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HSS bietet Forum für Wissenschaft, Politik und Bürger
„Spinnennetz“ beim ÖPNV - Ballungsraum ist räumliches System

Wie ein Magnet fühlen sich die Menschen vom Großraum München angezogen. Stetiges Wachstum ist die Folge, kalkuliert wird mit einem Zuzug von 400.000 Menschen in die Region bis 2035. Die zentralen Herausforderungen seien daher Wohnen und Verkehr, ist die Bayerische Ministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, Ilse Aigner, der Überzeugung. Als zuständige Ministerin werde sie daher den Wohnungsbau vorantreiben und die ländlichen Räume besser mit München verknüpfen.

Info

Mit einer neuen Veranstaltungsreihe zu den Herausforderungen für den Ballungsraum Oberbayern ist die HSS mit der Auftaktveranstaltung „Gegen Stau und teure Wohnungen“ gestartet. So nahmen beim Auftakt aus der Politik Ilse Aigner und der Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis Ebersberg, Thomas Huber teil. Aus der Wissenschaft konnten die rund 250 Bürger im Kongresszentrum der HSS Steffen Braun, Mobility & Urban Systems Engineering vom Frauenhofer Institut, Prof. Klaus Bogensberger, Verkehrstechnik der Bundeswehr-Universität und Prof. Alain Thierstein, Raumentwicklung der TUM begrüßen.

Bei diesem ersten Gespräch von Wissenschaft, Politik und Bürgern sagte die HSS-Vorsitzende Ursula Männle zu Beginn: „Es ist wichtig, dass wir den Dialog fördern, zu gegenseitigem Austausch, Erkenntnisgewinn und Zusammenwirken beitragen.“

Gruppen von Menschen in seriöser Kleidung vor der Löwenstatue am Eingang des HSS-Konferenzzentrums in München

Treffen zwischen Wissenschaft, Politik und Bürgern zu den Herausforderungen des Ballungsraums München (Steffen Braun, Thomas Huber, Stefanie von Winning, Ilse Aigner, Ursula Männle, Alain Thierstein und Klaus Bogensberger)

Thomas Reiner; HSS

Dank an die HSS

Ilse Aigner bedankte sich zunächst bei der Vorsitzenden und der HSS. In Zeiten zunehmender Filterblasen sei es immens wichtig, mit Themen differenziert, reflektiert und sachlich umzugehen. Dazu trage die HSS insgesamt, immer wieder und auch mit dieser Veranstaltung bei.

„Attraktivitätspack“ Oberbayern

Sodann erklärte Aigner den „Attraktivitätspack“ Oberbayern: Exzellente Unternehmen und dadurch seit Jahren stabil positive wirtschaftliche Entwicklung – rund 41 Prozent des bayerischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und über 60 Prozent des bayerischen Steueraufkommens leistet die Region. Darüber hinaus herrsche nahezu Vollbeschäftigung (die Arbeitslosenquote lag im April bei durchschnittlich 2,9 Prozent). Und auch die hohe Lebensqualität leiste ihren Beitrag zur Anziehungskraft Oberbayerns.

Staatsministeriin Ilse Aigner spricht gestenreich zum Publikum vor HSS-Rückwand im HSS-Konferenzzentrum. München

Engagiert: Ilse Aigner

Thomas Reiner; HSS

Lösungsansätze für zentrale Herausforderungen Wohnen und Verkehr

Einige Lösungsansätze skizzierte die Ministerin: Chancen für Arbeit und Pendelverkehr sieht Aigner in der Digitalisierung: Einerseits durch die vermehrte Einrichtung von Home Offices, wodurch tägliche Pendelfahrten zum Arbeitsplatz eingespart werden könnten, durch Coworking-Spaces und als Folge auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Vernetzung der Verkehrssysteme, Kombination von Verkehrsträgern sowie Sharing Economy (z. B. bei Leihfahrzeugen, ob mit Motor oder ohne) könnte zu einer generellen Entlastung beim Verkehr beitragen, ist Aigner der Ansicht. Aber auch zugunsten des Baus von mehr Wohnraum bewege sich etwas: Baukindergeld, Erhöhung der Eigenheimzulage, steuerliche Anreize für sozialen Wohnungsbau. Vieles werde nicht bis morgen umgesetzt sein, aber es ginge jetzt darum, die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Und darum, aus der oberbayerischen Ballungsrauminitiative eine Gesamtstrategie zu entwickeln, wie MdL Thomas Huber ergänzte.

Experimentierräume für neue Wohnungsformen

Steffen Braun, der am Frauenhofer Institut das Geschäftsfeld Mobility & Urban Systems Engineering leitet, machte klar, dass binnen der nächsten 35 Jahre noch einmal so viel Stadtraum gebaut werde, wie in den letzten 2.000 Jahren. Seine Thesen: 1. Die Digitalisierung von Leben und Arbeiten wird auch das Wohnen als Funktion verändern. 2. Anstelle klassischem Wohnflächenbesitz oder Mietwohnungen würden wohnortnahe „Dienstleistungen“ treten, die gemeinschaftsplattformbasiert sind. 3. Die Region München habe damit kein Wohnungsproblem per se, sondern sie lasse sich die Nachfrage zu sehr vom Markt vorschreiben. Daher plädiert er schon heute für dringend erforderliche „Experimentierräume“ bzw. Anreize für neue Wohnungsformen/Lebensstile abseits hohen Flächenverbrauchs und Nebenkosten.

Urbaner Verkehr der Zukunft: E-Mobilität, Digitalisierung, Automatisierung und Shared Economy

Klaus Bogensberger, Professor für Verkehrstechnik an der Universität der Bundeswehr, wies beim urbanen Verkehr in die Zukunft: Da München derzeit in Deutschland Staumeister mit 800.000 Euro täglichen Zeitverlustkosten sei, müsse auch die Verkehrsbewältigung des immer noch zunehmenden Verkehrs neu gedacht werden. Seine Überlegungen: München müsse Testfeld für autonomes Fahren werden (ähnlich der Autobahn A9), es sei die Förderung von neuen Technologien erforderlich wie z. B. Drohnen oder Hyper-Loop, eine Art „Rohrpost für Menschen“. Außerdem sei eine „neue urbane Verkehrskultur“ erforderlich, u.a. mehr Elektromobilität, die dafür erforderliche Ladeinfrastruktur, Car-Sharing-Modelle, sich autonom bewegende Fahrzeuge, Ridepooling, vereinfacht Bildung von Fahrgemeinschaften. Auf lange Frist könnten allein durch Ridepooling 40.000 Privatfahrzeuge durch Robo-Taxis ersetzt werden. Weiter schlug er vor, den Verkehr kontinuierlich mittels dynamischer Fahrzeugdaten objektiv zu analysieren, hier Schwachstellen zu identifizieren und daraus Maßnahmen zu entwickeln. Datenanalyse solle als Qualitätsmanagement des Verkehrsmanagements betrachtet werden. Kleine Verbesserungen (Ampelsteuerung, Radinfrastruktur) seien Voraussetzung für städtisches Wachstum. Bei alledem müsse aber auch über große, wirkungsvolle Maßnahmen (wie Netzergänzungen, Autobahnanschlüsse, Tunnel) und Steuerungsmaßnahmen (Dosierungen, monetäre Maßnahmen) nachgedacht werden. Mehr dazu finden Sie in unseren aktuellen Politischen Studien auf Seite 28. Hier zum Download.

Auf dem Podium sitzen vier Menschen, die Aufnahme ist mit einem Weitwinkel aufgenommen und daher fast rund

Diskutierten die Herausforderungen für den Ballungsraum: Huber, Braun, Thierstein und Bogensberger

Thomas Reiner; HSS

Die Metropolregion München als räumliches System begreifen

In seiner Forschung, die sich an der Technischen Universität München mit der Stadt- und Metropolentwicklung beschäftigt, beleuchtet Prof. Thierstein u.a. die verstärkten wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Wohnen, Arbeiten und Mobilität als räumliche Entwicklungstrends. Das ist neu, denn einzelne Phänomene wurden zwar bislang erforscht, diese jedoch nicht in Wechselbeziehungen mit anderen und damit in eine interdisziplinäre Gesamtbetrachtung gesetzt. Thierstein erstellte mit seinen Kollegen die weltweit erste Studie zu fünf Raumnutzungsmustern mit 17 wichtigen Indikatoren: Wie nutzen Menschen den Raum, weil sie sich für ein gewisses Faktorenbündel entscheiden? Festzustellen ist hier zum Beispiel die große Bedeutung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnortwahl der Menschen.

Die Metropolregion München müsse daher als räumliches System begriffen werden, alles hänge mit allem zusammen (Wohnen, Verkehr, Arbeit…) – der ÖPNV müsse z. B. Spinnennetz-artig ausgebaut werden mit Tangentialverbindungen zwischen den Ästen, die Regionalzentrenfunktion von Orten gestärkt werden, damit diese nicht nur eine „Überschwappfunktion“ der Metropolen hätten. Thierstein klärte auf, dass einfache politische Konzepte nicht immer möglich seien, denn komplizierte Sachverhalte bräuchten auch komplizierte Lösungsansätze.

„Nur wenn sich alle Beteiligten zusammensetzen, geht’s auch voran“, sagte Huber deswegen auch zum Schluss.

Die Veranstaltungsreihe macht weitere Station am 09. Mai in Freising ("Standorte im Wandel"), am 17. Mai in Starnberg ("Gegen teure Wohnungen") und im Juni in Ebersberg ("Mobilität und Umland"). „Die Reihe ist auch Ausdruck unseres Regionalisierungskonzeptes, mit dem wir zu den Menschen in die Region gehen“, erklärt Männle. Mehr in unserer Veranstaltungsdatenbank unter www.hss.de/veranstaltungen.

Leiterin Onlineredaktion/Internet

Susanne Hornberger