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Interview mit Dr. Ludwig Spaenle, MdL
„Wir dürfen antisemitisches Denken, Reden und Handeln nicht dulden!"

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle hat erschreckend zugenommen. Üder die Gründe, wie wir entgegensteuern können und noch mehr haben wir mit Dr. Ludwig Spaenle gesprochen. Und über die Kooperation mit der HSS gegen Antisemiten.

Spenle und Ferber halten zusammen einen Vertrag hoch und lächeln, im Hintergund sind die Logos der Institutionen zu sehen

Haben eine vertiefte Zusammenarbeit gegen Antisemiten vereinbart: Dr. Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung (links) und Markus Ferber, MdEP, Vorsitzender der HSS

Verena Kienast; HSS

HSS: Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist im ersten Halbjahr 2020 auf 116 angestiegen, 40 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Eine erschreckende Zahl. Fast die Hälfte hatte einen Bezug zur Corona-Pandemie. Schürt COVID-19 Antisemitismus?

Dr. Ludwig Spaenle: Krisenzeiten bieten immer den Nährboden für Vorurteile, für Ausgrenzungen und für die Suche nach Verursachern der Krise, gleichsam nach „Sündenböcken“. Dies gilt auch für die Corona-Krise, in der Gerüchte und Verschwörungstheorien Urstände feiern können. Eine Zielgruppe, gegen die sich diese Verschwörungstheorien richtet, sind Jüdinnen und Juden. Hier wirken tradierte Vorurteile nach, mischen sich mit neuen Tendenzen und werden so neu belebt.

HSS: Was sind das überhaupt für Vorfälle?

Spaenle: Unter den Aktivisten der Corona-Demonstrationen befinden sich auch Anhänger und Propagandisten rechtsextremer antijüdischer Verschwörungstheorien. In übelster Weise wurde auch im Mai und Juni der gelbe Stern, den Jüdinnen und Juden im Dritten Reich als Zeichen der Ausgrenzung tragen mussten, bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung missbraucht.

HSS: Es wird viel Arbeit in Aufklärung, Prävention aber auch in Repression durch schärfere Gesetze und Strafverfolgung geleistet. Und dennoch steigen die Delikte. Woran liegt das?

Spaenle: Antisemitismus hat es in Deutschland auch in den vergangenen Jahrzehnten gegeben, auch wenn er öffentlich weniger zum Vorschein kam. Aber in einer Zeit, in der die demokratische Gesellschaft aufgrund der Belastungen an Bindekraft verliert, kommen Vorurteile und Aggressionen stärker als bisher zum Tragen. Das gilt auch für antisemitische Strömungen und Handlungen. Und hier gilt es rasch und konsequent gegenzusteuern. Im vergangenen Jahr registrierten allein die Polizeibehörden in Bayern über 300 antisemitische Straftaten, auf Bundeseben waren es über 2.000. Das ist erschreckend. Und hier muss massiv gegengesteuert werden.

HSS: Internet-Phänomene wie Hate-Speech, also sprachliche Handlungen gegen Einzelpersonen oder Gruppen, um sie abzuwerten oder zu bedrohen, sind leider keine Seltenheit mehr. Auch Netzinhalte mit volksverhetzenden Inhalten oder Fakte News sind leider vorhanden. Welche Rolle messen Sie dem Internet an antisemitischen Umtrieben zu?

Spaenle: Das Internet, vor allem die sog. Sozialen Medien, und die vermeintliche Anonymität von Chats wirken als Brandbeschleuniger für die Verbreitung wildester Theorien und strafrechtsrelevanter Inhalte. Und rasch werden aus Ideen Worte und aus Worte Taten. Und deshalb bin ich dankbar, dass in Bayern der Staat, z. B. Justizminister Eisenreich durch die Einrichtung von Antisemitismus-Beauftragten an den Generalstaatsanwaltschaften und eines Hate-Speech-Beauftragten auf Ebene des Justizministeriums, diese Probleme und Gefährdungen nachhaltig angeht. Aber – damit das klar ist – Internet und Soziale Medien haben auch viele positive Aspekte und Chancen - nur die negativen müssen nachhaltig bekämpft werden. Das Internet und die Sozialen Medien sind kein rechtsfreier Raum und dürfen es auch nicht sein.

HSS: Die Umtriebe finden aber leider nicht nur virtuell, sondern auch ganz real analog statt. Was können Sie als Antisemitismus-Beauftragter insgesamt dagegen tun?

Spaenle: Wir dürften antisemitisches Denken, Reden und Handeln weder im Netz noch im Alltag, weder digital noch analog dulden. Dazu setze ich auf drei Maßnahmen: Prävention und Bildung gegen Antisemitismus und Judenhass, Solidarität mit Jüdinnen und Juden, die von antisemitischem Denken, Reden und Handeln beeinträchtigt werden, und Repression bei antisemitischen Straftaten. Als Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung konzentriere ich mich entsprechend meiner Möglichkeiten auf die Informations-, Präventions- und Bildungsarbeit – habe z. B. die Initiative „Bildung gegen Judenhass“ gestartet. Außerdem suche ich Partner im Kampf gegen Antisemitismus. Über 70 Einrichtungen und Organisationen konnte ich dafür schon gewinnen, die Definition von Antisemitismus der Internation Holocaust Rembrance Alliance (IHRA) mitzuunterzeichnen. Und ich bin froh, dass die Hanns-Seidel-Stiftung eine dieser Einrichtungen ist.

HSS: Wie bewerten Sie die beiden Seiten der gleichen Medaille: auf der einen Seite verbirgt sich Antisemitismus heute in der Maske von Israelkritik. Auf der anderen Seite sehen wir eine besorgniserregende Entwicklung, jegliche Kritik am staatlichen Handeln Israels als Antisemitismus zu deklarieren - und damit unmöglich zu machen.

Spaenle: In dieser Situation ist die Unterscheidung wichtig. Klar ist, dass sich Menschen in einer demokratischen Gesellschaft eine Meinung über das politische Handeln einer Regierung bilden können und müssen. Das gilt auch für das Handeln der Regierung Netanjahus in Israel. Wo aber die Kritik am Handeln einer Regierung gleichgesetzt wird mit einer grundsätzlichen Kritik am Bestehen des Staates Israel, da ist der Rubicon überschritten. Das ist Antisemitismus im Tarnanzug.

HSS: Wie schätzen Sie den muslimischen Antisemitismus ein? Gibt es eine Zunahme seit den Flüchtlingswellen 2015/2016? Gibt es Besonderheiten gerade dieser „Spielart“ des Antisemitismus? Und gibt es gezielte Präventions- oder Deradikalisierungs-Strategien?

Spaenle: Es gibt einen muslimisch geprägten Antisemitismus in Deutschland, der durch Flüchtlinge aus Ländern, in denen Israel sowie die Jüdinnen und Juden als Gegner in Schulbüchern dargestellt werden, zahlenmäßig gewachsen ist. Immer wieder melden Sicherheitsbehörden antisemitische Vorfälle in Deutschland, gerade in Berlin, aber auch in Bayern, bei denen religiöse Quellen eine Rolle spielen. Das bedeutet: Wir müssen hier aktiv ansetzen. Junge Menschen, die bei uns heranwachsen, müssen wir zu Toleranz und Wertschätzung gegenüber Menschen anderer Religion erziehen – hier bietet das Fach Islamischer Unterricht an staatlichen Schulen in Bayern und in staatlicher Verantwortung der Inhalte eine Chance. Und wir brauchen Präventionsprogramm, die auch ältere Jugendliche und junge Erwachsene, also besonders gewaltanfällige Gruppen erreichen. Bayern arbeitet hier z. B.  mit Ahmad Mansour zusammen, der mit seinen Bildungs- und Präventionsmaßnahmen einen guten Zugang zu den entsprechenden Zielgruppen findet und hier auch mit klaren Ansagen Wege weist, die der Verständigung und Toleranz dienen.

HSS: Im Jahre 321 belegt eine historische Quelle aus Köln das erste jüdische Leben in Deutschland. 2021 feiert das jüdische Leben demnach den 1.700ten Jahrestag bei uns – eine gute Gelegenheit, auf die jahrhundertelange Mitprägung unserer Gesellschaft durch Menschen jüdischen Glaubens aufmerksam zu machen, oder?

Spaenle: Das kommende Jahr bietet tatsächlich eine außergewöhnliche Gelegenheit deutlich zu machen, dass Jüdinnen und Juden seit vielen hunderten Jahren unsere Gesellschaft mitgeprägt haben und sich hier nachhaltig eingebracht haben und es auch heute tun. In Bayern belegen Quellen ein Miteinander seit über 1.000 Jahren, für Köln und damit das Römische Reich von rund .1700 Jahren. Deshalb werden wir uns in Bayern an den Aktivitäten im kommenden Jahr intensiv beteiligen.

HSS: Das Judentum ist viel mehr als die Shoa – wie bekommen wir das auch besser kommuniziert?

Spaenle: Wir müssen hier nur dazu beitragen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger mit offenen Augen ihre Region wahrnehmen. Zwar gibt es nur in knapp eineinhalb Dutzend Städten in Bayern jüdische Gemeinden. Aber wenn wir bewusst durch Städte und Dörfer vorwiegend in Franken und Schwaben gehen, dass finden wir vielfältige Dokumente lebendigen jüdischen Lebens. Vielerorts haben engagierte Frauen und Männer Vereine gegründet, die das jüdische Leben erforschen und die Ergebnisse öffentlich zugänglich machen. Diese Initiativen wollen wir stärken.

HSS: Ihre volle „Tätigkeitsbeschreibung“ lautet „Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe“. Das geht ja weit über den „geläufigen“ Antisemitismus-Beauftragten hinaus. Können Sie uns bitte auch die anderen Aspekte Ihrer Arbeit schildern?

Spaenle: Lassen Sie mich das etwas plakativ tun: Der Beauftragte für jüdisches Leben ist ein Lobbyist im positiven Sinne des Wortes für Jüdinnen und Juden im Freistaat. Der Beauftragte gegen Antisemitismus engagiert sich gegen antisemitische und judenfeindliche Strömungen und Handlungen. Ich habe auch eine niederschwellige Anlaufstelle für Betroffene von antisemitischen Handlungen und Straftaten initiiert. Der Beauftragte für Erinnerungsarbeit hält die Erinnerungen an das Unrecht im Dritten Reich gegen Juden, gegen Sinti und Roma, aber auch gegen politisch Andersdenkende und Verfolgte wach und der Beauftragte für geschichtliches Erbe initiiert Aktivitäten, um Geschichte mit ihren wichtigsten Handlungssträngen verbreiten zu helfen. 

HSS: Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Spaenle: Das Spektrum der Kooperationspartner des Beautragten der Bayerischen Staatsregierung ist vielfältig. Es reicht von staatlichen Einrichtungen über Organisationen aus dem Arbeitsleben und der Wirtschaft, von Kirchen bis zu Kultur- und Sportvereinen. Es umschließt Vertreter anderer Staaten in Bayern und Deutschland, schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen wie die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit.

HSS: Ein neuer „offizieller“ Kooperationspartner ist die Hanns-Seidel-Stiftung. Warum und zu welchem Zweck arbeiten Sie künftig noch enger zusammen?

Spaenle: Zu den außerschulischen Bildungseinrichtungen ganz besonderer Art gehört auch die Hanns-Seidel-Stiftung. Und auf die Zusammenarbeit mit dieser freue ich mich als Regierungsbeauftragter in ganz besonderer Weise. Denn sie erreicht mit ihrer Bildungsarbeit und mit ihren Initiativen enorm viele Menschen aus allen Teilen Bayerns – Bürgerinnen und Bürger, aber auch Mandatsträger. Und sie ist eine wichtige Bildungseinrichtung für Demokratie. Und was uns auch verbindet, das Engagement für ein selbstbestimmtes Israel. Das durfte ich auch schon als Kultusminister bei den vielfältigen besuchen in Israel erfahren.

HSS: Sehr geehrter Herr Dr. Spaenle, wir danken für das Gespräch.

 

Das Interview führte Thomas Reiner für die HSS.

Über Dr. Ludwig Spaenle und seinen Auftrag

Dr. Ludwig Spaenle, MdL, ist seit Mai 2018 Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. In dieser Funktion ist er ressortübergreifend tätig. Er regt Maßnahmen an und unterstützt bei Aufgaben, um das jüdische Leben in Bayern zu fördern und zu würdigen. Er bekämpft jede Form des Antisemitismus und wirkt ihm präventiv entgegen. Daneben stärkt er die Erinnerungsarbeit und die Pflege des historischen Erbes. Bei allem Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorhaben der Staatsministerien soll er eingebunden werden, soweit sie im Schwerpunkt thematisch einschlägige Fragen beantworten oder berühren. Seit 1994 ist er mit einer kurzen Unterbrechung Mitglied des Bayerischen Landtags, von 2008 bis 2013 war er Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, danach bis 2018 Staatsminister für Bildung und Wissenschaft. Außerdem ist er Altstipendiat der HSS.

Die Hanns-Seidel-Stiftung und der Bayerische Antisemitismusbeauftragte haben erst kürzlich eine vertiefte Kooperation bekannt gegeben.

Leiterin Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Onlineredakion

Susanne Hornberger