Print logo

Auswirkungen des Brexit
Die irische Grenze

Autor: Angela Ostlender

Erstmals in ihrer Geschichte verlässt ein Mitgliedsstaat die EU. Am 29. März 2017 ging das britische Austrittsgesuch in Brüssel ein. Seitdem arbeiten Teams der EU und Großbritanniens an der mühsamen Abwicklung der folgenreichen Entscheidung des Vereinigten Königreichs – dem sogenannten Brexit. Beide Seiten müssen den Austrittsprozess bis März 2019 vollziehen.

Die vielfältigen Auswirkungen des britischen EU-Austritts werden erst nach und nach im Detail sichtbar. Besonders Irland sieht sich als Verlierer. Für die EU ist die Frage der zukünftigen britisch-irischen Grenzlösung daher derzeit das Top-Thema. Weder die EU noch Großbritannien wollen eine „harte“ Grenze, dennoch stehen die Chancen für einen Kompromiss eher schlecht. Die nordirische nationalistische und euroskeptische Partei DUP, die seit der vorgezogenen Unterhauswahl im Juni 2017 mit am Kabinettstisch sitzt, erschwert die Lösungsfindung zusätzlich.

Info:

Um die Perspektive der Betroffenen im Norden der kleinen Insel am Rande Europas besser zu verstehen, waren auf Einladung von Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Europapolitiker verschiedener europäischer Parlamente und Politikwissenschaftler nach Irland gereist. Ziel der Expertenkonferenz: Die konkreten Auswirkungen einer physischen Grenze und möglicher Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland zu analysieren und damit den Delegierten für die Arbeit in ihren Heimatparlamenten und wissenschaftlichen Instituten zusätzliches Detailwissen an die Hand zu geben.

McGahon steht auf einer kleinen Mauer und deutet über ein weites Tag, das vor der Gruppe gegen den wolkigen Hoizont abfällt und in dem ein Fluss und kleine Wässer im blassen Licht schimmern.

Bürgermeister John McGahon erklärt der Delegation die Grenzsituation am Aussichtspunkt „Flagstaff Viewpoint“. Im Hintergrund sieht man die nordirische Stadt Warrenpoint mit der die Newry River-Flussmündung, durch die die Grenzlinie verläuft.

HSS

„Achten Sie auf die Farbe der Nummernschilder“

Am ersten Tag, bei einem Ortsbesuch im Grenzort Dundalk waren die Brisanz des Themas und die Sorge um die Zukunft der Grenzregion deutlich spürbar. „Achten Sie auf die unterschiedlichen Farben der Nummernschilder und der Straßenmarkierung! Nur daran erkennen Sie, ob Sie in Irland oder Großbritannien sind!“, sagte der Bürgermeister von Dundalk, John McGahon, mit 27 Jahren jüngster Bürgermeister Irlands und zeigt den Verlauf der Grenze zwischen Irland und Großbritannien, die der Bus auf der Fahrt zum Aussichtspunkt mehrere Male völlig unbemerkt überquerte. 

Während der Unruhen der Jahre 1970 bis 1997war die Hauptstraße, die von Dundalk in die britische Provinz Nordirland führt, eine der gefährlichsten Straßen im Land. Im November 1971 sprengte die paramilitaristische Terrororganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA) dort den Zollposten und überfiel eine Patrouille der britischen Armee, weitere Anschläge und Opfer folgten. Insgesamt forderte der Nordirland-Konflikt mehr als 3.400 Todesopfer. Darüber hinaus war die Grenzregion ein Paradies für Schmuggler und andere kriminelle Machenschaften.

Mit dem Friedensprozess, der mit dem Karfreitagsabkommen im Jahre 1998 eingeleitet wurde und dem freien Grenzverkehr kamen auch Verkehrsinfrastruktur und Wohlstand in die ehemals arme und landwirtschaftlich geprägte Region. Jetzt blüht der Handel mit dem prosperierenden Süden der Insel. Täglich überqueren zahllose Nordiren die unsichtbare Grenze, um an ihren Arbeitsplatz in der Republik Irland zu gelangen. Die Mehrzahl der Nordiren stimmte daher auch gegen den Brexit.

Gruppenfoto der Delegation in Irland, vor nordirischer Hintergrundlandschaft

Irgendwo in diesen grünen Hügeln verläuft die unsichtbare Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Wird es bald wieder alltägliche Grenzkontrollen geben?

HSS

Die Iren sind nicht grundlos besorgt, dass eine neue physische Grenze diese erst kürzlich errungene „Normalität“ jäh wieder beenden und innere Konflikte wieder aufflammen lassen könnten. Justin McNulty, Mitglied der Nordirland-Versammlung und Senator Ian Marshall, Nordirischer Unionist, hoben an zahlreichen Beispielen die möglichen Beeinträchtigungen für Nordirland und die Grenzregion hervor und richteten den dringenden Appell an die übrigen EU-Mitgliedstaaten, Irland und Nordirland nicht im Stich zu lassen. Auch Prof. Ben Tonra vom University College Dublin und Jason O’Mahony verwiesen auf sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Aspekte einer neuen Grenze. Hauptverlierer seien jedoch die nordirischen Landwirte, da kaum davon auszugehen sei, dass Großbritannien den Wegfall der EU-Subventionen ausgleicht.

Wirtschaftliche und politische Konsequenzen des Brexit

Zu möglichen Auswirkungen des Brexit auf die europäische Finanzwirtschaft nahm der ehemalige Justiz-, Haushalts- und Finanzminister Luxemburgs, Luc Frieden, Stellung. „Auch wenn Großbritannien hofft, durch den Brexit an Souveränität zu gewinnen, ist das im Finanzsektor quasi unmöglich, da fast alle Transaktionen grenzüberschreitend stattfinden.“ Frieden merkte an, dass bereits jetzt viele britische Finanzunternehmen Filialen unter anderem in Luxemburg eröffnet hätten und weitere diesem Beispiel folgen würden.

„Vor allem Großbritannien wird die negativen Auswirkungen seiner Entscheidung zu spüren bekommen“, sagte der rumänische Europaabgeordnete Siegfried Mureşan, „schon jetzt verzeichnet Großbritannien das geringste Wachstum unter den G7-Ländern. Durch die Abwanderung britischer Unternehmen und Fachkräfte auf das europäische Festland könnten neue Impulse und Cluster in der EU entstehen. Großbritannien wird sich jedoch mit einem gravierenden Fachkräftemangel auseinandersetzen müssen. Andererseits reißt der britischen EU-Austritt ein Loch von netto 12 Milliarden Euro in den EU-Haushalt, was nicht unerhebliche Auswirkungen hat“, so der stellvertretender Vorsitzende im Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments. Colm Lauder, Senior Investment Analyst beim ältesten Irischen Börsenmakler Goodbody unterstrich die Tatsache, dass Londons langjährige Expertise als Finanzmetropole nicht einfach nach Frankfurt oder Paris transferiert werden könne und schätzte, dass die Verluste auf allen Seiten größer sein werden als die Gewinne.

Die britischen Inseln

Kommt der Brexit, müssten irische Unternehmen längere Transportwege verkraften.

HSS

„Bei einem Wegfall der britischen Landbrücke zwischen der Anlegestelle Holyhead und dem Ärmelkanal-Tunnel in Folkstone muss Irlands Wirtschaft längere Seewegstrecken und höhere Transportkosten für Exporte in den europäischen Binnenmarkt in Kauf nehmen“, sagte Ralf Lissek, Geschäftsführer der Deutsch-Irischen Industrie- und Handelskammer in Dublin. „Doch gibt es immer Gewinner und Verlierer: Rotterdam und Bremerhaven können zu neuen Anlaufhäfen für Exportprodukte aus Irland werden, da die französischen Häfen verkehrstechnisch schlecht angebunden sind“. 

Auch politisch wird sich in Irland einiges ändern, stand das Land doch bislang stets fest hinter seinem großen Nachbarn. „Wir waren immer die Insel hinter der Insel“, betonte Jason O’Mahony, „besonders der zukünftige Verteidigungshaushalt könnte eine große Herausforderung darstellen. Es stellt sich aber auch die Frage, welche Haltung Irland künftig in außenpolitischen Fragen einnehmen wird.“

„Die Zeit läuft uns davon“, warnte der ehem. Bundesminister Christian Schmidt, „es ist erschreckend, dass Großbritannien immer noch keine klare und realistische Vorstellung der Brexit-Konsequenzen hat. Die EU muss nun standhaft sein und an ihren Prinzipen festhalten. Eine ‚Mitgliedschaft-Light‘ darf es nicht geben.“ Nach den Europawahlen im Mai 2019 werde eine neue Phase beginnen, bei der über die Restrukturierung der EU, die künftige Rolle der Nationalstaaten und den Entscheidungsprozess nachgedacht werden müsse, so der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende HSS-Vorsitzende. „Die neu gewählte Kommission hat viel zu tun, aber auch die Mitgliedstaaten müssen in Zukunft noch mehr daran arbeiten, EU-Regeln auf nationaler Ebene zügig umzusetzen.“ Die Position der EU erklärte Charles de Marcilly vom Europäischen Zentrum für politische Strategie der Europäischen Kommission. „Die EU ist gut vorbereitet: Ihre ‚Task Force Artikel 50‘ hat ein minutiöses Regelwerk für jeden Punkt des EU-Austrittsvertrages mit Großbritannien ausgearbeitet.“, so Marcilly. „Dennoch scheint es so, als hoffen einige Mitglieder noch auf ein Wunder. Die Mehrheit der Briten steht jedoch weiterhin für einen harten Brexit und nimmt sogar einen „No-deal“-Status mit weitreichenden Folgen als Preis für die vermeintlich wiedergewonnene Souveränität in Kauf.“

Wie stehen die Chancen für eine zweite Brexit-Abstimmung?

Eine Frage, die nicht nur alle Brexit-Experten derzeit beschäftigt, betrifft die Möglichkeit einer zweiten Volksbefragung zum britischen EU-Austritt. In Großbritannien nimmt die mediale Berichterstattung zu diesem Thema zu, auch im britischen Unterhaus mehren sich die Stimmen, die aufgrund einer verbesserten Kenntnis der Lage eine Neuabstimmung befürworten.  Die Konferenzteilnehmer gingen jedoch nicht davon aus, dass es eine zweite Abstimmung geben werde. Neben der Vermutung, dass ein zweites Referendum wohl ähnlich ausfallen würde, solange die Vertreter der großen Parteien an ihren Standpunkten festhalten, bestehen auch rechtliche Bedenken. Das Volk hatte die Chance abzustimmen und hat diese genutzt. Für Luc Frieden muss der Brexit erst einmal vollzogen werden. Die Briten könnten dann im Nachhinein nochmals über die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich abstimmen.

Ein Signal, dass belegt, dass auch die Briten nicht an eine mögliche Umkehr der Entscheidung glauben, ist der rapide Anstieg von Anträgen auf Staatsbürgerschaft von britischen Staatsbürgern in anderen EU-Mitgliedstaaten: In Irland ist die Rate besonders hoch und der Anstieg beträgt 76%.

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug
Europäischer Dialog
Angela Ostlender
Programm Managerin