Print logo

Deutschland und Russland
Wir brauchen Geschlossenheit, Respekt und Investitionen

Das Verhältnis ist kompliziert. Trotz unterschiedlicher Standpunkte, gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik, muss Deutschland am Dialog mit Russland Interesse haben. Was ist dafür nötig?

Es gibt viel, das uns verbindet. Seit Jahrhunderten unterhalten Deutschland und Russland enge Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, es gibt erfolgreiche Wissenschafts- und Hochschulkooperationen und lange gewachsene Partnerschaften zwischen vielen deutschen und russischen Städten, Kreisen und Regionen. Auch kulturell sind wir uns näher, als es im von Sanktionen und Auseinandersetzung geprägten politischen Alltag oft scheint. Allerdings werden besonders außen- und sicherheitspolitische Fragen in Deutschland und Russland oft grundlegend unterschiedlich betrachtet, zum Beispiel im Fall der Ukraine-Krise, in der Syrien-Politik oder im Umgang mit China. Wie steht es also um die Perspektiven für den deutsch-russischen Dialog?

Vor diesem Hintergrund hat Nico Kraft, der sich als außenpolitischer Experte im Büro des CSU-Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl unter anderem mit Russland beschäftigt, vor kurzem Moskau besucht und dort als Mitglied einer Delegation aus Deutschland politische Gespräche geführt. Wir haben ihn in Moskau für ein kurzes Interview getroffen. [Anm.d.Red. Die folgenden Aussagen spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Interviewten wieder]

Seit Mai 2019 arbeitet Nico Kraft für den Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl und den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten vor allem an außenpolitischen Themen (transatlantisches Verhältnis, Russland, NATO). Vorher war er als Berater für ausländische Regierungen und Institutionen bei der Agentur Burson-Marsteller tätig. Außerdem arbeitete er für Jürgen Hardt, den außenpolitischen Sprecher der CDU-CSU-Gruppe im Bundestag. Der Politik- und Geschichtswissenschaftler hat 2017 den Studiengang “Internationale Beziehungen” an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen abgeschlossen.

Seit Mai 2019 arbeitet Nico Kraft für den Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl und den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten vor allem an außenpolitischen Themen (transatlantisches Verhältnis, Russland, NATO). Vorher war er als Berater für ausländische Regierungen und Institutionen bei der Agentur Burson-Marsteller tätig. Außerdem arbeitete er für Jürgen Hardt, den außenpolitischen Sprecher der CDU-CSU-Gruppe im Bundestag. Der Politik- und Geschichtswissenschaftler hat 2017 den Studiengang “Internationale Beziehungen” an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen abgeschlossen.

Nico Kraft

HSS: Herr Kraft, was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus Ihren Gesprächen in Moskau mit nach Hause nehmen?

Nico Kraft: Zum einen, dass die Außenpolitik der Russischen Föderation vor allem interessengeleitet ist. Mit dem russischen Hang zur Realpolitik lässt sich zum Beispiel erklären, warum Russland mit der Türkei im wirtschaftlichen Bereich (Turkstream) und im militärischen Bereich (Flugabwehrsystem S-400) zusammenarbeitet, obwohl sich beide Länder im Syrien-Krieg als Konkurrenten gegenüberstehen.

Zweitens ist mir in Moskau klargeworden, dass Russlands Außenpolitik stark von verletztem Nationalstolz geleitet ist. Russland sieht sich nicht als „Regionalmacht“, sondern möchte wieder als Weltmacht respektiert werden, und zwar im Rahmen einer antiwestlichen Weltordnung mit multiplen Machtzentren. Trotz dieses Spannungsverhältnisses erwartet man vom Westen eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Außerdem sollen nach Ansicht vieler Russen die historischen Leistungen ihres Landes etwa im Zweiten Weltkrieg und bei der deutschen Wiedervereinigung sowie Russlands strategische und geopolitische Interessen anerkannt werden.

Der dritte Aspekt, der bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ist die Tatsache, dass die USA nach wie vor Fixpunkt der russischen Außenpolitik sind. Sie werden in Russland weiterhin als primärer Kontrahent oder gar Feind wahrgenommen. Aus russischer Sicht gilt es, die alleinige Stellung der USA als globale Supermacht gemeinsam mit China aufzubrechen. Dabei erwartet Russland, dass sich die deutsche und europäische Außenpolitik von den USA emanzipieren müsse.

HSS: Sie sprechen von einer Partnerschaft auf Augenhöhe, die Russland vom Westen erwartet. Wie realistisch ist das?

Russland nutzt verschiedene Mittel wie hybride Kriegsführung, Cyberattacken und Wahlmanipulationen, um westliche Demokratien zu destabilisieren. Es werden geopolitische Fakten geschaffen, um auch durch den Einsatz militärischer Fähigkeiten russische Interessen und Russlands weltpolitischen Anspruch zu untermauern. Angesichts dessen ist es eine Illusion zu glauben, dass es zu einer sicherheitspolitischen Kooperation oder gar Harmonie mit dem Westen kommen wird.

In Bezug auf den russischen Weltmachtanspruch sollte immer mitgedacht werden, dass Russland nicht nur das flächenmäßig größte Land der Erde ist, sondern auch „die UN in klein“ abbildet: Es gibt gigantische politische, soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen einzelnen Regionen. Während Moskau eher Paris gleicht, gibt es zum Beispiel Orte in Sibirien, die eher an Dritte-Welt-Länder erinnern. Diese Kontraste innerhalb Russlands machen es für Außenstehende noch schwieriger, dieses Land und seine Widersprüchlichkeiten zu verstehen.

HSS: Auf welche Bereiche erstreckt sich aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit zwischen Russland und China?

Fixpunkte der russischen Wirtschaft bleiben die Energie- und die Rüstungsexportwirtschaft. Insgesamt hat Russland in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig in die Modernisierung der eigenen Wirtschaft investiert, vor allem im Technologiebereich. Deswegen gibt es eine strategische Partnerschaft mit China. Politisch befinden sich Russland und China (noch) auf Augenhöhe, was vor allem an der derzeitigen Überlegenheit des russischen Militärs liegt. Hier bleibt festzuhalten, dass Russland sein Militär durchaus erfolgreich modernisiert hat.

Aber es gibt zwischen Russland und China nicht nur gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede, sondern maßgeblich auch wirtschaftliche. China ist Russland wirtschaftlich weit voraus. Dabei fokussiert sich die russisch-chinesische Kooperation auf den technologischen und militärischen Sektor. China exportiert vor allem Technologiegüter nach Russland, zum Beispiel Komponenten zum Aufbau eines 5G-Netzes. Hier wird vor allem mit Huawei zusammengearbeitet - trotz der gesetzlichen Verpflichtung chinesischer Unternehmen, mit dem chinesischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Eine sicherheitspolitische Debatte wie in Deutschland gibt es darüber nicht, da der US-amerikanische Anbieter Cisco als gefährlicher für die nationale Sicherheit und technologische Unabhängigkeit eingestuft wird als chinesische Anbieter. Russland hingegen exportiert zu 80 Prozent Ressourcen nach China. Es befindet sich in einer wirtschaftlichen und technologischen Abhängigkeit.

Ein konträres Bild ergibt sich bei der militärischen Zusammenarbeit. Sie basiert einerseits auf dem Verkauf russischer Rüstungsgüter, andererseits auf gemeinsamen Ausbildungskooperationen und Militärübungen. Dabei wird China nicht als militärischer Rivale oder Bedrohung bewertet. Die Gefahr eines Konflikts wird als gering eingeschätzt, weil Russland militärisch überlegen ist.

HSS: Immer wieder fordern auch hochrangige deutsche Politiker ein Ende der westlichen Sanktionen gegen Russland. Können Sie diese Forderungen nachvollziehen?

Deutsche Unternehmen erzielen wieder große Gewinne in Russland. Zwar beklagen sich gerade auch ostdeutsche Politiker immer wieder öffentlichkeitswirksam über die nach der Annexion der Krim verhängten EU-Sanktionen. Aber es bleibt festzustellen, dass die EU-Sanktionen allein ein politisches Instrument sind. Einerseits haben die Sanktionen dazu beigetragen, dass der Ukraine-Konflikt nicht ungehemmt eskaliert ist und eine territoriale Ausdehnung Russlands verhindert wurde. Andererseits muss man konstatieren, dass die Sanktionen nur einen marginalen Einfluss auf die russische Wirtschaft haben.

Auch die deutschen Unternehmen haben sich mit den klar definierten Sanktionen arrangiert und sind resilienter geworden. Sorgen bereiten hingegen die US-Sanktionen, da diese keinen klaren Parametern folgen und der disruptiven und unberechenbaren Außenpolitik der Trump-Administration unterliegen. Die Sanktionen sind nicht die Lösung des Ukraine-Konflikts, aber ein wichtiges Signal der Einheit und außenpolitischen Handlungsfähigkeit der EU.

HSS: Wenn Sie der deutschen Außenpolitik nach Ihren Gesprächen in Moskau Handlungsempfehlungen für ihre Strategie gegenüber Russland an die Hand geben sollten, welche wären dies?

Zum einen muss Deutschland mit einer Stimme sprechen. Bisher gibt es keine klare Linie innerhalb der Bundesregierung. Gleiches gilt auch für die EU. Eine kohärente Russland-Politik gehört ins Zentrum einer deutschen und europäischen Strategie. Zum anderen muss Deutschland Russland mit Respekt gegenübertreten. Drittens braucht Deutschland außenpolitisch einen realpolitischen Ansatz und einen realistischen Umgang mit Russland. Schließlich muss Deutschland finanziell investieren und sich personell und materiell engagieren, wenn es dem Mantra „Mehr Verantwortung übernehmen“ gerecht werden, Einfluss ausüben und seine legitimen Interessen außenpolitisch vertreten will.

HSS: Sehr geehrter Herr Kraft, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan Dresel, HSS-Repräsentant in Moskau

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
E-Mail: