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Präsidentschaftswahl in Russland
Referendum zur Bestätigung Putins oder echte Wahl?

Autor: Jan Dresel

Es war beeindruckend, wie intensiv vor und besonders nach der russischen Präsidentschaftswahl am 18. März Nebensächlichkeiten öffentlich diskutiert wurden. Speziell in sozialen Medien schien sich das ganze Land zu fragen, ob Pawel Grudinin, der chancenreichste zur Wahl zugelassene Konkurrent Wladimir Putins, auf mehr oder weniger als 15 Prozent der Stimmen kommen würde. Als Wetteinsatz hatte er nämlich versprochen, dass er bei weniger als 15 Prozent Zustimmung seinen für ihn charakteristischen Schnauzbart abrasieren würde. Zwar traf eine HSS-Delegation Grudinin zwei Tage nach der Wahl noch mit Schnäuzer, doch wenige Tage später waren die sozialen Netzwerke voll von Beweisfotos, auf denen er ohne sein bisheriges Markenzeichen zu sehen war.

Grudinin hatte bei der Präsidentschaftswahl 11,8% der Stimmen erhalten und damit den zweiten Platz hinter Wladimir Putin (76,7%) belegt. Der Wahlsieg Putins war von Vertretern aller politischen Parteien in Russland erwartet worden. In der russischen Presse wurde er in den Tagen nach der Wahl als „historisches Maximum“ und Putin selbst als „Präsident der absoluten Mehrheit“ bezeichnet.

Reichlich gedeckter langer Tisch, an dem sich sieben Männer zu unterhalten scheinen. Grudinin mit seinem Schnauzbart ist unverkennbar.

Präsidentschaftskandidat Pawel Grudinin (2.v.r.) empfängt HSS-Delegation. Der mit 11,8% der Stimmen Zweitplatzierte hatte gewettet, sich den Schnauzbart abzurasieren, wenn er weniger als 15% erreichen würde. Jetzt ist der Bart abrasiert.

HSS

Die Leiterin der russischen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, erklärte den klaren Wahlausgang damit, dass das russische Volk in schwierigen Zeiten immer hinter seinem politischen Führer stehe. Außerdem hätten westliche Staats- und Regierungschefs zum Sieg Putins beigetragen, wie Pamfilowa in Anspielung auf den Umgang westlicher Regierungen mit dem Anschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julija in der britischen Stadt Salisbury am 4. März sagte.

Großbritannien und weitere westliche Staaten hatten Moskau ohne Vorlage eindeutiger Beweise beschuldigt, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Dies hatte antiwestliche Stimmungen in Russland gerade in den Tagen vor der Präsidentschaftswahl verstärkt und Putins Stellung angesichts seiner harten Haltung gegenüber dem Westen gestärkt.

„Theresa May hätte in den Wahlkampfstab Wladimir Putins aufgenommen werden können“

Sergej Baburin, Präsidentschaftskandidat der nationalkonservativen Partei „Russische Volksunion“ (0,7%), äußerte in diesem Zusammenhang auf gewohnt süffisante Art die Ansicht, man hätte die britische Premierministerin Theresa May in den Wahlkampfstab Wladimir Putins aufnehmen können.

Gruppenbild in einem altertümlichen Konferenzraum mit hohen Wänden, aufwändigen Vorhängen vor hohen Fenstern. Die Gruppe steht unter einem Ölgemälde aus alten Zeiten.

Sergey Baburin (Schnauzbart, Mitte) warf Theresa May Wahlkampfhilfe für Putin vor. Nach den heftigen Reaktionen westlicher Regierungen auf den Giftanschlag auf den russischen Doppelagenten Skripal und seine Tochter in London habe sich das Volk um seinen Präsidenten geschart. Das habe Baburin Stimmen gekostet.

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Er selbst, Baburin, habe durch die Folgen des Falls Skripal mit Sicherheit Stimmen an den wiedergewählten Präsidenten verloren. Bei einem Treffen mit einer hochrangigen Delegation der Hanns-Seidel-Stiftung, die von Reinhold Bocklet, dem I. Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags, angeführt wurde, sprach Baburin am Tag nach der Wahl außerdem über die generelle Bedeutung der Präsidentschaftswahlen: „Diese Wahlen haben nichts entschieden in der russischen Politik; die Entscheidungen werden jetzt, nach den Wahlen, getroffen“. In der Tat wird in den kommenden Jahren viel von der personellen Zusammensetzung der neuen russischen Regierung und des engsten Beraterkreises um Präsident Putin abhängen.

Viktor Swagelskij und Professor Valery Solowej, zwei der wichtigsten Berater des Präsidentschaftskandidaten der wirtschaftsliberalen Wachstumspartei Boris Titow (0,8%), betonten besonders die Wichtigkeit von Wirtschaftsreformen. Nach ihren Worten wüsste auch die Mehrheit der engsten Berater Präsident Putins, dass diese unumgänglich seien. In Russland gebe es kein unabhängiges Unternehmertum. Versuche, eine breite Mittelschicht aufzubauen, seien bisher zum größten Teil gescheitert. Deshalb verfolge die Wachstumspartei als rechtskonservative Partei mit liberalem wirtschaftspolitischem Programm die Idee einer seperaten Wirtschaftskommission, die man Präsident Putin vorschlagen wolle und die sich für unternehmerische Freiheit und niedrige Steuern einsetzen solle. Wie schon zuvor Lew Gudkow, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum, bezeichnete auch Swagelskij gegenüber der HSS-Delegation die Wahl des russischen Präsidenten als „Referendum zur Bestätigung Wladimir Putins“.

Acht Portraits russischer Politiker mit untenstehenden Beschreibungen ihrer Positionen.

Die Präsidentschaftskandidaten. Außer Putin hatte keiner eine realistische Chance.

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Oberste Priorität: wirtschaftliche Entwicklung

Für Pawel Gusew, Chefredakteur der Zeitung Moskowski Komsomolez (MK) ist die derzeitige wirtschaftliche Situation Russlands „keine Tragödie“. Gusew war bereits zum zweiten Mal nach 2012 Wahlkampfberater Wladimir Putins. Zwar fehle es der russischen Wirtschaft an Liquidität, finanziellen Mitteln und technologischen Möglichkeiten, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes verzeichne aber stetige Fortschritte. Gleichwohl komme dem Wirtschaftswachtum in den kommenden sechs Jahren entscheidende Bedeutung für die Beurteilung des Erfolgs der vierten Amtszeit Putins zu. Das Format der Fernsehdebatten während des Wahlkampfs, an denen grundsätzlich alle Kandidaten außer Amtsinhaber Putin teilnahmen und bei denen es zu mehreren Eklats kam, bezeichnete Gusew als „Zirkus“. Stattdessen plädierte er für Debatten zwischen jeweils nur zwei Präsidentschaftsbewerbern pro Sendung, wodurch die Diskussion deutlich versachlicht werden könne.

Aus Sicht Vitalij Schkljarows, des maßgeblichen politischen Beraters der Präsidentschaftsbewerberin Xenia Sobtschak, hat die Wahl zwei Gewinner hervorgebracht: Wladimir Putin und Xenia Sobtschak (1,7%), die für die Partei „Bürgerinitiative“ angetreten ist. Sie seien die einzigen beiden Kandidaten, die für die sie unterstützenden Parteien die Ergebnisse von 2012 verbessert hätten. Der erfahrene Politprofi Andrej Netschaew, Vorsitzender der Partei „Bürgerinitiative“ und ehemaliger russischer Wirtschaftsminister, informierte die bayerische Delegation zusammen mit Schkljarow über den Verlauf des Wahlkampfs. Aus den Gesprächen konnte man den Eindruck gewinnen, das eigentliche Wahlziel des ehemaligen It-Girls Sobtschak habe primär darin bestanden, ihren Bekanntheitsgrad in allen Bevölkerungsschichten zu erhöhen und sich als ernstzunehmende Oppositionspolitikerin zu präsentieren. Bereits wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl hatte Sobtschak zusammen mit dem Oppositionellen Dmitrij Gudkow die Gründung einer neuen Partei, der „Partei der Wende“, angekündigt. Dieser werden von politischen Beobachtern gute Aussichten eingeräumt, sich als neues Sammelbecken für russische Oppositionelle etablieren zu können.

Riesiges Banner mit großen kyrillischen Buchstaben, das zur Wahl in Russland aufruft.

Wahlaufruf in Moskau. Im Vorfeld der Wahl wurde in Russland immenser finanzieller und organisatorischer Aufwand betrieben, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen.

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„Geist der Vorhersagbarkeit“

Die Gretchenfrage, die sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche der bayerischen Delegation zog, lautete: Gab es im Präsidentschaftswahlkampf echten Wettbewerb? Kein anderer Kandidat hat wohl ernsthaft damit gerechnet, Putin schlagen zu können. Der immense finanzielle und organisatorische Aufwand, mit dem das ursprünglich eher niedrige Interesse der Bevölkerung an der Wahl gesteigert werden sollte, hat sein Ziel der Mobilisierung möglichst vieler Wähler zweifellos erreicht. Mit einer Wahlbeteiligung von offiziell 67,49% lag man zwar am Ende unter der ursprünglich ausgegebenen Zielmarke von 70%, doch die Beteiligung erscheint zu hoch, um allein damit Zweifel an der Legitimität des Wahlergebnisses begründen zu können. Nach Angaben der Tageszeitung RBK lobte MdB Michael Georg Link, der die russischen Präsidentschaftswahlen als OSZE-Wahlbeobachter in Moskau mitverfolgt hatte, denn auch die effiziente Arbeit des Zentralen Wahlkomitees, wies aber gleichzeitig auf die überwältigende Medienpräsenz Wladimir Putins im Vorfeld der Wahl hin. Insofern sei im Wahlkampf ein „Geist der Vorhersagbarkeit“ spürbar gewesen.

Raum mit mit Vorhängen verhangenen Wahlkabinen auf denen das russische Wappen prangt.

Wahllokal im Zentrum Moskaus. Auch ohne die beobachteten Unregelmäßigkeiten wäre Putin wohl als Präsident bestätigt worden. Selbst regierungskritische Fachleute rechnen mit "höchstens" 7% gefälschter Stimmen.

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RBK zitiert Link außerdem mit der Feststellung, dass es bei der Präsidentschaftswahl zu einer Einschränkung von grundlegenden Freiheiten gekommen sei, insbesondere des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Nicht vergessen solle man auch die Tatsache, dass mehrere Bewerber nicht als Präsidentschaftskandidaten zugelassen worden waren. Der prominenteste von ihnen ist zweifellos Alexej Nawalny, der wohl populärste Widersacher Präsident Putins. Nawalny ließ nach der Präsidentschaftswahl verlauten, die Wahlen seien großflächig gefälscht und die Wähler zu den Urnen gezwungen worden. In der Tat spricht RBK von 7.200 konkreten Beschwerden, die bei der Zentralen Wahlkommission eingegangen seien. Doch auch unabhängige Experten wie Lew Gudkow vom Lewada-Zentrum weisen darauf hin, dass selbst regierungskritische Fachleute bei Präsidentschaftswahlen mit maximal sechs bis sieben Prozent gefälschter Stimmen rechnen. Man kann also getrost davon ausgehen, dass der beim russischen Volk nach wie vor äußerst beliebte Wladimir Putin auch ohne Unregelmäßigkeiten bei der Wahl als Präsident der Russischen Föderation bestätigt worden wäre.

Info:

Bei einem Runden Tisch im Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften tauschten sich die Mitglieder der bayerischen Delegation mit russischen Deutschlandexperten aus. Nach der Begrüßung durch den Leiter des Europa-Instituts, Professor Alexej Gromyko, trugen Dr. Wladislaw Below, Leiter des Deutschlandzentrums des Europa-Instituts, dessen Stellvertreterin Dr. Ekaterina Timoschenkowa und Dr. Boris Guseletow ihre Gedanken zu Wahlsystemen und Regierungsbildung in Deutschland und Russland vor. Für die deutsche Seite sprachen MdL Petra Guttenberger und Professor Gerd Strohmeier, Politikwissenschaftler und Rektor der TU Chemnitz. Auf die Kurzvorträge folgte eine angeregte und lebhafte Diskussion, bei der unter anderem die Erfolgsaussichten möglicher Viererkoalitionen in Deutschland (wie zum Beispiel „Jamaika“) erörtert wurden.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
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