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ESM und Einlagensicherung
Ergebnisse des Euro-Gipfels

Autor: Dr. Thomas Leeb

Ende Juni trafen sich Staats- und Regierungschefs zum Euro-Gipfel in Brüssel. Sie einigten sich (1) auf Maßnahmen zur volkswirtschaftlichen Stabilisierung der EU-Mitgliedstaaten und (2) der Weiterentwicklung der Bankenunion. Die politische Debatte konzentriert sich insbesondere (3) auf den Umgang mit Problemkrediten.

1. Maßnahmen zur volkswirtschaftlichen Stabilisierung

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) sichert seit 2012 mit Hilfe von Krediten und Bürgschaften die Zahlungsfähigkeit von Euro-Staaten, die in  wirtschaftliche Turbulenzen geraten sind. Bereits seit geraumer Zeit diskutiert die Politik über die Frage, ob und wie man den ESM aufwerten könnte, um seine angesammelte Expertise bei der Analyse von Krisensituationen weiterhin zu  nutzen.

Ein aus einem 50 Euro Schein gefaltetest Papierschiffchen

ESM auslaufen lassen oder weiterentwickeln, um seine angesammelte Expertise bei der Analyse von Krisen weiterhin nutzen zu können? Bis 2025 soll der ESM von 25 auf 45 Mrd. Euro aufgestockt werden. Erste Zahlungen fließen bereits.

Klimkin; CC0; Pixabay

Der Euro-Gipfel vom Ende Juni ergab zwei Weichenstellungen für die Weiterentwicklung des ESM. Zum einen wird der ESM die gemeinsame „Letztsicherung“ für den EU-weiten einheitlichen Banken-Abwicklungsfonds – eine der drei Säulen der Bankenunion – bereitstellen. Bisher verfügt dieser Fonds über Finanzmittel in Höhe von 25 Mrd. Euro, deren Umfang die EU-Staaten bis 2025 auf 45 Mrd. Euro aufstocken wollen. Erste Zahlungen fließen bereits. Mit Hilfe des ESM werden sogar 400 Mrd. Euro zur Verfügung stehen. So könnten der Abwicklungsfonds und der ESM gemeinsam auch große Banken auffangen, die in finanzielle Not geraten

Zum anderen übernimmt der ESM die Rolle der makroökonomischen  Beobachtung von Krisenländern, denn er hat in diesem Bereich umfangreiches Spezialwissen erworben. Solange eine Krise nicht vorliegt, analysiert die Europäische Kommission – wie bisher schon – die volkswirtschaftliche Situation in den EU-Staaten. Kein Gegenstand der Beratungen beim Euro-Gipfel war ein Budget für den Euro-Raum, das bei großen Rezessionen das Investitionsniveau sicherstellen soll. Solche Finanzhilfen möchte insbesondere Frankreich bereitstellen. Deutschland stimmte dieser Idee beim deutsch-französischen Spitzentreffen in Meseberg zu, das wenige Tage vor dem Euro-Gipfel stattfand.

2. Beschluss zur Bankenunion

Die Bankenunion fußt auf drei Säulen: erstens seit 2014 dem einheitlichen  Aufsichtsmechanismus, zweitens seit 2016 dem einheitlichen  Abwicklungsmechanismus für den Fall von Bankeninsolvenzen und drittens der gemeinsamen Einlagensicherung („EDIS“), über die bereits seit Herbst 2015 intensiv diskutiert wird. Damals präsentierte die EU-Kommission  einen Gesetzesvorschlag, der vorsah, dass zum einen langfristig Banken  EU-weit Risiken teilen, also füreinander haften, und zum anderen die nationalen Einlagensicherungssysteme entfallen sollten. Ende Juni legten sich die Staats- und Regierungschefs darauf fest, dass

„[...] unter Beibehaltung aller Elemente des Fahrplans von 2016 in der richtigen Reihenfolge mit der Ausarbeitung eines Fahrplans für die Aufnahme politischer Verhandlungen über das europäische Einlagensicherungssystem begonnen werden sollte.“ 

Zuständig für die Ausarbeitung des Fahrplans für die Aufnahme politischer Verhandlungen sind der Ministerrat, dem die Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten angehören, und das Europäische Parlament. Die Gespräche darüber könnten direkt nach dem Euro-Gipfel vom Juni starten.

EU-Flagge im Winde wehend

Die Europäische Zentralbank will auf dem Weg zu einer gemeinsamen Einlagensicherung die Aspekte Risikominderung und Risikoteilung parallel angehen.

Capri23auto; CC0; Pixabay

3. Ausblick 

Finanzexperten im EU-Umfeld gehen nicht davon aus, dass der EU-Gesetzgeber vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 eine gemeinsame Einlagensicherung beschließt, denn das Vorhaben ist politisch sehr umstritten. Entscheidend ist die Frage, in welchem Maße Banken ihre Risiken reduzieren müssen, bevor der Startschuss für EDIS und damit zur Risikoteilung erfolgt.

Die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission sprechen sich dafür aus, die beiden Aspekte Risikominderung und Risikoteilung parallel anzugehen. Im Ministerrat und dem EU-Parlament, die das Gesetz gemeinsam beschließen müssen, verläuft die Meinungsbildung oftmals eher entsprechend von  Länder- denn Parteizugehörigkeiten. Südliche EU-Staaten, allen voran Italien, befürworten eine zügige Einführung der Risikoteilung. Nördlichere Mitgliedsländer, zu denen neben Deutschland auch Finnland und die Niederlande gehören, bestehen auf einer klaren Reihenfolge „erst Risiken reduzieren, dann teilen“. 

Insbesondere die Niederlande nehmen eine sehr aktive Rolle bei der  Koalitionsbildung ein, seitdem zum einen feststeht, dass das Vereinte Königreich als Gleichgesinnter in finanzpolitischen Grundsatzfragen die EU verlässt und zum anderen Deutschland und Frankreich sich annähern. In ihrer Erklärung von Meseberg vom 20. Juni 2018 bekennen sich Deutschland und Frankreich dazu, „Risikoreduzierung und -teilung in der richtigen Reihenfolge“ anzugehen. Berlin arbeitet intensiv daran, die Bedenken Den Haags, Berlin könnte seine  stabilitätsorientierte Finanzpolitik aufgeben, durch einen intensiven und  vertrauensvollen Dialog mit Den Haag auszuräumen; erst kürzlich besuchte  Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Niederlande. Die Verminderung von Bankenrisiken erfolgt erstens durch die  Verpflichtung zur Hinterlegung von Eigenkapital bei der Kreditausreichung  und zweitens durch die Senkung des Anteils an Problemkrediten (Darlehen, die der Schuldner drei Monate hintereinander nicht tilgt).

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband weist in einem aktuellen Fokuspapier darauf hin, dass die Banken in mehreren EU-Ländern über zehn Prozent solcher notleidender Kredite, die ausfallgefährdet sind, in ihren Bilanzen haben (Italien: 11,1% = 186,7 Mrd. Euro; Griechenland: 44,9% = 100,8 Mrd. Euro; Zypern: 38,9% = 16,8 Mrd. Euro).  Deshalb fordert der Verband, die Quoten auf ein niedriges Niveau (vgl.  Frankreich: 3,1%. 186,7 Mrd. Euro; Deutschland: 1,9%, 49,6 Mrd. Euro)  abzubauen und  dieses über mindestens fünf Jahre zu halten; bis heute erzielte Reduzierungen der Bestände von notleidenden Krediten erklärten sich vor allem durch Einmaleffekte. Die Frage, wie hoch der prozentuale Anteil an Problemkrediten am Gesamtbestand einer Bank sein darf, um von einer für alle EU-Länder annehmbaren Risikoreduzierung sprechen zu können, prägt die politische Auseinandersetzung stark. 

Neben diesem Thema gibt es weitere, welche politische Entscheidungsträger diskutieren. Da Geschichte und Kultur das Zivilrecht national prägen, gibt es große Unterschiede etwa im Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht. Für eine Bank hat es eine große Bedeutung, wie sie mit Kunden umgeht, die ihre Darlehen nicht bedienen. Nimmt die Verwertung einer Immobilie, die ein heute säumiger Kreditnehmer einst als Sicherheit gegeben hat, etliche Jahre in Anspruch, so muss die Bank in diesem Zeitraum Zwischenfinanzierungen tätigen. Je länger der Zeitraum, desto höher sind die Kosten für die Bank und im Extremfall kann sie dadurch selbst in eine Schieflage geraten. Deshalb sind die EU-Mitgliedstaaten gefordert, eigenverantwortlich und im eigenen Interesse ihr Land als Investitionsstandort zu stärken. 

Ähnliches gilt für den Bereich der  Geldwäsche-Gesetzgebung.  Natürlich erfordert eine Bankenunion Überlegungen über ein gemeinsames  System der Einlagensicherung. Banken sind heute über Ländergrenzen hinweg vernetzt, weshalb auch Problemfälle, die in vermeintlich kleinen Staaten  vorfallen, große Auswirkungen auf andere EU-Mitglieder haben können. Ob allerdings der Vorschlag der EU-Kommission eines letztendlichen Wegfalls der nationalen Einlagensicherungsmechanismen den einzig möglichen solidarischen Weg darstellt, darf aber angezweifelt werden. Eventuell könnte ein europäisches Rückversicherungssystem, das einen Zusatz zu den nationalen Einlagensicherungsfonds darstellt, eine politische Mehrheit hinter sich versammeln.

In jedem Fall bleiben Worte aktuell, die der stv. Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Mitglied des Europäischen Parlaments, Markus Ferber, dieses Jahr in einem Leitartikel formulierte: 

„Risiken im Bankensektor abbauen, die Prozeduren der wirtschaftspolitischen Steuerung straffer und verbindlicher gestalten und Notfallmechanismen aufbauen, die an strenge Konditionalität geknüpft sind. Nationale Eigenverantwortlichkeit und das Haftungsprinzip müssen dabei weiterhin handlungsleitend sein.“

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter