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Unruhen in Südafrika
Die alte Elite mit dem Rücken zur Wand?

Nach der Inhaftierung von Ex-Präsident Jacob Zuma, der wegen Missachtung der Justiz zu 15 Monaten Haft verurteilt worden war, hat Südafrika die schwersten Unruhen seiner demokratischen Geschichte erlebt. Über 300 Menschen sind bisher ums Leben gekommen. Das Ausmaß der Ausschreitungen ist ein Risiko für Stabilität und Entwicklung des Landes insgesamt und gleichzeitig ein Weckruf, die nötigen Wirtsschafts- und Rechtsstaatsreformen endlich umzusetzen.

  • Hinweise auf gezielte Destabilisierung des Landes
  • Starke Zivilgesellschaft, schwacher Staat
  • Bruchstellen der südafrikanischen Gesellschaft kommen zum Vorschein
  • Rolle des ANC
  • Ein Warnsignal

Es wird von Unruhen, Plünderungen, fremdenfeindlichen Übergriffen, sogar über politische und wirtschaftliche Sabotage berichtet. Das Wort „Hochverrat“ steht im Raum. Während sich die Lage in den vergangen Tagen beruhigt hat, laufen die Untersuchungen über die Hintergründe der Unruhen auf Hochtouren.

Die Zerstörung kritischer Infrastruktur und die Plünderung von über 3000 Geschäften, 160 Einkaufszentren und die zeitweise Schließung von wichtigen Verbindungsstraßen und Logistik-Hubs hat in Teilen von Johannesburg und vor allem in Durban zu ernsthaften Versorgungsengpässen bei Nahrungsmitteln, medizinischen Gütern und Benzin geführt.

25.000 Soldaten sollen die überforderte Polizei unterstützen. In Durban fahren Panzer durch die Straßen – dies soll vor allem Stärke zeigen, nachdem die Ramaphosa-Regierung in den Tagen der stärksten Unruhen ein schwaches Bild abgegeben hat.

Die Flagge Südafrikas weht im Wind

Vier von neun Provinzen Südafrikas waren von den Unruhen betroffen, davon besonders stark Gauteng und KwaZulu-Natal, die wirtschaftlichen Herzkammern des Landes.

Oleksii Liskonih; ©HSS; IStock

Hinweise auf gezielte Destabilisierung des Landes

Vieles deutet auf eine gezielte Destabilisierung des Landes durch Anhänger des am 7. Juli inhaftierten ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma hin. Präsident Cyril Ramaphosa spricht von einem „gezielten, koordinierten und gut geplanten Angriff auf die Demokratie“. Jacob Zuma und seine Anhänger haben innerhalb der Führungsebene des ANC und im Kabinett in den vergangen Jahren zunehmend an Unterstüzung und vor allem Einfluss verloren. Einige von ihnen, darunter der derzeit suspendierte ANC-Generalsekretär, müssen sich wegen Korruption und anderer krimineller Machenschaften vor Gericht verantworten. Die Zuma-Netzwerke, auch wenn sie erheblich geschrumpft sind, reichen weiterhin in staatliche Institutionen, darunter wohl auch in die Sicherheitsbehörden. Auf sub-nationaler Ebene profitieren einzelne Gemeinde- und Stadträte noch immer von illegalen Ausschreibungen, die teils auch im direkten Zusammenhang mit dem Firmennetzwerk von Jacob Zuma und seinen Gefolgsleuten stehen sollen. All diese Personen und Firmen haben ein Eigeninteresse daran, dass die Reformanstrengungen von Cyril Ramaphosa gestoppt werden. Dass die Ausschreitungen in der  Heimatprovinz von Jacob Zuma, in KwaZulu-Natal (KZN) begannen und dann nach Gauteng übergeschwappt sind, zeigt gut, wo Zuma weiterhin Unterstützung hat.

Nelson Mandela sitzt an einem Tisch und schreibt etwas auf ein Papier. Hinter ihm lächelnde Menschen.

Nelson Mandela unterzeichnet die südafrikanische Verfassung, die 1996 in Kraft trat. Am 18. Juli beging Südafrika den Internationalen Mandela-Tag. Gerade in diesen Tagen, in denen Südafrika mit Unruhen zu kämpfen hat, ist die Erinnerung an Nelson Mandela’s Andenken wichtiger denn je. Das beeindruckende Engagement der Zivilgesellschaft und der freien Presse zeigen einmal mehr die Widerstandsfähigkeit der Südafrikaner.

ITU Pictures; ©2.0; Wikimedia Commons

Starke Zivilgesellschaf, schwacher Staat

Von den neun südafrikanischen Provinzen waren vier von den Unruhen betroffen, davon besonders stark Gauteng und KwaZulu-Natal, die als wirtschaftliche Herzkammern des Landes gelten.

Während aus Phoenix, einem Vorort von Durban, berichtet wird, dass es dort zu gewalttätigen ethnischen Übergriffen zwischen indischstämmigen und schwarzen Südfrikanern mit bis zu 20 Toten gekommen sein soll, ist bisher keine flächendeckende ethnische Gewalt zu beobachten. Und obwohl einige zehntausend Plünderer durch die Straßen zogen, beteiligt sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht an den Ausschreitungen und verurteilt diese.

Während der Staat in seiner Reaktion auf die Krise in den ersten Tagen der Unruhen total überfordert schien, versuchen Gemeindeinitiativen, NGOs, die freie und mutige Presse und der Privatsektor alles, um die Lage zu beruhigen. Bürger unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft kommen aktuell zusammen und zeigen einmal mehr die Widerstandsfähigkeit der Südafrikaner. Der junge Monarch des noch immer einflussreichen Königshauses der Zulu, König Misuzulu,

verurteilte in einer Ansprache die Gewalt in KwaZulu-Natal und rief seine Landsleute zum sofortigen Stopp der Plünderungen auf. Außerdem sollten fremdenfeindliche Übergriffe im Keim erstickt werden.

Die anfangs unprofessionelle Krisenkommunikation des Präsidenten und seiner für innere Sicherheit zuständigen Minister hat große Unsicherheit  verusacht und die wirtschaftliche Aktivität in vielen Landesteilen zeitweise zum Erliegen gebracht, obwohl diese überhaupt nicht von den Unruhen betroffen waren. Inzwischen bemüht sich Präsident Ramaphosa um  professionellere Krisenkommunikation.

Den bisher über 3.400 Inhaftierten, viele davon Plünderer, soll zügig der Prozess gemacht werden. Gleichzeitig hat Präsident angekündigt, die Drahtzieher, die den Sicherheitsbehörden bereits bekannt sein sollen, aufzuspüren. Polizei und Nachrichtendienste stehen jedoch wegen der mangelhaften Krisenreaktion stark in der Kritik. Zwischen den für Sicherheit zuständigen Ministern (Nachrichtendienste, Polizei, Militär) kam es auch noch nach den Unruhen zu unterscheidlichen Einschätzungen. Viele Südafrkaner verlieren damit immer mehr Vertrauen in den Staat, der eigentlich für ihre Sicherheit sorgen müsste.

Hotspots der Gewalt in der Provinz Gauteng zwischen 7. und 16. Juli

ISS

Bruchstellen der südafrikanischen Gesellschaft kommen zum Vorschein

Die Unruhen haben die Bruchstellen der südafrikanischen Gesellschaft schonungslos offengelegt. Dass der Staat nicht in der Lage war, angemessen auf die Unruhen zu reagieren und die Bürger zu schützen, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Korruption und Vetternwirtschaft im öffentlichen Sektor und der Politisierung der Sicherheitsbehörden. Dies hätte der südafrikanischen Regierung jedoch seit langem bekannt sein müssen. Mit 58 Morden pro Tag zählt Südafrika zu den Ländern mit der höchsten Gewaltkriminalität weltweit. Die Aufklärungsrate liegt gerade einmal bei 19%, bei Raubüberfällen nur bei 17%, obwohl das Budget für die Strafverfolgungsbehörden, und vor allem für die Polizei, kontinuierlich angehoben wurde. Die Mobilisierung so vieler Menschen ist nicht nur Ausdruck von Hunger und Armut, sondern eben auch von einem Vertrauensverlust in den Staat, der lange vor den Geschehnissen der vergangenen Woche eingesetzt hat.

Der Präsident und einige Kabinettsmitglieder sprechen nun von einem „Weckruf“ und kündigen an, den politischen Fokus stärker auf die Professionalisierung der Sicherheitsbehörden zu legen und die Reformen im Wirtschaftsbereich zu beschleunigen. Dazu zählt u.a. die Diskussion über ein Grundeinkommen oder nachhaltige Landreform. Eine Reform wird jedoch nur dann gelingen, wenn auch die politischen Mandatsträger sich ihrer eigenen Verantwortung bewusstwerden und zielgerichtete Vorgaben für eine entsprechenden Prozess formulieren.

Gewalttätige Unruhen in und um Durban zwischen 7. und 16 Juli.

ISS

Rolle des ANC

Der African National Congress (ANC) wird für die Unruhen mitverantwortlich gemacht werden. Die Partei hat seit Ende der 90er Jahre alleine regiert, und Jacob Zuma beinahe ein Jahrzehnt an der Macht gehalten. Trotz der schwachen Krisenreaktion und des Versagens der Sicherheitsorgane könnten Präsident Cyril Ramaphosa und die ihm nahestehenden Kräfte im ANC gestärkt aus diesen dramatischen Tagen hervorgehen. Seine Widersacher haben sich bei vielen Südafrikanern weiter diskreditiert, indem sie - nach derzeitigem Erkenntnisstand - die Zukunft des Landes gnadenlos aufs Spiel gesetzt haben, um ihre persönlichen, korrupten Interessen zu verteidigen. Ob die Initiatoren der Gewalt am Ende überrascht über das Ausmaß der Zerstörung waren oder enttäuscht, dass sich kein landesweiter Flächenbrand ereignete, werden die begonnen Untersuchungen zeigen. Sie müssen weiter als Bedrohung sehr ernst genommen werden. Umso wichtiger erscheint es, dass die von der Staatsanwaltschaft begonnenen Ermittlungen gegen die kriminellen Firmen- und Personennetzwerke um Jacob Zuma, die im Zuge der Zondo-Kommission in monatelangen Verhören und Anhörungen herausgearbeitet wurden, nochmals intensiviert und damit auch die Drahtzieher hinter den Unruhen verhaftet und verurteilt werden. Die Tatsache, dass die Justiz unerschrocken einen korrupten Präsidenten hinter Schloss und Riegel beordert hat, wurde als Sieg für den Rechtsstaat gefeiert und auch von Kommentatoren international als ermutigendes Zeichen gewertet.

Ramaphosa lächelt freundlich in die Kamera. Zurückhaltende Krawatte und dezenter Anzug.

Der Staat hat es nicht geschafft seine Bürger zu schützen. Viele reden nun von einem Weckruf. Ob jedoch Präsident Cyril Ramaphosa (Bild) dafür in seiner eigenen Regierungspartei, dem ANC, den nötigen politischen Willen und die nötige Führungsstärke findet, bleibt vorerst abzuwarten.

ITU Pictures; ©2.0

Ein Warnsignal

Die jüngsten Geschehnisse sollten auch als Warnsignal über Südafrika hinaus verstanden werden. In Südafrika kommen alle Herausforderungen zusammen, die global derzeit stark diskutiert werden: Armut, Ungleichheit, Kriminalität, Folgen des Klimawandels und der COVID-Pandemie etc. In vielen Ländern ist die Gefahr real, dass ein Bevölkerungsteil, der seit Jahren zunehmend unter erdrückender Armut und Hunger leidet, durch korrupte Eliten „verführbar“ ist. Demokratie und Rechtsstaat sind dann besonders gefährdet. Der Ausbruch von Plünderungen in diesem Ausmaß sollte ein erneuter Weckruf sein, die Situation der benachteiligten Bevölkerungsgruppen nicht zu unterschätzen. Es besteht das Risiko, dass diese Bevölkerungsgruppen das Recht in die eigene Hand nehmen, sich weiter bewaffnen und damit die Gefahr einer Eskalation der Gewalt real werden könnte.

Südafrika braucht daher dringend Wirtschaftsreformen und eine evidenzbasierte Politik, die inklusives, nachhaltiges Wachstum stimuliert. Viele hoffen, dass die erschreckenden Ereignisse dieser Woche eine neue Bereitschaft bei allen „Sozialpartnern“ befördern mögen, sich an einen Tisch zu setzen, zusammen strategische, praktikable Lösungen zu schmieden und dann auch gemeinsam an ihrer Umsetzung zu arbeiten.

In diesen Krisen-Tagen sind Südafrikaner einander vielerorts nähergekommen. Allzu tief sitzt der Schock. Allzu schmerzhaft wurde vielen bewusst, wie verletzlich die demokratische Ordnung ist.

Das Land hat die dunkelsten Zeiten der Apartheid überwunden, so sagen viele jetzt und rufen dazu auf, dass die Südafrikaner nun mehr denn je zusammenstehen: #ProtectSouthAfrica und #RebuildSouthAfrica sind seit Tagen dominierende Trends in den Sozialen Medien. Ob daraus wirklich der von vielen so erhoffte Wendepunkt für Südafrika werden kann, wird sich erst dann zeigen, wenn Jacob Zuma und seine Getreuen nicht mehr in der Lage sind, das Land für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und selbst dann sind die Herausforderungen enorm. Viel wird vom politischen Willen und der Umsetzung von dringend nötigen Wirtschaftsreformen und Reformen des Sicherheitssektors abhängen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit lassen jedoch befürchten, dass das Risiko für weitere Unruhen in Südafrika bestehen bleibt.

Autor: Hanns Bühler, HSS, Südafrika

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Hanns Bühler
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