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Wahlen in Marokko
Milliardär mit großen Versprechen führt neue Regierung

Mit den Umbrüchen in der arabischen Welt im Jahr 2011 hat die islamisch-konservative PJD die Regierungsführung in Marokko übernommen. Zehn Jahre danach haben die Marokkaner gewählt und die PJD abgestraft. Der neue starke politische Führer in Marokko ist Aziz Akhannouch – ein enger Vertrauter des Königs.

Am 8. September 2021 wurde in Marokko gewählt. Erstmals fanden Parlaments- Regional- und Kommunalwahlen an einem Tag statt, um möglichst viele Menschen an die Wahlurnen zu locken. Das Ergebnis überrascht: Die bisher stärkste Kraft im Parlament, die islamisch-konservative „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (PJD), die derzeit den Regierungschef stellt, verliert 90 % der Sitze im Parlament und kommt auf nur noch 13 Abgeordnete.

Aziz Akhannouch (RNI-Parteivorsitzender, links) wurde von König Mohamed VI. (rechts) im Königspalast in Fes empfangen und mit der Regierungsbildung beauftragt. Marokko ist eine Monarchie mit Elementen parlamentarischer Demokratie und zentralen Vorrechten des Königs. Die Alaouiten sind seit 1664 die herrschende Dynastie in Marokko.

Aziz Akhannouch (RNI-Parteivorsitzender, links) wurde von König Mohamed VI. (rechts) im Königspalast in Fes empfangen und mit der Regierungsbildung beauftragt. Marokko ist eine Monarchie mit Elementen parlamentarischer Demokratie und zentralen Vorrechten des Königs. Die Alaouiten sind seit 1664 die herrschende Dynastie in Marokko.

Selbst der amtierende Premierminister und PJD-Parteivorsitzende Saadine El-Othmani hat seinen Wahlkreis in Rabat verloren. Ähnlich schlecht hat die Partei bei den Regional- und Kommunalwahlen abgeschnitten und wird landesweit keinen Regionalratspräsidenten oder Bürgermeister mehr stellen.

Der große Gewinner

Die „Nationale Versammlung der Unabhängigen“ (RNI), eine monarchistische, liberale Partei des Zentrums, konnte die Zahl ihrer Sitze mehr als verdreifachen und kommt nun auf 102 Abgeordnete im neuen Parlament (bisher 37). Der RNI-Parteivorsitzende und designierte Regierungschef Aziz Akhannouch hat die Koalitionsgespräche bereits aufgenommen und mit der Regierungsbildung wird in bereits wenigen Wochen gerechnet. Bis auf die PJD und die äußerste Linke sind Koalitionen grundsätzlich mit allen Parteien im neuen Parlament unter Führung der RNI denkbar. Ideologische Unterschiede spielen hier keine große Rolle.

Moderner Wahlkampf setzt neue Maßstäbe

Die RNI hat mit ihrem Wahlkampf in diesem Jahr für Marokko neue Maßstäbe gesetzt. Digitale Werbung und soziale Medien haben einen Schwerpunkt der Kampagne gebildet. Alleine für Facebook-Werbung soll die Partei fast 300.000 € ausgegeben haben, ein zigfaches im Vergleich zu anderen Parteien. Die RNI hat in den vergangenen Jahren sehr viel Nachwuchsförderung betrieben.

Wahllokal: Stimmabgabe unter Covid-19 Bedingungen. Die Wahlbeteiligung lag mit 50,2 % der registrierten Wähler (18 Mio.) höher als bei den Parlamentswahlen 2016 (42,3 %). In Marokko gibt es ca. 25 Mio. Menschen im wahlfähigen Alter, von denen nicht alle registriert sind. Nimmt man diese Gruppe als Grundlage, lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 36%.

Wahllokal: Stimmabgabe unter Covid-19 Bedingungen. Die Wahlbeteiligung lag mit 50,2 % der registrierten Wähler (18 Mio.) höher als bei den Parlamentswahlen 2016 (42,3 %). In Marokko gibt es ca. 25 Mio. Menschen im wahlfähigen Alter, von denen nicht alle registriert sind. Nimmt man diese Gruppe als Grundlage, lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 36%.

Das spiegelt sich auch in den Kandidatenlisten der Partei wider. Zudem wurde eine lange Liste mit konkreten Wahlversprechen abgegeben, wie die Einführung einer Mindestrente, die Erhöhung des Kindergeldes oder der Ausbau einer allgemeinen Krankenversicherung. Der erfrischende Politikstil kam auch bei jungen Neuwählern positiv an.

Der Regierungschef: Milliardär mit Symbolkraft

Aziz Akhannouch hat Regierungserfahrung. Er ist seit 2007 Landwirtschaftsminister des Landes und gilt als Vertrauter des Königs. Der Milliardär verfügt nach Forbes über ein Vermögen von zwei Milliarden Dollar und ist damit einer der reichsten Marokkaner. 

Mit Akhannouch, der im Jahr 2017 den RNI-Parteivorsitz übernommen hat, wird die Hoffnung verbunden, dass neue Arbeitsplätze entstehen sowie die Kluft zwischen Arm und Reich ein stückweit geschlossen wird. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 2018 gab es in Marokko einen großen Boykottaufruf gegen bekannte Marken, um die hohen Lebenshaltungskosten anzuprangern, darunter auch die Tankstellen-Kette Afriquia, die zur Akhannouch-Familienholding gehört. Im Visier der Proteste stand Akhannouch als Symbol einer unheilvollen Verflechtung von Politik und Wirtschaft. Erstaunlich schnell hat er sich von diesem Image erholt. Kurz nach dem Wahlsieg kündigte er an, sich offiziell aus allen Führungspositionen der Holding zurückzuziehen, um Interessenskonflikte zu vermeiden.

Viele Menschen auf einem weiten Platz mit Marktständen

Jemaa el-Fna, der große Markt in Marakesh. Während des Arabischen Frühlings hat König Mohamed VI. schnell auf den Druck der Straße reagiert und eine neue, etwas freiheitlichere Verfassung verabschieden lassen.

Arabischer Frühling: Rückenwind für die PJD

Da in Marokko traditionell keine Wahlumfragen durchgeführt werden, kam der tiefe Absturz der PJD für alle Analysten überraschend. Die Gründe für den Niedergang sind vielfältig. Mit dem Aufkommen des Arab ischen Frühlings im Jahr 2011 hatte König Mohamed VI. schnell auf den Druck der Straße reagiert.

Eine neue Verfassung wurde per Referendum noch im selben Jahr verabschiedet. Freiheitsrechte und Parteien wurden gestärkt, die Geschlechtergleichstellung und die besondere Rolle der Zivilgesellschaft bei der Stärkung demokratischer Prinzipien festgeschrieben. Die PJD hat es in dieser Zeit als unverbrauchter politischer Akteur geschafft, die Stimmungen in der Bevölkerung aufzunehmen: Korruption und Willkür hat die Partei den Kampf angesagt. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2011 ist die PJD dann als stärkste Kraft hervorgegangen und das Ergebnis konnte sie im Jahr 2016 noch weiter ausbauen.

Absturz

Zehn Jahre später war für viele Marokkaner klar: Die PJD hat ihre großen Versprechen nicht eingehalten. Dafür wurde sie an der Wahlurne abgestraft. Nach dem Abbau von staatlichen Subventionen haben sich Grundnahrungsmittel verteuert oder das Renteneintrittsalter wurde erhöht. Die Normalisierung der Beziehungen mit Israel oder die Legalisierung von Cannabis wurden von der PJD mitgetragen, waren innerparteiisch jedoch hochumstritten. Die Spaltung in der Partei, welche mit dem Abgang des charismatischen Führers Abdelilah Benkirane im Jahr 2016 ihren Anfang nahm, hat sich in der Folge weiter vertieft. Materialisiert hat sich das dann im Rückzug von Parteikadern aus der Politik und einem einschläfernden Wahlkampf. Nicht zuletzt kommt hinzu: Regierungsparteien haben es in Marokko immer schwer. Wichtige Reformvorhaben werden vom König initiiert und öffentlichkeitswirksam begleitet. Für die Regierung bleibt da wenig Raum, um sich zu profilieren.

Ausblick

Die neue Regierung wird sich innenpolitisch wie außenpolitisch an den Reformprioritäten des Königshauses orientieren. Dazu gehört innenpolitisch der Ausbau der Wirtschaft und des Sozialsystems sowie eine effektive Verwaltung. Außenpolitisch versteht sich Marokko zunehmend selbstbewusst als Regionalmacht. Das Land baut seinen – auch wirtschaftlichen - Einfluss in Subsahara Afrika weiter aus. Mit den USA und Israel wurde im vergangenen Jahr eine starke Allianz geschmiedet. Man erwartet, dass die europäischen Nachbarn, auch Deutschland, diese neue Rolle ernst nehmen und mit Marokko auch in geopolitischen Fragen auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

In diesem Wahlkampf haben die Themen Korruption, Misswirtschaft und Meinungsfreiheit kaum eine Rolle gespielt. Für viele Marokkaner scheinen diese Themen seit 2011 in den Hintergrund gerückt zu sein. Dabei hat man die Kriege und Krisen anderer arabischer Länder im Blick. Die Stabilität im Land wird als eigenständiger Wert gesehen. Für viele bleibt der Weg hin zu einer Demokratie ein langfristiges Ziel, bei dem es, um der Stabilität Willen, auch Rückschritte etwa bei der Meinungsfreiheit zu erdulden gilt. Sollte es die neue Regierung nicht schaffen die gemachten Versprechen umzusetzen, dann werden sich die sozialen Spannungen in Marokko schnell verstärken. Der Unternehmer-Politiker-Typ des designierten Regierungschefs würde dann wieder eine gute Angriffsfläche bieten.

Autor: Dr. Mounir Azzaoui, HSS, Marokko

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin