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30 Jahre Deutsche Einheit
Wiedervereinigtes Deutschland in einem geeinten Europa?

Wofür steht Europa? Ist es ein gemeinsamer Wertekompass, der die Menschen von Amsterdam bis Zagreb eint? Oder doch der Binnenmarkt mit seinem Versprechen des Wohlstands für alle? Und welche Rolle hat das wiedervereinigte Deutschland in den letzten drei Jahrzehnte in der Gestaltung der Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft EU gespielt?

Am dritten Oktober können wir zurückblicken auf 30 Jahre Deutsche Einheit. Während BRD und DDR im wiedervereinigten Deutschland zusammengewachsen sind, haben nach und nach auch viele Staaten des Warschauer Pakts ihren Weg in das Friedensprojekt Europa gefunden. Die EU sei seit ihrer Gründung ein Garant für Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa, sagte Susanne Breit-Keßler, Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates und stellvertretende HSS-Vorsitzende bei einer Diskussion in der Hanns-Seidel-Stiftung.

Vor 30 Jahren siegten Demokratie und freie Marktwirtschaft über Sozialismus und Planwirtschaft. Was können wir aus unserer eigenen Geschichte für die Bewältigung aktueller Probleme lernen?

©HSS

Vom Fall der Mauer zum Fall der Grenzen in Europa: Wie kann zusammenwachsen, was zusammen gehört?

Vom Fall der Mauer zum Fall der Grenzen in Europa: Wie kann zusammenwachsen, was zusammen gehört?

nantonov; ©HSS; IStock

Dabei stehe gemeinsames Handeln im Zentrum aller Überlegungen. Ob die Bewältigung der Pandemie, des Klimawandels oder die Folgen der Globalisierung, „all diese Herausforderungen […] können nicht mehr vollumfänglich auf nationaler Ebene gelöst werden. Sie bedürfen einer europäischen Antwort“, sagte Breit-Keßler.

Achse Deutschland-Frankreich

Besonders wichtig ist dabei die Deutsch-Französische Kooperation. Das führt auch zu einer besonderen Verantwortung, wie der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber betont: „Es geht nur Berlin - Paris oder Paris – Berlin“, so Stoiber. Dass die Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich so gut funktionieren würde, war vor der Wiedervereinigung keineswegs ausgemacht. „Faktisch hat es in allen Hauptstädten, nicht nur in Moskau und Prag, sondern auch in Paris und London ein Unbehagen gegeben“, so Stoiber. Auch in den deutschen Parteien, mit Ausnahme der CSU, sei der Blick auf die Wiedervereinigung resignativ bis skeptisch gewesen. „Wir hatten für die Wiedervereinigung nur ein kurzes Zeitfenster“, so Stoiber. „Ohne die Unterstützung der USA und die diplomatische Meisterleistung Kohls wäre eine Aufhebung der Teilung wohl nicht möglich gewesen“.

Dass es aber nicht genug ist, wenn Deutschland und Frankreich Europa vorantreiben, sagt der CSU-Europapolitiker Christian Doleschal: „Die Achse Frankreich - Deutschland bedarf einer Renaissance.“ Alle EU-Mitgliedstaaten, insbesondere auch die kleinen und die osteuropäischen Länder, müssten mitgenommen und gehört werden, um die Weiterentwicklung des europäischen Projekts voranzutreiben.

Werte verbinden, Werte trennen

Auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft ist Breit-Keßler allerdings besorgt, dass die „fundamentalen Werte Europas“ auf dem Altar der Einstimmigkeit Europas geopfert werden könnten. „Der Wert der Menschenwürde muss unser Handeln leiten“, betont die Regionalbischöfin a. D. und weist darauf hin, dass nicht alle Länder das gleiche Werteverständnis wie Deutschland besitzen. Dies macht sie am Beispiel der Pressefreiheit fest. Der Dialog mit politischen und wirtschaftlichen Partnern sollte in Zukunft für sie stets mit der Frage verknüpft sein: „Was sind für uns die wichtigen Werte?“

Auch Stoiber hält die Frage der Werte für zentral, betont aber auch spezifisch das Potenzial eines gemeinsamen Wirtschaftsraums für die europäische Einigung. So habe der europäische Binnenmarkt eine enorme Bedeutung für den Zusammenhalt der EU. „Wir haben den gemeinsamen Markt, da haben wir praktisch ein Bundesstaat“, so Stoiber.

