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Analyse
Teilmobilmachung in Russland

Autor: Jan Dresel

Was bedeutet die Ankündigung Wladimir Putins, seine Reservisten einzuziehen? Ist es ein Zeichen der Verzweiflung, wie Bundeskanzler Olaf Scholz sagte oder ein weiterer Schritt auf der russischen Eskalationsleiter? Unser Russlandexperte, Jan Dresel, ordnet die Ereignisse für Sie ein.

Am Morgen des 21. September passierte das, womit Beobachter schon seit Monaten gerechnet hatten: Die russische Führung ordnete eine Teilmobilmachung der Streitkräfte an. Bereits in den Tagen vor dem dem 9. Mai, dem russischen „Tag des Sieges“,  war über eine mögliche Teil- oder Generalmobilmachung spekuliert worden, ohne dass es damals dazu kam. Doch die jüngsten Gegenoffensiven der ukrainischen Armee schienen diesen Schritt aus Sicht des Kreml notwendig zu machen.

Junge Männer mit Gewehren vor der Brust stehen stramm.

Die Teilmobilmachung zielt insbesondere auf den Teil der russischen Bevölkerung ab, der bereits eine militärische Ausbildung durchlaufen hat.

DIMUSE; ©HSS; IStock

Seitdem überschlagen sich die Meldungen. Während zunächst von 300.000 Reservisten die Rede war, welche die russische Armee in der Ukraine unterstützen sollen, schrieb die Europa-Ausgabe der Zeitung Nowaja Gaseta am 22. September, dass eine Million Personen eingezogen werden könnten. Auch wenn dies vom Pressesprecher des Kreml, Dmitri Peskow, umgehend dementiert wurde, führte es zu noch mehr Unsicherheit in der russischen Bevölkerung. Schon zuvor sollen sich lange Schlangen ausreisewilliger Russen etwa an der russisch-georgischen und an der russisch-finnischen Grenze gebildet haben. Flugtickets von Russland ins Ausland sollen ausverkauft sein.

Die Teilmobilmachung zielt insbesondere auf den Teil der russischen Bevölkerung ab, der bereits eine militärische Ausbildung durchlaufen hat. Es spielen militärische Vorerfahrung, Alter und auch geografische Aspekte eine Rolle; die einzelnen Regionen sind dafür verantwortlich, jeweils ein bestimmtes Kontingent an Wehrpflichtigen einzuziehen, so dass die geplante Gesamtzahl erreicht wird.

Immer noch "Sonderoperation"?

Militärisch gesehen stellt die Teilmobilmachung zweifellos eine weitere Eskalationsstufe dar. Die Grenzen der „militärischen Sonderoperation“ werden ausgedehnt; zahlreiche westliche Beobachter sind der Ansicht, dass man auch in Russland bald nicht mehr von einer „Sonderoperation“ wird sprechen können. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die Teilmobilmachung zu einer schnellen Wende des Kriegsverlaufs führen wird. Allein die Motivation eingezogener Reservisten dürfte nicht vergleichbar sein mit der ukrainischer Soldaten, die von der Überzeugung geleitet sind, ihre Heimat zu verteidigen. Und auch der Nachschub an High-Tech-Waffen, aber auch von einfacher Munition und Granaten, scheint bei der russischen Armee ins Stocken geraten zu sein.

Auf die russische Gesellschaft dürfte die Teilmobilmachung große Auswirkungen haben. Die Zeiten des gerade zu Ende gegangenen Sommers, als viele Russinnen und Russen noch auf den Veranden Moskauer und St. Petersburger Prachtstraßen saßen und bei Cappuccino oder Spritz sorglos die Sonne genossen, dürften fürs Erste vorbei sein. Der Krieg ist jetzt endgültig auch in Russland angekommen.

Kontakt

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Projektleiter:  Jan Dresel
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: Dr. Wolf Krug
Leiter
Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog
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