Integration.

Die Hüter der Demokratie

Besonders im Vorfeld der Europawahl setzen viele Parteien völlig undifferenziert auf die Botschaft: „Mehr Europa“, was auch immer man darunter verstehen mag. Ein demokratisch vollendetes Gefüge jedenfalls nicht, ist Papier der Ansicht. Demokratie existiere in Europa eigentlich nur innerhalb der Nationalstaaten und es sei genau dieses demokratische Defizit der europäischen Institutionen, das einer unbeschränkten Übertragung nationaler, parlamentarischer Befugnisse im Wege stehe. Das deutsche Grundgesetz ist da sehr deutlich. Würden die Nationalstaaten bestimmte elementare Rechte auf die europäische Ebene übertragen, liefen sie Gefahr, „dass die Demokratie in den Mitgliedsstaaten ausgehöhlt“ wird. „Sie (wer? – die Mitgliedstaaten?) sind die Hüter der Verträge“, sagt Papier. Sie müssten sich ein Mindestmaß an demokratischer Handlungsfähigkeit bewahren, etwa in der Sozialpolitik, der Bildungs- Kultur- oder der Finanzpolitik. Sonst laufe Europa Gefahr, die Demokratie in den Nationalstaaten aufzugeben, bevor in Brüssel paneuropäische demokratische Strukturen etabliert worden seien. „Und wer garantiert uns dann, dass sie dort neu entstehen?“

Dass das europäische Projekt grundsätzlich auf fortschreitende Integration ausgelegt ist, sieht Papier nicht als problematisch an.. Ihm geht es um die Demokratie. Natürlich brauche ein einheitlicher Währungsraum mittelfristig auch eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik. Dieser weitere Integrationsschritt (Faktor 1 – siehe oben) dürfe aber nicht zulasten der Demokratie in Europa gehen (Faktor 3). Hans-Jürgen Papier hat auch einen Vorschlag, wie das europäische Projekt gelingen kann: Er fordert mehr Europa in den Bereichen, in denen Europa nur gemeinsam handlungsfähig ist, wie etwa in der Sicherheits- und Finanzpolitik, schlägt aber vor, im gleichen Maße Kompetenzen an die nationalen Parlamente zurückzugeben. Nur so könne garantiert werden, dass die Demokratie in Europa nicht zu einer bloßen Fassade werde.

Stipendiaten der Hanns-Seidel-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung sind am 14. Mai im Konferenzzentrum in München bei der Veranstaltung „Europa am Scheideweg – Erosion oder Expansion“ zusammengekommen. Nach seinem Vortrag, den wir in den nächsten Tagen hier präsentieren wollen, war Prof. Dr. Papier bereit, einige unserer Fragen zu beantworten:

Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier wurde 2002 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes ernannt. Nach seiner 12-jährigen Amtszeit kehrte er an die juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München zurück. 2011 wurde er emeritiert, ist aber bis heute in der Lehre tätig. Papier ist Träger des Großen goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich, des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und des Bayerischen Verdienstordens.

Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier wurde 2002 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes ernannt. Nach seiner 12-jährigen Amtszeit kehrte er an die juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München zurück. 2011 wurde er emeritiert, ist aber bis heute in der Lehre tätig. Papier ist Träger des Großen goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich, des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und des Bayerischen Verdienstordens.

Interview mit Hans-Jürgen Papier

HSS: Herr Prof. Dr. Papier, wie verträgt sich das deutsche Grundgesetz mit dem Prozess der europäischen Einigung?

Hans-Jürgen Papier: Grundsätzlich bekennt sich das Grundgesetz zur Europäischen Union. Die Integration Deutschlands in die europäische Union ist im Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes sogar zum Staatsziel erklärt worden. Auf der anderen Seite enthält das Grundgesetz gewisse Integrationsschranken. Das ergibt sich auch wieder aus dem besagten Artikel 23. Danach darf die Integration nicht so weit gehen, dass die Bundesrepublik gewissermaßen die eigene Staatlichkeit aufgibt. Grenzen sind insbesondere die Wahrung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit. Also: gewisse Fundamentalprinzipien des Grundgesetzes dürfen der Integration nicht geopfert werden.

HSS: Ist es gut für die Demokratie in Europa, dass bei der kommenden Europawahl der neue Kommissionspräsident (oder die neue Kommissionspräsidentin) sozusagen für alle sichtbar zur Wahl steht?

Ich meine, ja. Der Parlamentarismus oder noch allgemeiner gesagt, die Demokratie in der europäischen Union selbst ist ja nicht vergleichbar ausgestaltet wie in den Mitgliedsstaaten und bei uns in Deutschland. Wir haben zwar ein europäisches Parlament aber die Befugnisse, die Zusammensetzung, die Wahl entspricht ja nicht dem, was wir unter einem nationalen Parlament verstehen. Da gibt es noch gewisse Abstufungen. Und deswegen ist es eigentlich im Sinne der Parlamentarisierung und damit auch der Demokratisierung der Europäischen Union nützlich, wenn die Wähler bei der Wahlentscheidung eine gewisse Personalisierung vorfinden.

HSS: Welche Möglichkeiten hat das demokratische Europa, um sich gegen Rechtspopulisten zu verteidigen?

Zunächst mal müssen die Organe der Europäischen Union darüber wachen, dass die Mitgliedsstaaten die im Europäischen Vertrag niedergelegten Grundwerte achten. Dazu gehören etwa Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es gehört schon zu den Aufgaben etwa der Kommission, darüber zu wachen, dass einzelne Mitgliedsstaaten nicht aus diesem Wertekanon ausscheiden oder sich ausklinken. Wir sehen ja die Gefahr in Ungarn aber auch in Polen, ich will das nicht im Einzelnen kommentieren, aber da sind doch gewisse Erosionserscheinungen etwa im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit zu beobachten und die Kommission geht ja dagegen auch vor. Ob aber die EU wirklich über schneidige Instrumente verfügt, das wird sich zeigen.

HSS: Herr Professor Papier, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Referat IV/SB
Michaela Regele
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Maximilian Witte
Redakteur
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