Info:

Im Münchner Konferenzzentrum der HSS kamen am 21. September 2020 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammen, um die Entwicklungen dieser letzten 30 Jahre zu rekapitulieren und zu diskutieren, was wir daraus für die Bewältigung aktueller Herausforderungen lernen können. Auf dem Podium vertreten waren die Stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Vorsitzende des Bayrischen Ethikrates, Susanne Breit-Keßler, sowie Christian Doelschal, (MdEP), Dr. Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident a.D. und der Direktor des Institutes für Zeitgeschichte München – Berlin, Prof. Dr. Andreas Wirsching. Für die HSS moderierte Dr. Sarah Schmid, Referentin für Verfassung, Europäische Integration und Gesellschaftliche Partizipation, die Debatte.

Breit-Keßler steht am Rednerpult. Hinter ihr sitzen die anderen Gäste auf dem Podium.

Ob Klimawandel, Globalisierung oder die Pandemie: "All diese Herausforderungen können nicht mehr vollumfänglich auf nationaler Ebene gelöst werden." (Susanne Breit-Keßler)

M.Witte; ©HSS

Vom Binnenmarkt zu gemeinsamen Krediten

Diesen Markt als ein Fundament Europas mit allen Mitteln auch gemeinsam zu schützen, leuchtet Stoiber ein. Die Ausbreitung von Covid-19 bedeute einen enormen Wohlstandverlust in nächster Zeit, so Stoiber. Deshalb sei es für ihn auch gerechtfertigt, dass die EU gemeinsam Kredite für Corona-Hilfen in einem nie dagewesenen finanziellen Volumen aufgenommen hat. Auch Doleschal hält die europäischen Hilfspakete der Corona-Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden € für notwendig. An der Covid-19 Krise zeige sich, wie wichtig es sei, solidarisch zu handeln, so Doleschal. Er befürwortet den Solidaritätsgedanken hinter dem geschnürten europäischen Hilfspaket, bedauert aber, dass die Finanzmittel aus seiner Sicht vielfach nur dafür verwendet würden, um bereits vor der Krise beschlossene nationale Strukturmaßnahmen zu finanzieren. So werde kein direkter und nachhaltiger europäischer Mehrwert für die Bürger erkennbar, kritisiert Doleschal.

Er befürchtet, dass wir im internationalen Wettbewerb, vor allem mit Blick auf China, an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und fordert einen neuen „Integrationsschub“ der EU. Hier kann auch Deutschlands aktuelle EU-Ratspräsidentschaft wichtig werden. „Wir müssen endlich die „Conference  on the Future of Europe“, beginnen und gemeinsam mit Europas Bürgerinnen und Bürgern über die Zukunft unserer Wert- und Wirtschaftsgemeinschaft Europa diskutieren“, so Doleschal. Bei der „Konferenz zur Zukunft Europas“, handelt es sich um ein geplantes politisches Forum, dass die europäische Integration unter der direkten Beteiligung der europäischen Bürgerinnen und Bürgern vorantreiben soll.

Doelschal und Stoiber in angeregter Unterhaltung mit Mundschutz

„Es geht nur Berlin - Paris oder Paris – Berlin“ (Edmund Stoiber, rechts) - „Die Achse Frankreich - Deutschland bedarf einer Renaissance.“ (Christian Doleschal, links)

M.Witte; ©HSS

Das vielfältige Fundament Europas

Friedensmacht Europa, Wertegemeinschaft Europa, Wirtschaftsraum Europa, für Andreas Wirsching, den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München-Berlin, gründet Europa außerdem auf dem Bewusstsein einer gemeinsamen „Rechtsgemeinschaft“. Das hat auch Bedeutung für die europäische Integration, denn die Integrationsbereitschaft der Nationen Europas steigt und fällt auch in dem Maße in dem Recht und Demokratie auf europäischer Ebene etabliert sind. Ein Plus: „Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Stärkung des Europäischen Parlaments erlebt“, so Wirsching. Allerdings verweist er noch einmal darauf, welche Bedeutung nationale Interessen in der Europäischen Union haben. Das engt den Spielraum für Integrationssprünge erheblich ein.

Der Europapolitiker Doleschal schlägt am Schluss einen Gradmesser für die Zukunftsfähigkeit der EU vor: Die Umsetzung des „Green Deal“, den Kommissionspräsidentin Von der Leyen im Dezember 2019 angekündigt hat. Er wünscht sich, dass das Maßnahmenpaket Elemente der sozialen Markwirtschaft berücksichtigt, Ökonomie und Ökologie versöhnt und damit zum globalen Exportschlager wird.

Autor: Thomas Knorr, HSS

Das volle Video der Veranstaltung bei der Hanns-Seidel-Stiftung mit unserer stellv. Vorsitzenden Susanne Breit-Keßler, Christian Doleschal, MdEP, Vorsitzender der Jungen Union, Dr. Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident a.D. und Prof. Dr. Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.

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Extern
Dr. Sarah Schmid
Leiterin